Ich erlaube mir zu dieser Passage des Vaterunsers aus der Sicht des Psychologen Stellung zu nehmen, nämlich vom Erleben des Gläubigen her gesehen. Dabei gehe ich davon aus, wie ja auch Frau Dr. Tsalampouni in ihrem Leserbrief im Andreas-Boten (März 2008, S. 18 – 20) , geschrieben hat, dass die deutsche Übersetzung der griechischen Vorlage entspricht.
Ich gehe des weiteren davon aus, dass diese Passage des Vaterunsers von Generationen von Gläubigen nicht gedankenlos gesprochen worden ist, sondern dass diese Stelle vielmehr Ausdruck eines spezifischen Gotteserlebens im Prozess der Theosis ist. Dieses „und führe uns nicht in Versuchung“ dürfte eben jenem Erleben entsprechen, dass Gott sich uns immer wieder entzieht, uns mithin dadurch dem Versucher überlässt, oder sogar in die Versuchung hineingeführt hat. Dieses Erleben dürfte v.a. dann gegeben sein, wenn wir uns keiner Schuld für die (plötzlich) erlebte Gottesferne bewusst sind.
Die Theosis ist m.E. ein ständiger Prozess von „Finden – Verlieren –Wiederfinden“ Gottes, ein „Fallen und Aufstehen und abermals Fallen“ wie beim Laufenlernen eines Kindes bei dem Gott uns im Rahmen unserer geistlichen Entwicklung hilft. Es ist der Prozess des Entstehens eines Gottesbildes (oder Verehrungsbildes), des Zerbrechens desselben und der Neuentstehung
eines verwandelten Gottesbildes.
Diese Entwicklung erreicht ihren paradigmatischen Höhepunkt in der Kreuzigung Christi als dieser schrie „mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Matth 27, 46) Und ebenfalls paradigmatisch übergibt Christus in diese Leere des zerbrochenen Gottesbildes hinein seine Seele Gott („Vater ich befehle meinen Geist in Deine Hände“, Lk 23, 46).
Gott führt uns in die Versuchung, läßt die Versuchung zu (s. Job), damit wir im geistlichen Kampf (vgl. Nikodemos Agioreites „Der unsichtbare Krieg“) unsere Seelen vom Versucher befreien, uns läutern. Gott führt uns in die Versuchung, damit wir geistlich zu ihm hin wachsen.
Der Widersacher, der Teufel, führt uns in die Versuchung, um uns von Gott zu trennen.
Dieses von Gott „ausgesetzt werden“ macht uns Angst, wie einem Kind, das sich von der Mutter zum Vorteil seiner Entwicklung trennen muß, und Angst hat, nicht ohne sie bestehen zu können. Deshalb auch die Bitte „und führe uns nicht in Versuchung“, weil sie über unsere Kräfte gehen könnte.
Und dennoch gehört die Gottesferne, das „in die Versuchung hineingeführt worden sein“ auch zu unserem Leben mit Gott („ihr werdet mich suchen und nicht finden“ Joh 7, 34; vgl. Spr 2,28 „Dann werden sie nach mir rufen, aber ich werde nicht antworten, sie werden mich suchen und nicht finden“).
Tröstlich aber auch, dass wir uns, wenn wir uns einmal für Gott entschieden haben, auch in dem Suchen nach Ihm in Gottesferne, in die er uns gebracht hat (damit wir geistlich wachsen) von ihm gehalten wissen dürfen: „Du verlässest nicht die, die Dich suchen“ (Ps 9,11); vgl. Jes 54,7
„Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln“.
Es ist Aufgabe des geistlichen Vaters festzustellen, ob wir in konstruktiver Weise i.S. der Theosis in die Versuchung und Gottesferne geführt worden sind, oder ob die erlebte Gottesferne Ausdruck unserer Sünde ist.
Dr. Cornelius Metzner
Psychologe, Psychoanalytiker
Griechisch Orthodoxe Kirchengemeinde „Hl. Apostel Paulus“, Nürnberg
(andreas-bote)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen