Wäre der Mensch doch in der Herrlichkeit geblieben, die er bei Gott hatte, dann besäße er keine eingebildete, sondern wahre Erhabenheit, wäre durch Gottes Macht berühmt, durch Gottes Weisheit erleuchtet und mit ewigem Leben und seinen Gütern beglückt. ...
Nicht nur aus Reichtum erwächst Stolz; nicht nur mit prunkender Lebensart und Kleidung, die der Reichtum möglich macht, brüsten sich die Menschen, wenn sie über die Maßen kostspielige und luxuriöse Gastmähler veranstalten, unnötigen Kleideraufwand betreiben, riesige Häuser bauen und sie prunkvoll ausstatten, eine Menge Diener halten und sich mit Scharen zahlloser Schmeichler umgeben, sondern sie prahlen auch überdie Maßen mit den Ämtern, in die sie berufen wurden. Wenn das Volk jemandem ein Amt verleiht, wenn es ihn mit einem Vorsitz beehrt oder ihn mit einer herausragenden Aufgabe betraut, dann glauben sie, dadurch über die menschliche Natur hinauszuragen, beinahe auf Wolken zu thronen, und halten ihre Untergebenen für einen Fußschemel, erheben sich gegen jene, die ihnen diese Würde verliehen haben, und gebärden sich überheblich gegen jene, durch die sie etwas zu sein scheinen. Ihr Tun ist jedoch voller Unsinn, ihre Ehre ist nichtiger als ein Traum, und Prunk, mit dem sie sich umgeben, ist eitler als nächtliche Erscheinungen, da er in einem Wink des Volkes gründet und mit einem Wink schwindet. ...
Jener unangenehme und ungemein hochmütige Pharisäer, der nicht nur kühn auf sich selbst vertraute, sondern auch den Zöllner vor Gott schmähte, verlor wegen der hochmütigen Anschuldigung den Ruhm der Gerechtigkeit. Und der Zöllner ging statt seiner gerechtfertigt heim, weil er dem helligen Gott die Ehre gab und nicht einmal aufzublicken wagte, sondern nur Verzeihung suchte, sich durch die Haltung und das Klopfen an die Brust schuldig bekannte und nichts anderes begehrte als Verzeihung (vgl. Lk 18,9-14). ... Du erhebe dich nie über jemanden, nicht einmal über den ärgsten Sünder! Oft rettet die demütige Gesinnung den, der viele und große Sünden begangen hat. Halte dich nicht für gerechter als einen anderen, damit du nicht, wenn du dich durch dein Urteil rechtfertigst, durch Gottes Spruch verurteilt wirst.
Wie werden wir nun zur heilbringenden Demut gelangen und den verderblichen Dünkel des Hochmut ablegen? ... Sei aufrichtig zum Freund, gütig gegen den Diener, langmütig gegen die Rücksichtslosen, freundlich gegen die kleinen Leute! Tröste die, die Böses erfuhren, kümmere dich um die Leidenden, verachte auf keinen Fall irgend jemand! Sei gefällig in der Anrede, klar in der Antwort, huldvoll und allen leicht zugänglich! Verbreite nicht deinen eigenen Ruhm, noch bestelle andere, ihn zu verkünden; stimme keiner ungebührlichen Rede zu; verbirg, soweit wie möglich, deine eigenen Vorzüge! ... Sei nicht hart im Tadel, weder schnell noch leidenschaftlich im Zurechtweisen — anmaßend ist das -; verurteile auch nicht wegen Kleinigkeiten, als wenn du selbst völlig gerecht wärst; nimm dich derer an, die Fehler begangen haben, und rufe sie geistig zur Ordnung! ... Wurdest du aber eines Amts gewürdigt, und rühmen und ehren dich die Menschen?
Werde den Untergebenen gleich, verhalte dich weder so, »als hältst du Macht über das Erbe« (l Petr 5,3), noch nach Art der weltlichen Herrscher! »Wer der Erste sein will, sei der Sklave aller!«, hat der Herr befohlen (Mk 10,44). - Zusammenfassend sei gesagt: Strebe so nach Demut, wie einer, der sie liebt. Liebe sie, und sie wird dich ehren. So wirst du gut zum wahren Ruhm vorankommen, der unter den Engeln und bei Gott zu finden ist. Christus aber wird dich vor den Engeln als seinen Jünger bekennen (vgl. Lk 12,8) und dich verherrlichen, wenn du Nachahmer seiner demütigen Gesinnung wirst; er sagt ja: »Lernt von mir; denn ich bin sanft und demütig von Herzen; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele« (Mt 11,29).
Über die Demut, 20. Predigt, 1.4.5.6.7; PG 31, 525-540
aus: Lothar Heiser, Jesus Christus - das Licht aus der Höhe, St. Ottilien: EOS-Verlag 1988, S. 388f
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