In den letzten Monaten sind wir Zeugen
einer äußert gefährlichen und oberflächlich betrachtet unbegründeten
Krise im Innern unserer Kirche geworden, die durch die bevorstehende
Anerkennung der Unabhängigkeit der Ukrainischen Kirche, oder wohl besser
gesagt Erschaffung einer autokephalen Kirche in der Ukraine, ausgelöst
wurde. Es scheint so, als stellten die interorthodoxen Beziehungen in
der heutigen Zeit ein signifikantes Problem dar, während die Einigkeit
mit heterodoxen begrüßt und gefördert wird. Die Orthodoxen bekunden sich
zwar gegenseitig ihre Zuwendung, aber sie richten sie in der Praxis
zugrunde; sie beteuern die gegenseitige Verbindung im Sinne der
Koinonia, doch mit ihren Handlungen beweisen sie das Gegenteil. Das
Pleroma indes kann nur beobachten, wie auf den Gipfeln der Hierarchie
mit juristischen Argumenten debattiert wird, wie befeindete Lager und
Gruppen von „Gefolgsmännern“ geschaffen werden, anstatt die Gläubigen zu
vereinen. Es ist ein Jammer! In diesem Konflikt gibt es einen Vorwand
und eine tatsächliche Ursache. Vorwand ist die Notwendigkeit einer
Unabhängigkeit der Ukrainischen Kirche. Ursache hingegen das Recht auf
Gewährung und Anerkennung. Denn es geht in Wirklichkeit allein darum,
wem dieses Recht zusteht.
Die Worte, die man dabei oft vernehmen kann sind historische Privilegien, Rechte und Kirchenkanonen. Leider hört man niemals das Wort Evangelium.
Die erste Frage lautet: Ist die Unabhängigkeit tatsächlich spirituell
so unabdingbar? Und wenn ja, hätte man dann nicht noch ein bisschen
warten können? Zweitens: Sind unsere Rechte wirklich so wichtig, dass
wir sie verteidigen sollten, indem wir die Rechte unserer Brüder außer
Acht lassen oder sie sogar bekämpfen, sodass unsere tausendjährige
Koinonia mit ihnen jäh unterbrochen wird? Und drittens: Ist das
Heranziehen von historischen Rechten und Kirchenkanonen wesentlicher als
die Botschaft des Evangeliums?
Konstantinopel nennt die bis dato Brüder
aus Russland nunmehr nur noch „Freunde“, während Russland die
Anerkennung der Ökumenizität des Patriarchats von Konstantinopel
verweigert. Auf diese Weise werden die grundlegenden Fundamente der
Einheit der Kirche ruiniert: die Brüderlichkeit, die in der
panorthodoxen Koinonia Ausdruck findet, die Ökumenizität, deren Garant,
den Kirchenkanonen und der historischen Überlieferung nach,
Konstantinopel darstellt.
I.In Wahrheit stellt die Unabhängigkeit
der Ukraine keine dringende Notwendigkeit dar, sondern ist vielmehr eine
Frage von Rechten und trotzigen politischen Forderungen, im Gegensatz
zur Einheit der Kirche, bei dem es sich um ein evangelisches Gebot
handelt, das nicht verhandelbar ist. Was muss als wichtiger erachtet
werden: die Unabhängigkeit einer örtlichen Kirche oder die Einheit aller
in „Einer, Heiligen, Katholischen und Apostolischen Kirche“?
Welche Personen fordern diese
Unabhängigkeit überhaupt? Ist es möglich, dass ein weltlicher Präsident
von zweifelhafter Spiritualität und ein Mann mit bedenklichen
ekklesiologischen Interessen, der bis heute als schismatisch angesehen
wurde und sich selbst zum „Patriarchen“ ernannte, die adäquaten Personen
sind, um im Heiligen Geist der Notwenigkeit und den Willen Gottes, wie
auch den Sorgen der Kirche in der Ukraine Ausdruck zu verleihen?
Obwohl man die Stimmen derjenigen nicht
zu hören beliebt, die sich gegen die Autokephalie aussprechen, wird die
Hoffnung auf Einheit auf jene gestützt, die bereits seit vielen Jahren
ein Schisma verursacht haben und allen „heimatlosen“ Altkalendariern
Griechenlands, und nicht nur Griechenlands, Zuflucht bieten.
