Montag, 14. April 2014

Karwoche und Osterfest in der orthodoxen Kirche


„Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung nichts, und nichts ist euer Glaube (1 Kor. 15,14).“

Man kann im Neuen Testament auf sehr viele Stellen hinweisen, die von der Auferstehung Jesu, und was sie für uns Menschen bedeutet, berichten. Für den orthodoxen Osterglauben ist aber der soeben zitierte Vers aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther der Wichtigste. Nicht nur weil in diesem Vers sehr deutlich, ja kategorisch die Einzigartigkeit und der Grund bzw. die Begründung des christlichen Glaubens geliefert wird, sondern auch weil damit jeglichem Versuch, die historische Wirklichkeit der Auferstehung Jesu anzuzweifeln und abzulehnen, eine klare Absage erteilt wird. Im Johannes-Evangelium 20,19-25, das in der orthodoxen Kirche in der Vesper am Ostersonntag, bei der sogenannten „Vesper der Liebe“ in mehreren Sprachen verlesen wird, wird berichtet, dass die Jünger Jesu nicht glaubten, dass er es war, als er ihnen am dritten Tag nach seinem Tod bei verschlossenen Türen erschien. Sie glaubten, es sei eine Sinnestäuschung, ein Gespenst. Christus aber machte klar, dass er kein Gespenst und keine Sinnestäuschung war, sondern wirklich körperlich zugegen. Ähnlich wird auch von den anderen Erscheinungen des auferstandenen Jesus berichtet (z.B. in der Emmaus-Geschichte).

Deshalb legen die Orthodoxen Wert auf die reale Auferstehung Christi und an unsere reale Auferstehung von den Toten. Hier, wie auch sonst, geht es den Orthodoxen um das Letzte: Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist unsere Verkündigung und unser Glaube umsonst und sinnlos. Wie sollten wir Christen bleiben, wenn wir glaubten, dass sich das Christentum auf einen Wahn gründet? So unangemessen es ist, in Christus lediglich einen Menschen oder einen Propheten oder einen großen Lehrer zu sehen, so wenig lässt sich die Auferstehung Jesu damit wegerklären, dass man sagt, Christi „Geist“ allein habe gewissermaßen unter seinen Jüngern fortgelebt. Nur der „wahre Gott vom wahren Gott“, wie wir in unserem Glaubensbekenntnis bekennen, der durch sein Sterben und Auferstehen von den Toten den Tod besiegt hat, kann unsere Rettung und Hoffnung sein.
 Zugleich muss man sagen, dass auch bezüglich des Osterglaubens das orthodoxe Prinzip gilt: Der christliche Glaube, Gott selbst, Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung Christi, ist letztendlich ein Mysterium, ein Geheimnis, das nicht durch menschliche Denkkategorien, auch nicht durch historische Forschungen und Beweise erfasst und begriffen werden kann. Denn, wie Johannes von Damaskus sagt: „das Göttliche ist unfasslich und unbeschreiblich, und das Einzige, was an ihm fasslich ist, ist seine Unendlichkeit und seine Unfasslichkeit.“ Der orthodoxe Auferstehungsglaube sucht und fragt also nicht nach Beweisen. Er bemüht sich nicht darum, die anderen davon zu überzeugen. Er zeigt lediglich dieses Ereignis und seine Folgen und Implikationen für uns Menschen und für die gesamte Schöpfung an. Dies ist ein anderer Weg der Erkenntnis Gottes, ein Weg der Erfahrung, ein empirischer Weg.
So verkündet die orthodoxe Kirche alljährlich in der Osternacht: „Christus ist auferstanden von den Toten, er hat den Tod durch den Tod zertreten und denen in den Gräbern das ewige Leben geschenkt.“

