„Ist aber Christus
nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung nichts, und nichts ist
euer Glaube (1 Kor. 15,14).“
Man kann im Neuen
Testament auf sehr viele Stellen hinweisen, die von der Auferstehung Jesu, und
was sie für uns Menschen bedeutet, berichten. Für den orthodoxen Osterglauben
ist aber der soeben zitierte Vers aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther
der Wichtigste. Nicht nur weil in diesem Vers sehr deutlich, ja kategorisch die
Einzigartigkeit und der Grund bzw. die Begründung des christlichen Glaubens
geliefert wird, sondern auch weil damit jeglichem Versuch, die historische
Wirklichkeit der Auferstehung Jesu anzuzweifeln und abzulehnen, eine klare
Absage erteilt wird. Im
Johannes-Evangelium 20,19-25, das in der orthodoxen Kirche
in der Vesper am Ostersonntag, bei der sogenannten „Vesper der Liebe“ in mehreren Sprachen verlesen wird, wird
berichtet, dass die Jünger Jesu nicht glaubten, dass er es war, als er ihnen am
dritten Tag nach seinem Tod bei verschlossenen Türen erschien. Sie glaubten, es
sei eine Sinnestäuschung, ein Gespenst. Christus aber machte klar, dass er kein
Gespenst und keine Sinnestäuschung war, sondern wirklich körperlich zugegen.
Ähnlich wird auch von den anderen Erscheinungen des auferstandenen Jesus
berichtet (z.B. in der Emmaus-Geschichte).
Deshalb legen die
Orthodoxen Wert auf die reale Auferstehung Christi und an unsere reale
Auferstehung von den Toten. Hier, wie auch sonst, geht es den Orthodoxen um das
Letzte: Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist unsere Verkündigung und
unser Glaube umsonst und sinnlos. Wie sollten wir Christen bleiben, wenn wir
glaubten, dass sich das Christentum auf einen Wahn gründet? So unangemessen es
ist, in Christus lediglich einen Menschen oder einen Propheten oder einen
großen Lehrer zu sehen, so wenig lässt sich die Auferstehung Jesu damit
wegerklären, dass man sagt, Christi „Geist“ allein habe gewissermaßen unter
seinen Jüngern fortgelebt. Nur der „wahre Gott vom wahren Gott“, wie wir in
unserem Glaubensbekenntnis bekennen, der durch sein Sterben und Auferstehen von
den Toten den Tod besiegt hat, kann unsere Rettung und Hoffnung sein.
Zugleich muss man
sagen, dass auch bezüglich des Osterglaubens das orthodoxe Prinzip gilt: Der
christliche Glaube, Gott selbst, Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung Christi,
ist letztendlich ein Mysterium, ein Geheimnis, das nicht durch menschliche
Denkkategorien, auch nicht durch historische Forschungen und Beweise erfasst
und begriffen werden kann. Denn, wie Johannes von Damaskus sagt: „das Göttliche
ist unfasslich und unbeschreiblich, und das Einzige, was an ihm fasslich ist, ist
seine Unendlichkeit und seine Unfasslichkeit.“ Der orthodoxe
Auferstehungsglaube sucht und fragt also nicht nach Beweisen. Er bemüht sich
nicht darum, die anderen davon zu überzeugen. Er zeigt lediglich dieses
Ereignis und seine Folgen und Implikationen für uns Menschen und für die
gesamte Schöpfung an. Dies ist ein anderer Weg der Erkenntnis Gottes, ein Weg
der Erfahrung, ein empirischer Weg.
So verkündet die
orthodoxe Kirche alljährlich in der Osternacht: „Christus ist auferstanden von
den Toten, er hat den Tod durch den Tod zertreten und denen in den Gräbern das
ewige Leben geschenkt.“
Die Auferstehung
als der Sieg Jesu über den Hades, der Personifizierung des Todes, kommt in der
orthodoxen Auferstehungsdarstellung, der
Anastasis-Ikone sehr deutlich zum Ausdruck: Der auferstandene Christus wird
nicht als derjenige dargestellt, der aus dem Grab mit einer Siegesfahne in der
Hand in den Himmel fährt, sondern als der, der in den Hades, in die Unterwelt
hinabsteigt, um mit ihm zu kämpfen, der ihn besiegt, und der die, die dort in
den Gräbern liegen, aus dem Tod herausholt. Er sprengt die Schlösser und Riegel
des Sarges, die Nägel liegen herum, und er reißt kraftvoll mit seinen Händen
Adam und Eva aus der Unterwelt, aus dem Tod, und führt sie hinauf ins Leben.