Wenn Philaret im Jahr 1990 zum
Patriarchen von Moskau gewählt worden wäre, wie er es sich gewünscht
aber nicht erzielt hatte, würde er wohl heute kaum darum bitten, zum
Metropoliten der autokephalen Ukrainischen Kirche ernannt zu werden. Und
zwar von wem? Von der Moskauer Synode, an deren Spitze er gestanden
hätte, oder aber von Konstantinopel, dem er heute angeblich Ehre zollt
und vor dem er demütig sein Haupt neigt?
II.Der christlichen Denkweise nach
bekommt nicht derjenige Recht, der nur an seine eigenen Interessen
denkt, sondern derjenige, der sie beschützt, ohne aber das Gleichgewicht
der Liebe, des Friedens, der Geduld, der Vergebung und der Versöhnung
außer Acht zu lassen. Denn nur auf diese Weise können die „Rechte
Gottes“ beschützt werden. Unser Heil fundiert auf der größten
Ungerechtigkeit: „Die Strafe des gerechten Urteils wurde aufgehoben
durch das ungerechte Urteil des Gerechten“1. Ein Glück, dass der Herr
sich nicht auch auf seine Rechte berief!
In der gegenwärtigen Situation wird der
Konflikt im Hinblick auf die Rechte der die Autokephalie der Ukraine
Gewährenden betrachtet, d.h. des Phanar und Moskaus und ihre historische
oder politisch-ökonomische Macht, und nicht etwa der evangelischen
Botschaft oder zumindest der existenten Bedürfnisse der Ukraine. Darüber
hinaus zeichnen sich im Horizont mächtige politische Interessen,
Anweisungen und Druck ab. Man könnte sagen, dass von der Frohen
Botschaft allein „der Titel“ erwähnt wird.
III.Wie kann sich all dies nur
vereinbaren lassen mit der Botschaft des gekreuzigten Gottes, dem Ethos
der Seligpreisungen und der Bergpredigt, mit dem linteum des Letzten
Abendmahles, mit den Überlieferungen des Herrn bezüglich der Diakonie
und der ehrenwerten Stellung des Letzten, mit dem hohepriesterlichen
Gebet des Herrn „auf dass sie alle eins seien“, mit der Lehre und dem
Geist von Apostel Paulus, mit den Sonntagspredigten und den
Rundschreiben, die bei großen Kirchenfesten verlesen werden? Kann es
sein, dass durch die Anwendung der Kirchenkanonen das Evangelium ersetzt
wird?
Es ist vollkommen unverständlich, wie
sich Kirchen, die seit tausend Jahren verbrüdert sind, jeweils über die
Entdeckung von Fehlern und Missständen beim jeweils anderen freuen. Kann
es sein, dass die Spannung, die jetzt besteht, ein Hinweis darauf ist,
dass auch in der Vergangenheit die Liebe auf keinem festen Fundament
stand? Wie lässt sich sonst erklären, dass Kirchenoberhäupter mit
Inbrunst den interchristlichen und iterreligiösen Dialog verteidigen,
während sie sich untereinander der Kommunion verweigern? Warum fällt es
ihnen so schwer zu akzeptieren, dass die Gnade Gottes die andere Seite
eventuell auf eine etwas andere Art und Weise erleuchtet hat? Steht uns
etwa das ganze Licht zu? Fällt kein einziger Strahl auf die anderen, die
bis heute unsere Brüder waren? Ist nicht gerade darin die Essenz der
Kommunion zu finden, dass man gegenseitiges Verständnis aufbringt?
Außerdem werden die Folgen eines
drohenden Schisma überhaupt nicht bedacht. Die Gläubigen, die keine
Schuld trifft, werden von den heiligen Stätten der anderen
ausgeschlossen. Warum sollten die Russen auf eine Pilgerreise auf dem
Heiligen Berg oder auf Patmos verzichten, oder die Griechischsprachigen
auf eine Pilgerreise zum heiligen Seraphim von Sarof, den Höhlen von
Kiew, Valamo oder anderen russischen Neumärtyrern? Ist die göttliche
Gnade nicht global und muss sie nicht geteilt werden können? Wenn uns
der gleiche Glaube und die Dogmen vereinen, ist es dann nicht falsch,
einen Zwiespalt aufgrund einer Uneinigkeit in der Verwaltung entstehen
zu lassen?
