Montag, 6. Januar 2014

Christus: das Licht und die Hoffnung der Welt-Erzpriester Georgios D. Metallinos


 1. «Archetypus» und «Ziel»
Christus ist jene Person der Heiligen Dreiheit, die auch vor Seiner Inkarnation in direkter Verbindung mit der Welt steht. Erstens ist Er der Schöpfer alles Erschaffenen. Gott Vater erschafft „durch den Sohn im Heiligen Geist“ die Schöpfung. Sohn und Geist heißen in der Theologie unserer Kirche „Hände“ des Vaters. Der Sohn, Christus, wirkte auch nach der Erschaffung, „ohne Fleisch“ (d. h. vor Seiner Inkarnation), erlösend in der Welt, indem Er die Gerechten und die Propheten zur Vergöttlichung (gr. Theosis) führte, und die Welt darauf vorbereitend, Seine körperliche Anwesenheit anzunehmen.
Aber Christus ist auch der „Archetypus“ und das Vorbild, gemäß dem der Mensch erschaffen wurde. Dies wird durch den alttestamentlichen Satz offenbar: im Bilde Gottes schuf Er ihn (also Gott den Menschen, Gen 1,21). Nach dem Apostel Paulus, der das Mysterium Christi tiefer als jeder andere erlebte, ist der Gottmensch Christus das Bild des unsichtbaren Gottes, der als Wort (gr. logos) Gottes (Jh 1,1) der Welt den Vater offenbart. „Durch Den wir den Vater kannten“ singen wir in der Vesper des Heiligen Geistes nach den Worten des Kaisers Leon des Weisen († 912), die das Wort Christi umschreiben: Wer Mich gesehen hat, hat den Vater gesehen (Jh 14,9). Also derjenige, der die Göttlichkeit des Sohnes sieht (Theoptie, „Schau Gottes“), sieht auch die Göttlichkeit des Vaters. Nach dem hl. Gregor Palamas bezieht sich das „im Bild“ auf den gesamten Menschen als Körper und Seele (das «συναμφότερον»). Nach dem hl. Johannes Chrysostomus (E.P. 59, 694) „πρώτον ετυπώθη τα κατά την σάρκα του Χριστού“, also „erst wurde das geformt, was das Fleisch Christi betraf (= erst wurde der Gottmensch als Urbild des Menschen auf ewig bestimmt)… „και τότε Αδάμ επλάσθη“,„und dann wurde Adam erschaffen“. Vor der Fleischwerdung (Inkarna-tion) blieb unser ewiges Urbild unsichtbar und unbekannt; durch die Fleischwerdung wurde es bekannt, ist geoffenbart worden im Fleische (1 Tim 3,16) in der Person Christi.
Aber Jesus Christus ist ebenfalls unser „Ziel“. Der Sinn unserer Existenz und unserer Anwesenheit in der Welt. Der Mensch wurde „christozentrisch“ erschaffen, „mens naturaliter christiana“, wie Tertullian (2. Jh.) sagte. Der Mensch ist von seiner Natur aus Christ, d. h. er bezieht sich auf Christus als seinen Schöpfer, als sein Urbild und Ziel. Der Sinn unseres Lebens ist die Vergöttlichung (Theosis) und unsere „Christosis“ „der Gnade nach“ („κατά χάριν“), die Einswerdung mit Gott „in Christo“ und durch Christus. Nach dem hl. Basileios dem Großen wurde der Mensch als „beauftragter Gott“ erschaffen („Θεός κεκελευσμένος“), also in sich das Gebot (Gottes) tragend, Gott zu werden („der Gnade nach“). Das bedeutet, das spirituelle Maß Christi zu erreichen, da er dazu berufen wird, zum vollkommenen Mann zu werden, zum vollen Maß der Fülle Christi(Eph 4,13) hinzugelangen: zur vollkommenen Reife, zum Maß des vollkommenen spirituellen Wuchses Christi.
Christus, als Gottmensch, bestimmt vom Anfang der Geschichte an den spirituellen Verlauf des Menschen; Er Selbst ist das Vorbild und Maß dieses Verlaufs. Er wurde so zum Schlüssel der Erkenntnis der Geschichte und des Menschen und Quelle ihrer Sinngebung. Mensch und Geschichte bewegen sich stetig auf den „kommenden“ Herrn zu, Den sie als Schöpfer, Erlöser, Erretter und Wohltäter treffen, aber auch als Richter am Ende der Geschichte, bei Seiner zweiten und glorreichen Erscheinung.
Christus ist daher das Zentrum der Geschichte geworden. Er spaltete die Geschichte in Zeitalter vor und nach Seiner Geburt. In Christus, wie in einem zentralen Fluß, mündet die gesamte Menschheit vor Christi Geburt, und aus Christus, als ihrem „Genarchen“, beginnt die Menschheit nach Christi Geburt, der Leib der in Christo Erretteten. Deswegen fließt Seine Kirche in die Welt hinein, um die gesamte Menschheit zu „verkirchlichen“ (Mt 28,19), so daß die ganze Welt in Christo und durch Christus wiedergeboren wird. So wird Christus nicht nur Zentrum der Geschichte, sondern auch ihr Anfang und „Entelechie“, ihr Zweck und Vollendung. Deshalb identifiziert sich Christus mit dem „Eschaton“, als Ende und Vollendung der Geschichte. „Eschaton“ ist das, jenseits dessen nichts anderes mehr für die Errettung erwartet wird. Jenseits von Christus, dem wahren Heilsbringer, gibt es nichts Neues unter der Sonne, wie das Buch Ekklesiastes [Kohelet] (1,9) sagt. Das „Eschaton“ kommt in die Welt mit der Fleischwerdung des Gottmenschen. Dann beginnt die „christliche Eschatologie“, und sie wird mit Seiner Zweiten Erscheinung vollendet. Das für die Errettung Erwartete kam mit Christus und liegt in Seinem Leib. Die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden (Jh 1,17).
2. «Erwartung der Völker»
Jesus Christus, als Gottmensch, ist einzigartig und unvergleichbar, wie es durch Sein ganzes irdisches Leben bewiesen wird. Er ist der einzige Mensch, der noch vor Seiner Erscheinung auf der Bühne der Geschichte bekannt und erwartet war. Er war die Erwartung der Völker (Gen 49,10) der ganzen Welt. Denn Christus verhieß Seine Ankunft bereits nach dem Sündenfall der Ersterschaffenen („Protevangelion“, Gen 3,15). So orientierte sich die Sehnsucht der Menschheit auf die Zukunft, die Ankunft Christi, für die Wiederverbindung mit Ihm, die Erlösung. Diese Sehnsucht hinterließ heftige Spuren in der gesamten Menschheit, in Osten und Westen, besonders aber bei den Israeliten, die sich in den Personen ihrer Heiligen als „Gottes auserwähltes Volk“ („περιούσιος λαός του Θεού“) auszeichneten, nicht weil Gott „voreingenommen“ wäre (Apg 10,34), sondern weil ihre Heiligen den Weg der Gotteserkenntnis (Theognosie), die „Methode“ der Vergöttlichung (Theosis), retteten.
In der Prophezeiung (der Predigt derjenigen, die sich im Zustand der Theosis zur Zeit des A. T. befanden) ist die Ankunft des Messias-Christus in der Welt so intensiv und sicher, daß Sein Werk mit erstaunlicher Durchsichtigkeit beschrieben wird, als handelte es sich um bereits erlebte Wirklichkeit. Zum Beispiel vom Propheten Micha der Ort der Geburt Christi (5,1 vgl. Mt 2,6); vom Propheten Jeremia die Abschlachtung der Kleinkinder (31,15); vom Propheten Hosea die Flucht nach Ägypten (11,1); die Anbetung der Könige (Ps 71,10 u. Jesaja 60,3-6); der Vorläufer (Maelachi 3,1 u. 4,5) und seine Predigt (Jesaja 40,3-5); die Wundertaten Christi (Jesaja 35,5-6); der triumphale Einzug in Jerusalem (Sacharja 9,9); der Verrat Judas’ (Ps 40,8-10 u. Sach 11,12-13); die Verurteilung Christi (Ps 2,2); Seine Passion (Js 50,6; Ps 68,22; Ps 21; Js 53); Seine Auferstehung (Ps 15,10-11); Seine Himmelfahrt (Ps 109,1); die Herabkunft des Heiligen Geistes (Joel 3,1-5); die Umkehr der Heiden (Js 60,1-4). So ist es nicht verwunderlich, daß der „stimmgewaltigste“ Prophet Jesaja „fünfter Evangelist“ genannt wurde, da er das Zeitalter des Messias im Heiligen Geist erlebte, wie später die Evangelisten – Seine Jünger.

