Die wundertätigen heiligen Neumärtyrer von Karyes
An
dieser Stelle möchte ich dem Leser die wahre Geschichte der Heiligen
von Karyes schildern, und auch über das Auffinden ihrer
wundertätigen Reliquien berichten, als uns der Herr aus den Tiefen
der Erde vor nicht allzu langer Zeit wunderbare Mysterien offenbart
hat. Dieses Kloster auf dem Hügel, in dem das Herz des müden
Wanderers von göttlicher Liebe durchflutet wird, und der Verstand
die unzähligen Wunderzeichen kaum erfassen und begreifen kann, ist
sicherlich einer der wichtigsten Wallfahrtsorte Griechenlands. Es
befindet sich nahe des Kurortes Thermē auf der Insel Lesbos (auch Lesvos).
Dort haben sich wahrlich wundersame Dinge zugetragen, doch wir werden
etwas ausholen müssen, um diese Ereignisse verständlich
wiederzugeben.
An
diesem heiligen Ort, der Karyes genannt wird und zur Ortschaft Thermē
gehört, besaß einst ein Türke namens Hassan Bey einen Olivenhain,
auf dem sich die Ruinen einer alten Kirche zu Ehren der allheiligen
Gottesmutter befanden. Dieser Ort wurde von jeher das „Allerheiligste
von Karyes“ genannt, auch „allheilige Jungfrau“ und
ferner „Mönch“. Die Bewohner von Thermē kamen jährlich
am Osterdienstag zusammen, um dort ehrfürchtig die heilige Liturgie
zu zelebrieren. Diese Gewohnheit hatten sie von ihren Vorfahren
übernommen, doch der tiefere Grund dafür war mittlerweile, über
die vielen Jahre, die ins Land gegangen waren, in Vergessenheit
geraten. Hassan Bey indes hinderte sie nie daran, diesen Gottesdienst
abzuhalten, obwohl er als besonders streng und erbarmungslos galt.
Manchmal
beobachteten einige der Anwohner eigenartige Phänomene, die sie
nicht erklären konnten. So sahen welche einen Mönch, der die Ruinen
der Kirche beweihräucherte und vor ihren Augen plötzlich
verschwand. Manchmal hörten sie Glocken und Gesänge, oder sahen ein
übernatürliches Licht, das aus den Ruinen kam. Nicht nur Christen,
sondern auch die andersgläubigen Türken sahen diese Erscheinungen.
All diese Zeichen ließen viele Menschen zu dem Schluss kommen, dass
auf dieser Stätte die göttliche Gnade weilte.
Nach
der Kleinasiatischen Katastrophe flüchteten tausende von Griechen,
die zuvor in Kleinasien lebten, nach Griechenland, und der Olivenhain
ging in die Hände der Flüchtlingsfamilie Marangou über. Doch nicht
aus Zufall, denn dies geschah mithilfe der Fürbitten der allheiligen
Gottesgebärerin, die der Mutter der Familie im Schlaf erschien und
ihr alles vorhersagte. Aggelikē Marangou versprach, zu Ehren der
Gottesmutter eine neue Kirche an diesem Ort erbauen zu lassen. Viele
Jahre später, im Jahre 1959, entschied ihre Tochter Vasilikē, die
nunmehr verheiratet war mit Aggelos Rallēs, endlich das Gelübde
ihrer Mutter einzulösen. Sie baten den örtlichen Metropoliten um
die entsprechende Genehmigung und begannen mit den Arbeiten.
Am
3. Juli 1959, während der Ausgrabungen der Fundamente, fand einer
der Arbeiter, Doukas Tsolakēs, ein Grab auf, in dem ein menschliches
Skelett lag; plötzlich empfand er in seinem Herzen eine
unbeschreibliche Freude. Ein Wohlgeruch kam aus dem Grab. Die Gebeine
waren von goldgelber Färbung. Die Hände waren auf der Brust
gekreuzt, aber der Schädel war vom übrigen Körper abgetrennt. Der
Unterkiefer fehlte und an seiner Stelle befand sich ein Ziegel, auf
dem drei byzantinische Kreuze aufgemalt waren. Der Duft verstärkte
sich und erfüllte die Luft. Sofort wurden Aggelos Rallē, der
Dorfpriester Euthymios Zolos, das Erzbistum, wie auch ein Archäologe
verständigt, denn man hatte außerdem Marmorplatten aus der
byzantinischen Epoche und andere archäologische Kostbarkeiten aus
der Erde geholt. Die Menschen fragten sich, wer wohl der gute Christ
gewesen war, der dort bestattet war: Die Geschichte des Ortes war
noch unbekannt. Doch man legte zunächst die Gebeine einfach in einen
Sack hinein, und maß diesen sonderbaren Zeichen keine Wichtigkeit
bei.
