Mittwoch, 15. Januar 2014

Hl. Dorotheus von Gaza. Darüber, dass man schnell die Leidenschaften abschneiden muss, bevor sie in der Seele zur schlechten Haltung werden.


Ich kam kürzlich einmal zu einem Bruder und fand ihn krank. Indem wir miteinander sprachen, erfuhr ich, dass er nur sieben Tage Fieber hatte, und siehe, er hat es weitere vierzig Tage und findet noch immer keine Zeit, sich wiederherzustellen. Seht, Brüder, welches Unglück es ist, wenn jemand in so einen kranken Zustand fällt! Immer sieht man kleine Unregelmäßigkeiten für nichts an und weiß nicht, dass, wenn der Körper weiter schlecht behandelt wird und vor allem, wenn er schon geschwächter ist, es sehr viel Mühe und Zeit braucht, bis er wieder gesund ist. Sieben Tage hatte dieser arme Bruder Fieber, siehe, nur so viele Tage, und er kann sich nicht wiederherstellen. So ist es auch mit der Seele: Man sündigt nur ein wenig, und wieviel Zeit braucht man und muss sich selbst überwinden, bevor man sich bessert!

Für die körperliche Schwäche finden wir verschiedene Ursachen, sei es, dass die Arzneien alt sind und nicht mehr wirken, sei es, dass der Arzt unerfahren ist und statt einer bestimmten Arznei eine andere gibt, oder dass der Kranke ungehorsam ist und nicht befolgt, was vom Arzt angeordnet ist. Bei der Seele aber ist es nicht so, denn wir können nicht sagen, dass der Arzt unerfahren ist und nicht das passende Heilmittel gibt. Denn Christus ist der Arzt unserer Seelen; er weiß alles und gibt für jedes Leiden das passende Heilmittel, zum Beispiel gegen die Ruhmsucht die Gebote über die Demut, gegen die Genusssucht die über die Enthaltsamkeit, gegen die Habsucht die über die Barmherzigkeit, mit einem Wort: Jede Leidenschaft hat als Heilmittel ein ihr entsprechendes Gebot, so dass der Arzt nicht unerfahren ist. Auch sind die Heilmittel nicht alt und wirken darum nicht. Denn die Gebote Christi veralten nie: Soviel sie bewirken, soviel erneuern sie sich. So gibt es für die Gesundheit der Seele kein Hindernis, es sei denn ihre eigene Unordnung.(...)

Gott weiß: Ich bin außer mir über die Abgestumpftheit unserer Seelen! Wir können gerettet werden und wollen es nicht! Denn wir können unsere Leidenschaften abschneiden, solange sie noch klein sind, aber wir machen uns darüber keine Gedanken. Vielmehr lassen wir sie sich in uns verfestigen, so dass wir schließlich das äußerste Böse tun. Denn eine Sache ist es, wie ich euch schon oft gesagt habe, eine Pflanze zu entwurzeln, weil man sie sofort herauszieht, eine andere, einen großen Baum zu entwurzeln.

Ein großer Altvater verbrachte mit seinen Schülern etwas Mußezeit an einem Ort, an dem verschiedene Zypressen standen, kleine und große. Da sagte der Altvater zu seinem seiner Schüler: "Zieh diese Zypresse heraus!" Sie war noch sehr klein, und sofort zog sie der Bruder mit einer Hand heraus. Dann zeigte ihm der Altvater eine andere, größer als die erste und sagte: "Zieh auch die heraus!" Der Bruder bewegte sie mit beiden Händen hin und her und zog sie auch heraus. Wieder zeigte ihm der Altvater eine andere noch größere, und der Bruder zog mit noch größerer Mühe auch sie heraus. Der Altvater zeigte ihm eine andere, noch größere; der Bruder bewegte sie heftig hin und her, strengte sich an, und schwitzend zog er auch sie heraus. Dann zeigte ihm der Altvater eine andere, noch größere. Der Bruder strengte sich sehr an, schwitzte, konnte sie aber nicht herausziehen. Da sagte der Altvater zu den Brüdern: "Seht, Brüder, so sind auch die Leidenschaften! Solange sie noch klein sind, können wir sie, wenn wir wollen, mit Ruhe abschneiden. Wenn wir uns aber nicht um sie kümmern, weil sie ja klein sind, verfestigen sie sich, und je mehr sie sich verfestigen, desto mehr Mühe benötigen sie. Wenn sie aber noch stärker geworden sind, können wir sie nicht einmal mit Mühe von uns selbst abschneiden, wenn wir nicht Hilfe von den Heiligen erhalten, die sich mit Gott unser annehmen!"
Seht, welche Kraft die Worte der heiligen Altväter haben! Ähnlich belehrt uns der Prophet darüber, wenn er im Psalm sagt: "Elende Tochter Babylons, selig, wer dir deine Vergeltung vergilt, mit der du uns vergolten hast: selig, wer deine kleinen Kinder ergreift und sie am Felsen zerschmettert" (vgl. Ps 137,8f: LXX Ps 136,8f).
Aber untersuchen wir diese Worte nacheinander! Mit "Babylon" meint der Prophet "Verwirrung", denn so übersetzt er entsprechend "Babel", was eigentlich "Sychem" ist. Tochter Babylons aber nennt er die Feindin. Denn zuerst wird die Seele verwirrt, und so begeht sie die Sünde. Elende aber nennt er sie, weil, wie wir euch schon an anderer Stelle sagten, das Böse kein Sein und keine Gestalt hat, sondern durch unsere Nachlässigkeit aus dem Nichtsein entsteht und durch unsere Besserung wieder verschwindet und ins Nichtsein entweicht. Der Heilige spricht sie nun sozusagen an: "Selig, wer dir deine Vergeltung vergilt, die du uns angetan hast."

