Donnerstag, 16. Januar 2014

Hl. Tichon von Zadonsk- Die Welt

Nichts besteht aus sich selbst heraus. Keine Stadt ist von sich aus da, sondern sie wurde von einem anderen erbaut; kein Haus ist von selbst da, sondern jemand hat es errichtet; kein Brief ist durch sich selbst geschrieben, sondern von einem anderen; kein Buch hat sich selbst verfaßt, sondern ein anderer hat das getan – kurz gesagt, kein Ding besteht aus sich selbst heraus, sondern ein anderer hat es hergestellt. So ist auch diese Welt nicht aus sich selbst heraus da, sondern von ihrem Schöpfer geschaffen. Er sprach, und sie sind geworden; Er gebot, und sie wurden erschaffen (Ps 148,5).
Dieser Schöpfer ist unser Gott, geglaubt, bekannt und verehrt in einem Wesen, doch in drei Hypostasen – Vater und Sohn und Heiliger Geist. Die Welt ist vom Schöpfer nicht so erschaffen worden, wie der Mensch etwas erschafft. Der Mensch nimmt das eine aus dem anderen, das heißt: aus irgendeiner Materie macht er Dinge, und dies mit Mühe. Doch Gott schuf diese Welt – den Himmel und die Erde und alles, was sie erfüllt – aus nichts und ohne jede Mühe, einzig durch Seinen Wunsch und Sein Wort. Er sprach, und sie sind geworden; Er gebot, und sie wurden erschaffen – dies wird der Kraft des allmächtigen Gottes zugeschrieben.
Unser Verstand, welcher spricht, daß nichts aus nichts entstehen kann, kann nicht begreifen, wie die Zusammensetzung dieser großen Welt aus dem Nichts heraus ins Dasein gebracht wurde. Doch der Glaube ergänzt die Unzulänglichkeit des Verstandes und überzeugt ihn davon, Gott anzuerkennen, denn dem Allmächtigen ist alles möglich.
Denn für Gott ist nichts unmöglich (Lk 1,37). Durch den Glauben erkennen wir, daß die Welt durch Gottes Wort geschaffen ist, so daß alles, was man sieht, aus nichts geworden ist (Heb 11,3). Der Glaube vernimmt vom Heiligen Geist das Zeugnis: Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde (Gen 1,1) – und daran hält er sich, ohne zu zweifeln. Wie der Verfasser eines Buches aus seinem Verstand Wörter herausgreift und diese aufs Papier bringt und auf diese Weise ein Buch zusammenfügt, und wie nicht aus nichts etwas entsteht, so schuf der allweise und allmächtige Gott all das, was Er in Seiner göttlichen Vernunft hatte, als wäre es ein Buch, das aus zwei Seiten besteht – das sind der Himmel und die Erde. In diesem Buch sehen  wir die göttliche Allmacht, Weisheit und Güte. Die Allmacht, denn alles schuf Er aus dem Nichts durch den Wunsch und das Wort. Die Weisheit, denn alles wurde in höchster Weisheit geschaffen: Alles hast Du in Weisheit gemacht (Ps 103,24). Die Güte, denn alles hat Er nicht um Seinetwillen, sondern um unsertwillen geschaffen. Gut ist es, das Seine mit anderen zu teilen. Denn Gott bedarf Seinethalben nichts. Wie vor den Äonen, so verbleibt Er jetzt und in aller Ewigkeit in allvollkommener Seligkeit.

