Christus einst wie jetzt Derselbe
1. Brüder und Väter, viele sagen tagtäglich −und wir selbst hören, was sie sagen −: "Lebten wir in den Tagen der Apostel und hätten wie sie die Ehre, Christus in Person zu begegnen, würden auch wir Heilige wie jene" (s. Mt 23,30), denn sie wissen nicht, dass Christus Derselbe ist, Der einst wie jetzt in der ganzen Welt spricht. Wäre Er nicht Derselbe jetzt wie damals, in allem derselbe Gott, sowohl in Seinen Energien als auch in Seinen Werken, wie könnte Er sagen, dass der Vater ewiglich im Sohn Sich zeigt und der Sohn im Vater (s. Joh 10,38 / 14,9ff), wirkend durch den Heiligen Geist: "Mein Vater wirkt immerdar, und auch Ich wirke"(Joh 5,17)?
2. Doch vielleicht wird einer einwenden: "Es ist nicht dasselbe, Ihn damals im Leibe zu sehen und heute nur Seine Worte zu hören und über Ihn und Sein Reich belehrt zu werden." Ich aber sage, dass das heutige und das damalige zwar keineswegs dasselbe ist, dass aber das heutige und jetzige weitaus erhabener und hilfreicher ist zur Vertiefung des Glaubens und der Gewißheit als das leibliche Schauen und Hören des Herrn damals. Denn damals zeigte Er Sich den undankbaren Juden als geringer Mensch, uns heute aber wird Er als wahrer Gott verkündet. Damals verkehrte
Er leiblich unter Zöllnern und Sündern und aß mit diesen (s. Mt 9,11), jetzt aber sitzt Er zur Rechten Gottes des Vaters (s. Mk 16,19), von Dem Er niemals und in keiner Weise je getrennt war, und ernährt die ganze Welt, entsprechend unserem Glauben, und nichts geschieht ohne Ihn, wie wir sagen und auch glauben (s. Joh 1,3).
Damals wurde Er sogar noch von den Geringsten mißachtet, da sie sagten: "Ist dieser nicht der Sohn der Maria und Josephs des Zimmermanns?" (Mk 6,3, Mt 13,55), jetzt aber wird Er von Königen und Fürsten angebetet als Sohn des wahren Gottes und als wahrer Gott, und Er verherr-licht jetzt wie damals diejenigen, die Ihn anbeten in Geist und in Wahrheit (Joh 4,24) – obwohl Er sie oft auch züchtigt ihrer Sünden wegen –, indem Er sie von irdenen Gefäßen zu eisernen Stäben macht über alle Völker unter dem Himmel (s. Ps 2,9, Offb 2,27).
Damals wurde Er für einen Menschen wie die anderen gehalten, sterblich und verweslich, und eine große Sache war zu jener Zeit, in jenem menschlichen Leib, in dem der gestaltlose und unsichtbare Gott Gestalt angenommen hatte, ohne irgendeine Veränderung oder einen Wandel zu erleiden, und Sich zeigte als zur Gänze Mensch, ohne irgendetwas sehen zu lassen, das nicht auch die anderen Menschen hatten, sondern indem Er aß, trank, schlief, schwitzte, Sich ermüdete und alles tat, was Menschen tun, außer der Sünde (s. Hebr 4,15) – eine große Sache mithin war damals, Ihn zu erkennen in jenem Leib und an Ihn zu glauben als Gott, Der Himmel und Erde erschaffen hat und alles, was in ihnen ist.
Deshalb auch pries der Meister Petrus selig, als dieser bekannte: "Du bist der Sohn des Lebendigen Gottes!", indem Er sagte: "Selig bist du, Simon bar Jonah, denn nicht Fleisch und Blut haben dir dies offenbart - das nämlich, was er geschaut und bekannt hatte -, sondern Mein Vater, Der in den Himmeln ist" (Mt 16,16-17). Ein Mensch aber, der Ihn heute tagtäglich durch die Heiligen Evangelien mit lauter Stimme sprechen und den Willen Seines gesegneten Vaters verkünden hört und Ihm nicht mit Furcht und Zittern gehorcht und das von Ihm Gebotene hält, der würde sich auch dann, wenn er damals anwesend gewesen wäre und Ihn in Person gesehen und lehren gehört hätte, keineswegs bereitgefunden haben, an Ihn zu glauben. Es ist sogar zu befürchten, dass er in seiner völligen Ungläubigkeit den Herrn als Feind Gottes statt als wahren Gott betrachtet und Ihn gelästert hätte.