Erkennen wir, was wir gegeben haben, was wir dafür bekommen haben und was wir vergelten sollten! Wir haben unseren Willen gegeben und haben dafür die Sünde bekommen. Das Psalmwort preist nur die selig, die sie wieder zurückerstatten; das Zurückerstatten aber bedeutet, die Sünde nicht mehr zu tun. Dann fügt es hinzu: "Selig, wer deine Kinder ergreift und sie am Felsen zerschmettert." Das bedeutet: "Selig, wer dem, was aus dir hervorging, das heißt den schlechten Gedanken, schon am Anfang keinen Raum gibt, dass sie in ihm wachsen und das Böse bewirken könnten, sondern sie schnell, solange sie noch kleine Kinder sind, bevor sie groß geworden und in ihm gewachsen sind, ergreift und sie an den Felsen schlägt, der Christus ist (vgl. 1. Kor. 10,4), und sie vernichtet, indem er sich zu Christus flüchtet.
Seht, wie die Altväter und die Heilige Schrift ganz übereinstimmen und diejenigen selig preisen, die darum kämpfen, die Leidenschaften abzuschneiden, solange sie noch klein sind, bevor sie ihren Schmerz und ihre Bitterkeit erfahren haben. Wir wollen uns nun eifrig bemühen, Brüder, damit wir Erbarmen finden! Geben wir uns ein wenig Mühe, und wir finden viel Ruhe.
Die Väter haben es gesagt, wie man sich Stück für Stück reinigen muss: Am Abend erforsche man sich, wie man den Tag verbracht, und am Morgen, wie man die Nacht verbracht hat, und man bitte Gott um Verzeihung für das, worin man aller Wahrscheinlichkeit nach gesündigt hat. Wir dagegen müssen wahrhaftig, weil wir viel gesündigt haben, uns auch nach sechs Stunden fragen, wie wir sie verbracht und in was wir gesündigt haben. [...] Wie wir nun sagten, muss man sich prüfen, wie man den Tag und die Nacht verbracht hat: Ob man mit Aufmerksamkeit bei der Psalmodie und beim Gebet war; ob man sich von leidenschaftlichen Gedanken hat gefangen nehmen lassen oder mit Verstand die göttlichen Lesungen gehört hat; ob man die Psalmodie verlassen hat und aus der Kirche hinausgegangen ist, um sich zu zerstreuen. Wenn man sich so täglich erforscht und sich eifrig müht, Buße zu tun für das, worin man gesündigt hat, und sich zu bessern, beginnt man, das Böse zu verringern. Wenn man neunmal sündigte, sind es nur noch achtmal, und so schreitet man mit Gott allmählich voran und kommt nicht dahin, dass die Leidenschaften sich in einem festigen. Denn es ist eine große Gefahr, wenn jemand in die Haltung einer Leidenschaft hineingerät, weil, wie wir sagten, ein solcher, selbst wenn er will, die Leidenschaft allein nicht bezwingen kann; es sei denn, er erhalte die Hilfe einiger Heiliger [...].
Ich habe euch verschiedentlich gesagt, wie man in eine Haltung hineinkommt. Denn wer einmal zornig war, wird nicht schon jähzornig genannt; wer einmal Unzucht getrieben hat, nicht schon unzüchtig; wer einmal Erbarmen hatte, heißt nicht schon barmherzig. Vielmehr schaffen die Tugend und das Laster, wenn sie ständig getan werden, eine Haltung in der Seele, und diese Haltung straft die Seele oder verschafft ihr Ruhe. Wie aber die Tugend der Seele Ruhe verschafft und das Laster sie züchtigt, haben wir verschiedentlich gesagt.