Klar und deutlich ist aber diese Erwartung auch bei den anderen Völkern: Griechen, Römern, Chinesen, Indern, Iranern, Ägyptern. Die relevanten Zeugnisse erstrecken sich bis Amerika und Skandinavien. Damit wir uns bei bestimmten eindrucksvollen Zeugnissen begrenzen, erwartete Konfuzius in China den „Heiligen“ und „Himmelsmenschen“ (Gottmenschen)! Der Buddha Gotama (der historische Buddha, in Indien, 5. Jh. v. Chr.) wies die Behauptungen seiner Anhänger, daß seine Lehre unüberwindbar sei, zurück, indem er sagte, daß seine „Lehre nach 500 Jahren ihr Ende finden“ würde. Das Erstaunlichste sogar ist, daß ein Zusammentreffen der universellen Erwartung des Messias in Palästina beobachtet wird, denn die Völker des Westens erwarteten Ihn aus dem Osten, während die Völker des Fernen Ostens Ihn aus dem Westen erwarteten.
Der „spermatische Logos“ („σπερματικός λόγος“) Gottes, der in die Herzen der spirituellen Menschen auf der ganzen Welt eindrang, führte die Gewissen zum Christus, die Menschheit so vorbereitend, Ihn zu empfangen, wenn die Fülle der Zeit (Gal 4,4) gekommen sei, die mit der universellen Gesellschaft des „Pax Romana“ verbunden wurde, und hauptsächlich mit der Person der Allheiligen Gottes-gebärerin. Die Allheilige Jungfrau wurde das „neue Paradies“, in dem der erwartete Messias als der Gottmensch, der Herr, Fleisch an-nahm .
Christus ist „der angekündigte Messias“. David verkündigte Seine Geburt (Ps 109,3). Salomon pries die urewige Weisheit Gottes als eine in die Welt kommende Person (Spr 8,22-26). Der Prophet Jesaja beschrieb Seine Geburt aus einer Jungfrau (7,14) und Seine Identität als Licht der Völker (9,1; 49,6), als Hirte (40,11), als Erlöser der Welt (25,6), der ein goldenes Zeitalter einweihen wird (35,6 u. 10). Jeremia sagte voraus, aus dem Stamm David würde ein gerechter König hervorgehen, der eine neue Gesellschaft herbeiführen würde (23,5-6; 38,22). Im Buch Baruch wird die Fleischwerdung der Weisheit Gottes prophezeit (Dann erschien sie [die Weisheit]auf der Erde und hielt sich unter den Menschen auf, 3,38). Daniel sagte das ewige Reich des Menschensohnes (7,13-14) voraus, usw. Alle Aspekte des Zeitalters des Messias werden mit Klarheit in den Büchern des A. T. beschrieben. Das Wunderbarste aber ist, daß diese Prophezeiungen „erfüllt“ wurden. Für Pascal war das ein „kontinuierliches Wunder“.
Christus ist außerdem der einzige Mensch in der Welt, dem im voraus ein Name gegeben wurde, der mit Seiner Sendung absolut identisch war. Und du sollst seinen Namen Jesus heißen, sagte der Engel zu Josef (Mt 1,21). Und er erläutert: Denn Er wird sein Volk erretten von seinen Sünden. Dasselbe sagte der Engel auch zur Gottesgebärerin (Lk 1,31). Der Name „Jesus“ bedeutet, daß Gott der wahre Heilsbringer ist. So erlebt auch die Kirche Christus (Apg 4,12: …es ist in keinem anderen das Heil). Die ganze Existenz und Gegenwart Jesu Christi bewegt sich zwischen Himmel und Erde und entspricht völlig dem, was der Begriff „Gottmensch“ beinhaltet. In Seiner Person finden die erfundenen „Gotterscheinungen“ der Heiden als Ausdruck ihres Verlangens nach Erlösung ihre Verwirklichung. Aber auch das pessimistische Dogma der Philosophen „Gott vermischt sich nicht mit den Menschen“ (Platon) wird widerlegt, denn in der Person Christi ist Gottoffenbart im Fleisch…, verkündet unter den Heiden, geglaubt in der Welt (1 Tim 3,16).
3. «Selbstberufener» Heilsbringer
Der erleuchtete Dichter des „Hymnos Akathistos“ betont eine wundersame Sicht der Fleischwerdung: „im Wunsch, die Welt zu erretten, trat der Gestalter von allem selbstberufen in diese ein“. Der Schöpfer der Welt wird Christus und Heilsbringer der Welt. Aber „selbstberufen“! Er trat in die Geschichte und die Zeit erlösend ein, um die Möglichkeit der Errettung anzubieten. Einziges Motiv dieser von Gott bestimmten Bewegung ist Seine Liebe. Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe (Jh 3,16). Gott aber erweist Seine Liebe gegen uns darin, daß Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist (Röm 5,8). Die Fleischwerdung ist die liebevolle Antwort Gottes auf das Verlangen der Welt nach Erlö-sung.
Christus ist das Maß der göttlichen Liebe. Die Inkarnation und Opferung des Gottmenschen Christus ist der größte Beweis dafür, daß Gott die Welt liebt. Die orthodoxe väterliche Tradition braucht keine gerichtlichen Theorien, um die Entäußerung (Kenosis) Gottes des Wortes zu interpretieren (z.B. „Befriedigung der göttlichen Gerechtigkeit“, Anselm von Canterbury), sondern ist treu dem Wort der Apostel geblieben. In der Person des Gottmenschen bringt Sich Gott Selbst dar, für uns Menschen und wegen unseres Heils; Er nimmt alles an, um den Menschen zu retten. Das durch Ihn ist das, was in der Tatsache der göttlichen Fleischwerdung das größte Gewicht hat: damit die Welt durch Ihn errettet wird! Dies stellt eine grandiose Offenbarung der göttlichen Liebe dar – nicht für die Verwirklichung der Errettung, sondern weil Gott wußte, daß nur „durch Ihn“ die Errettung verwirklicht werden konnte. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen (Apg 4,12). Nur in Christo, dem einzigen Gottmenschen, ist die Errettung möglich. Christus kann erretten, weil Er Gottmensch ist. Was bedeutet dies?
Die gottmenschliche Eigenschaft Jesu erklärt der Name „Christus“. Der vollständige und regelrechte Name für uns Orthodoxe ist „Jesus Christus“. Christus heißt Gottmensch, da Seine göttliche und Seine menschliche Natur sich nie trennen. Sie vereinigten sich „ohne Vermischung und ohne Trennung“ in der Person Gottes des Logos, der Seine zwei vollkommenen Naturen „hypostatisch“ vereinigt. Christus bedeutet „gesalbt“. Bei der Fleischwerdung ist der Mensch von Gott gesalbt worden, die menschliche Natur von der göttlichen. Folglich ist es Häresie und Täuschung, Christus nur für Gott zu halten, Seine Inkarnation vergessend, oder nur für einen Menschen, wenn auch für einen weisen und ein moralisches Vorbild, und dabei zu vergessen, daß Er auch nach Seiner Inkarnation Gott bleibt. Ohne den Gottmenschen Christus gibt es weder ein Christentum noch eine Möglichkeit der Rettung. Nach Basileios dem Großen „ist die Erkenntnis Christi das Bekenntnis von allem; sie weist hin auf den salbenden Gott und den gesalbten Sohn und das Salböl (Chrisma), den Geist, hin…“ (P.G. 32,116). Indem wir Christus als Gottmenschen annehmen, glauben wir an die Heilige Trinität; anderenfalls lehnen wir sie ab.
