Mittwoch, 30. April 2014

Die Ehe- Überbleibsel vom Paradies

von Priester Andrey Dudchenko

Der Himmel auf Erden, das Sakrament der Liebe - das ist die Ehe im Verständnis der Kirche. In einer kurzen, allgemein verständlichen Abhandlung über das Sakrament der Ehe und die Institution der Familie als „Kirche im Kleinen" legt Priester Andrej Dudchenko die orthodoxe Lehre zu diesem Thema dar, nachdem er zu Beginn mit Vorurteilen aufräumt, die das Denken nicht nur kirchenferner Menschen immer noch prägen.


In unseren Tagen ist die Orthodoxie, so seltsam das scheint, immer noch die "unbekannte Religion". Und das nicht nur für "Außenstehende", sondern auch für Menschen, die sich zur Kirche gehörig zählen. Die Orthodoxie wird von ihnen als ein System von Verboten aufgefasst.
Eines der Stereotypen im Bewusstsein der Menschen behauptet, dass die Kirche intimen Beziehungen zwischen Mann und Frau negativ entgegensteht. Viele nehmen sogar vollkommen grundlos an, dass die erste Sünde der Menschheit darin bestand, dass sich Adam und Eva geschlechtlich vereinigten. Doch ist die Meinung der Kirche zu geschlechtlichen Beziehungen eine vollkommen andere.
Zweifellos ruft die Kirche dazu auf, dass sich die Menschen von gelegentlichen Geschlechtsbeziehungen fernhalten, von ehelicher Untreue, von unnatürlichen Vereinigungen -aber absolut nicht deshalb, weil die Sünde in der Sexualität des Menschen gesehen wird. Die Fähigkeit, Kinder zu empfangen und zu gebären, und also auch die Sexualität, sind vom Anbeginn in die Natur des Menschen hineingelegt, bereits bei seiner Erschaffung. Und das ist nichts Böses, ist keine Sünde. Sündhaft wird der falsche Gebrauch dieser Fähigkeit genannt werden, oder die Einnahme einer wichtigeren Rolle als notwendig. Die Kirche tritt immer gegen eine Vulgarisierung des menschlichen Lebens auf und bietet als Gegenpol an, nicht auf sexuelle Beziehungen zu verzichten, sondern sie in einer christlichen Ehe zu weihen.

Der Himmel auf Erden, das Sakrament der Liebe -das ist die Ehe im Verständnis der Kirche. Ein Mann und eine Frau, die sich begegnen, einander liebgewinnen und sich bis zum Ende annehmen, werden zu etwas Größerem, als bloß zwei Menschen -sie werden zu einer Einheit.
"In einer Welt, in der alles und jeder auseinander geht, ist die Ehe ein Ort, in dem zwei Menschen eins werden, dank dem, daß sie einander lieb gewannen; ein Ort, an dem die Zwietracht aufhört, wo die Umsetzung eines einigen Lebens beginnt", sagt Mitropolit Antonij von Surozh. Die Ehe als eine Einheit von zweien in dieser Welt der Zerstreuung ist tatsächlich ein Sakrament, das den Normalzustand des Menschen übersteigt.
Eine echte christliche Familie stellt eine Kirche im Kleinen dar. Diese Bezeichnung ist nicht zufällig. "In jeder Ehe wird Christus im Mann und die Kirche in der Frau geehrt", schreibt der Hl. Gregorios der Theologe. Die Heilige Schrift vergleicht die Beziehung zwischen Gott und der Kirche oft mit den Beziehungen des Ehemannes zur Frau: "Männer, liebt eure Frauen, wie auch Christus die Kirche liebgewann und Sich für sie hingab...". Der tiefgründigste Triumph der Freude und der Liebe wird im Buch der Offenbarung als die Ehe des Lamms vorgestellt, was die Vereinigung der Gläubigen mit Christus bedeutet, wenn Gott und Mensch durch ein  gemeinsames Leben vereint sind. Das "Allerheiligste" der Bibel -das Lied der Lieder -stellt eine begeisterte Liebeshymne dar. Dieses heilige Lied auf die Ehe -ein echtes Chef d'oeuvre der alttestamentlichen Poesie kann keinen Leser unberührt lassen. "Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel an deinen Arm: Stark wie der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt. Ihre Pfeile sind Feuerpfeile -gewaltige Flammen. Auch mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen, und Ströme schwemmen sie nicht hinweg. Böte einer für die Liebe den ganzen Reichtum seines Hauses, mit Verachtung würde er abgewiesen". Es ist kaum möglich, die menschliche Liebe tiefer und treffender zu beschreiben.