Die Auferstehung als der Sieg Jesu über den Hades, der Personifizierung des Todes, kommt in der orthodoxen Auferstehungsdarstellung, der Anastasis-Ikone sehr deutlich zum Ausdruck: Der auferstandene Christus wird nicht als derjenige dargestellt, der aus dem Grab mit einer Siegesfahne in der Hand in den Himmel fährt, sondern als der, der in den Hades, in die Unterwelt hinabsteigt, um mit ihm zu kämpfen, der ihn besiegt, und der die, die dort in den Gräbern liegen, aus dem Tod herausholt. Er sprengt die Schlösser und Riegel des Sarges, die Nägel liegen herum, und er reißt kraftvoll mit seinen Händen Adam und Eva aus der Unterwelt, aus dem Tod, und führt sie hinauf ins Leben. Der Hades selbst liegt geschlagen und besiegt unter dem Sarg, während auf der einen Seite Gestalten des Alten und auf der anderen Seite Gestalten des Neuen Testaments symbolhaft abgebildet werden.
Erst auf diesem Hintergrund wird verständlich, warum für die orthodoxen Christen das Osterfest das größte und höchste Fest, das Fest der Freude schlechthin ist. Weil Christus durch seinen Tod und seine Auferstehung den Tod besiegt und uns die Erlösung und das ewige Leben gebracht hat, deshalb haben wir Christen Grund zur ungetrübten Hoffnung und Freude.

Die „Heilige und Große Woche“ in der Orthodoxen Kirche
Der orthodoxe Gottesdienst zum Osterfest ist der Höhepunkt des vorausgegangenen fünfzigtägigen Fastens und insbesondere der Karwoche, die in der orthodoxen liturgischen Sprache „Heilige und Große Woche“ oder „Leidenswoche“ genannt wird. Diese beginnt bereits am Abend des Palmsonntags und endet am Karsamstag.

Palmsonntag
An diesem Tag gedenkt die Orthodoxe Kirche des feierlichen Einzugs Jesu in Jerusalem.
Der Bezug des ansonsten üblichen Sonntagsgottesdienstes an diesem Tag zum Einzug Jesu in Jerusalem wird erstens durch die entsprechende Lesung aus dem Johannes-Evangelium (Joh 12,1-18) und zweitens durch die Weihe und Austeilung der Palmzweige symbolhaft zum Ausdruck gebracht. Die geweihten Palmzweige werden nach Hause mitgenommen und in der so genannten „Hauskirche“, der Ecke mit Ikonen, bis zum nächsten Jahr aufbewahrt.

Montag bis Mittwoch 
Die Abendgottesdienste (es werden die Gottesdienstordnungen der Morgengottesdienste des jeweils nächsten Tages gefeiert) vom Palmsonntagabend bis zum Dienstagabend sind als die Tage der „Ordnung des Bräutigams“ (griechisch = „Nymphios“) bekannt. Im Mittelpunkt der Lesungen, Hymnen und Gebete dieser Tage steht also das Kommen Jesu als des Bräutigams der Kirche.

Am Mittwoch wird das Sakrament der Krankensalbung gefeiert. Charakteristikum der Feier des Sakraments der Krankensalbung sind sieben Epistel-Lesungen, sieben Evangeliums-Lesungen und sieben Gebete. Am Ende der Feier lassen sich die Gläubigen durch den Priester mit dem gesegneten Öl salben.

Donnerstag
Am Donnerstag in der Karwoche gedenkt die Orthodoxe Kirche der Fußwaschung, der Einsetzung der Eucharistie (Abendmahl), des Priesterlichen und Hohen Gebets und des Verrats Jesu durch Judas.
Der Einsetzung des Abendmahls wird neben der Feier der Eucharistie dadurch gedacht, dass im Rahmen einer feierlichen Prozession die Ikone der Abendmahlsdarstellung in die Mitte der Kirche getragen und zur Verehrung aufgestellt wird.
Auch die Fußwaschung (Joh 13,1-17) wird im Rahmen des Donnerstagsgottesdienstes, allerdings nicht in allen orthodoxen Kirchen, gefeiert. Vom zelebrierenden Liturgen (Bischof oder Priester) werden zwölf Personen (symbolisch für die zwölf Apostel) die Füße gewaschen.

Freitag
Am Freitag in der Karwoche gedenkt die Orthodoxe Kirche der Leiden und des Todes Jesu.
Zwei Elemente beherrschen den abendlichen Gottesdienst des Tages: Erstens die 12 Lesungen, Ausschnitte aus allen vier Evangelien, die vom Leidensweg Jesu berichten und zweitens die Kreuzesprozession. Diese findet nach der sechsten Lesung statt und verläuft wie folgt: 
Die Kreuzesprozession 
Der Zelebrant (Bischof oder Priester) trägt das bis dahin hinter dem Altar aufgestellte große Holzkreuz mit dem darauf genagelten Christus (Abbild und Ikone eines lebensgroßen Christus) vom Altarraum in die Mitte der Kirche hinein. Ihm gehen die Ministranten voraus. Das Kreuz wird sodann von den Gottesdienstbesuchern liebevoll mit Blumen und Blumenkränzen geschmückt. Danach verehren die Gottesdienstbesucher den gekreuzigten Christus, indem sie sich vor ihm bekreuzigen, knien und das Kreuz bzw. Christus küssen.
Viele Gottesdienstteilnehmer verharren, wie bei Verstorbenen auch heute noch üblich, die ganze Nacht über in der Kirche und halten so zu sagen Wache beim verstorbenen Jesus. Dabei singen sie liturgische wie auch profane Beerdigungsgesänge.