Im Gottmenschen Christus ist der Mensch mit Gott auf vollkom-mene und einzigartige Weise vereinigt worden. So hat das Erschaffene (κτιστόν) eine einzigartige Möglichkeit der Theosis, seiner Vereinigung mit dem Unerschaffenen (άκτιστον). Denn nur in der Vereinigung mit dem Gottmenschen kann dies erfolgen. Das ist auch der Zweck der Fleischwerdung. Nicht die Verbesserung der menschlichen Angelegenheiten, sondern die Vergöttlichung des Menschen und die Heiligung der materiellen Welt. Im Gottmenschen-Christus erkennen wir Gott, nicht abstrakt, kontemplativ, intellektuell. Christus als Gottmensch hat den Gott unserer Väter, Abraham, Isaak, Jakob offenbart. Der historische Gottmensch Jesus Christus ist die Essenz der Offenbarung Gottes, die Essenz des Christentums. Der Gottmensch ist die gesamte Offenbarung, welche zur wahren Gotteserkenntnis führt. Eine Erkenntnis Gottes außerhalb des Gottmenschen gibt es nicht. Und hierin liegt das entscheidende Element, welches das Christentums von jeder Form der Religion abhebt, aber auch die Überwindung der „Religion“ in Christus. Alle religiösen Lehrer und Gründer von Religionen verweisen auf irgendeine Gottheit. Christus verweist auf Sich Selbst (Ich bin…, Ich sage euch…). Die Religionen setzen Bewegung von unten nach oben voraus, Suche Gottes. Der Gottmensch ist der vom Himmel Herabgestiegene (Jh 3,13). Deshalb hat Er auch das Recht zu sagen: Niemand erkennt den Sohn, als nur der Vater, noch erkennt jemand den Vater, als nur der Sohn (Mt 11,27). Christus als Gottmensch ist die liebevolle Bewegung des Dreieinen Gottes zur Welt hin. Einer ist der Dreieine Gott, einer auch der Gottmensch, der Heilsbringer der Welt. Der hl. Gregor Palamas sagt: „Wenn der Logos Gottes nicht fleischgeworden ist, hat sich der Vater nicht wahrlich als Vater gezeigt, der Sohn nicht wahrlich als Sohn, noch der Heilige Geist als aus dem Vater hervorgehend“ (P.G. 151,204).
Indem Christus für Sich Selbst den Titel von Daniel Menschensohn („Sohn des Menschen“, Dan 7,13) erwählt (über 80mal benutzt Er ihn in den Evangelien), legt Er Sein messianisches Selbstbewußtsein als des erwarteten Gottmenschen offen. Genau dies wird Er einer mißverstandenen Gestalt, die von Seiner Gnade erleuchtet wurde, der Samariterin (und späteren Heiligen Photini), eindeutig mitteilen, indem Er ihr sagt: Ich bin es, Ich, der mit dir spricht (Jh 4,26), als sie Ihm die Frage nach der Ankunft des Messias stellte.
Wenn Christus Sich auf Seine Errettungsmission bezieht, charakterisiert Er Sich Selbst als „Weg, Wahrheit, Leben“: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben (Jh 14,6). Dies sagt Er zu Thomas, als dieser den Zweifel ausdrückt: Herr, wir wissen nicht, wohin Du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen? (Vers 5). Als „Weg“ ist Christus der einzige Weg zur Errettung – zur Vergöttlichung (Theosis), der ewigen Verwirklichung des Menschen. Der einzigeMittler (1 Tim 2,5), der die Kluft überbrückt, welche den sündigen Menschen von Gott trennt, und ihm Seinen Frieden spendet („versöhnt“, Röm 5,10 [siehe Fußnote 1 ]). Natürlich nicht, weil Gott plötzlich Stimmungenwechselt. „Der Anfeindende ist nicht Er, sondern wir; denn Gott ist nie feindlich“ (Johannes Chrysostomos, P.G., 61,478).
Deshalb verkündet Christus: Ich bin die Tür; wer durch Mich hineingeht, wird gerettet werden (Jh 10,9). Es ist charakteristisch, daß auch das Christentum von jenem Augenblick an, als Christus Sich Selbst als den Wegzu Gott und zur Rettung bezeichnete, „der Weg“ genannt wurde (Apg 9,2) – der Weg (die Lebensweise) zur Rettung. Es ist die erste bekannte Bezeichnung des neuen Glaubens, bis man die an Christus GlaubendenChristen nannte (Apg 11,25).
Als Wahrheit ist Christus Derjenige, der der Welt die authentische Daseinsform gebracht hat, die zum tatsächlichen Leben, zum wahren Leben führen kann. Natürlich, als Pilatus Christus fragte: Was ist Wahrheit?(Jh 18,30), waren seine Worte nicht ganz genau gewählt. Denn er hätte fragen sollen: „Wer ist die Wahrheit?“ Denn, wie wir weiter oben gesehen haben, setzt Christus die Wahrheit mit Seiner Person gleich. Er ist die verkörperte Allwahrheit (Παναλήθεια)! Weg und Wahrheit verbinden sich untrennbar in Christus. Der Weg zu Gott führt durch die Wahrheit. Wenn der Christus, der von einer christlichen Gemeinde, die den Namen „Kirche“ beansprucht, angeboten wird, nicht der wahre Christus ist – der eine und einzige Gottmensch –, dann ist diese Gruppierung „Häresie“ und kann nicht zur Rettung führen. Dies ist das Drama der Häresien und der Pseudomessiasse der Welt. Dies ist aber auch das Kriterium des christlichen „Dogmas“, des Glaubens, der Lehre der Kirche. Das Dogma ist keine Summe abstrakter „Wahrheiten“, die dem Menschen von oben her aufgezwungen werden. Es ist die Aufzeichnung der Erfahrungen jener Menschen, die sich in der Theosis befinden (θεουμένων) – der Heiligen – und hat therapeutischen Charakter. Es hilft dem Gläubigen, die Rettung auf richtige Weise aufzusuchen und zu ihr geführt zu werden. Christus bekundet über Sich Selbst: Ich bin dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege (Jh 18,37). Das ganze Erlösungswerk Christi ist vielseitige Offenbarung der rettenden persönlichen Wahrheit, Christus Selbst. Dies ist die Orthodoxie unserer Väter. Christus ist die verkörperte Orthodoxie.
Als Wahrheit offenbart Christus nicht nur Gott, denn in Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig (Kol 2,9), und Er ist nicht nur vollkommener Gott, wie der Vater und der Geist, sondern offenbart auch den wahren (authentischen) Menschen. Dies deutete Pilatus, ohne daß er es wollte, von der Geistesgabe Gottes bewegt, indem er auf Christus zeigte und sagte: Siehe, der Mensch (Jh 19,5), denn Er ist in der Tat der Mensch, der vollkommene Mensch und das heilbringende Vorbild jedes Menschen.
Christus war als die Wahrheit Selbst auch der Inhalt Seiner Lehre, Seiner prophetischen Predigt. Darum hing das ganze Volk an Ihm und hörte Ihn gern (Lk 19,48). Und dies, denn Er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten (Mt 7,29). Die von den Hohenpriestern und Pharisäern entsandten Gerichtsdiener gestanden: Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser (Jh 7,46). Die Suche nach Allgemeinplätzen in der Lehre Christi erweist sich also als vergebliche Mühe. Seine Lehre läßt sich mit dem Wort keines anderen Lehrers, Religionsführers oder Philosophen vergleichen. Die Stellungnahme: „Das hat auch der und der Philosoph gesagt“, um Christus herabzumindern, zeigt, daß man nur die äußere Hülle der Worte sieht, aber gegenüberdem „Wort Christi“ ignorant bleibt.
Bestimmte Übereinstimmungen einzelner Phrasen beweisen keine allgemeine Identifizierungen. Als Summe ist die Lehre Christi die Offenbarung Seiner einzigartigen Identität und führt entweder zur Annahme Seiner Person als des Heilbringers oder zu Seiner Ablehnung. Überdies ist Seine Lehre mit Seiner Person identisch. Er ist Jener, der zu sagen wagte: Und Ich sage euch
Sein Wort ist Samen der Gnade (σπόρος“ Χάριτος), der nach der guten Erde sucht, dem reinen Herzen, um Frucht zu bringen (Lk 8,15). Das Wort Christi rettet nicht als eine moralische Ermahnung, sondern weil es unerschaffene Göttliche Geistesgabe ist. Es ist das Wort Gottes. In Ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen (Jh 1,4).