Für wen wurde das Evangelium der Liebe,
der Vergebung, der Einheit letztendlich geschrieben und zu welchem
Zweck? Betrifft es nicht auch uns und die Herausforderungen unserer
Zeit?
IV.Welches wird zudem in Zukunft das
Orthodoxe Bekenntnis in der Diaspora oder in den zu missionierenden
Ländern sein? Welchen Christus werden noch wir predigen und bekennen
können? Diesen, der uns „alle zur Einheit rief“, aber dessen Worte wir
mit unserem eigenen Leben verwerfen und der seit nunmehr zweitausend
Jahren nicht einmal seine Gläubigen vereinigen konnte? Die Zufriedenheit
aus der Anerkennung der Autopkephalie ist kurzweilig und wird nur von
wenigen empfunden. Die Beunruhigung der Gläubigen und der ganzen Welt
ist unvergleichbar größer und betrifft die Allgemeinheit. Die Sünde des
Schisma ist eine unheilbare, die niemals vergeben wird.
V.Aber ich frage mich auch, ob es
richtig ist, dass Moskau seine Kleriker und Gläubigen dafür tadelt, wenn
sie auf dem Heiligen Berg und eventuell später auch in Jerusalem und
Griechenland an der heiligen Kommunion teilnehmen. Kann es sein, dass
die heilige Kommunion als politisches Druckmittel und Drohung benutzt
wird? Haben wir aus unserer tausendjährigen Kommunion nicht Kostbareres
schöpfen können? Vielleicht wäre eine vorläufige Unterbrechung des
Gedenkens auf der patriarchalischen Ebene denkbar, als ein starkes
Zeichen von Protest, aber keinesfalls die Unterbrechung der Kommunion
der Gläubigen. Die Kirche hat auch zur Aufgabe, das Volk Gottes an die
Heiligkeiten heranzuführen; stattdessen werden sie sich dadurch von
ihnen und der heiligen Gnade trennen müssen. Wäre es nicht vielleicht
klüger, den Glauben des Volkes zu stärken, damit es seine Hierarchen zur
Besinnung bringt, anstatt ihren Glauben zu schwächen?
Wir hoffen, dass der Patriarch seine
ökumenische Umarmung so sehr öffnen kann und wird, dass auch die Russen
dort einen Platz finden. Aber auch die Ukrainer werden sich
ekklesiologisch nicht vereinen können, wenn sie nicht vorher lernen,
innerhalb der Kirche den Russen zu vergeben und sich mit ihnen zu
vereinen. Die Kirche ist dann wirklich Kirche, wenn sie keine Feinde
kennt. Die weisen Worte des erst kürzlich vom Patriarchen
heiliggesprochenen seligen Amphilochios von Patmos könnten nicht
aktueller sein: „Wollt ihr euch an denjenigen rächen, die euch schaden?
Die beste Rache heißt Liebe. Selbst Ungeheuer können durch die Liebe
verwandelt werden“.
Ich erwarten aber, dass auch unsere
heiligen Väter in Russland, denen das Volk am Ende jeder Gebetsfolge
gedenkt, verstehen werden, dass sie die Kirche mithilfe der heiligen
Gnade vereinen und die Herzen aller Orthodoxen gewinnen können, wenn sie
in Demut und nicht mit der Gesinnung von Eroberern handeln. Es besteht
kein Grund für ein weltliches „Drittes Rom“, aber sicherlich für ein
spirituelles „Erstes und Heiliges Moskau“. Sie können in unserem Herzen
den ersten Platz einnehmen. Mit dem Duft der Erfahrungen aus den
jüngsten unerbittlichen Verfolgungen und der Schar an Neumärtyrern
erwarten wir, dass sie die Kirche mit dem wunderbaren Bekenntnis der
Einheit beschenken werden. So schlecht der Hochmut des Kleinen und
Schwachen ist, so groß ist die demütige Weisheit des Mächtigen und
Starken. Diese Not teilen wir alle, denn letztendlich interessiert uns
kaum, wer die Macht oder das Recht auf seiner Seite hat, sondern wer im
Heiligen Geist handelt und Seine Gnade übertragen kann.