Doch
gleich darauf nahmen die übernatürlichen Phänomene zu. Der
Arbeiter Doukas Tsolakēs, der vollkommen ungläubig war und seit
Jahrzehnten den Kirchengang mied, spürte eine unsichtbare Kraft, die
ihn mehrmals daran hinderte, die Gebeine hochzuheben und zu
befördern. Er bekreuzigte sich zum ersten Mal wieder nach 24 Jahren
und war überzeugt davon, dass es sich beim Verstorbenen um „einen
gerechten Menschen“ handelte! Seine Ehefrau, Maria Tsolakē, kam
eines Tages zur Ausgrabungsstätte. Sie traf auf einen Priester, den
sie für einen der Dorfpriester hielt. Er näherte sich ihr und sie
verbeugte sich vor ihm und wollte ehrerbietig seine Hand küssen.
Doch da sah sie, dass er über dem Boden schwebte! Erschrocken traute
sie sich nicht mehr, seine Hand zu küssen und schaute ihm wortlos in
die Augen, doch diese strahlten wie das Sonnenlicht! Maria ging
weiter, und als sie sich wieder umdrehte, sah sie erstaunt, dass der
Priester immer noch an der selben Stelle stand, aber jetzt ohne
Haupt! Sie rief angsterfüllt nach der Gottesmutter, woraufhin die
Gestalt in einem Lichtblitz verschwand. In der selben Nacht sah sie
einen sehr lebendigen Traum, in dem ihr eine wunderschöne,
schwarzgekleidete Frau erschien, die zu ihr sprach: „Maria, du
hättest keine Angst haben sollen. Der dir erschienen ist, war kein
Gespenst und auch nicht der Dorfpriester. Es war der Mönch, der an
diesem Ort als Asket lebte und von den Türken geschlachtet wurde.
Eines Tages werdet ihr seinen Namen, seine Heimat und all seine
Marter erfahren...“ Diese Gestalt war die allheilige
Gottesmutter gewesen.
Außerdem
waren unerklärliche Geräusche von den Gebeinen her zu vernehmen und
es duftete oftmals nach Weihrauch. Man bat den Priester um eine
Totenmesse für den unbekannten Toten. Aber man kannte seinen Namen
noch nicht, um ihm zu gedenken. Da erschien der Heilige dem Priester,
und auch anderen Christen, im Traum und sagte, dass er Raphaēl hieße
und von den Insel Ithaka stammte. Eine Reihe von Erscheinungen und
Apokalypsen folgten, durch die das Wirken und das Martyrium der
Heiligen von Karyes den Menschen enthüllt wurde. Weil wir jedoch in
diesem Buch über die heiligen griechischen Mütter sprechen, werde
ich nicht auf die Einzelheiten der Lebensgeschichte dieses großen
heiligen Priestermönches eingehen, sondern nur grob die Umrisse
darlegen:
Der
weltliche Name des Heiligen war Georgios Laskaridēs, er wurde in
Ithaka geboren und christlich erzogen. Ihm wurde eine hohe Bildung
zuteil und in seiner Jugend diente er für eine Weile als Offizier in
der Armee. Als er die Armee verließ, weil er die Niederlagen der
Christen auf dem Schlachtfeld gegen die Muslime nicht ertrug,
entsagte er der Welt und wurde zum Mönch geschoren und später zum
Priestermönch geweiht und bekam den Namen Raphaēl. Er
diente als Priester und Prediger in Athen und wurde danach zum
Oberpriester, Archimandrit und Prälat des Ökumenischen Patriarchats
von Konstantinopel ernannt. Aufgrund seiner Fähigkeiten wurde er auf
eine Mission nach Frankreich geschickt, um in Morlaix zum ersten Mal
dem heiligen Nikolaos zu begegnen, der damals in
Frankreich Medizin studierte und aus Thessaloniki stammte. Der junge
Student verließ das weltliche Leben, wurde bald zum Diakon geweiht
und folgte seinem geistlichen Vater Raphaēl nach Thrakien, wo sie
sich noch aufhielten, als die Osmanen im Jahre 1453 Konstantinopel
eroberten. Sie flüchteten nach Lesbos, welches zu jener Zeit noch
nicht eingenommen worden war, und siedelten sich auf dem Hügel
Karyes an, wo sich früher ein Nonnenkloster befunden hatte und jetzt
ein einziger Mönch namens Rouvim als Einsiedler lebte.
