Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Hier ist eine Seligpreisung, in der alles zunächst vom Menschen und erst dann von Gott abhängt; in welcher der Mensch gegenüber Gott zum Schuldner wird; in welcher der Mensch nach der Einstellung mit Gott gleichgesellt wird. Woher das? - Daher, daß keine Tugend so notwendig für den Menschen ist, wie die göttliche Barmherzigkeit. Im ganzen Leben, in allen Momenten des Daseins, ist etwa den Menschen etwas notwendiger als die Barmherzigkeit Gottes? Ja, das ganze Leben des Menschen in seiner ganzen körperlichen und geistlichen Verschiedenheit und Komplizität hängt von der sichtbaren und unsichtbaren Barmherzigkeit Gottes ab. Zum Sehen braucht das Auge des Menschen die Sonne. Scheint die Sonne etwa nicht nach der Barmherzigkeit Gottes? Zum Hören braucht das menschliche Ohr die Luft. Ist die Luft etwa nicht ein Geschenk der Barmherzigkeit Gottes? Wer von den Menschen würde die Luft schaffen, wenn es sie nicht gäbe? Was für das Auge und das Ohr des Menschen gilt, das gilt auch für seinen gesamten Körper und für alle Funktionen des Körpers. Und für die Seele? - Für sie gilt die gleiche Grundlage, nur weit höher und weit schärfer. Wie denkt der Gedanke und wie fühlt das Gefühl? Nur durch das Geschenk Gottes und durch die Barmherzigkeit Gottes, denn Gott schenkte der gottähnlichen Seele des Menschen die Fähigkeit zu denken und zu fühlen. Wäre es nicht so, welcher Mensch wäre imstande, die Seele zu schaffen, welche denkt und fühlt, wenn nicht ein Mensch imstande ist, auch nur ein Blatt des Veilchens oder ein Steinchen zu machen. Und das menschliche Gewissen? Ist nicht auch dies ein Geschenk, das den Menschen durch die äußerste Barmherzigkeit Gottes gegeben wurde? In einem Wort: der ganze Mensch steht und besteht durch die Barmherzigkeit Gottes. Das empfindet jeder Mensch, der sich auch nur im geringsten ernsthaft in das rätselhafte Geheimnis des menschlichen Lebens auf der Erde vertieft. Daher wird in der fünften Seligpreisung vom Menschen auch verlangt, daß er sein Verhältnis gegenüber den Menschen nach dem Gesetz der göttlichen Barmherzigkeit definiert. Der Mensch besteht und lebt nach der Barmherzigkeit Gottes und von der Barmherzigkeit Gottes.
Westeuropa und der Wandel zum Humanismus
In
Westeuropa ist das Christentum nach und nach in den Humanismus
umgewandelt worden. Über einen langen Zeitraum und beharrlich hat der
Gott-Mensch stetig an Bedeutung verloren. Er wurde verändert. Er wurde
eingeschränkt und letztlich auf das bloß Menschliche reduziert: Auf den „
unfehlbaren“ Menschen in Rom und auf die gleichermaßen „ unfehlbaren“
Menschen in London und Berlin.
Auf
diese Art und Weise ist das Papsttum entstanden, nämlich indem es
Christus alles Wesentliche wegnahm, wie es gleichermaßen im
Protestantismus geschehen ist.
Wenig
nach Christus fragen und sehr oft nicht einmal das. Sowohl im Papsttum
wie auch im Protestantismus hat das schlicht Menschliche den
Gott-Menschen ersetzt, sowohl als höchsten Wert als auch höchstes
Kriterium.
Das
Wirken und die Lehren des Gott-Menschen wurden gründlichen und
bedauerlichen Veränderungen unterzogen. Das Papsttum hat sich beständig
und nachhaltig darum bemüht, den göttlichen Menschen durch einen
Sterblichen zu ersetzen, bis schließlich der Gott-Mensch Christus durch
das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes ( eines Sterblichen) ein für
allemal durch einen kurzlebigen „unfehlbaren“ Menschen ersetzt wurde.
Denn diesem Dogma zufolge wurde der Papst endgültig und eindeutig als
höher stehend verkündet - nicht nur allen Menschen, sondern auch den
Aposteln, den heiligen Vätern und den heiligen ökumenischen Konzilien
gegenüber.
Durch
derartige Abweichung vom Gott-Menschen Christus, von der ökumenischen
Kirche, hat das Papsttum sogar Luther, den Begründer des Protestantismus
übertroffen.
Aus
diesem Grunde sollte der erste radikale Protest, der im Namen des
Humanismus gegen den Gott-Menschen Christus und seinen
göttlich-menschlichen Leib - die Kirche - artikuliert wurde, im Papsttum
und nicht im Luthertum gesehen werden.
Das Papsttum ist in der Tat die älteste Form des Protestantismus.
--Seliger Justin Popovic
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