Alles, was in Christus ist, ist Leben. Durch all Seine Heilmittel überträgt Christus Sich Selbst. Er ist „der Darbringende und das Dargebrachte“der Göttlichen Liturgie und Eucharistie. Die drei Begriffe „Weg – Wahrheit – Leben“ als Bezeichnung Christi drücken eine natürliche Folge aus. Christus führt zu Gott, indem Er Sich Selbst als verkörperte Allwahrheit offenbart und somit ins ewige Leben einführt, welches die innere – kardiale Erkenntnis Gottes (Jh 17,3) ist, die Vereinigung mit Ihm.
4. «Befreier und Friedensstifter»
Im Apolytikion des Festes der Begegnung wird Christus als Befreier unserer Seelen bezeichnet, denn Er rettet, indem Er in zwei Richtungen befreiend handelt, innerlich und äußerlich. Erst befreit Er von der inneren Knechtschaft, der Knechtschaft des Teufels und der Leidenschaften. Er reinigt das Herz von der Sünde, damit der Mensch seine innere Einheit und sein Gleichgewicht findet und brüderliche Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen verwirklichen kann. Der Prozeß der Rehabilitierung der inneren Einheitlichkeit des Menschen nimmt die Form einer Therapie an. Darum wird Christus in der Göttlichen Liturgie Heiler unserer Seelen und Körper. Kommt der Mensch in den Leib Christi, die Kirche, unterzieht er sich einer „therapeutische Behandlung“ durch die Kraft des Heiligen Geistes, die sich in den Stadien „Katharsis (Reinigung) – Erleuchtung – Theosis“ entfaltet. Damit sich die egozentrische und egoistische Liebe des Menschen in eine uneigennützige verwandelt, muß der Mensch diesem Weg folgen. Er bemüht sich, mit der Gnade Gottes als Helfer und Mitwirker, Seinen Geboten zu folgen, damit das Herz gereinigt und er durch den Heiligen Geist erleuchtet wird. Der Mensch ist berufen, erst „Knecht Jesu Christi“ zu werden, was für den Apostel Paulus ein Ehrentitel war. Willentlich geknechtet unter Christus, befreit er sich von der Knechtschaft der Sünde (Röm 6,18). Die Tragik des Menschen, der nicht bereut, besteht darin, daß er seine Knechtschaft für Freiheit hält und daß er Früchte der Freiheit vom Zustand der Knechtschaft erwartet. Deshalb enttäuschen letztendlich die soziopolitischen Systeme, da sie den Menschen innerlich nicht befreien können.
Christus befreit durch Seine eigene Freiheit (Gal 5,1). Darum ruft Er dazu auf, Seine Wahrheit kennenzulernen – Christus Selbst als Wahrheit –, damit wir befreit werden. Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen (Jh 8,32). Dies bedeutet Teilhabe am geistlichen Leben. Von der inneren Freiheit beginnt in Christo auch jeder Kampf um äußere (soziale und nationale) Frei- heit. Es ist unmöglich, daß einer Freiheit verspricht, während er Sklave des Verderbens ist (2 Petr 2,19). Christus befreit innerlich, um die Welt zu erneuern, ohne Systeme und Manifeste. Dies geschah mit Seiner Fleischwerdung, welche Einführung Seines Lebens, des Christuslebens (Χριστοζωή), in die Welt ist.
Christus fand eine Welt vor, in der der Mensch keinen persönlichen Wert hatte, außer als Mittel für die Zwecke des Staates. Nur der Kreis der freien Bürger besaß soziale Rechte. Es herrschte das Brauchtum des Neonatizides, der Kleinkindtötung, und der Aussetzung von Säuglingen. Die Frau war Eigentum des Mannes und lebte seinetwegen. Philosophen wie Aristoteles hielten das Gesetz der Sklaverei für natürlich. Und all dies waren keine Ausnahmen, sondern gesetzmäßige Gewohnheiten. Der kleine Blitz der Stoiker brachte minimale Ergebnisse, führte außerdem zu weiteren Täuschungen. Durch Christus und in Christo geschah die Erhebung des Menschen, ewig durch die Fleischwerdung des Gottmenschen besiegelt. Der Mensch bekam unsagbaren Wert, erkauft mit dem Blut Christi (1 Kor 5,20). Für den Menschen starb Christus Selbst (Röm 14,15). Nur Christus verkündete, daß die Gesetze dem Menschen dienstbar sind, und nicht dessen Dienstherren, mit Seinem unüberwindbaren Wort: Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen worden und nicht der Mensch um des Sabbats willen (Mk 2,27). Christus glich den Mann und die Frau einander an (vgl. Kol 3,11) und schaffte das „Kinderaussetzen“ ab. Weiterhin brach Er in der Praxis die Ketten der Sklaverei, indem Er den Sklaven aus dem „beseelten Gut“ (Aristoteles) in den lieben Bruderseines Herren (vgl. Brief an Philemon) verwandelte.
Durch die innere Befreiung des Menschen befriedet Christus den Menschen mit sich selbst. Als Gebieter des Friedens (Js 60,17) wird Er zu unserem Frieden, indem Er Seine friedenstiftende Gnade übermittelt, wie es nach der Auferstehung geschah (Friede euch, Jh 20,19). Überdies hatte Er vor Seiner Passion erklärt:Frieden lasse Ich euch, Meinen Frieden gebe Ich euch; nicht wie die Welt gibt, gebe Ich euch (Jh 14,27). Christus Selbst wurde zum Frieden für den Menschen und die Welt. Dies verkündet der Apostel Paulus, der den Empfang des Friedens in Christo erlebte und vom Verfolger zum Apostel wurde. Denn Er ist unser Friede, sagt er. Er ist Derjenige, der die beiden Teile (Juden und Heiden) vereinigte und durch Sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft niederriß. Er hob das Gesetz samt seinen Geboten und Forderungen auf, um die zwei in Seiner Person zu dem einen neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden… (Eph 2,14). Im bezug auf den Gegensatz von Juden und Heiden, der in Christo in der Kirche überwunden wurde, präsentiert der Apostel Paulus auf erhabenste Art das friedensstiftende Werk Christi, das mit Seiner Geburt beginnt, gemäß der Hymne der Engel Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Friede auf Erden(Lk 2,14). Christus vereinigt uns, verbrüderlicht alle in Seinem Fleische, mit Seiner Fleischwerdung, Seiner Kreuzigung und vor allem in der Göttlichen Eucharistie. Wir essen unseren Gott, um einander nicht aufzufressen…
5. «Besieger des Todes und Lebenspender»
Der heutige Mensch ist nicht mit dem Geheimnis des Todes vertraut. Permanenter Feind des Menschen bleibt der Tod. Der verzweifelte Kampf um die Überwindung des Todes manifestiert sich in den Versuchen der modernen Wissenschaft (Klonen, Kryonik, Immortalität usw.). Und der Apostel Paulus sagt: Der letzte Feind, der entmach-tet wird, ist der Tod (1 Kor 15,26). Aber der Tod wurde bereits „in potentia“ in Christo entmachtet. Der Schlüssel der Überwindung des Todes ist die Auferstehung Christi, der persönliche Sieg des Gottmenschen über den Tod. Christus, von den Toten auferweckt, stirbt nicht mehr; der Tod herrscht nicht mehr über ihn (Röm 6,9).