Dieses
Nonnenkloster zu Ehren der Geburt des heiligen Gottesgebärerin
führte einst die heilige Äbtissin Olympia. Olympia
stammte gebürtig aus Konstantinopel, verbrachte ihre Kindheit jedoch
in Peloponnes, wo sie mit Gottesfurcht erzogen wurde. Ihr Vater war
Priester und ihre Mutter eine Priestertochter, aber sie entschliefen,
als die kleine Olympia erst zehn Jahre alt war. Dann brachte man sie
nach Lesbos, zu ihrer Tante Dorothea, die damals das Kloster führte.
Als sie das neunzehnte Lebensjahr erreichte, wurde sie zur Mönchin
geschoren, um nur sechs Jahre später ihrer Tugenden wegen zur
Äbtissin ernannt zu werden. Doch am 11. Mai des Jahres 1235 kamen
Piraten auf die Insel, die auch das Kloster stürmten. Damals lebten
dort 30 selige Schwestern, die ihr ganzes Dasein Gott gewidmet
hatten. Die niederträchtigen Piraten stürzten sich auf die
Jungfrauen; einige wurden geschändet und andere wiederum schafften
es, in die Berge zu fliehen und sich dort vor ihnen zu verstecken.
Doch Olympias und eine andere selige Mönchin namens Euphrosynē
mussten viele Marter erleiden, denn Olympias weigerte sich zu
fliehen, um als Äbtissin die Schwestern und das Kloster nicht zu
verlassen, und die gute Euphrosynē hingegen konnte nicht fortlaufen,
weil sie sehr betagt war. Die Gottlosen hängten die heilige
Euphrosynē an einen Baumast und verbrannten sie bei lebendigem Leib
bis nur Asche von ihr übrigblieb. Olympia wurde mit brennenden
Kerzen gefoltert, die sie an ihren Leib hielten, um ihr furchtbare
Verbrennungen und unbeschreibliche Schmerzen zuzufügen. Dann
brachten sie eine Eisenstange zum Glühen und schoben sie ihr durch
das eine Ohr, um sie aus dem anderen wieder heraustreten zu lassen.
Nach diesem Martyrium übergab die Märtyrin ihre heilige Seele dem
Herrn. Die Piraten erdachten sich noch eine Gräueltat und nagelten
ihren geheiligten Körper mit 20 großen Nägeln auf eine Holzplatte.
So wurde sie auch später von Christen bestattet, und selbst die
Nägel wurden in ihrem Grab später aufgefunden.
An
diesem Ort ließen sich der heilige Raphaēl und der heilige Nikolaos
nieder und verbrachten neuen Jahre in Frieden und Eintracht. Dann
verstarb der Mönch Rouvim. Seinen Platz nahm ein anderer Mönch
namens Stavros ein. Diese kleine Brüderschaft führte ein
spirituelles Leben, das die Inselbewohner anzog. Sie besuchten den
Gottesdienst im Kloster und holten sich geistlichen Rat. Doch um
1462 eroberten die Osmanen auch Lesbos. Auf der Insel entstand
Aufruhr und eine Bewegung, die sich gegen die Besatzer richtete und
sie mit Waffengewalt zu bekämpfen versuchte, was ihnen jedoch
misslang. Viele Christen, die an dieser Bewegung teilgenommen hatten
und von den Osmanen verfolgt wurden, fanden Zuflucht im Kloster.
Unter ihnen waren auch der Bürgermeister Vasilios mit
seiner Ehefrau Maria, seinem kleinen Sohn Raphaēl
und seiner Tochter Irēnē und der gute Lehrer
Theodoros. Die große Fastenzeit neigte sich dem Ende
zu und die versammelten Christen empfanden mit großer Intensität
das Gedenken der göttlichen Leiden. Jeder Tag, der verging, brachte
sie ihrem eigenen Leiden näher. Am Gründonnerstag hielt der heilige
Raphaēl zum letzten Mal den heiligen Gottesdienst ab und am
Karfreitag stürmten bewaffnete türkische Soldaten wutentbrannt das
heilige Kloster.
Als
der selige Abt Raphaēl die Meute kommen sah, kniete er sich auf den
Boden, erhob seine Hände zum Gebet und sagte diese mutigen Worte:
„Euch werde ich nur meinen Leib geben, denn meine Seele gebe ich
nur Gott“. Sie zerrten ihn am Bart und an seinen Haaren und
schlugen gnadenlos auf ihn ein. Dann hängten sie ihn an den Füßen
an einem Nussbaum auf und folterten ihn viele Stunden lang,
durchbohrten ihn mit Lanzen und töteten ihn fünf Tage später, am
Osterdienstag, indem sie ihm mit einer Säge den Unterkiefer
zersägten. Den heiligen Nikolaos banden sie an einem Nussbaum fest
und schlugen ihn ebenfalls. Doch er erlag einem Herzinfarkt, als er
mit ansehen musste, wie sein geliebter geistlicher Vater Raphaēl
grausamst ermordet wurde. Auch andere Mönche und der Lehrer wurden
gefoltert und getötet.