Der Kampf zwischen Fleisch und Geist

Jeder Christ hat eine zweifache Geburt: die alte und fleischliche und die geistliche und neue, und jede ist der anderen entgegengesetzt. Die fleischliche Geburt ist Fleisch und die geistliche Geburt ist Geist. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist (Jh 3,6).
Weil die beiden Geburten einander entgegengesetzt sind, entsteht daraus ein Konflikt und Kampf zwischen dem Fleisch des Christen und seinem Geist. Denn das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch (Gal 5,17). Das Fleisch begehrt, den Geist zu töten – und der Geist das Fleisch. Das Fleisch begehrt, den Geist zu unterwerfen – und der Geist das Fleisch. Das Fleisch begehrt, den Geist zu beherrschen – und der Geist das Fleisch. Das Fleisch begehrt, stolz zu sein, aufgeblasen und eingebildet, doch der Geist will dies nicht, sondern er möchte demütig gesinnt sein. Das Fleisch begehrt, zornig zu sein, böswillig, zu streiten und Rache zu üben in Tat oder Wort, doch der Geist will dies nicht, sondern er wünscht, alles in Sanftmut zu vergeben.
Das Fleisch begehrt, Unzucht zu treiben und Ehebruch zu begehen, doch der Geist wird davon abgestoßen und begehrt die Keuschheit. Das Fleisch begehrt, das Eigentum anderer zu rauben und sie auf jede Weise auszuplündern, doch den Geist stößt das ab, und er wünscht, von dem Eigenen fortzugeben. Das Fleisch begehrt, boshaft zu sein, zu schmeicheln, zu lügen, hinterhältig zu sein, zu täuschen und zu heucheln, doch der Geist haßt dies und begehrt, wahrhaftig und von schlichter Offenheit in allen Angelegenheiten zu sein. Das Fleisch begehrt, einen Menschen zu hassen, doch der Geist begehrt, ihn zu lieben. Das Fleisch begehrt, in Untätigkeit zu leben, faul zu sein, doch der Geist wendet sich davon ab und begehrt, sich in gesegneten Mühen zu üben. Das Fleisch begehrt, herumzuziehen, sich zu betrinken, Festlichkeiten und Gelage zu arrangieren, doch der Geist wendet sich davon ab und begehrt, mäßig zu leben oder zu fasten.
Das Fleisch begehrt nach Ruhm, Ehren und Reichtümern in dieser Welt, doch der Geist verschmäht all dies und strebt nur nach ewigen Gütern – und so fort. Auf diese Weise richtet sich das Begehren des Fleisches gegen den Geist, und das Begehren des Geistes gegen das Fleisch. Als erneuerter Mensch sollte der Christ nicht dem Fleisch entsprechend leben, sondern gemäß dem Geist, und er sollte das Fleisch dem Geist unterwerfen, nach dem Gebot des Apostels: Lebt im Geist, so werdet ihr die Begierden des Fleisches nicht vollbringen (Gal 5,16). Und das bedeutet: das Fleisch mit den Begierden und Leidenschaften zu kreuzigen (Gal 5,24). Sorgt nicht so für euren Leib, daß die Begierden erwachen (Gal 13,14). Enthaltet euch von den fleischlichen Begierden, die gegen die Seele streiten (1 Petr 2,11). Wandelt in einem neuen Leben (Röm 6,4). Mögen wir nicht der Sünde erlauben, uns zu beherrschen, sondern laßt uns für Christus leben: Der für uns starb und auferweckt wurde (2 Kor 5,15).
Geliebte Christen, laßt uns schauen, ob wir uns in diesem Krieg befinden, ob wir teilhaben an diesem rettenden Kampf, ob wir in einem neuen Leben wandeln, ob wir den Neigungen und Begierden des Fleisches widerstehen, und ob wir der Sünde nicht gestatten, in uns zu herrschen. Denn nur diejenigen, die das Fleisch mit seinen Leidenschaften und Begierden gekreuzigt haben, sind Christen. Was nützt es uns, Christen genannt zu werden, doch nicht wirklich Christen zu sein? Es ist nicht der Name „Christ“, der den wahren Christen kennzeichnet, sondern der Kampf gegen das Fleisch und gegen jede Sünde. Wir dürfen dem Fleisch nicht alles gestatten, was es verlangt. Es verlangt Speise, es verlangt etwas zu trinken, es verlangt Kleidung, es verlangt Ruhe, und darüber hinaus: Laßt uns ihm geben, was notwendig ist. Doch wenn es etwas verlangt, das dem Willen Gottes und Seinem Gesetz entgegengesetzt ist, laßt es uns ihm nicht gewähren, auf daß wir nicht nur dem Namen nach, sondern in Wirklichkeit Christen sind. 

