Donnerstag, 3. April 2014

Dass ihr alle Kinder Gottes werden möchtet- Altvater Joseph der Hesychast

                   
                               Dass ihr alle Kinder Gottes werden möchtet

Das Gebot des Herrn, welches sagt: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als Mich, ist Meiner nicht wert“ (Mt 10,37), verpflichtet mich, nicht nur Eltern, Brüder und Verwandte, sondern sogar noch meinen eigenen Körper zu vergessen, und der ganze göttliche Eros, die ganze Liebe der Seele sehnt sich, immerdar hingewandt zu sein zu Gott. Zu Ihm hin will sie allezeit blicken, Ihn will sie schauen, zu Ihm beten und Ihn bitten um den Empfang der geeigneten Arzneien zur Reinigung des Herzens und zur Entwicklung des geistigen Menschen.

Doch jetzt wo ich das große Unheil sehe, das die Welt befallen hat, und befürchte, dass die Gefahr der Gottlosigkeit auch euch erreichen könnte, sodass die ständigen Nachtwachen, die ich um euretwillen halte, umsonst sind, sah  ich mich gezwungen, zurückzugreifen auf die Maxime „Not hat Vorrang vor dem Gesetz“ und sagte zu mir: „Möge ich ein Gebot übertreten, wenn ich dadurch meine Geliebten gewinne.“
Meine Sehnsucht, das Brennen meines Herzens, der göttliche Eros, der ununter-brochen in meinem Inneren flammt, gilt diesem: wie die Seelen gerettet, wie sie unserem geliebtesten Jesus dargebracht werden als vernunftbegabte Opfer.
Mein einziges Verlangen ist, dass alle der Meinigen, Mutter, Brüder und deren Kinder, Kinder Gottes werden möchten. Dass alle ein göttliches Opfer werden, wohlgefällig dem Heiligen Gott. Doch ach! die Leidenschaften, die falschen Diagnosen, die Verfinsterung der Seele lassen nicht zu, dass der Geist sich ein wenig erhebe zum Höheren, dass er wahrnehme, was förderlich ist für die Rettung der Seele.

Doch ich will mich nicht beklagen, denn die übrige Welt ist weit schlimmer dran. Ich sage mir: „Alle diese meine Brüder sind im Vergleich zu den anderen wie Engel Gottes. Möge der Herr verherrlicht sein dafür, dass euch alle die göttliche Liebe verbindet und dass Christus in eurer Mitte ist. Und wo Christus ist, da sind auch alle Güter des ewigen Lebens sowie des jetzigen.
Denn Er, die alleinige Wahrheit, hat gesagt: „Sucht zuerst Mein Reich, und alles Vergängliche werde Ich euch dazu geben“ (s. s. Mt 6,33),  und wiederum: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und außerhalb des Paradieses bleibt?“ (s. s. Mt 16,26).
Wer wird, da  er solche Güter erwartet, nicht hinwegsehen über alles Gespött der Welt, über all ihre Verleumdungen und Schmähungen,  über alles erlittene Unrecht und alle Untaten böser Menschen und ebenso über alle Versuchungen und Bedrängnisse seitens der erbarmungslosen Dämonen, damit er jener himmlischen Freude würdig wird?

Ach, könntet ihr an meiner Seite sein und meine Gebete hören, die Seufzer meines Herzens, und meine Tränen sehen, die ich für meine Brüder vergieße! Die ganze Nacht bete ich und rufe: „Rette Deine Knechte, Herr, oder dann lösch auch mich aus dem Buch des Lebens, ich will kein Paradies!“ Wenn ich für die ganze Welt alle Kraft meiner Seele und meines Herzens ausgieße zum Gebieter aller, wieviel mehr dann noch für euch!
So hört denn auf mich, denn niederen und geringsten Mönch, und verachtet mich nicht, weil ich ungebildet und ungelehrt bin. Sondern öffnet die Augen eurer Seele und seht, was jenseits dieses irdischen Lebens ist.