Die erste Familie gab es im Paradies. Adam in einen "festen Schlaf" ("ekstasis", griech.) führend, schuf Gott aus dessen "Rippe", d.h. aus einem Teil seiner Natur, die "Erfüllende" Frau, Helferin. Im Unterschied zu Adam wurde die Frau direkt im paradiesischen Garten erschaffen, und sie -das paradiesische Geschöpf -wurde dem Mann zur Erweckung der Liebe gegeben. Die Schrift der Bibel spricht davon, daß die Frau mit dem Mann eines Wesens sind, dass sie beide zwei Teile eines Wesens sind, die einander ergänzen. Als er Eva sah, rief Adam: "Das ist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein!", und weiter: "Darum verlässt der Mensch Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch". Die ersten Menschen begreifen die gegenseitige Notwendigkeit und ihre gemeinsame Herkunft. Adam kann schon nicht mehr allein leben, er fühlt, daß es ihm zur Fülle des Lebens an etwas mangelt. Und, Einheit mit der Frau erreichend, taucht er in das Leben selbst ein.
Der Sündenfall des ersten Ehepaares schädigte die menschliche Natur, hat aber die Ehe nicht im mindesten überflüssig gemacht. Bis heute sind echte Familien Inseln des Paradieses auf Erden. Für einander liebende Ehepartner sind alle übrigen Güter zweitrangig. Es geht ihnen gut zusammen, sie fühlen, daß ihre Liebe in die Unendlichkeit reicht. Ihre Liebe ist so tief, daß es falsch wäre, sie als Gefühl zu bezeichnen sie ist vielmehr der Zustand des ganzen Wesens.