Der Hades selbst liegt geschlagen und besiegt unter dem Sarg, während auf der
einen Seite Gestalten des Alten und auf der anderen Seite Gestalten des Neuen
Testaments symbolhaft abgebildet werden.
Erst auf diesem
Hintergrund wird verständlich, warum für die orthodoxen Christen das Osterfest
das größte und höchste Fest, das Fest der Freude schlechthin ist. Weil Christus
durch seinen Tod und seine Auferstehung den Tod besiegt und uns die Erlösung
und das ewige Leben gebracht hat, deshalb haben wir Christen Grund zur
ungetrübten Hoffnung und Freude.
Die
„Heilige und Große Woche“ in der Orthodoxen Kirche
Der orthodoxe
Gottesdienst zum Osterfest ist der Höhepunkt des vorausgegangenen
fünfzigtägigen Fastens und insbesondere der Karwoche, die in der orthodoxen
liturgischen Sprache „Heilige und Große Woche“ oder „Leidenswoche“ genannt
wird. Diese beginnt bereits am Abend des Palmsonntags und endet am Karsamstag.
Palmsonntag
An diesem Tag gedenkt die
Orthodoxe Kirche des feierlichen Einzugs Jesu in Jerusalem.
Der Bezug des ansonsten
üblichen Sonntagsgottesdienstes an diesem Tag zum Einzug Jesu in Jerusalem wird
erstens durch die entsprechende Lesung aus dem Johannes-Evangelium (Joh
12,1-18) und zweitens durch die Weihe und Austeilung der Palmzweige symbolhaft
zum Ausdruck gebracht. Die geweihten Palmzweige werden nach Hause mitgenommen
und in der so genannten „Hauskirche“, der Ecke mit Ikonen, bis zum nächsten
Jahr aufbewahrt.
Montag bis Mittwoch
Die Abendgottesdienste
(es werden die Gottesdienstordnungen der Morgengottesdienste des jeweils
nächsten Tages gefeiert) vom Palmsonntagabend bis zum Dienstagabend sind als
die Tage der „Ordnung des Bräutigams“ (griechisch = „Nymphios“) bekannt. Im
Mittelpunkt der Lesungen, Hymnen und Gebete dieser Tage steht also das Kommen
Jesu als des Bräutigams der Kirche.
Am
Mittwoch wird das Sakrament der Krankensalbung gefeiert. Charakteristikum der Feier des Sakraments der Krankensalbung sind
sieben Epistel-Lesungen, sieben Evangeliums-Lesungen und sieben Gebete. Am Ende
der Feier lassen sich die Gläubigen durch den Priester mit dem gesegneten Öl
salben.
Donnerstag
Am
Donnerstag in der Karwoche gedenkt die Orthodoxe Kirche der Fußwaschung, der
Einsetzung der Eucharistie (Abendmahl), des Priesterlichen und Hohen Gebets und
des Verrats Jesu durch Judas.
Der
Einsetzung des Abendmahls wird neben der Feier der Eucharistie dadurch gedacht,
dass im Rahmen einer feierlichen Prozession die Ikone der Abendmahlsdarstellung
in die Mitte der Kirche getragen und zur Verehrung aufgestellt wird.
Auch
die Fußwaschung (Joh 13,1-17) wird im Rahmen des
Donnerstagsgottesdienstes, allerdings nicht in allen orthodoxen Kirchen, gefeiert.
Vom zelebrierenden Liturgen (Bischof oder Priester) werden zwölf Personen
(symbolisch für die zwölf Apostel) die Füße gewaschen.
Freitag
Am
Freitag in der Karwoche gedenkt die Orthodoxe Kirche der Leiden und des Todes
Jesu.
Zwei
Elemente beherrschen den abendlichen Gottesdienst des Tages: Erstens die 12
Lesungen, Ausschnitte aus allen vier
Evangelien, die vom Leidensweg Jesu berichten und zweitens die
Kreuzesprozession. Diese findet nach der sechsten Lesung statt und verläuft wie
folgt:
Die Kreuzesprozession
Der
Zelebrant (Bischof oder Priester) trägt das bis dahin hinter dem Altar
aufgestellte große Holzkreuz mit dem darauf genagelten Christus (Abbild und
Ikone eines lebensgroßen Christus) vom Altarraum in die Mitte der Kirche
hinein. Ihm gehen die Ministranten voraus. Das Kreuz wird sodann von den
Gottesdienstbesuchern liebevoll mit Blumen und Blumenkränzen geschmückt. Danach verehren die Gottesdienstbesucher den gekreuzigten Christus,
indem sie sich vor ihm bekreuzigen, knien und das Kreuz bzw. Christus küssen.
