Montag, 18. März 2019

Uneinige autokephale oder vereinte Brüder? Kommentar des Metropoliten von Mesogaia und Lavreotiki Nikolaos zum aktuellen ukrainischen Konfliktthema

  

In den letzten Monaten sind wir Zeugen einer äußert gefährlichen und oberflächlich betrachtet unbegründeten Krise im Innern unserer Kirche geworden, die durch die bevorstehende Anerkennung der Unabhängigkeit der Ukrainischen Kirche, oder wohl besser gesagt Erschaffung einer autokephalen Kirche in der Ukraine, ausgelöst wurde. Es scheint so, als stellten die interorthodoxen Beziehungen in der heutigen Zeit ein signifikantes Problem dar, während die Einigkeit mit heterodoxen begrüßt und gefördert wird. Die Orthodoxen bekunden sich zwar gegenseitig ihre Zuwendung, aber sie richten sie in der Praxis zugrunde; sie beteuern die gegenseitige Verbindung im Sinne der Koinonia, doch mit ihren Handlungen beweisen sie das Gegenteil. Das Pleroma indes kann nur beobachten, wie auf den Gipfeln der Hierarchie mit juristischen Argumenten debattiert wird, wie befeindete Lager und Gruppen von „Gefolgsmännern“ geschaffen werden, anstatt die Gläubigen zu vereinen. Es ist ein Jammer! In diesem Konflikt gibt es einen Vorwand und eine tatsächliche Ursache. Vorwand ist die Notwendigkeit einer Unabhängigkeit der Ukrainischen Kirche. Ursache hingegen das Recht auf Gewährung und Anerkennung. Denn es geht in Wirklichkeit allein darum, wem dieses Recht zusteht.
  Die Worte, die man dabei oft vernehmen kann sind historische Privilegien, Rechte und Kirchenkanonen. Leider hört man niemals das Wort Evangelium. Die erste Frage lautet: Ist die Unabhängigkeit tatsächlich spirituell so unabdingbar? Und wenn ja, hätte man dann nicht noch ein bisschen warten können? Zweitens: Sind unsere Rechte wirklich so wichtig, dass wir sie verteidigen sollten, indem wir die Rechte unserer Brüder außer Acht lassen oder sie sogar bekämpfen, sodass unsere tausendjährige Koinonia mit ihnen jäh unterbrochen wird? Und drittens: Ist das Heranziehen von historischen Rechten und Kirchenkanonen wesentlicher als die Botschaft des Evangeliums?
  Konstantinopel nennt die bis dato Brüder aus Russland nunmehr nur noch „Freunde“, während Russland die Anerkennung der Ökumenizität des Patriarchats von Konstantinopel verweigert. Auf diese Weise werden die grundlegenden Fundamente der Einheit der Kirche ruiniert: die Brüderlichkeit, die in der panorthodoxen Koinonia Ausdruck findet, die Ökumenizität, deren Garant, den Kirchenkanonen und der historischen Überlieferung nach, Konstantinopel darstellt.

  I.In Wahrheit stellt die Unabhängigkeit der Ukraine keine dringende Notwendigkeit dar, sondern ist vielmehr eine Frage von Rechten und trotzigen politischen Forderungen, im Gegensatz zur Einheit der Kirche, bei dem es sich um ein evangelisches Gebot handelt, das nicht verhandelbar ist. Was muss als wichtiger erachtet werden: die Unabhängigkeit einer örtlichen Kirche oder die Einheit aller in „Einer, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche“?
  Welche Personen fordern diese Unabhängigkeit überhaupt? Ist es möglich, dass ein weltlicher Präsident von zweifelhafter Spiritualität und ein Mann mit bedenklichen ekklesiologischen Interessen, der bis heute als schismatisch angesehen wurde und sich selbst zum „Patriarchen“ ernannte, die adäquaten Personen sind, um im Heiligen Geist der Notwenigkeit und den Willen Gottes, wie auch den Sorgen der Kirche in der Ukraine Ausdruck zu verleihen?
  Obwohl man die Stimmen derjenigen nicht zu hören beliebt, die sich gegen die Autokephalie aussprechen, wird die Hoffnung auf Einheit auf jene gestützt, die bereits seit vielen Jahren ein Schisma verursacht haben und allen „heimatlosen“ Altkalendariern Griechenlands, und nicht nur Griechenlands, Zuflucht bieten.
  Wenn Philaret im Jahr 1990 zum Patriarchen von Moskau gewählt worden wäre, wie er es sich gewünscht aber nicht erzielt hatte, würde er wohl heute kaum darum bitten, zum Metropoliten der autokephalen Ukrainischen Kirche ernannt zu werden. Und zwar von wem? Von der Moskauer Synode, an deren Spitze er gestanden hätte, oder aber von Konstantinopel, dem er heute angeblich Ehre zollt und vor dem er demütig sein Haupt neigt?