Diese Liebe ist nicht die jugendliche begeisterte Verliebtheit, die keinen Makel am Erwählten erkennt; nach den Worten des Mitropoliten Antonij von Surozh ist der wahren Liebe auch das Leid nicht fremd: "Die Liebe ist eben das größte, äußerste Leid, der Schmerz darüber, dass der Mensch unvollkommen ist, und gleichzeitig die Freude darüber, dass er so erstaunlich, so einzigartig wunderbar ist". Sich liebende Gatten erfahren sich bis zu einer solchen Tiefe, sie "verbinden sich in einer derartigen Unergründlichkeit gemeinsamen Erlebens, wo es keiner Worte mehr bedarf: sie sind beieinander, und wenn die Liebe fest genug ist, sind sie zu einem Ganzen geworden". Solch eine Einheit ist für jeden von uns zugänglich. Wir kennen das wahrscheinlich aus eigener Erfahrung. Folgendermaßen beschreibt das Mitropolit Antonij: "Wer von euch saß nie mit einem ihm teuren Menschen des Abends beisammen, wenn die Dämmerung herabfällt, wenn rundherum alles still wird. Erst läuft das Gespräch, es erstirbt dann, doch es bleibt eine besondere Stille; wir lauschen den Geräuschen: dem Knacken des Holzes im Kamin, dem Ticken der Uhr, den entfernteren Geräuschen von Außen; dann verschwinden auch diese Klänge, und es tritt ein tiefes Schweigen ein, eine Stille der Seele. Und in dieser Stille der Seele spürst du plötzlich, wie nahe du deinem Freund geworden bist, jenem Menschen, der sich bei dir befindet".
Die Erlangung einer gottähnlichen Einigkeit ist das Hauptziel der Ehe. "Die Liebe ist  dergestalt", schreibt der Hl. Johannes Chrysostomos, "daß die Liebenden schon nicht mehr zwei, sondern nur noch einen Menschen darstellen, was durch nichts bewirkt werden kann als durch die Liebe... wenn sich Mann und eine Frau zur Ehe zusammenschließen, sind sie nicht das Abbild irgend etwas unbeseelten, sondern ein Abbild Gottes Selbst". "Um die Sakramente der göttlichen Einheit zu zeigen", schreibt der Hl. Theophilos, "schuf Gott die Frau und Adam zusammen, damit zwischen ihnen große Liebe herrschte". Das Geheimnis der Ehe gleicht dem Geheimnis der Dreieinigkeit -Gott, der Einer dem Wesen und Dreifach den Personen nach ist.
Nur in Gemeinschaft mit Gott kann der Mensch ein vollwertiges Dasein haben, und deshalb gibt es in der richtigen Ehe immer drei Personen: den Mann, die Frau, und Gott, Der sie verbindet. Solch eine Ehe ist der Beginn von Gottes Reich. In einer alten Handschrift, die nicht ins überlieferte Evangelium eingeflossen ist, gibt es eine Passage, in der Christus gefragt wird,
"Wann kommt Gottes Reich?". Und Er antwortet: "Gottes Reich ist dort schon erschienen, wo zwei nicht mehr zwei, sondern eins sind..."
Die Ehe ist ein Bild des ewigen Lebens, sie hat endlose Dimension und hört nicht mit dem Tod  eines Partners auf. "Die Liebe hört nie auf", sagt Apostel Paulus von den Seiten der Schrift. Wunderbar konnte Gabriel Marcel das ausdrücken: "Einem Menschen zu sagen: "Ich liebe Dich" ist genauso, als würde man ihm sagen: "Du wirst ewig leben, Du wirst niemals sterben". Die Freude der ehelichen Beziehung, die Freude der Liebe wird dem Menschen für immer gegeben, und die Partner müssen diese Gabe behutsam bewahren und mehren. "Die eheliche Liebe ist die stärkste...", sagt der Hl. Johannes Chrysostomos. "Auch die anderen Triebe sind stark, doch dieser Trieb hat eine derartige Kraft, die niemals erschwacht. Und im kommenden  Zeitalter werden die Partner sich ohne Furcht treffen, und werden in Ewigkeit mit Christus und einander in großer Seligkeit verweilen".