Viele
Gottesdienstteilnehmer verharren, wie bei Verstorbenen auch heute noch üblich, die
ganze Nacht über in der Kirche und halten so zu sagen Wache beim verstorbenen
Jesus. Dabei singen sie liturgische wie auch profane Beerdigungsgesänge.
Kreuzesabnahme und Epitafios
Als
liturgisches Verbindungselement zwischen Passion und Begräbnisfeier Jesu kann
die so genannte Zeremonie der Kreuzesabnahme (griechisch = apokathelosis) angesehen
werden. Diese findet im Rahmen des Vespergottesdienstes vom Samstag in der
Karwoche statt (in den Kirchen griechisch-orthodoxer Tradition am Freitagmittag).
Während der Lesung aus Mt 27,57-62 tritt der Zelebrant in Prozession aus dem
Altarraum in die Mitte der Kirche ein. Nach einer dreimaligen Proskynese nimmt
er den gekreuzigten Christus vom Kreuz herab, umhüllt ihn mit einem weißen Tuch
und trägt ihn andächtig in den Altarraum bzw. hinter den Altar, wo er bis zum
nächsten Jahr aufgestellt bleibt.
Anstelle
des Kreuzes, das nun in den Altarraum zurückgebracht wurde, wird nun im Rahmen
desselben Vespergottesdienstes der so genannte Epitafios in der Mitte der
Kirche aufgestellt. Epitafios (griechisch aus epi = auf und tafos = Grab) ist
ein geschmücktes Tuch aus Seide mit der Grabesdarstellung, auf dem der tot
liegende Christus dargestellt ist. Dieser wird auf einen wunderbar mit Blumen
geschmückten Tisch mit einem kreuzförmigen Aufsatz zur Verehrung durch die
Gläubigen gelegt.
Samstag
Am Samstag in der Karwoche
gedenkt die Orthodoxe Kirche des Begräbnisses Christi und seines Abstiegs in
den Hades.
Wie
am Freitag, so wird auch der Samstagsgottesdienst (gefeiert am Samstagabend)
von eindrucksvollen Elementen beherrscht: Erstens von drei Blöcken von
Grabeshymnen, bekannt vom ersten Hymnus als die „I ZOI EN TAFO“ (Das Leben im
Grabe) - es sind dies Gesänge, die
von allen Gottesdienst-Teilnehmern gesungen werden -, und zweitens von der so genannten „EPITAFIOS-Prozession“.
Während dieser Prozession wird der so genannte Epitafios durch die Menge
getragen und von den Gottesdienstbesuchern andächtig verehrt. Während der
Prozession tragen die Gläubigen angezündete Kerzen (vom Palmsonntagabend bis
zur Auferstehung in der Nacht zum Sonntag werden gewöhnlich gelbe und nicht
weiße Kerzen angezündet), singen dabei wieder die oben genannten Grabeslieder
und verleihen somit dem ganzen Geschehen eine besonders eindrucksvolle und
feierliche Note. Diese Prozession führt vom Inneren der Kirche hinaus in den
Hof der Kirche, dann durch mehrere Straßen und zurück zur Kirche.
Ostersonntag / Anastasis
Die Osterfeier beginnt
in den meisten orthodoxen Kirchen in der Nacht von Samstag auf Sonntag, in der
Regel um 23.00 Uhr, und endet gegen 2.00 Uhr morgens. Auch hier kann man zwei
liturgische Teile voneinander unterscheiden. Der erste ist die eigentliche Auferstehungszeremonie
und der zweite die feierliche Liturgie. Beide Teile gehen jedoch
nahtlos ineinander über.
Der österliche
Mitternachtsgottesdienst beginnt mit dem Kanon des Morgengottesdienstes vom
Karsamstag und bildet somit sinnbildlich die Verbindung zwischen Karwoche und
Ostern. Nachdem dieser Kanon zu Ende gesungen worden ist, werden in der Kirche
alle Lichter, bis auf das s. g. „ewige Licht“ (das immer brennende Öllämpchen
auf dem Altar), gelöscht. Dann beginnt die Auferstehungszeremonie:
Der Hauptzelebrant
(Bischof oder Priester) zündet aus dem „ewigen Lämpchen“ seine große weiße
Kerze an, tritt in die mittlere, s. g. „königliche Pforte“ und ruft die
Gläubigen mit dem Hymnus „Kommt, nehmet Licht vom niemals untergehenden Licht
und verherrlicht Christus, den von den Toten Auferstandenen“ dazu auf, ihre
ebenfalls weißen Kerzen an seiner Kerze anzuzünden. Dieser Hymnus wird so lange
vom Chor gesungen, bis alle Gläubigen ihre Kerzen untereinander entzündet haben
und der ganze Kirchenraum hell erstrahlt.
