Seit ungefähr zehn Jahren ist in orthodoxen, aber auch früher der Kirche sehr fernstehenden Kreisen immer öfter der Name der seligen Matrona von Moskau zu hören. Bei einem Besuch im Pokrov-Kloster (Schutzmantelkloster) (bei der Metrostation Taganskaja), das erst 1994 der Russischen Orthodoxen Kircher als Ruine übergeben und neu erbaut wurde, kann man Zeuge dieser innigen Verehrung werden. Matrona wurde 1998 vom Danilov Friedhof in das Kloster umgebettet, 1999 zur örtlichen Verehrung vorgestellt und 2004 seliggesprochen. Bis zu 4 Stunden stellen sich hunderte Menschen an, Männer und Frauen sehr viele Jugendliche, Mütter mit kleinen Kindern und alle mit Blumen. Diese Menschenscharen teilen sich in zwei Ströme: die einen zur Ikone im Freien, die anderen in die Kirche zu den Reliquien. Es gibt keine Unruhe, keine Drängelei, es herrscht eine ungewöhnliche Ruhe im hektischen Moskau. Matrona sagte selbst vor ihrem Tod voraus: "Nach meinem Tod werden zu meinem Grab nur wenige Leute kommen, nur die Nächsten, und wenn sie sterben, wird mein Grab vernachlässigt werden, kaum, dass noch jemand kommt…aber nach vielen Jahren werden die Leute von mir erfahren und werden in Scharen um Hilfe für ihren Kummer kommen, mit der Bitte um Fürbitte bei Gott dem Herrn für sie - und ich werde allen helfen und auf alle hören."
So kommen wie schon zu Lebzeiten Matronas die Menschen mit ihren alltäglichen Nöten nach 60 Jahren wieder: mit unheilbarer Krankheit, mit Trunksucht, nach dem Weggang des Mannes aus der Familie, Verlusten, unglücklicher Liebe, Verlust der Arbeit, Schwierigkeiten mit dem Chef, mit Problemen in der Erziehung der Kinder…
Wer war nun diese Matrona Dmitrievna Nikonova?
Die selige Matrona wurde 1881 in einer armen Familie des Dorfes Sebino-Epifanskaja (heute Kimowski) bei Tula als 4. Kind von Dmitrij und Natalija geboren. Die Mutter wollte das Kind in das Waisenhaus des Fürsten Golizyn im Nachbarsdorf Bučalki geben, als sie durch einen Traum ihre Absicht änderte. Das Mädchen hatte bei seiner Geburt keine Augäpfel, die Augenhöhlen waren von den Augenliedern fest verschlossen. Das Mädchen ertrug mit Demut ihr Gebrechen und das Unverständnis der anderen Kinder. Gerne besuchte sie mit den Eltern die Gottesdienste, wenn die Mutter sie suchte, fand sie sie an ihrem Lieblingsplatz in der Kirche, an der Westwand unbeweglich stehend. Augenscheinlich hatte Matrona schon in der Kindheit die Gabe des unaufhörlichen Gebetes erworben. Mit der Gabe der geistlichen Unterscheidung, der Hellsichtigkeit und der Heilung wurde Matrona zu dieser Zeit beschenkt.
Als junges Mädchen unternahm sie in Begleitung ihrer Wohltäterin, der Tochter des Gutsbesitzers Lidia Jan'kova eine Pilgerfahrt zu den heiligen Stätten Russlands: in das Kiever Hohlenkloster, in das Sergiev-Dreifaltigkeitskloster, nach Petersburg zum heiligen Johannes von Kronstadt. Er rief das Mädchen aus der großen Pilgerschar zu sich und sagte: "Da kommt meine Nachfolge - die achte Säule Russlands". Niemand verstand diese Worte.
