Donnerstag, 17. April 2014

Hl. Justin (Popovic) von Celije (1894-1979): Die Pforte der Unsterblichkeit (Österliche Gedanken)

                                     
In allen Welten ist nichts furchtbarer als der Mensch. Denn nichts ist unendlicher. Schwindelig wird es all jenen Geschöpfen, welche die Fähigkeit haben, über den Menschen nachzudenken.
Die Philosophie vom Menschen ist auch für den Geist der Engel schwer, sie ist traurig auch für die Herzen der Cherubim. Das menschliche Wesen hat kein Ende. Wenn es aber ein Ende hat, dann ist dieses Ende – die Unendlichkeit. Von allen Seiten ist der Mensch von Unendlichkeiten umzingelt. Grenzen des menschlichen Wesens? Oh, lauter Unendlichkeiten. Was ist der Mensch? Ein Sack blutigen Schlamms und darin Hefe aller Unendlichkeiten. Steigt er auf in die Höhe, verschwindet der Mensch in göttlichen Unendlichkeiten; beugt er sich in die Tiefe, versinkt er in dämonischen Unendlichkeiten. Der Mensch? Kleiner Gott im Schlamm, manchmal– Dämon im prachtvollen Ornat. Es gibt kein natürlicheres Prinzip als dieses: Seid vollkommen wie Gott! Denn es gibt keine furchtbarere Wirklichkeit als die menschliche Verliebtheit in das Böse und seine Bodenlosigkeiten.
Bitter sind die Unendlichkeiten des Menschen. Wer hat sich an ihnen nicht vergiftet, sobald er sie gespürt und durch das Gefühl erkannt hat? Hast du mit dem vielleidenden Hiob die menschlichen Unendlichkeiten besucht, so musste dein Herz vor Schmerz schmelzen. Hast du sie mit Shakespeare besucht, so musstest du ins Delirium fallen und deine gequälte Seele anlehnen – in wessen Schoß?... Giftig sind die menschlichen Unendlichkeiten. Hätte sie der Einzig Süßeste nicht gesüßt, würde nicht schon ein Mensch mit ein wenig Sensibilität, ein Mensch mit etwas Geist, Selbstmord verüben? Ja, Selbstmord, durch welchen er diese zahllosen Unendlichkeiten töten und sich selbst von seiner giftigen und sinnlosen Existenz befreien würde.

Seien wir ehrlich bis zur letzten Konsequenz: Wenn der wundervolle Herr Christus nicht auferstanden wäre, und nicht durch das Licht Seiner Auferstehung menschliche Unendlichkeiten erleuchtet und ihnen einen Sinn gegeben hätte, wer würde den Schöpfer eines solchen Wesens, wie es der Mensch ist, nicht für einen verdammten Tyrannen halten?... Und der Einzig Süßeste geht sanftmütig von menschlichem Herzen zu menschlichem Herzen, süßt mit göttlicher Zärtlichkeit das bittere Geheimnis des menschlichen Wesens und erfüllt seine Unendlichkeiten mit Sich. Daher sind dem Menschen Christi alle Unendlichkeiten des Menschen lieb. Es gibt für ihn keine Angst in ihnen, denn sie sind alle vom Göttlichen Logos, vom Göttlichen Sinn, dem Göttlichen Allsinn erfüllt.
  
Die Auferstehung Christi ist das größte Beben in der Sphäre des menschlichen Lebens. Durch sie wurde das Zentrum des menschlichen Lebens aus dem Tod in die Unsterblichkeit, aus der Zeit in die Ewigkeit verlagert. Vom einem geozentrischen ist der Mensch ein uranozentrisches Wesen geworden. Die Erde wurde zur vorläufigen Wohnstätte des Menschen, der Himmel aber – zur ewigen. Aber auch auf Erden lebt der Mensch Christi durch den Himmel und nach den Gesetzen des Himmels. In die Unsterblichkeit treten Menschen allein durch die Pforte der Auferstehung Christi ein. 
Wo ist das Zentrum des menschlichen Wesens? In dem auferstandenen und in den Himmel aufgefahrenen Herrn Christus, der zur Rechten Gottes sitzt (vgl. Kol. 3,1). Mit dem auferstandenen Gottmenschen ist die Ewigkeit zur neuen Kategorie des menschlichen Lebens geworden. Die Christen sind dadurch Christen, dass sie durch die Kraft der Auferstehung und nach den Gesetzen der Auferstehung leben (vgl. 1. Kor. 15, 29-34). Und das heißt: Sie leben durch die Ewigkeit und für die Ewigkeit, weil sowohl der Leib als auch die Seele für die Ewigkeit, für die Gottmenschlichkeit gebaut wurden. Das ist die kostbarste Gabe an das menschliche Geschlecht vom wunderbaren Erlöser: der Erwerb der Ewigkeit durch das zeitliche Leben, das Bewältigen des Todes durch die Unsterblichkeit.