Die Kirche versteht sehr gut, dass die Ehe nicht nur Freude ist. Die Ehe ist ein Leidensweg, und deswegen werden auf die Braut und den Bräutigam beim Sakrament der Eheschließung Märtyrerkränze aufgelegt. Ohne vollkommene Selbsthingabe, ohne die Abkehr vom eigenen Egoismus ist es unmöglich, eine echte Familie zu gründen. Die Liebe, die Mann und Frau verbindet, darf vor keinen Prüfungen aufhören, nicht einmal im Angesicht des Todes (...). "Ich schätze dich kostbarer als meine Seele", sagt der Mann zur Frau beim Hl. Johannes Chrysostomos. Man kann nicht zum Eigentümer dessen werden, den man liebt, denn jede Gewaltausübung auf den Willen des geliebten Menschen tötet die Liebe. "Der Mann ist das Haupt der Familie nicht weil er ein Mann ist", sagt Mitropolit Antonij, "sondern deshalb, weil er das Bild Christi ist, und seine Frau und seine Kinder können in ihm dieses Bild sehen, das heißt, das Bild grenzenloser, ergebener, aufopfernder Liebe, die zu allem bereit ist, um die Familie zu retten, zu beschützen, zu ernähren, zu trösten, zu erfreuen und zu erziehen". Weder die Hl. Schrift, noch die Kirche lehren eine tyrannische Herrschaft des Mannes und eine sklavische Ergebenheit der Frau, sondern vielmehr aufopfernde Liebe. Natürlich muss der Mann die Verantwortung auf sich nehmen, das Haupt der Familie zu werden, und die Frau in Demut den zweiten Platz einnehmen (bei dieser zweitrangigen Stellung gibt es nichts erniedrigendes, im Gegenteil, als Herrin des Hauses, das Haus mit Liebe und Wärme erfüllend, wird die Frau eine solche Achtung und Anerkennung von Seiten des Mannes bekommen, die sie nie in anderen Bereichen bekommen könnte). Jedoch dürfen die Beziehungen zwischen Ehepartnern niemals auf dem Schema Herr -Diener fußen. "Rufe sie nicht einfach so", sagt der Hl. Johannes Chrysostomos zum Mann, "sondern mit Zärtlichkeit, Würde, mit großer Liebe. Ehre sie, und sie wird keiner Ehre von anderen bedürfen, wenn sie Deine Achtung und Anerkennung hat. Ziehe sie allem vor, in allen Beziehungen, und in Bezug auf Schönheit und Klugheit lobe sie... Was ist das für eine Ehe, in der die Frau vor dem Mann zittert? Welche Freude soll ein Mann mit einer Frau haben, mit der er wie mit einer Sklavin zusammen lebt, und nicht wie mit einer Freien? Wenn es auch passiert, daß Du etwas für sie erdulden mußt, so murre nicht: Christus hat das auch nicht getan".
Die von uns beschriebene Tiefe ehelicher Beziehungen erreicht ihre Vollendung in der  körperlichen Vereinigung. Es wichtig, nie zu vergessen, dass die körperliche Vereinigung nicht der Anfang, sondern die Fülle und der Gipfel der Beziehung einander liebender Menschen ist. Dann wird es nicht zur gierigen Inbesitznahme des Gegenübers, sondern zu einem Sakrament, also zu einer Handlung, die ihren Ursprung und ihre Vollendung in Gott hat. Die Grundlage der Ehe muß die Keuschheit sein. Der heutige Mensch schreckt vor diesem Wort wegen seinem falschen Verständnis oft zurück; aber vollkommen umsonst. Nach den Worten des Mitropoliten Antonij besteht die Keuschheit "darin, dass, wenn man einen anderen Menschen sieht, in ihm jene Schönheit erkennt, die Gott in ihn gelegt hat, das Ebenbild Gottes erkennt; eine solche Schönheit erkennt, die man nicht besudeln kann, den Menschen in dieser Schönheit erkennt und Sorge trägt, dass diese Schönheit in ihm zunimmt und durch nichts befleckt wird; die Keuschheit besteht darin, die Ganzheit seiner Seele und der Seele eines anderen Menschen mit Weisheit zu bewahren". Wenn es in der Ehe Keuschheit gibt, dann wird die körperliche Vereinigung der Partner zu einer ehrfurchtsvollen Vereinigung, die jede Grobheit ausschließt.

Unsere Welt steckt in einer tiefen Krise des Mangels an Liebe. Es mangelt an Güte und Wärme in den zwischenmenschlichen Beziehungen. In einer solchen Welt sind richtige Familien Inseln des Lichts und der Freude. Die Liebe, die Mann und Frau verbindet, inspiriert sie nicht nur zu Hause, sondern überall und zu jeder Zeit. Ein Mensch, der Glück in seiner Familie erlebt, strahlt seine gütige Beziehung auf seine Umwelt aus. Und das ist eine Gesetzmäßigkeit: denn die Ehe ist eine Berührung des Paradieses, der Beginn von Gottes Reich. Die Schönheit ihrer  Beziehung müssen Mann und Frau wie ein großes Heiligtum bewahren, das ihnen von Gott geschenkt wurde, und nicht nur bewahren, sondern zur Vollkommenheit führen.

Quelle:  Портал Богослов.Ru


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