Artikel aus dem Journal „Foma“, Interview mit Erzpriester Georgij
Mitrofan.
Vater Georgije, wir werden Ihnen wieder eine Frage
stellen, die schon einmal auf den Seiten unseres
Journals zu finden war, aber jetzt sollten wir eine
detailiertere Antwort geben: Warum braucht man
einen Geistlichen und welche Rolle hat dieser?
Heutzutage ist es sehr schwierig ein Christ zu sein und nach
den Geboten Gottes zu leben, ohne dabei die Erfahrung
anderer Menschen zu betrachten. Denn die religiöse
Erfahrung beinhaltet vor allem die Kirchentradition. Und die
Träger dieser Tradition sind die Geistlichen, deren wichtigste
Funktion wiederum das Hirtentum ist. Dabei möchte ich
betonen, dass Priester unterschiedlich sein können: Sie
können klug, dumm, gebildet oder ungebildet sein. Aber sie
alle sind dazu verpflichtet sich selbst Fähigkeiten anzueignen,
die Menschen dabei helfen können die Quintessenz der
kirchlichen Tradition zu verstehen. Die Aufgabe eines
Priesters in der Funktion als Geistlicher ist – eine Hilfe
für den Menschen zu sein, damit dieser es lernt sein Leben
auf eine christliche Art und Weise zu führen. Dabei ist die
Mehrheit der Menschen in der Regel nicht dazu fähig sich
ein klares Bild über sich selbst zu machen, und deswegen
besitzen die Menschen auch nicht die Fähigkeit sich selbst
seitens der moralischen Prinzipien, die auf kirchlichen
Kanonen (Regeln) basieren, einzuschätzen. Der Geistliche ist
dazu
aufgerufen dem Menschen dabei zu helfen seine Gedanken
und Gefühle auszudrücken und ihn während der Beichte zu
unterstützen sich selbst aus Sicht der kirchlichen Tradition
zu bewerten. Im Allgemeinen sagen wir die Aufgabe eines
Geistlichen ist eine Hilfe für den Menschen zu sein, damit
dieser damit beginnt ein kirchliches Leben zu führen, und
damit er es lernt ein Christ zu sein.
Hier sollte man betonen, dass der Faktor Persönlichkeit
gerade in der Beziehung zwischen einem Geistlichen und
einem in der Welt lebenden Menschen eine besondere
Bedeutung einnimmt. Es ist wichtig, dass Übereinstimmung
herrscht. Diese ist nicht so wichtig, wenn der Priester die
Sakramente der Taufe, der Ölsalbung und der Trauung
durchführt. Aber wenn es um die Beichte geht, dann ist
diese Übereinstimmung besonders wichtig. Es gibt solche
Fälle, in denen der Mensch ein Leben auf eine tief geistliche
Art und Weise führt aber dennoch keinen Geistlichen finden
kann, weil ein Priester dem einen gefällt und dem anderen
wiederum nicht. Das ist ganz individuell. Wenn wir über den
Begriff „Geistlicher“ sprechen – dann ist das immer der
Priester, der dem einen oder dem anderen die Beichte
abnimmt. Das ist nicht der geistliche Vater, das ist ein ganz
anderer Begriff.
Lassen Sie uns diesen Begriff etwas detailierter
diskutieren.
Der Begriff des geistlichen Vaters wird oft mit dem Begriff des
Geistlichen vermischt. Ein bedeutender Teil der modernen
Christen verfügt nicht über ein reelle Erfahrung in Bezug auf
ein geistliches Leben. Gleichzeitig lesen diese Christen viele
Bücher, die ich bedingt als Wiederdruck-Ausgaben bezeichnen
würde. Die Bücher sprechen über das geistliche Leben im
Kloster und über die geistlichen Tätigkeiten berühmter
Hirten, wie das z.B. der Ältesten aus dem Optina-Kloster, des
Heiligen Teofan des Eremiten, oder des Ehrwürdigen
Johannes von Kronstadt. Natürlich begegnet man in dieser
Literatur oft dem Begriff „geistlicher Vater“. Wenn wir uns
dem Ursprung, von dem aus diese Art und Weise der
geistlichen Führung begonnen hat zuwenden, dann erhalten
wir folgendes: Diese formiert sich zuerst im Kloster.
Aber was ist ein Kloster? Das ist eine Versammlung von
Aber was ist ein Kloster? Das ist eine Versammlung von
Menschen, die das weltliche Leben verlassen und ein Leben
auf besondere Art und Weise führen. Ihre Haupt-
beschäftigung besteht nicht darin das tägliche Brot zu ver-
dienen, noch ist diese eine Lösung für alltägliche Probleme,
die in unserer Gesellschaft entstehen, zu finden; sondern
ihre Haupttätigkeit besteht in ihrer eigenen Verklärung/
Transfiguration.