Kreuzesabnahme und Epitafios
Als liturgisches Verbindungselement zwischen Passion und Begräbnisfeier Jesu kann die so genannte Zeremonie der Kreuzesabnahme (griechisch = apokathelosis) angesehen werden. Diese findet im Rahmen des Vespergottesdienstes vom Samstag in der Karwoche statt (in den Kirchen griechisch-orthodoxer Tradition am Freitagmittag). Während der Lesung aus Mt 27,57-62 tritt der Zelebrant in Prozession aus dem Altarraum in die Mitte der Kirche ein. Nach einer dreimaligen Proskynese nimmt er den gekreuzigten Christus vom Kreuz herab, umhüllt ihn mit einem weißen Tuch und trägt ihn andächtig in den Altarraum bzw. hinter den Altar, wo er bis zum nächsten Jahr aufgestellt bleibt.
Anstelle des Kreuzes, das nun in den Altarraum zurückgebracht wurde, wird nun im Rahmen desselben Vespergottesdienstes der so genannte Epitafios in der Mitte der Kirche aufgestellt. Epitafios (griechisch aus epi = auf und tafos = Grab) ist ein geschmücktes Tuch aus Seide mit der Grabesdarstellung, auf dem der tot liegende Christus dargestellt ist. Dieser wird auf einen wunderbar mit Blumen geschmückten Tisch mit einem kreuzförmigen Aufsatz zur Verehrung durch die Gläubigen gelegt.

Samstag
Am Samstag in der Karwoche gedenkt die Orthodoxe Kirche des Begräbnisses Christi und seines Abstiegs in den Hades.
Wie am Freitag, so wird auch der Samstagsgottesdienst (gefeiert am Samstagabend) von eindrucksvollen Elementen beherrscht: Erstens von drei Blöcken von Grabeshymnen, bekannt vom ersten Hymnus als die „I ZOI EN TAFO“ (Das Leben im Grabe) - es sind dies Gesänge, die von allen Gottesdienst-Teilnehmern gesungen werden -, und zweitens von der so genannten „EPITAFIOS-Prozession“. Während dieser Prozession wird der so genannte Epitafios durch die Menge getragen und von den Gottesdienstbesuchern andächtig verehrt. Während der Prozession tragen die Gläubigen angezündete Kerzen (vom Palmsonntagabend bis zur Auferstehung in der Nacht zum Sonntag werden gewöhnlich gelbe und nicht weiße Kerzen angezündet), singen dabei wieder die oben genannten Grabeslieder und verleihen somit dem ganzen Geschehen eine besonders eindrucksvolle und feierliche Note. Diese Prozession führt vom Inneren der Kirche hinaus in den Hof der Kirche, dann durch mehrere Straßen und zurück zur Kirche.