Der einzige Sieger über den Tod in der Geschichte ist Christus. Tod, wo ist dein Stachel? Tod, wo ist dein Sieg?, fragt der Apostel Paul (1 Kor 15,55) und ergänzt: Der Stachel des Todes aber ist die Sünde (V. 56). Folglich besiegt den Tod, wer die Sünde endgültig besiegt. Und das ist Christus, der einzige (Gott-)Mensch, Der keine Sünde tat, noch wurde Trug in seinem Munde erfunden (1 Petr 2,22). Wer also die Sünde in Christo besiegt, hat auch am Sieg Christi gegen den Tod teil und an allem, was er ausdrückt. Die Sieger in Christo über den Tod sind die Heiligen. Wer die heiligen Reliquien, z. B. des hl. Spyridon auf Kerkyra (Korfu) oder des hl. Gerasimos auf Kefallinia, sieht, unverwest und wundertätig, versteht, was der Sieg über den Tod und seinen Verfall bedeutet.
Die Auferstehung Christi ist das ontologische Fundament der Kirche. Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, so ist euer Glaube nutzlos (1 Kor 15,17). Sie ist aber auch ein hermeneutischer Schlüssel der universellen Geschichte und unseres Lebens. Die Fleischwerdung des Wortes Gottes ist der Eintritt des Ewigen und Unzerstörbaren in die Geschichte. In eine Welt, welche auseinanderfällt und im Verfall verwest, dringt die Ewigkeit ein und offenbart sich, in Christus personifiziert, als Möglichkeit der Überwindung des Todes. Die Auferstehung Christi ist ein definitiver Sieg über den Tod, nicht nur als Kontinuität des biologischen Lebens, sondern als Athanasie, also Fortbestand des Lebens innerhalb der göttlichen Liebe und Gabe. Dies bedeutet das „ewiges Andenken“ („αιωνία η μνήμη“), welches bei Totenandachten und Beerdigungen gesungen wird. Daß der Tote im ewigen Andenken bleibe, d. h. ewig in der Gnade Gottes. Daß er ewig mit Gott sei, wie Christus dem dankbaren Räuber sagte: Noch heute wirst du mit Mir im Paradies sein (Lk 23,43). Ohne Christus ist der Tod schrecklich. Aber Christus entmachtet durch Seinen Tod den, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel (Hebr 2,14). Weder der Tod noch sein „Gebieter“, der Teufel, rufen bei einem Menschen, der in Christo lebt, dem Heiligen, Furcht hervor. Denn er weiß, daß der Tod das Leben in Christo und dessen Fortbestand in der unerschaffenen Gnade Gottes weder zu unterbrechen noch aufzulösen vermag, sondern nur das biologische Leben in dessen Entwicklung in dieser zerstörbaren und vergeblichen Welt.
Unser biologisches und geistiges Leben ist soweit Leben, wie es zu Christus gehört. Und wir gehören zu Christus, wenn wir mit Ihm sterben und auferstehen werden. Unsere freiwillige Passion (Aske-se) und unserfreiwilliger Tod mit Christus (vgl. Mt 16,24; Mk 8,34), also die „Nachfolge“ Christi mit Konsequenz – wie es bei den Mönchen der Fall ist – ist der einzige Weg einer Mitbeerdigung und Mitauferstehung mit Christus. An diesem Punkt wird begreiflich, daß das Christentum keine Ideologie oder Philosophie ist, sondern Leben, in aller Tiefe und Breite des Begriffs. Es ist ein Erlebnis. Entweder lebst du in Christo, in einem Leben ständiger Reue, oder du gehörst nicht zu Christus. Die aber Christus Jesus angehören, haben das Fleisch samt den Leidenschaften und Begierden gekreuzigt (Gal. 5,24). Christen sind die mit Christus Mitgekreuzigten, nach dem Bekenntnis des Apostels Paulus: Ich bin mit Christus gekreuzigt worden, und nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir (Gal 2,20). Wie der Tote frei geworden ist von der Sünde (Röm 6,7: er hört damit auf, zu sündigen), so ist auch der „Mitgekreuzigte“ mit Christus für die Sünde schon tot. Dies bedeutet das Wort des Gebetes: „Laß unsere irdischen Glieder ruhen.“ Daß der Mensch es erreicht, nach dem hl. Gregor Palamas, „unfähig zu werden, zu sündigen“! Darum bitten wir Gott darum, uns „den ganzen Tag (Abend) … friedlich und ohne Sünde…“ zu geben. Dies ist möglich, wenn der Mensch durch die Askese mit Christus mitgekreuzigt wird.
Dieses Leben, als Sieg gegen den Tod, die Sünde und den Teufel, brachte Christus in die Welt. Er gründete keine soziale oder wohltätige Institution, sondern Er ruft uns in Seinem Leib, in die Kirche, damit wir ständig den Tod, die Sünde und den Teufel besiegen können. Denn nur dann können wir unseren Mitmenschen wahrlich, also uneigennützig, lieben und eine Gesellschaft der Brüderlichkeit und Liebe gründen. Die Gesellschaften dieser Welt ohne Christus sind konventionell und anonym, da sie diese Möglichkeit nicht haben, denn, indem sie Christus ignorieren oder verachten, bemühen sie sich nicht um sie. Das authentische Leben in der Kirche wird zu einem kontinuierlichen Weg der Auferstehung. Durch die Mysterien (Sakramente) und das spirituelle Leben besiegt der konsequente Christ den Tod kontinuierlich und hat an der Auferstehung Christi teil. Die „Reue“ ist Möglichkeit zum Exodus aus dem Gefängnis unserer toten Natur und Begegnung mit dem auferstandenen Christus. Deshalb lehren unsere Mönche aus ihrer Erfahrung: „Wenn du stirbst, bevor du stirbst, wirst du nicht sterben, wenn du stirbst…“
6. «Herr des Himmels und der Erde»
Beim triumphalen Einzug Christi in Jerusalem, kurz vor Seiner Pas-sion, empfing Ihn das Volk als König und begrüßte Ihn: Hosanna… der König Israels, was bedeutet: „Rette uns, Herr, Israels König.“ Trotz des sicherlich „nationalistischen“ und weltlichen Fundaments dieser Worte, brachte das Volk – durch die Gnade Gottes – eine große Wahrheit zum Ausdruck, denn diese Worte sprachen die wahre Identität Christi an.
Christus ist wahrlich König der Welt, denn Er ist ihr Schöpfer, Heilsbringer und Richter. Er ist König des Neuen Israels, Seiner Kirche. Er ist König, Herr und Gott jedes Gläubigen, den Er dazu ruft und dem Er erlaubt, daß Er in seinem Herzen wohnt (vgl. Apk 3,20). Nach Seiner Auferstehung, also nach Seinem Sieg gegen den Teufel, die Sünde und den Tod, verkündete Christus Seinen Jüngern: Alle Macht ist Mir gegeben im Himmel und auf Erden (Mt 28,28). Der auferstandene Christus ist – und wird so in der Kirche erlebt – Herr des Himmels und der Erde, alles Sichtbaren und Unsichtbarendas Haupt aller Mächte und Gewalten(Kol 2,10). Vor Seiner Passion fragten die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes Christus: Aus welcher Vollmacht tust Du das und wer hat Dir diese Vollmacht gegeben? (Mt 21,23). Christus antwortete damals nicht (Mt 21,27), denn gefangen in ihrer Leidenschaft gegen Ihn hätten sie Ihn nicht verstehen können. Nun, im Licht der Auferstehung, offenbart Er, daß Seine „Vollmacht“ aus Seiner Auferstehung stammt. Im Maß dieser Vollmacht wird Er am Pfingsttag die Kirche – als Sein Leib – gründen, und mit dieser Vollmacht entsendet Er Seine Jünger, die Welt für Sein Reich herauszufischen (Mt 28,19: Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu Meinen Jüngern…)
Bei Seinem Verhör durch Pilatus erklärte Christus, Sein Reich sei nicht von dieser Welt (Jh 18,36). Dies bedeutet, es ist ein Reich „von anderer Art“, das sich von den Reichen und Gewalten der Welt, wie des Herodes, unterscheidet. Das Reich Christi ist himmlisch, geistig, heilsbringend, denn es bezieht sich auf Seine unerschaffene Gnade (άκτιστος Χάρις). Dort, wo diese angenommen wird, da herrscht auch Sein Reich. Aus dieser Sicht ist Christus König der Könige und Herr der Herren (Apk 19,16) und Seines Reiches wird kein Ende sein (Lk 1,33).