Die Aufgabe eines Mönches ist sehr tief greifend. Ein in der
Die Aufgabe eines Mönches ist sehr tief greifend. Ein in der
Welt lebender Christ sorgt sich hauptsächlich darum immer
seltener solche Gedanken zu haben und zu realisieren, die ein
schlechtes Verhalten beinhalten. Von diesem Gesichtspunkt
aus gesehen hat der Mönch eine (zusätzliche) übergeordnete
Aufgabe. Denn dieser strebt sogar danach seine schlechten
Gedanken zu hinterfragen. Und eben wegen dieser strengen
Anforderung an sich selbst hat ein Mönch das Bedürfnis da-
nach ständig mit einem Menschen zu kontaktieren, der eine
enorme geistliche Erfahrung besitzt, und der in dieser geist-
lichen Tätigkeit Fortschritte gemacht hat.
Nun während man nebeneinander im Kloster lebt, d.h. in
Nun während man nebeneinander im Kloster lebt, d.h. in
vollkommen identischen äußerlichen Bedingungen, und dabei
noch die Möglichkeit besitzt egal an welchem Tag bei einem
erfahrenen Mönch zu beichten, so bildet sich in der Mönchs-
gesellschaft das Verständnis eines geistlichen Vaters – d. h.
eines erfahrenen Mönchs, der schließlich am Ende die Ver-
antwortung für einen Menschen in einer enormen Stufe auf
sich nimmt. D.h. man beichtet nicht nur permanent bei ihm,
sondern man spricht sogar jeden Tag und sogar über seine
innigsten Gedanken mit ihm. Wobei der geistliche Vater
seinerseits das Leben des Mönchs sehr streng wieder in die
richtige Bahnen lenkt. So kann dieser einen Mönch in man-
chen Situationen dazu verpflichten und sogar verlangen, dass
derselbe sich sogar für Kleinigkeiten gemäß dem Segen seines
geistlichen Vaters verhalten muss.
Ein weiterer Sinn des Mönchstums besteht sogar darin, dass
Ein weiterer Sinn des Mönchstums besteht sogar darin, dass
man freiwillig seinen eigenen Willen bricht. Dabei ist es nicht
so, dass jeder und sogar erfahrene Mönche eine solche aus
Folgsamkeit auszuführende Aufgabe auf sich nehmen. (Wenn
wir von der echten geistlichen Vaterschaft sprechen), so trifft
man diese selten in den Klöstern an. Aber viele Menschen, die
damit beginnen ein kirchliches Leben zu führen, die sog. Neo-
fiten, wollen sofort und in vollem Maße diese Prinzipien, die
sie in den Büchern gelesen haben, realisieren.
Ihnen scheint es, dass sie selbst gleich ihren eigenen Willen
brechen und so vollkommene Mönche sein können, wobei
sie ihre in der Welt lebenden Gemeindepriester dazu ver-
pflichten so zu sein, wie die geistlichen Väter (Ältesten/
Weisen) aus dem Optina-Kloster es waren. Solche Menschen
beginnen oft damit sich einen geistlichen Vater zu suchen:
Dabei wechseln sie erst vom einen zum anderen, wobei sie
damit beginnen bei ihrem Gemeindepriester das Verhältnis,
das ein geistlicher Vater gegenüber seinem geistlichen Kind
hat, zu imitieren. Und so kann der Mensch leicht in die Ver-
irrung geraten. Und nun diese geistlichen Ansichten, die aus
den gelesenen Büchern herrühren, behindern häufig die Her-
ausbildung eines normalen Verhältnisses mit dem Geistlichen
(d.h. einem Verhältnis, das dem geistlichen Niveau, der
Lebensweise und den Talenten des Priesters, der einem ge-
geben ist, entspricht).
Hier muss man sagen, dass dies sogar die Priesterdiener des-
orientiert, die sofort die Aufgabe übertragen bekommen geist-
liche Väter für irgendjemanden zu sein. In diesem Fall sollte
man sich der Worte des religiösen Schriftstellers S. I. Fudelja
erinnern. Er sprach darüber, dass ein bestimmtes Maß an Dis-
tanz unabdingbar ist, wenn man die Heiligen Väter liest. Man
sollte nicht den Sinn für die Realität verlieren. Man sollte sich
selbst nicht komplett mit dem gelesenen Text identifizieren
und nach diesem Text das eigene Leben aufbauen. Und noch
ein wichtiges Detail: Sehr oft will man keinen einfachen Geist-
lichen haben, der dem Menschen dabei hilft sich selbst zu ent-
wickeln, sondern man will einen geistlichen Vater, der für das
gesamte Vorgehen eines Menschen die Verantwortung
übernimmt. Und dies ist nicht eine christliche, sondern eine
rein sowjetische rudimentäre Sehnsucht nach einer
totalitären Autorität. Das ist in unserer Gesellschaft sehr
stark verbreitet, weil wir jahrzehntelang in einer Atmosphäre
lebten, zu der das alles möglich machende unpersönliche
Kollektiv und der alles möglich machende unpersönliche Staat
alles für uns erledigte und so unseren Lebensweg bestimmte.