Die Nachahmung des heiligen Lebens Christi
 Um sich zu verbessern und zu einem wahren Christen – das heißt: zu Christus gehörend – zu werden, führe dir das heilige Leben Christi vor die Augen deiner Seele, betrachte es oft und ahme sein Vorbild nach. Und selbst wenn dein Herz, verdorben wie es ist, das nicht möchte, zwinge es und überzeuge dich selbst, die herrlichen Tugenden Christi nachzuahmen.
Man schaut in einen Spiegel, so daß man sehen kann, wie das eigene Gesicht aussieht, ob darin Schmutzflecken sind, und wenn man solche findet, wäscht man sie fort. Laß das unbefleckte Leben Christi ein Spiegel für deine Seele sein. Begehrt sie dieselben Dinge, die Christus begehrt? Und tut sie, was Christus tat, als Er auf Erden lebte? Und du wirst in ihr sehen, was dem Leben Christi entgegengesetzt ist, und das alles wirst du fortwaschen wie Schmutzflecken durch Reue und Zerknirschung des Herzens. Christus der Herr verachtete Ehre, Ruhm und Reichtum in der Welt, obwohl er alles hätte haben können als der Meister aller Dinge. Suchst du nicht Ehre, Reichtum und Ruhm in dieser Welt?


Christus lebte auf Erden in demütiger Bescheidenheit. Lebst du nicht in Stolz und Prunk? Christus war liebevoll und voller Mitleid. Hegst du nicht Haß und Bosheit gegenüber deinen Mitmenschen? Christus antwortete auf Vorwürfe nicht mit Vorwürfen. Machst du nicht jedem deinerseits Vorwürfe, wenn er dir etwas vorwirft; und schlimmer noch, machst du nicht auch demjenigen, der dir nichts vorwirft, Vorwürfe? „Du bist ein so und so“, „du bist ein Schwindler“, „du bist ein Verschwender“, „du bist ein Dieb“ usw.
Christus war sanft zu allen, die Ihn schmähten. Schmähst du nicht diejenigen, die dich schmähen? Christus rächte sich an keinem, obwohl er all Seine Feinde in einem Augenblick hätte vernichten können. Übst du nicht Rache an jedem, der dich kränkt? Christus ertrug alles. Klagst du nicht und fluchst in Widrigkeiten und Leiden, die deinen Weg kreuzen?
So vergleiche deine Seele mit dem Leben Christi; und wie du dein Gesicht vor den Spiegel bringst, so bringe deine Seele vor das unbefleckte Leben Christi, und bemühe dich mit aller Sorgfalt, dein  Leben zu verbessern und all dem nachzugehen, was du als ihm ent-gegengesetzt erkennst. Wenn du so vorgehst, dann versichere ich dir, daß du dich Tag für Tag verbessern wirst, denn es ist unmöglich, sich nicht zu bessern, wenn man oft in diesen unbefleckten Spiegel schaut.
Wer wirklich mit Christus sein möchte, muß Ihm folgen. Wer wie Christus in der Herrlichkeit sein will, muß wie Christus im gegenwärtigen Leben sein. Nicht umsonst sagte Christus: Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie Ich an euch gehandelt habe (Jh 13,15). Wer nicht sein Kreuz aufnimmt und Mir nachfolgt, ist Meiner nicht wert (Mt 10,38).
Betrachte diese Worte mit Sorgfalt, und du wirst wissen und anerkennen, daß jeder, der gerettet werden und in Christi himmlisches Königreich eintreten möchte, Ihm folgen muß. Wer Christus ins ewige Leben zu folgen wünscht, muß Ihm in diesem Leben mit Glauben und Liebe folgen, und wer in Christi ewiges Königreich gelangen möchte, muß auf dem Weg Christi wandeln – es gibt keinen anderen Weg dorthin. Achte auf Christi Worte: Meine Schafe hören meine Stimme, und Ich kenne sie, und sie folgen Mir; und Ich gebe ihnen das ewige Leben (Jh 10,27-28).
Die Schafe bedeuten hier die wahren Christen, die Seiner heiligen Lehre gehorchen und leben, wie Er es gelehrt hat und Ihm mit Glauben, Demut, Liebe und Geduld folgen, und so wird Er sie, die Ihm folgen, in das ewige Leben führen.
Folglich sind jene, die nicht Seine Stimme oder Seine heilige Lehre hören und Ihm nicht folgen, nicht die Schafe Christi. Und folglich werden sie Ihm nicht in das ewige Leben folgen. Dies ist eine furchtbare Sache, o Christ, aber wahr. Betrachte diese Worte auf dich bezogen, und du wirst zugeben, das dies so ist.
Geliebte Christen! Ihr müßt auf dem sicheren Weg gehen, wenn ihr sicher in das ewige Leben gelangen wollt. Was ist der sichere Weg? Lebt in dieser Welt gemäß dem Vorbild des Lebens Christi. Lebt auf diese Weise – und ihr werdet gerettet werden. 


Aus DER SCHMALE PFAD, Band 2

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