Ostersonntag / Anastasis 
Die Osterfeier beginnt in den meisten orthodoxen Kirchen in der Nacht von Samstag auf Sonntag, in der Regel um 23.00 Uhr, und endet gegen 2.00 Uhr morgens. Auch hier kann man zwei liturgische Teile voneinander unterscheiden. Der erste ist die eigentliche Auferstehungszeremonie und der zweite die feierliche Liturgie. Beide Teile gehen jedoch nahtlos ineinander über.
Der österliche Mitternachtsgottesdienst beginnt mit dem Kanon des Morgengottesdienstes vom Karsamstag und bildet somit sinnbildlich die Verbindung zwischen Karwoche und Ostern. Nachdem dieser Kanon zu Ende gesungen worden ist, werden in der Kirche alle Lichter, bis auf das s. g. „ewige Licht“ (das immer brennende Öllämpchen auf dem Altar), gelöscht. Dann beginnt die Auferstehungszeremonie:
Der Hauptzelebrant (Bischof oder Priester) zündet aus dem „ewigen Lämpchen“ seine große weiße Kerze an, tritt in die mittlere, s. g. „königliche Pforte“ und ruft die Gläubigen mit dem Hymnus „Kommt, nehmet Licht vom niemals untergehenden Licht und verherrlicht Christus, den von den Toten Auferstandenen“ dazu auf, ihre ebenfalls weißen Kerzen an seiner Kerze anzuzünden. Dieser Hymnus wird so lange vom Chor gesungen, bis alle Gläubigen ihre Kerzen untereinander entzündet haben und der ganze Kirchenraum hell erstrahlt.
Danach ziehen Zelebranten, Ministranten und Kirchenvolk aus der Kirche in Prozession aus. Während der Chor singt: „Deine Auferstehung, Christus, Retter, besingen Engel im Himmel. So würdige Du auch uns hier auf Erden, Dich mit reinem Herzen zu verherrlichen“, versammeln sich alle um ein größeres Podest mit einem Lesepult und den Auferstehungsbannern, von wo aus der Hauptzelebrant die Auferstehungslesung aus Mk 16,1-8 liest bzw. singt. Nach der Lesung singt der Hauptzelebrant die Ekphonese: „Ehre sei der heiligen, wesensgleichen, Leben spendenden und ungetrennten Dreifaltigkeit, jetzt und immer dar und von Ewigkeit zu Ewigkeit“ und anschließend dreimal den orthodoxen Osterhymnus Christos anesti (Christus ist auferstanden), kirchenslawisch „Christos woskresse!“: „Christus ist von den Toten auferstanden, er hat den Tod durch den Tod zertreten und denen in den Gräbern das Leben geschenkt.“ Dann ruft er den Gläubigen dreimal zu: „Christos anesti“, worauf sie jedes Mal: Alethos anesti  (er ist wahrhaft auferstanden) antworten. Diesen Osterhymnus singt dann auch der Chor mehrmals, während die vor der Kirche versammelten Gläubigen sich gegenseitig „Christos anesti – alithos anesti“ zurufen, sich umarmen und sich gegenseitig den so genannten „Auferstehungs- und Liebeskuss“ geben. Dabei schlagen sie untereinander die mitgebrachten roten Ostereier, Zeichen und Symbole des neuen Lebens, an. Nicht selten wird die Auferstehung Christi mit einem Feuerwerk und mit dem auch in der Orthodoxie üblichen Osterfeuer begrüßt. Man hat den Eindruck, es sei Silvesternacht und der Beginn des neuen Jahres.
Die Auferstehungszeremonie kommt mit einem für alle hörbaren Dialog zwischen Priester und einem Gemeindeglied eindrucksvoll zum Abschluss: In dem noch leeren Kirchenraum befindet sich nur ein Gemeindeglied (symbolisch für den Hades = G). Der Priester, gefolgt von den Prozessionsteilnehmern, kehrt zurück zur Kirche, deren Tür geschlossen ist und ruft:

Priester:           Macht Ihr, Herrscher, die Tore auf, damit der König der Herrlichkeit einziehe.
G:                    Wer ist dieser König der Herrlichkeit?

(Dieses wird  wiederholt und beim dritten Mal:)        

Priester:           Ein starker und mächtiger König, der ist der König der Herrlichkeit.

Danach schiebt der Priester die Kirchentür auf und die Gemeinde zieht ein.

Nach dieser Auferstehungszeremonie, die gut eine halbe Stunde dauern kann, ziehen alle wieder in die Kirche ein, wo der Gottesdienst mit dem Morgengottesdienst und der Feier der Göttlichen Liturgie (die Feier der Eucharistie) fortgesetzt wird.
Die Feier endet mit der Verlesung durch den Zelebranten der s. g. Katechetischen Rede des Johannes Chrysostomos, die Bezug nimmt auf die Gleichnisse Jesu von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) und vom königlichen Mahl (Mt 22,11-14).

Die „Vesper der Liebe“

Als „Vesper der Liebe“ wird der Vespergottesdienst des Ostersonntages, der in der griechisch-orthodoxen Tradition in der Regel am Ostersonntag gegen Mittag gefeiert wird, bezeichnet. Das Besondere an diesem Gottesdienst, eine kurz gefasste zweite Auferstehungsfeier, ist die Tatsache, dass die Evangeliumslesung aus Joh 20,19-25 in möglichst vielen Sprachen verlesen wird. Am Ende des Gottesdienstes gibt der Priester allen Anwesenden ein rotes Osterei in die Hand mit. 

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