Die Menschen der Welt lieben die Welt, weil sie deren Bitterkeit noch nicht erkannt haben. Sie sind noch blind in der Seele und sehen nicht, was sich in dieser vergänglichen Freude verbirgt. Das noetische Licht ist noch nicht zu ihnen gekommen. Der Tag des Heils ist noch nicht angebrochen für sie.
Ihr aber, die ihr  so vieles  gesehen und gehört habt, ihr müßt begreifen, dass die Genüsse des Vergänglichen vergehen wie Schatten. Und unsere Lebenszeit zerrinnt, läuft ab und kehrt nicht zurück. Die Zeit des gegenwärtigen Lebens ist eine Zeit der Ernte und der Lese. Jeder sammelt Nahrung – so reine wie möglich – und hinterlegt sie für das andere Leben.
Nicht der Kluge gewinnt, nicht der Wohlgeborene, nicht der Redegewandte oder der Reiche, sondern derjenige, der beschimpft wird und es mit Langmut hinnimmt, der Unrecht erleidet und vergibt, der verleumdet wird und Geduld übt. Derjenige, der zum Schwamm wird und aufwischt, was immer er hört, dass die anderen ihm sagen, welcher Art es auch sei. Ein solcher wird immerzu reiner und strahlender. Er erreicht große Höhen. Er erfreut sich des Schauens von Mysterien. Und am Ende ist ein solcher von hienieden an im Paradies. Und wenn jene Stunde kommt, die Stunde des Todes, dann, sobald er diese leiblichen Augen hier schließt, öffnen sich die inneren Augen, jene der Seele. Und soweit wie er die jenseitigen Dinge erfaßt, findet er sich plötzlich in dem, wonach er sich sehnt, ohne im geringsten zu begreifen, wie es geschah. Von der Dunkelheit geht er hinüber ins Licht,  von der Bedrängnis in die Erquickung, von der stürmischen See in den stillen Hafen, vom Krieg in ständigen Frieden.

Deshalb, meine guten und geliebten Brüder, wer Unrecht erleidet in dieser Welt und das Recht sucht, der wisse, dass es dies ist – die Last des Bruders, seines Nächsten, zu tragen bis zum letzten Atemzug, und in allem Betrüblichen des gegenwärtigen Lebens Geduld zu üben. Denn jede Betrübnis, die uns widerfährt, sei es seitens der Menschen, sei es seitens der Dämonen, sei es seitens unserer eigenen Natur, birgt in sich stets auch den entsprechenden Gewinn. Und wer sie mit Geduld durchsteht, der empfängt die Auszahlung. Hienieden das Angeld, drüben den vollen Betrag.
So ist denn Geduld notwendig, ebenso sehr wie das Salz im Essen. Denn einen anderen Weg gibt es nicht, um zu gewinnen, reich zu werden, zu herrschen. Diesen Weg hat uns Christus Selbst gebahnt. Und wir, die wir Ihn lieben, sind es schuldig, demselben um Seiner Liebe willen zu folgen. Auch wenn er für uns bitter ist wie Absinth, reinigt er doch das Blut und heilt unseren Leib. Ohne Prüfungen werden die reinen Seelen nicht erkannt, zeigt sich die Tugend nicht, läßt sich die Geduld nicht wahrnehmen. Ohne Prüfungen ist es unmöglich, dass die Gesundheit der Seele sich zeigt. Dies ist das Fegefeuer, in welchem die Seele rein und strahlend gemacht wird.
 

[1] Aus dem Buch Γέροντος Ιωσήφ, Έκφρασης Μοναχικής Εμπειρίας, einer Sammlung von Briefen des heiligen Altvaters Joseph des Hesychasten (1898-1959, siehe Das Synaxarion am 15. August und Heilige Altväter der Gegenwart, Chania 2007),  hrsg. vom Hl. Kloster Philothéou, Hl. Berg Athos 1979, 5. Ausgabe 1996 (engl. Monastic Wisdom, The Letters of Elder Joseph the Hesychast, hrsg. St. Anthony’s Greek Orthodox Monastery, Florence Arizona 1998). Dt. Übers. des vorliegenden Textes vom Kloster des Hl. Johannes des Vorläufers, Chania 2012.

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