Zu diesem Reich ruft Christus den Menschen. Er kam in die Welt, um in ihr Sein Reich, Seine Gnade, Seine Herrlichkeit, Seine Macht, Seine Liebe auszubreiten. All diese sind synonym und drücken die unerschaffene Energie des Dreieinigen Gottes aus. Er verlangt keine Anhänger und keine Untertanen, sondern Er will befreien und heiligen. Kommt her zu Mir, die ihr mühselig und beladen seid, und Ich werde euch Ruhe geben (Mt 11,28). Dies ist Seine Einladung. Er fordert auf, Sein himmlisches Reich im Menschen zu etablieren. Das Reich Gottes ist inwendig in euch (Luk. 17,21). Dies bedeutet, daß Er Selbst zusammen mit dem Vater und dem Heiligen Geist im Menschen Wohnung nimmt (Jh 17,24; 14,23).
Der Mensch ist dann Mensch Christi, wenn Gottes Geist in ihm wohnt (Röm 8,9). Er fordert freilich auf (Wer Mir nachfolgen will… Mt 16,24), überläßt aber dem Menschen die Entscheidung. Er schafft keine Illusionen (Die Pforte ist eng, und der Pfad ist schmal, der zum Leben führt, und wenig sind ihrer, die ihn finden, Mt 7,14). Denn die Wahl des Reiches Christi verwirklicht sich als Kampf gegen unsere aufbegehrende Natur, gegen die Tyrannei unserer Instinkte. Und dies erfordert Gewalt gegen die Natur und einen unaufhörlichen Kampf. Dem Himmelreich wird Gewalt angetan, und Gewalttätige reißen es an sich (Mt 11,12). Es ist der einzige Kampf, bei dem Christus „Gewalt“ verlangt – nicht, damit wir jemanden anderen besiegen, sondern unser eigenes verdrehtes Selbst („Der Sieg über sich selbst der erste und höchste unter allen Siegen’’, Demokrit). Für den Eintritt ins Reich Christi ist ein heftiger Kampf nötig, wie das Leben und Verhalten unserer Heiligen beweist. Der einzige Trost, die einzige Linderung ist das Wort unseres Christus: In der Welt seid ihr in Bedrängnis, aber seid guten Mutes, Ich habe die Welt besiegt (Jh 16,33).
Die Hebräer, beeinflußt von ihren nationalistischen und materialistischen Auffassungen vom Messias, konnten einen König wie Christus nicht annehmen, der das Kreuz zum Thron und Sein Martyrium zum Zepter macht. Dies war ein „Skandal“ für die Hebräer, wie es eine „Torheit“ für die Weisen der Welt war (1 Kor 1,23). Als Pilatus daher, beunruhigt über die geplante Verurteilung eines Unschuldigen, fragt: Euren König soll ich kreuzigen?, erhält er die Antwort: Wir haben keinen König außer dem Kaiser (Jh 19,15). Dahin kann jeder Mensch gelangen, in jedem Zeitalter, wenn er den Geist in sich tötet; wenn er innerlich abstirbt und sein Herz versteinert (Mk 3,5). Dies kann auch bei nicht wirklich wiedergeborenen „Christen“ geschehen, die nur äußerlich und dem Namen nach Christus angenommen haben. Ohne lebendiges, geistiges Leben, ohne spirituellen Kampf (Teilnahme am sakramentalen Leben des Leibes Christi), bleibt die Taufe inaktiv. Der Christ muß sich selbst kontinuierlich überprüfen, ob er die Gnade Gottes aktiv in sich hat (2 Kor 13,5: Prüft euch, ob ihr im Glauben seid). Der Christ kann sich nicht auf viele „Könige“ und „Herren“ aufteilen (vgl. Mt 6,24), Christus gegen jeden beliebigen weltlichen „Cäsar“ tauschen oder Christus auf das sogenannte „Geistige“ begrenzen, während er sich in seinen sozialer Entscheidung dem Dienst und der Macht der Herren dieses Äons anschließt.
Die Anerkennung Christi als Einzigem König unseres Lebens bekennen wir, orthodoxe Christen, in der Göttlichen Liturgie: „Ein Heiliger, Ein Herr, Jesus Christus.“ Herr ist der Gottmensch als Gott, und Er ist unser einziger König. Darum offenbaren jedwede Verdrehungen bei diesem Thema – wie die Veränderung der Kirche zu einer Institution weltlicher Macht (Staat) mit einem irdischem König (Papst) und staatlicher Struktur – den Verlust des Sinnes Christi und Seines Reiches. So aber wird das Wort unseres Christus verständlich:Gebt denn dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist (Mt 22,21). Christus akzeptiert, daß die politische Macht von Gott gegeben ist (vgl. Röm 13,1: Es ist keine Macht außer von Gott). Die Macht als Institution (nicht die Personen der Herrschenden) wurde von Gott für die harmonische Bildung der Gesellschaft gegeben. Der Christ ist also zur Achtung gegenüber der Macht verpflichtet, „bei der kein Gebot Gottes behindert wird’’, nach Basileios dem Großen (P.G. 31,860). Als die Hebräer also Christus, in ihrer Absicht Ihm eine Falle zu stellen, das Geldstück des Kaisers vorzeigen, erklären sie indirekt, daß sie die Macht des Kaisers anerkennen, indem sie sein Geldstück verwenden. Während aber das Geldstück dem Kaiser gehört, weil es sein Bild trägt (Mt 22,20), ist der Mensch das Bild Christi. Also gehört er ganz und gar Ihm.
7. «In die Äonen verlängert»
Christus verband Sich nicht nur mit einem Moment der Geschichte, wie es auch bei den wichtigsten Menschen der Fall ist. Christus umfaßt die gesamte Dauer der Geschichte, indem Er vom Anfang bis zu ihrem Ende heilsbringend handelt. Im Zeitalter vor der Fleischwerdung „fleischlos“ und nach Seiner Inkarnation „fleischhaft“. Und nach Seiner Himmelfahrt verließ Er die Welt nicht, wie Er dies Seinen Jüngern versprochen hatte: Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen (Jh 14,18), und: Siehe, Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters (Mt 28,20). Am Pfingsttag kehrt Christus „im Heiligen Geist“ zurück und Sein vergöttlichtes „Fleisch“, „ohne Vermischung und ohne Trennung“ mit Seiner menschlichen Natur verbunden, wird zum „Ort“ der Versammlung aller Vergöttlichten, der Heiligen.
Der Fortbestand der Anwesenheit Christi als Heilsbringer in der Welt geschieht durch Seine Kirche. Es gibt keinen anderen Weg der heilsbringenden Begegnung mit Christus außer in der Kirche, Seinem Leib. Mit Seiner Inkarnation „übergab Christus der Kirche Sein Fleisch“ (hl. Nikolaos Kavasilas), und „die Kirche machte Er zu Seinem eigenen Leib“, bemerkt auch der heilige Chrysostomos (P.G. 52,429). Christus verband Sich also untrennbar mit Seiner Kirche, und die Kirche – als Sein Leib – bleibt untrennbar verbunden mit Christus, Der ihr Haupt und ihr Anfang ist, ihr Leben und der Lebenspender. Die Trennung der Kirche von Christus oder Christi von der Kirche ist die furchtbarste Häresie. Denn so „entfleischen“ und „entblößen“ wir Christus, „der für uns Menschen und unseres Heiles willen … Fleisch geworden ist…“. Wir vertreiben Christus aus der Welt und wandeln die Kirche in einen sozialen oder philoso-phischen Verband um. Christus „verlängert Sich in die Äonen“ durch Seine Kirche, denn die Kirche ist die „Folge der Inkarnation“ und bleibt ein für jeden Menschen und für jede Generation offenes Pfingsten, denn der Heilige Geist, den die Welt nicht empfangen kann, bleibt bei den Gliedern des Leibes Christi, den Vergöttlichten (Jh 14,17). Nach dem heiligen Chrysostomos, war „der Geist nicht anwesend, als die Kirche nicht gegründet war; als die Kirche gegründet wurde, wurde gezeigt, daß der Geist anwesend ist“ (P.G. 50,459). Die Offenbarung der Energie des Heiligen Geistes am Pfingsttag ist die Bestätigung der Gründung der Kirche als des Leibes Christi an jenem Tag.