Der Glaube an Herrn Christus verleiht dem Menschen die Kräfte, in dieser Welt der Sünde und des Todes die Sünde und den Tod durch die Heiligkeit zu bewältigen und sich mit der Unsterblichkeit und der Ewigkeit zu erfüllen. Der Glaube des Evangeliums mitverleiblicht den Menschen mit Christus, er macht ihn gemeinschaftlich mit allem, was Christus gehört, und er erlebt alles, was Christi ist, als sein Eigenes: Seine Geburt, Seine Verklärung, Sein Leiden, Seine Auferstehung, Seine Himmelfahrt. Und in ihm erfüllt sich die frohe Botschaft: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal. 2, 20) In jedem Christen wird das gottmenschliche Leben Christi fortgesetzt. Der Christ wird durch die Gnade mit Christus gleichgestellt: im Leben, in Gedanken, in Wünschen, in Taten; er hat, nach den Worten des Heiligen Chrysostomos, das, was auch Christus hat.

Die grundlegende Pflicht des Christen ist: In der Welt der Zeit und des Raumes mit der Unsterblichkeit und Ewigkeit Christi leben. Denkt er einen Gedanken, verwandelt er ihn durch die Kraft des auferstandenen und ewig lebenden Herrn in einen Christusgedanken; ein Gefühl verwandelt er in ein Christusgefühl. Mit seinem ganzen Wesen sucht er das Eine: Dort zu sein, wo auch der auferstandene Herr ist. Nach den Worten des Heiligen Apostels: „Ihr seid mit Christus auferweckt; darum strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt.“ (Kol. 3, 1) Erhebt euch durch Gedanken, Gefühle und Wünsche über die ganze Welt, über alle Himmel, über alle Engel und Erzengel – wo Christus zur Rechten Gottes sitzt.
Alles Menschliche wird durch das Gottmenschliche von der Vergänglichkeit und dem Tod gerettet.

Welcher Gedanke des Menschen ist unsterblich, welcher Wunsch, welches Gefühl? Nur der christmäßige Gedanke, nur der christmäßige Wunsch, nur das christmäßige Gefühl. Ein Mensch ist Christ, wenn er mit Christus denkt, mit Christus fühlt, mit Christus will (vgl. Phil. 2,5). In den Wünschen, Gefühlen und Gedanken des Christen gibt es nichts Sterbliches und Unreines, denn er erfüllt den Rat des Evangeliums: Denke an das, was oben ist, und nicht an das, was auf Erden ist (vgl. Kol 3, 2).

Je mehr sich der Mensch durch Christus belebt, desto mehr stirbt er für die Elemente der Welt (vgl. Kol. 2, 20), das heißt: für die Sünden, Leidenschaften und Laster. Der Christ tötet den Tod in sich und um sich, dadurch dass er durch das Gute Christi lebt. Wie kann jemand, der durch die Unsterblichkeit Christi zur Rechten Gottes lebt, durch die irdischen Genüsse, Ehren und Leidenschaften angezogen sein? Ein schmutziges Sandkorn – das ist die Erde, mit dem Auge der Ewigkeit Christi gesehen. Das ganze vielseitige und endlose Leben des Christen ist durch sein Hauptgeheimnis mit Christus in Gott verborgen (vgl. Kol. 3,3).


Durch die Kraft des auferstandenen Herrn Christus lebend, tötet der Christ in sich nicht nur alle Leidenschaften und Sünden, sondern auch alle sündensehnsüchtigen Gedanken, Wünsche und Gefühle. Kein Zweifel, fern der Allreinheit des Herrn Christus ist der Mensch, der in Unreinheiten lebt. Die Berührung mit dem Allreinen führt den Menschen zwingend in denunerbittlichen Kampf  mit allen Sünden und Lastern. Und er kämpft mit sich selbst bis zum blutigen Schweiß, in sich schlechte Gedanken, böse Wünsche, wollüstige Stimmungen tötend (vgl. Kol. 3, 5). Es gibt keine Unendlichkeit in ihm, aus der er nicht die fantastischen Fata Morganen der skandalösen irdischen Genüsse vertreibt und die Monster der heimlich gewordenen Leidenschaften zermalmt. Alles in ihm kämpft furchtlos: um die Sehnsucht nach dem Schlechten zu töten.

Den Leib hat Gott dem Menschen gegeben, um ihn zu vergöttlichen – durch Gott, um ihn zu verunsterblichen – durch den Unsterblichen, um ihn zu verewigen – durch den Ewigen. Die Sinne sind dem Leib gegeben, um seiner Vergöttlichung und Verunsterblichung zu dienen. Und das wird durch die himmelsehnsüchtige Tätigkeit der Seele im Leib erreicht. Wenn das Auge nicht auf das Vergängliche und das Sterbliche schaut, sondern auf das Unvergängliche und das Unsterbliche, dann erfüllt es den Leib mit Unsterblichkeit; wenn das Gehör auf nichts Irdisches und Schmutziges acht gibt, sondern auf das Himmlische und das Reine, dann erfüllt es den Leib mit Ewigkeit; wenn der Mund über nichts Hässliches und Skandalöses spricht, sondern nur über das Ewige und das Unvergängliche, dann erfüllt er seine göttliche Bestimmung; wenn die Hand nichts Schlechtes, sondern nur Gutes und Lobenswertes tut, trägt sie zur Verunsterblichung und Vergöttlichung des Menschen bei.