Weitere Schwierigkeiten der Frühzeit - unzählige Häresien
4. Das also ist, was die grobschlächtigsten von allen sagen. Und was sagen jene, die etwas ehrfürchtiger sind als sie? "Hätten wir zur Zeit der heiligen Väter gelebt, würden auch wir gekämpft haben. Denn angesichts ihres guten Lebenswandels und ihrer Kämpfe wären wir angespornt worden zur Nachahmung. Jetzt aber leben wir unter Faulenzern und Nachlässigen und werden mitgerissen von ihnen, und so gehen wir unfreiwillig zugrunde." Auch diesen ist offensichtlich unbewußt, dass weit eher wir es sind, die uns im Hafen befinden, und nicht jene der früheren Zeiten. Hört zu!
Zur Zeit der heiligen Väter gab es viele Häresien, viele Pseudo-Christusse, viele Leute, die mit dem Christentum Handel trieben, viele Lügenapostel und Irrlehrer (s. 2 Petrus 2,1ff, 1 Joh 4,1ff, 2 Joh 7,ff, Jud 10ff, 2 Kor 11,13ff), die unverfroren herumzogen und das Unkraut des Widersachers aussäten. Durch ihre trügerischen Worte führten sie viele in die Irre und stürzten deren Seelen ins Verderben.
5. Dass dies den Tatsachen entspricht, könnt ihr feststellen, wenn ihr die Lebenunserer heiligen Väter Antonios, Euthymios und Sabas lest. So wird berichtet, dass Antonios eines Tages ein besseres Gewand anzog als sonst und sich auf eine Anhöhe stellte, sodass er von allen gesehen wurde, um sich von den Häretikern ergreifen und umbringen zu lassen.[2] Hätte es keine Verfolgung gegeben, würde er solches nicht getan haben. Und steht nicht geschrieben, dass zur Zeit der Geburt unseres heiligen Vaters Euthymios die Kirchen Gottes von Frohmut [griech. "euthymia"] erfüllt wurden, weil damals die Verfolgungen und Häresien zur Ruhe kamen? [3] Und habt ihr nicht gehört, wie sehr unser heiliger Vater Sabas gegen Ende seines Lebens zu kämpfen hatte gegen die damaligen Häresien und wieviele Mönche sich von den Häretikern mitreißen ließen? [4] Und was zur Zeit des hl. Stephanos des Jüngeren geschah, war das nicht eine schwere und grausame Verfolgung? [5] Oder erinnert ihr euch vielleicht nicht an den damaligen Sturm und die gegen die Mönche entfesselte Gewalt? Doch wozu versuchen, all das der Reihe nach aufzählen? Wenn ich daran denke, was vor diesen Ereignissen geschah, zur Zeit Basilios' des Großen, wie es der große Gregor erzählt,[6] sowie an das, was Johannes dem Goldmund und den nachfolgenden heiligen Vätern widerfuhr, klage ich über mich selbst und bemitleide jene, die auf all das nicht achten. Denn sie sind sich nicht im Klaren darüber, dass die gesamte Vergangenheit weit schlimmer war als die Gegenwart und unbestreitbar erfüllt vom Umkraut des Widersachers (s. Mt 13,38).
Die alten Häresien, die die Hl. Väterkraft der Gnade des Hl. Geistes zum Verschwinden brachten
6. Obwohl das Vergangene schlimm genug war, gibt es auch heute viele Häretiker, viele Wölfe, Nattern und Vipern, die sich unter uns mischen, allerdings ohne irgendeine Macht zu haben gegen uns. Doch sie sind gewissermaßen wie verborgen in der Nacht ihrer Bosheit, und wer sich zu ihnen gesellt in der Finsternis, den packen sie und verschlingen ihn. Denjenigen aber, die im Licht der göttlichen Schriften wandern und dem Weg der Gebote Gottes folgen, wagen jene Leute nicht einmal gegenüberzutreten, sondern wenn sie sie vorbeigehen sehen, fliehen sie vor ihnen wie vor Feuer.
7. Wen nun glaubt ihr, dass ich hier als Häretiker bezeichne? Vielleicht jene, die den Sohn Gottes verleugnen? Vielleicht jene, die den Heiligen Geist lästern und sagen, Er sei nicht Gott? Vielleicht jene, die behaupten, der Vater sei größer als der Sohn? Vielleicht jene, die die Dreiheit zusammenmischen zu einer Monade oder den einzigen Gott zerteilen in drei Götter? Vielleicht jene, zwar anerkennen, dass Christus der Sohn Gottes ist, aber nicht glauben, dass Er Fleisch annahm aus einer Frau? Vielleicht jene, die dumm schwätzen, Er habe zwar Fleisch angenommen, jedoch ein unbeseeltes? Vielleicht jene, die zwar anerkennen, dass es beseeltes Fleisch war, das heißt ein ganzer Mensch, aber leugnen, dass der Sohn Gottes, Der auch Sohn der Gottgebärerin Maria ist, ein einziger Gott ist der Hypostase nach, und den einzigen Christus zertrennen in zwei Söhne? [7] Oder vielleicht jene, die dem anfanglosen Vater einen Anfang zuschreiben und sagen: "Es gab eine Zeit, wo Er nicht war"? Oder jenen, die zwar die Anfangslosigkeit des Vaters anerkennen, jedoch dem aus dem Vater geborenen Sohn einen Anfang in der Zeit zuschreiben, als wäre Er ein Geschöpf, und solchen Unsinn nicht nur denken, sondern auch lehren, wo doch klar gesagt wurde, [8] dass der Vater niemals war, ohne dass auch der Sohn war, denn wie könnte man einen Kinderlosen als "Vater" bezeichnen? Oder vielleicht jene, die verkünden, ein anderer sei es gewesen, der gelitten habe und ein anderer, der auferstanden sei?