Seitdem wird Christus zum „Ekklesiasten“ der Menschen. Denn Er fordert sie ständig auf, sich mit Seinem Leib zu vereinen und sich der Gemeinde der Geretteten beizufügen (vgl. Apg 2,47). Die völlige undvollständige (1 Thess 5,23) Einordnung des Menschen in die Kirche (vgl. den liturgischen Satz „Lasset uns uns selbst und einander und unser ganzes Leben Christus, unserem Gott, anbefehlen“) ist die Möglichkeit unserer Errettung. Der Mensch wird nicht dadurch gerettet (geheiligt, also erleuchtet und vergöttlicht), daß er die Gebote Christi befolgt, sondern weil er zum Glied des Leibes Christi wird, indem er an Seinem Leben durch die Göttliche Eucharistie und der anderen Mysterien teilnimmt und teilhat. Es gibt keine „Rettung durch die Werke“, sondern die Rettung in Christo (siehe Gal 2). Die „Wahrheit“ in Christo ist Leben und Teilhaben – Teilnahme am Leben Christi.
Mit der Taufe stirbt der Christ und wiederaufersteht im Leib Christi als neuer Mensch, im Leben Christi auferstanden. „Alle, die ihr in Christus getauft seid, habt Christus angezogen’’, singen wir nach der Taufe des Neugetauften. Er gehört nicht mehr der Welt, sondern dem Leib Christi (dieses Mysterium analysiert das 6. Kapitel der Briefes an die Römer). Christ sein bedeutet, zu einer bestimmten Gemeinde und Gesellschaft der Lokalen Kirche zu gehören. Die Kirche rettet konkret in der mönchischen Bruderschaft, der Gemein-de oder im könobitischen Kloster. Denn in diesem kann leichter das „uns selbst und einander und unser ganzes Leben…“ verwirklicht werden. Die weltliche Kirchengemeinde kann nur mit dem Kloster als Vorbild orthodox funktionieren.
Im Leib Christi geschieht die geistige „Gestaltwerdung“ der Gläubigen (1 Kor 12,13), und das Maß dieser Gestaltwerdung ist Christus Selbst (Eph 4,13), der das geistige Vorbild jedes Gläubigen ist (1 Petr 2,21). Christus hat die Aufgabe der Kirche in der Welt bestimmt. Sie ist ein „geistiges Sanatorium“ („spirituelles Kranken-haus“), das, indem es die „Erinnerung“ (Anwesenheit) Gottes im Herzen des Menschen wiederherstellt, sich als „Werkstatt der Heiligkeit“ – in moderner Wiedergabe: Werkstatt der Produktion von Heiligen – erweist! Dies ist der Grund ihrer Existenz. Denn dort, wo es Heiligkeit gibt, gibt es wahre Liebe und die genuine „klassenlose“ Gesellschaft.
Der hl. Kyprian, Bischof von Karthago († 258), sagte: „Außerhalb der Kirche ist kein Heil“ (extra ecclesiam nulla salus). Obwohl Gott jeden Menschen aufnimmt, und in jedem Volk ist ihm angenehm, wer Ihn fürchtet und tut, was recht ist (Apg 10,35), erlangt der Mensch nur durch die konsequente Eingliederung im Leib Christi die Erlösung. Dies geschah auch mit dem Apostel Paulus, der, obwohl er Christus in seinem theoptischen Erlebnis in der Nähe von Damaskus gesehen hatte (Apg 9,1), getauft werden, also in den Leib des Herrn eintreten (Apg 9,10) mußte. Es ist aber notwendig, daß dieses „in der Kirche Sein“ nicht idealisiert wird. Es erschöpft sich nicht in Formalitäten, sondern fordert Vollkommenheit und Konsequenz. Sonst wird der Weg zur Theosis unmöglich. Die Taufe ist nicht das Ende, sondern der Anfang. Sie ist das Öffnen der „Tür“ im Leib Christi. Es ist nötig, daß der Gläubige im Herrenleib bleibt. Dies wird durch den kontinuierlichen geistigen Kampf gewährleistet. In diesem Sinn bleibt die Kirche in der Geschichte als der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit (1 Tim 3,15). Denn sie verkündet und bezeugt Christus kontinuierlich, die inkarnierte All-Wahrheit, da auch Christus ’’dazu in die Welt gekommen ist, für die Wahrheit Zeugnis abzulegen (Jh 18,37) – um die Wahrheit zu bezeugen, die Er verkörperte. Dabei ist selbstverständlich, daß die Kirche nur als Orthodoxie, d. h. indem sie die Tradition und die Haltung ihrer Heiligen aufbewahrt, der Leib Christi und die Arche der Errettung bleiben kann.
8. «Ein Zeichen, dem widersprochen wird»
Der Altvater Simeon sagte zur Allheiligen, als er im Tempel Christus auf seinem Arm hielt und vom Heiligen Geist erleuchtet war: Dieser ist dazu bestimmt, daß in Israel viele durch Ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und Er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird (Lk 2,34). Schon bei Seiner Geburt versammelten sich sowohl Freunde als auch Feinde um Ihn. Nicht nur die guten Hirten oder die weisen und frommen Magier, sondern auch der bestialische Herodes. Nicht nur die Engel, sondern auch Satan. Um die Person Christi stellt sich ständig die gesamte menschliche Geschichte auf. Christus wird zum Magneten, der alle anzieht, so daß sie Ihn entweder annehmen und Ihm folgen, oder Ihn ablehnen und bekämpfen. Denn der eine sieht in Ihm das Heil, der andere seinen Untergang, je nach Inhalt seines Herzens. Jede dunkle und inhumane Existenz wird Christus hassen, denn Sein Licht enthüllt und tadelt ihre Werke (vgl. Jh 3,20). Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, daß seine Werke in Gott vollbracht sind (Jh 3,21).
Aber hinter der Polemik gegen Christus steht der uralte Feind des Menschen, der Teufel. Christus wurde Fleisch, damit Er die Werke des Teufels vernichte (1 Jh 3,8), d. h. den Menschen von dessen Macht befreie. Er ist nicht in die Welt gekommen, um eine weitere Religion zu gründen – und sei es auch die vollkommenste, die „Religion der Liebe“, wie manche romantisch glauben –, sondern um das ganze Leben des Menschen und der Welt zu erneuern. Vom Heiligtum des Tempels bis zum Markt, dem Arbeitsraum, der Schule, dem Parlament. Wenn Christus Sich (und uns) in den vier Wänden eines Tempels einschließen würde, würde Er die Ihm entgegenstehenden Mächte der Welt nicht provozieren. Denn ihr Herrschaftsgebiet ist die Gesellschaft. Und dieser Raum – ihr Königreich – würde unberührt und zu ihrer freien Verfügung bleiben. Hätte Herodes erfahren (Mt 2), daß irgendein Religionsführer geboren sei, wäre er keineswegs beunruhigt worden. Der Religionsführer, ganz gleich wie groß er ist, bedroht nicht zwangsläufig die weltliche Macht. Doch Herodes behandelte Christus wie einen neugeborenen König und sah in Seiner Person den Usurpator seiner Macht. Zwar usurpiert Christus nie die Macht eines jedweden Herodes, denn Sein Reich ist nicht von dieser Welt (Jh 18,36), aber es ist eine Tatsache, daß die geistige Macht Christi das Reich der Ungesetzlichkeit und der Ungerechtigkeit abschafft, die Gewalt des Teufels auflöst. Darum wird Er auch gehaßt.
