Montag, 7. April 2014

Fasten in der Orthodoxen Kirche -Dipl. theol. Marina Kiroudi


In der Orthodoxen Kirche ist das Fasten im Lichte des geistlichen Lebens zu betrachten, in dem sich der Mensch fortwährend auf den Weg zu Gott begibt. Als ein Ausdruck der Beziehung zwischen Gott und Mensch gilt das Gebot des Fastens bereits in der Schöpfungsgeschichte (Gen 2,7). Es ist ein Hören auf das Wort Gottes und die Bereitschaft sich auf Gott zuzubewegen. Durch das Brechen des Gebotes verfehlte der Mensch sein Hauptziel, nämlich sich selbst und die gesamte Schöpfung mit Gott zu vereinen. Das Fasten ist ein Ausdruck der Umkehr und des geistlichen Mühens auf dem Weg zu Gott.

In der Praxis äußert sich das leibliche Fasten neben dem absoluten Verzicht auf Nahrung, in erster Linie durch die Enthaltung von tierischen Produkten, d.h. durch die Enthaltung von Fleisch, Milch und Eiern; an bestimmten Tagen auch von Öl und Wein. 
In gewisser Weise erinnert diese Form der Enthaltung an den paradiesischen Zustand des Menschen, seine Bestimmung in und seinen Umgang mit Gottes Schöpfung; sie erinnert an die ganzheitliche Dimension seines Lebenswandels in Beziehung zu Gott, zur Schöpfung und zu sich selbst.
Für den orthodoxen Christen ist das Fasten mit dem kirchlichen Leben, mit dem Leben in Christus verbunden. Das Fasten geschieht dabei zunächst als Nachahmung Christi, der nach seiner Taufe vom Heiligen Geist in die Wüste geführt wurde und dort als Vorbereitung auf sein öffentliches Wirken vierzig Tage fastete (Mt 4,1-11). Er selbst empfiehlt das Fasten, das vom Gebet begleitet wird (Mt 17,21). Das Fasten ist also kein Selbstzweck. Was der Mensch im leiblichen Fasten verspürt, hat sein geistiges Gegenstück in der Sehnsucht nach Gott. Das leibliche Fasten bedarf des geistigen Mühens und auch der Stärkung durch die Teilhabe an der göttlichen Wirklichkeit.

Das biblische Fastenverständnis findet sich auch im orthodoxen Fasten wieder. Schließlich bestätigt das Neue Testament vielfach das vom Gebet begleitete Fasten des Alten Testaments als Mittel der Enthaltsamkeit, der Buße, der geistlichen Aufrichtung und der Vorbereitung auf wichtige Entscheidungen und Ereignisse, auf die Begegnung mit Gott. Gleichwohl hat sich auch die biblische und patristische Kritik am latenten Fastenritualismus erhalten, die erst ein aufrichtiges Fasten gutheißt, das mit einer entsprechenden inneren geistigen Haltung einhergeht. In diesem Sinne wird es dann auch in der Orthodoxen Kirche als Mittel zur seelischen, geistigen und körperlichen Läuterung und Enthaltsamkeit verstanden, zur Stärkung des Glaubens und zur Heiligung des Menschen. Um nicht dem Mittel, sondern dem Ziel gerecht zu werden, kann die Fastenpraxis mit dem Segen des geistlichen Vaters an die jeweiligen persönlichen Lebensumstände des Gläubigen angepasst werden.

Zum ältesten Fastenkreis gehört das wöchentliche Fasten. Es wird am Mittwoch, dem Beginn des Leidens Christi durch den Verrat des Judas, und am Freitag, der Kreuzigung wegen, gehalten. Als Vorbereitung auf das Osterfest, das Leiden und die Auferstehung Christi, gibt es eine vierzigtägige Fastenzeit. Weitere kirchliche Fastenzeiten wurden als Vorbereitung auf folgende große Feste festgelegt: Geburt Christi, Apostelfest, Entschlafen der Gottesmutter, Theophanie, Enthauptung des Hl. Johannes, Kreuzerhöhung. Neben den liturgisch festgelegten Fastenzeiten wird das persönliche Fasten empfohlen, als Zeichen der Buße, als Erfüllung eines Gelübdes, als Vorbereitung auf die Taufe und nicht zuletzt als Vorbereitung auf den Empfang der hl. Kommunion. Gerade in der hl. Eucharistie erfährt der Gläubige die Teilhabe an Christus, die ihn auf seinem fortwährenden Weg stärkt.

Am eindrücklichsten spiegelt die Große Fastenzeit vor Ostern das orthodoxe Fastenverständnis wider. Bezeichnend für das Verständnis eines gottgefälligen Fastens sind die Lesungen und Hymnen der Vorfastenzeit: Das Gleichnis vom Zöllner und Pharisäer (Lk 18,10-14), vom verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) und vom letzten Gericht (Lk 2,22-40). Es gilt sich die Demut des Zöllners zu erhalten, sich des dramatischen Zustandes der Sünde, also der Abkehr von Gott, bewusst zu werden, Umkehr zu wagen, auf die Liebe Gottes zu hoffen und Ihn in jedem Mitmenschen zu erkennen. In diesem Sinne beginnt die eigentliche Fastenzeit mit der sog. Vesper der Vergebung, in der die Gläubigen einander um Verzeihung bitten, bevor sie sich auf dem Weg des vorösterlichen Fastens begeben.

Die Bezeichnung des Osterfestes als Pas’cha erinnert in Anlehnung an das Pessachfest an den „Hindurchgang“ von der Sklaverei in die Freiheit, vom Tod in das Leben durch das Leiden und die Auferstehung Christi. So äußert sich die vorausgehende Fastenzeit als eine „geistliche Reise“, die in der Auferstehungsnacht ihren Bestimmungsort hat. Sie wird durch die sog. „freudestrahlende Trauer“ bestimmt, von der Trauer um das menschliche Scheitern, sowie von der fortwährenden Erwartung auf die lichte Auferstehung, in der die Freude über die Versöhnung zwischen Gott und Mensch alles beherrscht.


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