Mit 17 Jahre wurde sie gelähmt und konnte nie wieder gehen. Sie verbrachte die restlichen 54 Jahre ihres Lebens mit verschränkten Beinen, auf einem Bett sitzend, immer umgeben von Ikonen. Sie beklagte sich nie über ihre Behinderung, sondern erkannte diese als Wille Gottes. Sie erlangte die innere Schau: "Eines Tages hat Gott mir die Augen geöffnet und mir die Welt und Seine Schöpfung gezeigt. Die Sonne, der Sterne am Himmel und alles auf der Erde, ihre Schönheit: Berge, Flüsse, Gräser, Blumen, Vögel…"
Schon in ihrer Jugend sagte sie (wie auch Johannes von Kronstadt) die Revolution voraus, "wie man rauben, die Kirchen zerstören und alle der Reihe nach davon jagen wird".
1925 traten ihre zwei Brüder Michail und Ivan in die Partei ein. Michail wurde Parteifunktionär. Die Anwesenheit der Seligen, die täglich Leute empfing, um sie durch Wort und Tat im christlichen Glauben zu bestärken, war für die Brüder unerträglich, sie befürchteten auch Repressalien. Voll Mitleid mit ihrer Familie, die Mutter Matronas starb 1945, zog Matrona nach Moskau.
Nun begann ihr neuer Lebensabschnitt als "Illegale" ohne behördliche Anmeldung in Moskau. Sie wohnte bei Verwandten, Bekannten, in Hütten, Wohnungen, Kellern. Bei ihr, der körperlich schwer behinderten, wohnten Pflegerinnen. Am längsten wohnte sie (von 1942 bis 1949) im Zentrum Moskaus am Arbat, in der Starokonjušennij Gasse bei der Familie Ždanov, deren Vater im Gefängnis war (in der Nähe der heutigen österreichischen Botschaft). Während viele ihrer Helferinnen und Nächsten verhaftet, ins Gefängnis geworfen oder verbannt wurden, wurde Matrona nie verhaftet. Sie wechselte ihre Aufenthaltsorte plötzlich am Vorabend vor dem Auftauchen der Miliz. Einmal kam ein Milizionär zu Matrona, um sie zu verhaften. Sie schickte ihn nach Hause, um ein Unglück zu verhindern. Zu Hause traf er seine Frau an, die sich gerade mit dem Petroliumkocher angezündet hatte und konnte sie gerade noch in das Spital bringen. Einen weiteren Befehl auszuführen war er nicht mehr bereit.
Ihr Leben verlief trotzdem gleichmäßig: tagsüber empfing sie bis 40 Hilfesuchende, nachts betete sie. Sie legte sich nie zum Schlafen hin, sondern schlummerte eher auf einer Seite, auf die Faust gestützt.
Nicht alle Besucher kamen mit ehrlichen Absichten, manche hielte sie für eine Zauberin oder Heilerin. Diese schickte sie fort oder sie bekehrten sich durch ihr Beispiel zur Kirche und ihren Sakramenten. Ihre Gebete sprach sie immer laut, allseits bekannte wie: Vater unser, Gott erhebe sich, den 90. Psalm, Gebete aus der Liturgie. Sie betonte, dass nicht sie heile, sondern Gott allein durch ihre Gebete. Heilte sie Kranke, so forderte sie von ihnen den Glauben an Gott und die Änderung ihres sündhaften Lebens, jeden Sonntagsgottesdienst zu besuchen, zu beichten und die eucharistischen Geheimnisse zu empfangen. Die nur zivil Verheirateten forderte sie auf, sofort in der Kirche zu heiraten.
Sie tröstete, beruhigte die Kranken, bezeichnete sie mit dem Kreuzzeichen, scherzte gelegentlich, konnte strenge Ermahnungen geben. Sie selbst aber war nicht streng, sondern geduldig gegenüber den menschlichen Schwächen, mitfühlend, klagte nie über ihre Krankheiten und Leiden. Sie predigte und belehrte nicht, sondern gab konkrete Ratschläge, wie man an eine Situation herangehen könnte, betete und segnete. Überhaupt machte sie nicht viele Worte, antwortete kurz auf Fragen. Viele ihrer Unterweisungen findet man ähnlich bei Seraphim von Sarov und anderen Vätern. Ohne jegliche Schulbildung und schwer körperlich behindert hat sie in einer gottlosen Zeit, in der zahllose Christen für den Glauben ihr Leben hingeben mussten, das Flämmchen des Glaubens weitergegeben.
Sie entschlief in Frieden am 2.5.1952.
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