Und dies führte bei uns zu einer traurigen Erkenntnis: Wir
sind es gewohnt nach den Prinzipien von Autoren dieser Welt
zu leben, wobei uns dies manchmal belastet oder ermüdet.
Aber nichtsdestoweniger sind wir uns der unbestrittenen
Wahrheit bewusst, dass die Hauptprobleme unseres Lebens
jemand anderes löst. Das Wertesystem hat sich verändert,
aber es bleibt die Überzeugung, (und so denken viele
Menschen noch), dass alles im Leben aufgrund von Befehlen
„von oben“ geschieht – wobei mit „von oben“ diesmal nicht
das „irdische Politbüro“ sondern aus das „himmlische
Politbüro“ gemeint ist.
Soll denn folglich aus diesem Grunde ein Menschen,
der gerade erst damit beginnt ein christliches Leben
zu führen, sich selbst keine geistlichen Väter suchen
sondern sich darum bemühen ständig bei ein- und
demselben Geistlichen zu beichten?
Genau so ist es. Man kann so sein geistliches Leben beginnen:
Man sollte regelmäßig eine Kirche besuchen, denn so kann
man sich in der Kirche einfacher zurechtfinden. Desweiteren
sollte man sich darum bemühen immer zu einem bestimmten
Geistlichen zu gehen, denn so ist es einfacher die Beichte
abzulegen: Man wird von ihm besser verstanden und in die
richtige Richtung geführt. Und während man immer bei ihm
beichtet, macht man schließlich geistliche Fortschritte. Man
sollte noch hinzufügen, dass es auch auf einen Priester eine
tiefe Wirkung hat, wenn zu ihm ernstere, ausdauernde Gemeindemitglieder kommen, die ihm glauben. Solche
Begegnungen stimulieren ihn in seinem geistlichen Leben.
Wenn ich mich selbst betrachte so weiß ich: Manchmal geht
man ohne einen besonderen Wunsch oder Inspiration zur
Beichte, und auf einmal kommen zu dir Menschen, die
bereuen, und die aber sogar intelligenter sind, als man es
selbst ist, so dass diese einen selbst inspirieren. Das ist sehr
wichtig. Und nun in so einer reziproken Arbeit des Geistlichen
und des ständig bei ihm bereuenden Christen können schritt-
weise Verhältnisse entstehen, die das Verhältnis zwischen
einem Geistlichen und einem geistlichen Kind darstellen.
Aber dieser Prozess ist langwierig und komplex.
Oft wird man gefragt: Wie soll man einen
Geistlichen finden? Die Antwort ist, man sollte
dafür beten. Aber es besteht auch eine andere
Variante: Die Menschen gehen in die Kirchen.
Sie versuchen es (einfach). Sie suchen danach:
Was soll man ihnen raten?
Einen Geistlichen zu finden – das ist eine gegenseitige
Tätigkeit. Es hängt sowohl viel vom Priester als auch vom
Gläubigen ab. Der Gläubige und in der Welt lebende Mensch
sollte verstehen, dass wenn er einen Geistlichen finden will,
er sich selbst auch geistlich darum bemühen muss. Er sollte
nicht die Kirche ständig wechseln, und er sollte auch nicht die
Priester (ständig) abwägen. Sondern wenn man zu einem
Priester geht,und bei demselben eine nicht geringe Aufmerk-
samkeit empfindet, so sollte man damit beginnen mit diesem
Priester zu arbeiten. Das sollte man nicht nur einen Monat
und ein Jahr lang tun, sondern dafür ist viel mehr Kraft not-
wendig. Ein Mensch, der im geistlichen Sinne Fortschritte
macht, beginnt somit seine Umgebung, als auch seinen Geist-
lichen, mit dem ihn der Herr in diesem Leben verbunden hat,
besser zu verstehen. Deswegen sollte man nicht den Weg der
äußerlichen Veränderungen gehen (…).
Vielleicht wird man (mit dieser Strategie) nicht erfolgreich
Vielleicht wird man (mit dieser Strategie) nicht erfolgreich
sein. In diesem Falle ist es möglich von diesem Priester
wegzugehen. Denn der Priester kann sich als ein schlechter
Priester erweisen. Oder er ist ein guter Priester, aber man
selbst ist mit ihm nicht im Einklang. Es ist möglich zu einem
anderen Priester zu wechseln, aber das sollte man nur in
einem Ausnahmefall tun.
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