Danach ziehen Zelebranten,
Ministranten und Kirchenvolk aus der Kirche in Prozession aus. Während der Chor
singt: „Deine Auferstehung, Christus, Retter, besingen Engel im Himmel. So
würdige Du auch uns hier auf Erden, Dich mit reinem Herzen zu verherrlichen“,
versammeln sich alle um ein größeres Podest mit einem Lesepult und den
Auferstehungsbannern, von wo aus der Hauptzelebrant die Auferstehungslesung aus
Mk 16,1-8 liest bzw. singt. Nach der Lesung singt der Hauptzelebrant die
Ekphonese: „Ehre sei der heiligen, wesensgleichen, Leben spendenden und
ungetrennten Dreifaltigkeit, jetzt und immer dar und von Ewigkeit zu Ewigkeit“
und anschließend dreimal den orthodoxen Osterhymnus Christos anesti (Christus
ist auferstanden), kirchenslawisch „Christos woskresse!“: „Christus ist von den
Toten auferstanden, er hat den Tod durch den Tod zertreten und denen in den
Gräbern das Leben geschenkt.“ Dann ruft er den Gläubigen dreimal zu: „Christos
anesti“, worauf sie jedes Mal: Alethos anesti
(er ist wahrhaft auferstanden) antworten. Diesen Osterhymnus singt dann
auch der Chor mehrmals, während die vor der Kirche versammelten Gläubigen sich
gegenseitig „Christos anesti – alithos anesti“ zurufen, sich umarmen und sich
gegenseitig den so genannten „Auferstehungs- und Liebeskuss“ geben. Dabei
schlagen sie untereinander die mitgebrachten roten Ostereier, Zeichen und
Symbole des neuen Lebens, an. Nicht selten wird die Auferstehung Christi mit
einem Feuerwerk und mit dem auch in der Orthodoxie üblichen Osterfeuer begrüßt.
Man hat den Eindruck, es sei Silvesternacht und der Beginn des neuen Jahres.
Die
Auferstehungszeremonie kommt mit einem für alle hörbaren Dialog zwischen
Priester und einem Gemeindeglied eindrucksvoll zum Abschluss: In dem noch
leeren Kirchenraum befindet sich nur ein Gemeindeglied (symbolisch für den
Hades = G). Der Priester, gefolgt von den Prozessionsteilnehmern, kehrt zurück
zur Kirche, deren Tür geschlossen ist und ruft:
Priester: Macht Ihr, Herrscher, die Tore auf,
damit der König der Herrlichkeit einziehe.
G: Wer ist dieser König der
Herrlichkeit?
(Dieses wird wiederholt und beim dritten Mal:)
Priester: Ein starker und mächtiger König, der
ist der König der Herrlichkeit.
Danach schiebt der Priester die Kirchentür auf und die
Gemeinde zieht ein.
Nach dieser Auferstehungszeremonie,
die gut eine halbe Stunde dauern kann, ziehen alle wieder in die Kirche ein, wo
der Gottesdienst mit dem Morgengottesdienst und der Feier der Göttlichen
Liturgie (die Feier der Eucharistie) fortgesetzt wird.
Die Feier endet mit der
Verlesung durch den Zelebranten der s. g. Katechetischen Rede des Johannes
Chrysostomos, die Bezug nimmt auf die Gleichnisse Jesu von den Arbeitern im
Weinberg (Mt 20,1-16) und vom königlichen Mahl (Mt 22,11-14).
Die „Vesper der Liebe“
Als „Vesper der Liebe“
wird der Vespergottesdienst des Ostersonntages, der in der
griechisch-orthodoxen Tradition in der Regel am Ostersonntag gegen Mittag
gefeiert wird, bezeichnet. Das Besondere an diesem Gottesdienst, eine kurz
gefasste zweite Auferstehungsfeier, ist die Tatsache, dass die
Evangeliumslesung aus Joh 20,19-25 in möglichst vielen Sprachen verlesen wird.
Am Ende des Gottesdienstes gibt der Priester allen Anwesenden ein rotes Osterei
in die Hand mit.
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