  II.Der christlichen Denkweise nach bekommt nicht derjenige Recht, der nur an seine eigenen Interessen denkt, sondern derjenige, der sie beschützt, ohne aber das Gleichgewicht der Liebe, des Friedens, der Geduld, der Vergebung und der Versöhnung außer Acht zu lassen. Denn nur auf diese Weise können die „Rechte Gottes“ beschützt werden. Unser Heil fundiert auf der größten Ungerechtigkeit: „Die Strafe des gerechten Urteils wurde aufgehoben durch das ungerechte Urteil des Gerechten“1. Ein Glück, dass der Herr sich nicht auch auf seine Rechte berief!
In der gegenwärtigen Situation wird der Konflikt im Hinblick auf die Rechte der die Autokephalie der Ukraine Gewährenden betrachtet, d.h. des Phanar und Moskaus und ihre historische oder politisch-ökonomische Macht, und nicht etwa der evangelischen Botschaft oder zumindest der existenten Bedürfnisse der Ukraine. Darüber hinaus zeichnen sich im Horizont mächtige politische Interessen, Anweisungen und Druck ab. Man könnte sagen, dass von der Frohen Botschaft allein „der Titel“ erwähnt wird.

 III.Wie kann sich all dies nur vereinbaren lassen mit der Botschaft des gekreuzigten Gottes, dem Ethos der Seligpreisungen und der Bergpredigt, mit dem linteum des Letzten Abendmahles, mit den Überlieferungen des Herrn bezüglich der Diakonie und der ehrenwerten Stellung des Letzten, mit dem hohepriesterlichen Gebet des Herrn „auf dass sie alle eins seien“, mit der Lehre und dem Geist von Apostel Paulus, mit den Sonntagspredigten und den Rundschreiben, die bei großen Kirchenfesten verlesen werden? Kann es sein, dass durch die Anwendung der Kirchenkanonen das Evangelium ersetzt wird?
Es ist vollkommen unverständlich, wie sich Kirchen, die seit tausend Jahren verbrüdert sind, jeweils über die Entdeckung von Fehlern und Missständen beim jeweils anderen freuen. Kann es sein, dass die Spannung, die jetzt besteht, ein Hinweis darauf ist, dass auch in der Vergangenheit die Liebe auf keinem festen Fundament stand? Wie lässt sich sonst erklären, dass Kirchenoberhäupter mit Inbrunst den interchristlichen und iterreligiösen Dialog verteidigen, während sie sich untereinander der Kommunion verweigern? Warum fällt es ihnen so schwer zu akzeptieren, dass die Gnade Gottes die andere Seite eventuell auf eine etwas andere Art und Weise erleuchtet hat? Steht uns etwa das ganze Licht zu? Fällt kein einziger Strahl auf die anderen, die bis heute unsere Brüder waren? Ist nicht gerade darin die Essenz der Kommunion zu finden, dass man gegenseitiges Verständnis aufbringt?
Außerdem werden die Folgen eines drohenden Schisma überhaupt nicht bedacht. Die Gläubigen, die keine Schuld trifft, werden von den heiligen Stätten der anderen ausgeschlossen. Warum sollten die Russen auf eine Pilgerreise auf dem Heiligen Berg oder auf Patmos verzichten, oder die Griechischsprachigen auf eine Pilgerreise zum heiligen Seraphim von Sarof, den Höhlen von Kiew, Valamo oder anderen russischen Neumärtyrern? Ist die göttliche Gnade nicht global und muss sie nicht geteilt werden können? Wenn uns der gleiche Glaube und die Dogmen vereinen, ist es dann nicht falsch, einen Zwiespalt aufgrund einer Uneinigkeit in der Verwaltung entstehen zu lassen?
Für wen wurde das Evangelium der Liebe, der Vergebung, der Einheit letztendlich geschrieben und zu welchem Zweck? Betrifft es nicht auch uns und die Herausforderungen unserer Zeit?