Der
Bürgermeister wurde dazu aufgefordert, seinen Glauben zu verleugnen
und zum Islam überzutreten, um sich selbst und seine Familie zu
retten. Als er sich weigerte, entriss einer der Soldaten das
Kleinkind Raphaēl aus der Umarmung seiner Ehefrau Maria und
trampelte es tot. Doch ihr Wahn bewegte sie dazu, sich auch an der
unschuldigen zwölfjährigen Tochter der Familie, Irēnē, zu
vergreifen. Ein Soldat schleifte sie an den Haaren von ihren Eltern
fort. Als die tragische Mutter versuchte, sie ihm zu entreißen,
hackte er mit einem Beil die eine Hand und den Fuß der Tochter ab
und warf sie den erschütterten Eltern zu, mit den Worten: „Hier,
nimm deine Tochter“. Die herzzerreißenden Schreie und
Wehklagen der Eltern erzürnte die Folterer nur umso mehr. Sie
setzten das blutüberströmte Mädchen in ein großes Tongefäß
hinein und verbrannten es bei lebendigem Leibe. Die gute Mutter
ertrug den Anblick des Martyriums ihrer Tochter nicht und verstarb an
einem Herzstillstand. Der Bürgermeister wurde ebenfalls gefoltert,
ermordet und dann in Stücke zerlegt.
Nachdem
die türkischen Soldaten all diese und noch viele weitere
unmenschliche Untaten vollbracht hatten, legten sie einen Brand, der
auch die Klostergebäude vernichtete. Die Körper der heiligen
Märtyrer ließen sie einfach liegen, an diesem Osterdienstag, dem 9
April des Jahres 1463. Am nächsten Abend wagten sich ein paar
tapfere Christen auf den Hügel hinauf und bestatteten die heiligen
Märtyrer.
All
diese Ereignisse wurden von den Heiligen selbst mit Träumen und
Visionen offenbart, die daraufhin durch die Fundstücke der
Ausgrabungen bestätigt wurden. So fand man zum Beispiel am 12. Mai
1961 das Tongefäß, indem man die heilige Irēnē
verbrannte; in ihm befanden sich verkohlte Überreste, die auf das
Alter und das Geschlecht schließen lassen. Die Schaufel bestätigte
stets die Offenbarungen der Heiligen.
Sogleich
begannen die sogenannten neuerschienenen heiligen Neumärtyrer,
wie man sie nennt, viele Wunder zu wirken, bis zum heutigen Tage.
Unzählige Christen haben bereits ihre Heilung und den Trost bei
ihnen gefunden. Vielen erscheinen sie im Traume oder als Vision im
Wachen. Die vielen Weihgaben zeugen von dieser Tatsache. Im Jahre
1962 wurde das heilige Kloster des heiligen Raphaēl an der selben
Stelle wie das alte Kloster gegründet. Durch göttliche Führung,
wie sie selbst sagt, kam die ehrwürdige Äbtissin Eugenia Kleidara
an diesen geweihten Ort, um die neue Schwesternschaft zu gründen und
sie seitdem bis zum heutigen Tage mit der Hilfe Gottes zu führen.
Die ehrwürdige Äbtissin vollendete mit ihrem persönlichen
selbstlosen Einsatz und mithilfe der Heiligen, die ihr erschienen,
Stück für Stück das Kloster. Eugenia Kleidara hat sehr viele
Bücher geschrieben und veröffentlicht, die sich entweder mit dem
Leben und Wirken der Neumärtyrer von Karyes, oder aber mit anderen
christlich-orthodoxen Themen auseinandersetzen. Für dieses Werk ist
sie mehrmals ausgezeichnet worden. Außerdem werden regelmäßig
Bücher veröffentlicht, in denen die Briefe der Gläubigen mit ihren
Namen und ihrer Adresse abgedruckt sind, in denen sie sich für ein
Wunder bedanken wollen und die Kraft der wundertätigen Heiligen
bestätigen.
Die
heiligen Neumärtyrer Raphaēl, Nikolaos,
Irēnē werden jährlich am Osterdienstag gefeiert, die
seligen Märtyrinnen Olympia und Euphrosynē
hingegen am 5/18 Mai.
Zusammenstellung u. Übersetzung: Alexia Ghika
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