Die Berufung des Christen ist: Den Sünden und Leidenschaften nicht erlauben, die schöpferische Kraft in seinen Gedanken, Gefühlen, Wünschen und Taten zu sein. Christus der Herr verleiht dem Menschen Kräfte, nicht nur, um aus allen Bodenlosigkeiten seines Wesens alle Sünden und Leidenschaften zu vertreiben, sondern, um sie leicht abzulegen wie einen Anzug. Das bedeuten die Worte des Apostels: Legt den alten Menschen mit seinen Taten ab (Kol. 3, 9). Und seine Taten sind: Zorn, Ärger, Bosheit, Blasphemie, beschämende Wörter, Lüge, Unzucht, Unreinheit, Wollust, Gier, Götzendienst (Kol. 3, 8; vgl. Eph. 4, 22). Dadurch, dass er aus sich alle Sünden vertrieben hat, hat er auch alle Tode vertrieben, denn jede Sünde ist – ein kleiner Tod.

Das Böse wird durch das Gute vertrieben, der Hass – durch die Liebe, der Stolz – durch Demut, der Zorn – durch Sanftmut, die Unzucht – durch Fasten, die Wollust – durch das Gebet. Mit einem Wort: die Laster werden durch Tugenden vertrieben. In diesem Kampf mit Sünden und Lastern bekommt der Christ die allsiegende Kraft von Gott dem Allsieger, er erneuert sich durch Ihn, bis er schließlich als neuer Mensch erscheint, christusähnlicher Mensch, dessen Wesen aus Güte, Barmherzigkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, Großzügigkeit, All-Liebe besteht (vgl. Kol.3, 10-14). Dieser neue, christusähnliche Mensch altert nicht, sondern ist desto jünger, je länger er lebt. „Je länger er lebt, desto mehr nähert er sich nicht dem Alter, sondern der Jugend (pros neoteta), die besser als die frühere Jugend ist.“  Der neue Mensch erneuert sich nach der Gestalt Dessen, Der ihn gebildet hat, d.h. nach der Gestalt Christi. Und Christus der Herr altert nicht, denn er beging keine Sünde. Die Sünde ist die einzige Kraft, die, nach Worten des seligen Theophilaktos, den Menschen älter macht und ihn verdirbt (palaioi kai phtheirei). Und wir, die wir von Christus nach seiner Gestalt geschaffen worden sind, sind verpflichtet, aus uns die Verderbnis und das Gealtertsein (phthoran kai palaiosin ) auszuwerfen. Das Leben in der Tugend wird immer verjüngt; und wenn es so aussieht, dass es körperlich altert, blüht es aber im Geiste.

Durch das Praktizieren der Tugenden Christi wird der Mensch allmählich Christus ebenbildlich, erneuert und verunsterblicht, denn mit jeder Tugend auferweckt er sich ein wenig aus dem Tod in die Unsterblichkeit, bis er ganz in das ewige Leben, das mit Christus in Gott verborgen ist (vgl. Kol. 3, 3), eintaucht. Es handelt sich um eine asketische Tat: um ein Sündloswerden und dadurch Verlebendigung, Auferstehung, Verunsterblichung, um ein Mit-Christus-ähnlich-Werden. Mit allen Strömen seines Wesens tritt der Christ in den gottmenschlich alllebendigen Herrn Christus ein. Dieser gottmenschliche Vitalismus hat mit dem tuberkulösen philosophischen Vitalismus oder dem Heckelsch-vulgären Zoologismus nichts gemein. In ihm ist der dreisonnige Gott die Quelle des Alllebens.


Alles zeugt uns: Die Auferstehung Christi ist die allumfassende ethische Askese und das
allumfassende ethische Prinzip. Der Christ tritt ganz in die Askese der Selbstauferstehung
durch Christus ein. Sein Selbstgefühl wächst allmählich zum Allgefühl, das mit der
christusebenbildlichen Liebe alle Welten und alle Wesen in allen Welten umfasst. Und er jubelt
ihnen in unendlicher Freude zu:

Christus ist auferstanden!

während alle Welten bebend donnern:

Er ist wahrhaftig auferstanden!



1 Originaltitel „Dveri besmrtnosti. Uskrsnja razmisljanja“; Erschienen erstmals in Hriscanska
misao II/3 (1936), S. 1-2. Die vorliegende Übersetzung von SOK AKTUELL und Johannes A.
Wolf basiert auf: Justin Popovic, Zenica tragizma. Kratki spisi (1923-1940), hrsg. von Jovan
Pejcic, S. 59-65. Alle folgenden Fußnoten stammen aus dem Originaltext. Die griechischen
Begriffe, die im Original im griechischen Alphabet geschrieben sind, wurden hier transliteriert
und ohne Akzente angegeben (Anm.d.Red.).

http://www.prophet-elias.com/

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