Donnerstag, 23. Januar 2014

Über die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland in den Jahren des Kommunismus

Ein historisches Dokument des hl. Johannes von Shanghai und San Francisco über die Russische Kirche aus dem Jahre 1960. 


Alle Teile der Universalen (Orthodoxen) Kirche haben ein gemeinsames Ziel – die Predigt des Wortes Gottes, die Vorbereitung der Menschen dafür, dass sie zu fähigen Gliedern des Leibes Christi werden, und dann immer mehr und immer stärker mit dem Göttlichen rettungbringenden Leben der Leibes Christi zusammenwachsen, denn darin eben besteht das Heil der Menschen.
In der Erlangung dieses allgemeinen Ziels hat jede Ortskirche ihre Bedeutung.

Jedes Volk ist von der Vorsehung Gottes mit besonderen Gaben ausgestattet. Deshalb hat jedes Volk oder jede Vereinigung verwandter Völker seine eigene Kirche, und eine solche Aufteilung der kirchlichen Gewalt hilft dem Anliegen der Predigt. Daher lässt die Orthodoxe Kirche die Einrichtung neuer Ortskirchen zu und damit – neuer Zentren der Predigt. So entstanden die Russische und die slawischen Kirchen.
Jedes Volk hat also ihm eigene Besonderheiten des Geistes, und das ist die Grundlage der Gründung der Ortskirchen.
Alle zusammen stellen sie die Eine Universale (Orthodoxe) Kirche dar und bringen ihre Eigenheiten und Talente in sie ein, so wie gute Diener die Ergebnisse ihres Handels mit den von Gott gegebenen Talenten darbringen. So bildet sich eine Gott gefällige Zusammenstellung geistlicher Klänge und Farben, von denen die Kirche geziert wird, und die alle Völker zum Ruhme Gottes vereint.
Diese Pracht bringt die Erde dem Himmel wie wohlriechenden Weihrauch dar. In diese Pracht bringt auch die Russische Kirche ihre Farben und ihre Klänge ein: vergleichen wir nur die mitunter harte Strenge der Gerechten des Ostens mit der Gerührtsein des Geistes der russischen Heiligen.
Obwohl wir über die ganze Welt verstreut sind, bewahren wir die uns von Gott gegebenen Besonderheiten des Geistes. Das ruft uns dazu auf, die Einheit mit der Kirche zu bewahren, der Gott das Wirken unter uns anvertraut hat, unsere geistliche Betreuung und Erziehung, die Erhaltung unserer geistlichen Flamme, die Entwicklung unserer Talente. Deshalb richten wir, die wir über die ganze Welt zerstreut sind, unsere russischen Kirchen ein und bilden alle zusammen die eine Russische Kirche im Ausland.

Die geistlichen Erscheinungsformen der Kirche sind bei allen Völkern gleich, aber die Gesichter – Farben und Töne – unterschiedlich.
Die Teilung der Dienste und Gaben war dem Schöpfer aller und Retter Gott genehm. Wir kennen und fühlen geistlichen Nutzen und erfahren Freude, wenn wir sehen wie verschiedene Völker, unterschiedlicher Charaktere und Gaben, dem Einen Gott Ehre darbringen. Deshalb hat zum Beispiel die Serbische Kirche, geleitet von echtem kirchlichen Bewusstsein und Gefühl, mit Freude die Russische Kirche bei sich beherbergt und den geistlichen Nutzen ihrer Anwesenheit bezeugt.
Unsere Russische Orthodoxe Kirche im Ausland ist der freie Teil der Russischen Kirche. Ihre Einheit bezeugt uns auch die Tatsache, dass Gottes Barmherzigkeit, die in unserer Heimat in der Erneuerung von Ikonen ihren Ausdruck findet, ihr Erscheinen nicht auf das Gebiet Russlands beschränkt hat, sondern auch die Auslandskirche einbezogen hat, in russischen Kirchen, bei russischen orthodoxe Menschen der Emigration.

Geistlich ist die Russische Kirche unteilbar: sie ist stets eine und dieselbe Russische Kirche, wo immer wir uns auch befinden. Als Teil der Russischen Kirche können wir nicht mit der Kirchenleitung zusammenarbeiten, die einer der Kirche feindselig gegenüberstehenden Staatsmacht unterjocht ist. Sich im Zustand einer solchen Unterwerfung und Abhängigkeit zu befinden ist ein Zustand seelischer Erkrankung: für die Kirchenleitung ist es widernatürlich, sich in Abhängigkeit von Machtstrukturen zu befinden, die sich der Vernichtung der Kirche und überhaupt des Glaubens an Gott zum Ziel gesetzt haben. Und die, die sich in einer solchen Abhängigkeit befinden, können nicht umhin, die Krankhaftigkeit eines solchen Zustandes zu empfinden und zu erkennen: die einen, die ein lebendiges Gewissen besitzen, quälen sich; die anderen, mit einem verbrannten Gewissen, finden sich mit einer solchen Situation ab.
Die Kirchenleitung in Russland befindet sich in einer solchen Lage, dass wir nicht unterscheiden und verstehen können, was von ihr freiwillig getan wird und was aus Zwang geschieht. (*Anm: damals wurde die Kirchenleitung in Russland noch von der kommunistischen Staatsmacht beeinflusst und kontrolliert)
Die Kirchenleitung in Russland bietet das Bild der Gefangenschaft und geistlichen Ohnmacht: es gibt weder freien Willen, noch freie Äußerungen. Es gibt niemandem, mit dem wir Gemeinschaft pflegen könnten: eine freie Kirchenleitung gibt es nicht! Die Russische Auslandskirche ist deshalb verwaltungsmäßig nicht mit einer solchen Führung verbunden. Aber wir sind geistlich mit der Heiligen Russischen Kirche verbunden, denn wir sind Teil der Russischen Kirche.
Wir dürfen nicht meinen, dass in unserer Heimat alle geistlich von der dort herrschenden Macht versklavt sind. Wir glauben an das Gegenteil. Wir erforschen die Herzen nicht, die allein Gott bekannt sind, aber wir wissen, dass es dort keine Gewissensfreiheit und Freiheit des Willens gibt, dass dort die Verschlossenheit eingekehrt ist, es gibt kein gegenseitiges Vertrauen, die Menschen dort können nicht einen Lebensweg aussuchen, der ihren Wünschen entspräche, dort ist jener Zustand eingetreten, von dem der Prophet Micha prophezeite: dort glauben die Menschen dem Freunde nicht, trauen nicht den Älteren (Micha 7, 5), und die Feinde des Menschen sind seine Hausgenossen. Die atheistischen Machthaber beeinflussen die Menschen in verderblicher Weise. Sie unterwerfen sich nicht nur die Leiber, sondern nehmen auch die Seele gefangen, berauben den Menschen seiner Persönlichkeit, und die ehrliche offenherzige russische Seele wird entstellt. Wir, die Russische Auslandskirche, bewahren unsere Einheit, indem wir mit allen Kirchen Gemeinschaft pflegen, mit denen dies möglich ist. In unserer Verstreuung über die ganze Welt unterstellen wir uns nicht Ortskirchen, nicht, weil wir ihnen gegenüber feindselig eingestellt wären, sondern weil wir die Heilige Russische Kirche und die Besonderheiten der russischen Seele bewahren.


Unsere kirchliche Einheit kommt darin zum Ausdruck, dass wir uns einer einzigen Kirchenleitung für die gesamte Diaspora unterstellen, und diese Einheit bewahrt russische Menschen im Ausland in der Treue zu der ihnen von Gott auferlegten Askese.

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