IV.Welches wird zudem in Zukunft das Orthodoxe Bekenntnis in der Diaspora oder in den zu missionierenden Ländern sein? Welchen Christus werden noch wir predigen und bekennen können? Diesen, der uns „alle zur Einheit rief“, aber dessen Worte wir mit unserem eigenen Leben verwerfen und der seit nunmehr zweitausend Jahren nicht einmal seine Gläubigen vereinigen konnte? Die Zufriedenheit aus der Anerkennung der Autopkephalie ist kurzweilig und wird nur von wenigen empfunden. Die Beunruhigung der Gläubigen und der ganzen Welt ist unvergleichbar größer und betrifft die Allgemeinheit. Die Sünde des Schisma ist eine unheilbare, die niemals vergeben wird.
V.Aber ich frage mich auch, ob es richtig ist, dass Moskau seine Kleriker und Gläubigen dafür tadelt, wenn sie auf dem Heiligen Berg und eventuell später auch in Jerusalem und Griechenland an der heiligen Kommunion teilnehmen. Kann es sein, dass die heilige Kommunion als politisches Druckmittel und Drohung benutzt wird? Haben wir aus unserer tausendjährigen Kommunion nicht Kostbareres schöpfen können? Vielleicht wäre eine vorläufige Unterbrechung des Gedenkens auf der patriarchalischen Ebene denkbar, als ein starkes Zeichen von Protest, aber keinesfalls die Unterbrechung der Kommunion der Gläubigen. Die Kirche hat auch zur Aufgabe, das Volk Gottes an die Heiligkeiten heranzuführen; stattdessen werden sie sich dadurch von ihnen und der heiligen Gnade trennen müssen. Wäre es nicht vielleicht klüger, den Glauben des Volkes zu stärken, damit es seine Hierarchen zur Besinnung bringt, anstatt ihren Glauben zu schwächen?
Wir hoffen, dass der Patriarch seine ökumenische Umarmung so sehr öffnen kann und wird, dass auch die Russen dort einen Platz finden. Aber auch die Ukrainer werden sich ekklesiologisch nicht vereinen können, wenn sie nicht vorher lernen, innerhalb der Kirche den Russen zu vergeben und sich mit ihnen zu vereinen. Die Kirche ist dann wirklich Kirche, wenn sie keine Feinde kennt. Die weisen Worte des erst kürzlich vom Patriarchen heiliggesprochenen seligen Amphilochios von Patmos könnten nicht aktueller sein: „Wollt ihr euch an denjenigen rächen, die euch schaden? Die beste Rache heißt Liebe. Selbst Ungeheuer können durch die Liebe verwandelt werden“.

  Ich erwarten aber, dass auch unsere heiligen Väter in Russland, denen das Volk am Ende jeder Gebetsfolge gedenkt, verstehen werden, dass sie die Kirche mithilfe der heiligen Gnade vereinen und die Herzen aller Orthodoxen gewinnen können, wenn sie in Demut und nicht mit der Gesinnung von Eroberern handeln. Es besteht kein Grund für ein weltliches „Drittes Rom“, aber sicherlich für ein spirituelles „Erstes und Heiliges Moskau“. Sie können in unserem Herzen den ersten Platz einnehmen. Mit dem Duft der Erfahrungen aus den jüngsten unerbittlichen Verfolgungen und der Schar an Neumärtyrern erwarten wir, dass sie die Kirche mit dem wunderbaren Bekenntnis der Einheit beschenken werden. So schlecht der Hochmut des Kleinen und Schwachen ist, so groß ist die demütige Weisheit des Mächtigen und Starken. Diese Not teilen wir alle, denn letztendlich interessiert uns kaum, wer die Macht oder das Recht auf seiner Seite hat, sondern wer im Heiligen Geist handelt und Seine Gnade übertragen kann.
Die inspirierte Aufforderung von Apostel Paulus „So ihr euch aber untereinander beißet und fresset, so seht zu, daß ihr nicht untereinander verzehrt werdet” (Gal 5,15) zeigt uns allen den rechten Weg. In den ekklesiologischen Konflikten zwischen Brüdern kann es keine Gewinner geben. Alle sind im Grunde Verlierer. Wenn wir uns aber versöhnen, gibt es keine Verlierer. Alle sind Gesegnet.
Selbst Nordkorea konnte sich mit Südkorea versöhnen, aber wir können nicht zur Übereinstimmung kommen, obwohl wir täglich das „Vater unser“ mit unserem Herzen und unseren Lippen beten.
  Innig bete ich darum, dass der Herr uns „mit der Versuchung auch den Ausgang“ beschert und uns bald zur Reue und Frieden führt. Amen.
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1 Aus dem Doxastikon der Vesper zum Fest der Kreuzverehrung. Das ganze Troparion (in freier Übersetzung): Kommet alle Völker und verneigt euch vor dem seligen Holz (des Kreuzes), durch welches die ewige Rechtfertigung (Erlösung) des Menschen stattfand. Denn er (der Satan), der den Vorvater Adam durch das Holz (der Baum des Lebens) täuschte, wird durch das Kreuz irregeführt; und er fiel mit Wucht wie eine bemitleidenswerte Leiche, er, der zuvor über den Menschen wie ein Tyrann herrschte. Mit dem Blut Gottes wurde das Schlagengift ausgewaschen. Auch der Fluch wurde gelöst, der gerechte Strafe war, durch die ungerechte Strafe und das Urteil über den einzig Gerechten (Christus). Denn durch das Holz (das Kreuz) sollte die Sünde des Holzes (Der Baum des Ungehorsams) geheilt werden und mit Leiden (dem Kreuzopfer) des Leidenschaftslosen sollten die (menschlichen) Leidenschaften des verurteilungswürdigen Menschen, die durch das Kosten der verbotenen Frucht entstanden war, beseitigt werden. Dir gebührt Lob, Christus König, wegen Deiner unvorstellbaren und vortrefflichen Oikonomie, die Du für uns vorausschauend ausarbeitetest und durch die Du uns alle als Gütiger und Menschenliebender errettetest.

 Übersetzung: Alexia Ghika- Kyriazi