Mit Herodes begann historisch die Armee der Feinde Christi, derjenigen, die dem Kindlein nach dem Leben trachteten (Mt 2,20), und die neben Seiner Krippe das Kreuz der Passion ständig aufstellen. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten, die römischen Kaiser, die Heere der Verfolger Christi durch die Jahrhunderte hindurch. All die antigöttlichen und antichristlichen Mächte, die mit verschiedenen euphemistischen Namen in den menschlichen Gesellschaften zerstörerisch wirken. Der Teil der Welt, der den Teufel als seinen König auswählt, toleriert keinen anderen König. So wird der König – Christus – verfolgt. Und die Verfolgung Christi zentriert sich nicht nur auf Ihn, sondern schließt auch all die „Seinigen“ mit ein, die Märtyrer und Bekenner Seiner Wahrheit. Darauf bereitete Christus Seine Jünger psychisch vor. Wenn die Welt euch haßt, so wißt, daß sie mich vor euch gehaßt hat…Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen… (Jh 15,18 u. 20). Es handelt sich folglich um eine unveränderliche Gewißheit. Und dies sollten die Christen nie übersehen. Es ist sogar das Kriterium für die Echtheit ihrer Einstellung und Lebensweise, wenn die (antichristliche) Welt sie haßt.
Unter den Mechanismen der „Verfolgung“ Christi gab es früher auch der Zweifel an Seiner Historizität. Vor allem vom historischen Materialismus war die Ansicht formuliert worden, daß Christus nie existiert habe, sondern ein phantastisches Geschöpf der religiösen Nostalgiker und der mythoplastischen Phantasie Seiner Zeit gewesen sei. Andere behaupteten, das Christentum sei eine „kommunistische Bewegung“ der sozial unterdrückten Massen oder die Personifizierung der Idee des „Reiches Gottes“ durch die Massen der „Proletarier“.
Aber die zeitgenössischen Zeugnisse für die historische Existenz Christi sind reichhaltig und signifikant, und sie stammen nicht nur aus dem Raum der Kirche (Neues Testament – Evangelium vor allem), sondern auch aus der nicht-christlichen Welt (Tacitus, Suetonius, Plinius, Josephus, rabbinische Philologie usw.), so daß dieses Problem wissenschaftlich schon überwunden worden ist. „Das Christentum ist Christus Selbst, die Verkörperung Seiner Lehre in Seiner Person, die Selbstwahrheit und die Selbstvollendung“ (Gr. Papamichail). Das Wunder der Verbreitung des Christentums auf der Basis einer nicht existierenden Person zu erklären, wäre ein viel größeres Wunder als die Person Christi selbst! Man kann zwar die Göttlichkeit Christi aus persönlichen Gründen ablehnen, aber nicht Seine Historizität.
Aber die größte „Verfolgung“ Christi und Seines Glaubens ist diejenige, welche von innen kommt, durch die Christen selbst. Es sind die Häretiker aller Jahrhunderte, welche die Göttlichkeit oder die Menschlichkeit Christi ablehnen, Sein Wort verzerren, Seine Wahrheit verfälschen und die Menschen entsprechend lehren(Mt 5,19). All diese können zwar Christus nicht „töten“, aber, indem sie Ihn abschwächen, töten sie den Menschen, denn sie bieten ihm einen gefälschten Christus an, der nicht retten kann. Außerdem stellt die Verminderung Christi auf eine bestimmten Ansicht von Ihm (großer Lehrer, Wundertäter, sozialer Erneuerer usw.) eine Widerlegung Christi, aber auch eine deutliche Ablehnung dar. Christus rettet, wenn Er als Ganzer angenommen wird, wie Er Sich Selbst offenbart hat, als Sohn des lebendigen Gottes (Mt 16,17). So nahmen die Apostel und Seine Heiligen Christus an, und so werden Ihn die Geretteten aller Jahrhunderte annehmen. Darum…
9. Die rechte «Christologie» sichert das Heil.
Die Frage Christi an Seine Jünger: Für wen haltet ihr mich? (Mt 16,16), zeigt genau dieses Problem auf. Wenn diese Frage nicht richtig beantwortet wird, also im Rahmen der authentischen „Christologie“, kann es für den Menschen keine Möglichkeit des Heils geben. Oft wird sogar die Person Christi gefälscht. Alle „christologischen“ Häresien bieten einen nicht existenten Christus an, völlig unähnlich Jenem, der für unser Heil fleischgeworden ist: Doketismus, Arianismus, Nestorianismus, Monophysitismus, Monotheletismus, Monoenergetismus, bis zu den heutigen Fälschungen der Zeugen Jehovas, der Scientologen u. a. Der hypothetisch akzeptierte Christus ist nicht der Christus der Geschichte, sondern der Täuschung und der metaphysischen Phantasie.
Die Verfälschung des Glaubens an Christus im Bereich des Dogmas hat als unvermeidbare Konsequenz die Verfälschung des Wortes Christi auch im Bereich der Gesellschaft. Im Gegensatz dazu übermittelt die Kirche als Gesellschaft Heiliger unaufhörlich von Generation zu Generation den einen Christus, den wahren Christus gegenüber den verschiedenen häretischen Fälschungen von Ihm. Dies geschieht durch die Verkündigung und das Hirtenamt der Heiligen Väter, durch die Ökumenischen Konzile, durch die liturgische Praxis und das geistliche Leben der kämpfenden Gläubigen.
In der vielfach genannten häretischen Täuschung wird ein Christentum ohne Christus geformt. Dies ist Folge der tragischen Verwirrung, die in unserer Zeit herrscht und welche den Eingang der Menschheit in den Wahnsinn der „Neuen Weltordnung“ und des „Neuen Zeitalters“ („new age“) darstellt. Es ist die dunkelste – und darum gefährlichste – Periode der menschlichen Geschichte, denn sie wurde schon mit Mythisierungen (z. B. des Jahres 2000), apokryphen Auffassungen (der „Wassermann“ – der Teufel – nimmt den Platz des „Fisches“ – Christus – ein), chiliastischen Erwartungen (Visionen allumfassenden Wohlstandes) verbunden, während im Wesentlichen die alte Welt mit all ihrer Pathologie und Pathogenität reproduziert wird. Die „Globalisierung“, für die von jenen, die das „neue” Systems unterstützen und propagieren, vielfach geworben wird, führt trotz gewisser positiver Seiten zu einer «planetarischen Gesellschaft» mit der Nivellierung der kulturellen und nationalen Besonderheiten, geformt von der „vereinheitlichenden“ Erziehung und den geleiteten Massenmedien. Der Verlauf der Dinge „hin zu einer einzigen Herde“, die als eine Erfüllung des Wortes Christi (Jh 10,16) betrachtet werden könnte, wird vom spontanen Zweifel überschattet: „Ja, aber unter welchem Hirten? Wird dieser Hirte Christus sein, wie Er gesagt hat, oder der Pseudochristus des Neuen Zeitalters?“
Nie zuvor wurde die Person Christi so vermindert und das Christentum so bedroht, wie im Rahmen der vom „Neuen Zeitalter“ errichteten „Panreligion“. Die Treffen der panreligiösen Bewegung des „Neuen Zeitalters“ (Assisi 1, 2 und 3: 1986, 1994 und 1998) lassen keinen Zweifel mehr bestehen. Mit der Teilnahme auch von Repräsentanten der christlichen Welt wird die „Panreligion“ vorangetrieben, in der die Allheilige Person Christi eingeebnet und in wörtlichem Sinne widerlegt wird. Sie wird mit all den „konstruierten“ Gottheiten der Welt des Sündenfalls vermengt. Nie wurde die Einzigartigkeit und Exklusivität Christi als des Heilandes der Welt so direkt und absolut angezweifelt. Und nur deswegen ist das „Neue Zeitalter“ die historisch größte Herausforderung für die Orthodoxie. Das, was der Teufel durch die Verfolgungen und die Häresien nicht geschafft hat, strebt er nun durch den erneuerten „Ökumenismus“ der Panreligion an. Jetzt ist die Orthodoxie aufgerufen, ihre Wahrheit über Christus zu retten, indem sie treu der Tradition ihrer Heiligen bleibt: damit Christus das Leben und die Hoffnung der Welt bleiben kann.
(in: DER SCHMALE PFAD, Orthodoxe Quellen und Zeugnisse, Verlag Johannes A. Wolf, Band 24, Juni 2008, SS. 27-50)
* Quelle: ’’ΧριστόςΤο Φως Και Η Ελπίδα Του Κόσμου’’Πρωτοπρ. ΓεωργίουΔ. Μεταλληνού, καθηγητούτουΠαν/μίουΑθηνών, ΑποστολικήΔιακονία, 2001.

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