Die Tugend ist nämlich natürlich und in uns. Denn untilgbar sind die Samen der Tugend. Wir haben nun gesagt, dass wir, soviel wir das Gute tun, die Tugend zur Haltung machen, das heißt, wir nehmen die uns eigene Haltung an, kehren zu unserer eigenen Gesundheit zurück, wie man nach einer Augenkrankheit das Augenlicht wiedererlangt oder nach sonst einer Krankheit die eigene natürliche Gesundheit.
Beim Laster aber ist es nicht so: Hier nehmen wir eine fremde und gegen unsere Natur stehende Haltung an, wenn wir das Böse tun. Das heißt, durch diese Haltung ziehen wir uns eine Art chronischer Krankheit zu, so dass wir nicht mehr gesund werden können ohne viel Hilfe und viel Gebet und viele Tränen, mit denen wir das Erbarmen Christi auf uns herabziehen können.

Ebenso finden wir es in Bezug auf den Körper. Denn es gibt manche Speisen, die zum Beispiel schwarze Gallenflüssigkeit produzieren wie Kohl, Linsen und ähnliches. Aber nicht dadurch, dass man einmal oder zweimal Kohl oder Linsen oder ähnliches isst, entsteht in einem diese schwarze Gallenflüssigkeit. Vielmehr, wenn man es häufig tut, so dass es schließlich zuviel ist, entsteht Hitze und brennt den, der solches gegessen hat, und bringt ihn in tausend andere Unbefindlichkeiten. So ist es auch mit der Seele: Wenn jemand beim Sündigen bleibt, wird es für die Seele zu einer schlechten Haltung, und diese Haltung peinigt sie.
Außerdem sollt ihr auch dies wissen: Es kommt vor, dass eine Seele einen Hang zur Leidenschaft hat, und wenn sie nur ein einziges Mal jene Leidenschaft zur Tat werden lässt, läuft sie sofort Gefahr, dass es ihr zur Haltung wird. Dasselbe trifft auch für den Körper zu: Denn wenn sich jemand in einer melancholischen Disposition befindet aufgrund einer vorangegangenen Nachlässigkeit, kann ihn fast schon eine solche Speise reizen und die Saftmischung in ihm erhitzen.

Viel Wachsamkeit, Eifer und Furcht sind nötig, damit man nicht in eine schlechte Haltung hineingerät. Glaubt mir, Brüder: Wenn jemand eine Leidenschaft als Haltung hat, verfällt er der Strafe. Es kann sein, dass er zehn gute Werke tut und ein schlechtes in dieser Haltung – jenes eine, das aus schlechter Haltung geschah, überwiegt die zehn guten. Denn ebenso ist es bei einem Adler: Wenn er sich ganz aus dem Netz befreit hat und es sich zeigt, dass nur noch seine Kralle darin gefangen ist, dann wird wegen dieser Kleinigkeit seine ganze Kraft zunichte. Selbst wenn er also ganz außerhalb des Netzes ist, nur seine Kralle aber gefangen, ist er dann nicht doch im Netz? Kann ihn der Fänger nicht jederzeit, wenn er will, töten?
So ist es auch mit der Seele: Wenn sie auch nur eine Leidenschaft als Haltung hat, kann sie der Feind, wenn es ihm gut scheint, zu Boden werfen, denn er hat sie als Untergebene durch jene Leidenschaft. Deshalb sagte ich euch immer wieder: Lasst eine Leidenschaft in euch nicht zur Haltung werden! Vielmehr müssen wir kämpfen und Gott Tag und Nacht bitten, dass wir nicht in Versuchung fallen. Wenn wir aber, weil wir Menschen sind, eine Niederlage erlitten haben und in die Sünde gefallen sind, wollen wir uns eifrig bemühen, sofort wieder aufzustehen. Tun wir deswegen Buße, weinen wir vor der Güte Gottes! Seien wir wachsam, kämpfen wir! Gott, der unseren guten Willen, unsere Demut und unsere Zerschlagenheit sieht, reicht uns die Hand und wirkt an uns sein Erbarmen. Amen.

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