Die inspirierte Aufforderung von Apostel
Paulus „So ihr euch aber untereinander beißet und fresset, so seht zu,
daß ihr nicht untereinander verzehrt werdet” (Gal 5,15) zeigt uns allen
den rechten Weg. In den ekklesiologischen Konflikten zwischen Brüdern
kann es keine Gewinner geben. Alle sind im Grunde Verlierer. Wenn wir
uns aber versöhnen, gibt es keine Verlierer. Alle sind Gesegnet.
Selbst Nordkorea konnte sich mit
Südkorea versöhnen, aber wir können nicht zur Übereinstimmung kommen,
obwohl wir täglich das „Vater unser“ mit unserem Herzen und unseren
Lippen beten.
Innig bete ich darum, dass der Herr uns
„mit der Versuchung auch den Ausgang“ beschert und uns bald zur Reue und
Frieden führt. Amen.
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1 Aus dem Doxastikon der Vesper zum Fest der Kreuzverehrung. Das ganze Troparion (in freier Übersetzung): Kommet alle Völker und verneigt euch vor dem seligen Holz (des Kreuzes), durch welches die ewige Rechtfertigung (Erlösung) des Menschen stattfand. Denn er (der Satan), der den Vorvater Adam durch das Holz (der Baum des Lebens) täuschte, wird durch das Kreuz irregeführt; und er fiel mit Wucht wie eine bemitleidenswerte Leiche, er, der zuvor über den Menschen wie ein Tyrann herrschte. Mit dem Blut Gottes wurde das Schlagengift ausgewaschen. Auch der Fluch wurde gelöst, der gerechte Strafe war, durch die ungerechte Strafe und das Urteil über den einzig Gerechten (Christus). Denn durch das Holz (das Kreuz) sollte die Sünde des Holzes (Der Baum des Ungehorsams) geheilt werden und mit Leiden (dem Kreuzopfer) des Leidenschaftslosen sollten die (menschlichen) Leidenschaften des verurteilungswürdigen Menschen, die durch das Kosten der verbotenen Frucht entstanden war, beseitigt werden. Dir gebührt Lob, Christus König, wegen Deiner unvorstellbaren und vortrefflichen Oikonomie, die Du für uns vorausschauend ausarbeitetest und durch die Du uns alle als Gütiger und Menschenliebender errettetest.
1 Aus dem Doxastikon der Vesper zum Fest der Kreuzverehrung. Das ganze Troparion (in freier Übersetzung): Kommet alle Völker und verneigt euch vor dem seligen Holz (des Kreuzes), durch welches die ewige Rechtfertigung (Erlösung) des Menschen stattfand. Denn er (der Satan), der den Vorvater Adam durch das Holz (der Baum des Lebens) täuschte, wird durch das Kreuz irregeführt; und er fiel mit Wucht wie eine bemitleidenswerte Leiche, er, der zuvor über den Menschen wie ein Tyrann herrschte. Mit dem Blut Gottes wurde das Schlagengift ausgewaschen. Auch der Fluch wurde gelöst, der gerechte Strafe war, durch die ungerechte Strafe und das Urteil über den einzig Gerechten (Christus). Denn durch das Holz (das Kreuz) sollte die Sünde des Holzes (Der Baum des Ungehorsams) geheilt werden und mit Leiden (dem Kreuzopfer) des Leidenschaftslosen sollten die (menschlichen) Leidenschaften des verurteilungswürdigen Menschen, die durch das Kosten der verbotenen Frucht entstanden war, beseitigt werden. Dir gebührt Lob, Christus König, wegen Deiner unvorstellbaren und vortrefflichen Oikonomie, die Du für uns vorausschauend ausarbeitetest und durch die Du uns alle als Gütiger und Menschenliebender errettetest.
Übersetzung: Alexia Ghika- Kyriazi