Nein, niemanden von diesen Ehrfurchtslosen und Gottlosen meine ich, noch auch die Anhänger anderer Häresien, die sich einst ausbreiteten wie Finsternis, aber von den damals leuchtenden Heiligen Vätern zum Verschwinden gebracht wurden. Denn so sehr strahlte die Gnade des Allheiligen Geistes durch sie und vertrieb die Finsternis der besagten Häresien, dass ihre von Gott inspirierten Schriften bis heute heller leuchten als die Sonne und niemand es wagt, ihnen zu widersprechen.
Die neue Häresie - die Behauptung, keiner vermöge heute die Gebote des Evangeliums zu erfüllen
8. Sondern von denen rede ich und die nenne ich Häretiker, die sagen, es gebe in unserer Zeit und unter uns niemanden mehr, der imstande sei, die evangelischen Gebote zu halten und den Heiligen Vätern gleich zu werden, das heißt zuerst einmal gläubig zu sein und dem Glauben gemäß zu handeln - denn durch die Werke zeigt sich der Glaube, so wie das Gesicht sich im Spiegel zeigt -, sodann zur höchsten Betrachtung und Gottesschau aufzusteigen, anders gesagt, den Heiligen Geist zu empfangen und durch Ihn den Sohn und den Vater zu schauen. Diejenigen, die solches als unmöglich bezeichnen, sind nicht nur in eine Teilhäresie gefallen, sondern in alle Häresien zusammengenommen, wenn man so sagen kann, denn durch ihre Gottlosigkeit und das Übermaß ihrer Blasphemie übertreffen und überdecken sie jene allesamt.
Wer solches sagt, wirft alle göttlichen Schriften um. "Umsonst wird das Heilige Evangelium heute noch verkündet", scheint mir der Nichtige zu sagen, "umsonst liest man und verbreitetet man die Schriften Basilios' des Großen und unserer anderen Hierarchen und gottgeweihten Väter." Doch wenn das, was Gott sagt und was alle Heiligen zuerst taten und danach auch niederschrieben und uns zur Unterweisung hinterließen, von uns unmöglich in die Tat umgesetzt und ungeschmälert eingehalten werden kann, warum dann haben jene die Mühe auf sich genommen, diese Dinge niederzuschreiben, und warum liest man sie noch heute in den Kirchen?
Die solches sagen, verschließen den Himmel (s. Mt 23,13), den Christus uns geöffnet hat, und blockieren den Aufstieg zu Ihm, den Er Selbst für uns gebahnt hat (Hebr 10,19-20). Während nämlich in der Höhe Gott, Der über allen ist, gleichsam in der offenen Tür des Himmels steht und Sich hinabbeugt und den Gläubigen, die Ihn sehen, durch das Heilige Evangelium zuruft: "Kommt zu Mir alle, die ihr euch müht und beladen seid, und Ich werde euch erquicken!" (Mt 11,28), erklären jene Gottesfeinde oder besser gesagt Antichristen: "Unmöglich ist solches, unmöglich!"
9. Zu Recht sagt der Meister mit lauter Stimme zu diesen: "Wehe euch Schriftgelehrten und Pharisäern! Wehe euch blinden Führern von Blinden, denn ihr selbst tretet nicht ein ins Reich und diejenigen, die eintreten wollen, hindert ihr daran! (s. Mt 23,13ff, Lk 11,52). Während Er jene, die jetzt trauern, ausdrücklich selig preist (Mt 5,4), erklären jene, es sei unmöglich für irgendwen, jeden Tag zu trauern und zu weinen. O welche Gefühllosigkeit, welch schamloser Mund, der verworfene Reden ausschickt gegen Gott den Allerhöchsten und die Schafe Christi zur Beute wilder Tiere macht, jene Schafe, für die der Einziggeborene Sohn Gottes Selbst Sein Blut vergossen hat! Wahrlich, zu Recht hat der Gottesahn David über solche prophezeit: "Die Zähne der Menschensöhne sind Waffen und Pfeile, und ihre Zunge ein scharfes Schwert" (Ps 56,5)
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