(Zeitschrift „Wie“) / Ein Interview mit Archimandrite Dionysios
von Craig Hamilton
ARCHIMANDRITE DIONYSIOS: Satan war der erste und höchste Engel, aber als er seinen Blick von Gott abwandte und seine Aufmerksamkeit auf sich selbst richtete, war der erste Keim für das Ego gelegt. Satan schaute mit seinen spirituellen Augen nicht länger auf die Heilige Dreifaltigkeit, auf den Herrn, sondern betrachtete sich selbst und begann, über sich nachzudenken.
Er sagte: "Ich will meinen Thron an die höchste Stelle setzen und wie Er sein.“ In diesem Augenblick begann die Geschichte, die Realität und Existenz des Egos–das genau genommen keine
Realität ist, sondern die Zurückweisung der Realität. Das Ego ist die Blüte, die aus dem Tod der Liebe hervorgeht. Töten wir die Liebe, ist das Ergebnis das Ego.
WIE: Was sind die charakteristischen Eigenschaften des Egos? Auf welche Weise manifestiert es sich im Menschen?
DIONYSIOS: Wenn wir nicht vertrauen. Wenn wir anderen Menschen nicht vertrauen können, wird das Ego geboren. Wenn wir andere fürchten, wenn wir Waffen gegen andere einsetzen müssen, dann müssen wir ein Ego haben, weil wir ein falsches Leben führen. Wir denken nur noch an uns und sehen nur unser Ego. Erkennen wir jedoch einander und vertrauen wir einander, dann gibt es keinen Bedarf für ein Ego, keinen Grund für ein Ego, es besteht keine Möglichkeit für ein Ego.
WIE: Nach Ihren Worten wäre das Ego also das hartnäckige Beharren auf unserer Trennung, unserer Unabhängigkeit?
DIONYSIOS: Ja, und das Beharren auf unserer Einsamkeit. Wir haben das Bedürfnis, allein zu sein, haben unsere eigene Denkweise, die uns zufrieden stellt und unsere Persönlichkeit auf die falsche Weise aufrechterhält.
WIE: Indem wir uns selbst an die allererste Stelle setzen?
DIONYSIOS: Ja. Christus sagte: "Die Letzten werden die Ersten sein“, denn wir können nur dann die anderen unsere Freunde nennen, wenn wir wirklich die Letzten sein wollen und für uns den
hintersten Platz wählen.
WIE: Das Ego, dieses Gefühl der eigenen Wichtigkeit, über das Sie sprechen, wird in der Philokalia und in anderen Schriften der christlichen Mystiker häufig als der Erzfeind beschrieben, mit dem der spirituelle Aspirant auf seiner Suche nach Vereinigung mit Gott ringen muss. Warum wird das Ego als ein so gefährlicher Gegner auf dem Weg angesehen?
DIONYSIOS: Es ist ein so mächtiger Feind, weil es der Feind in uns ist. Wir selbst sind genau wie bei Adam und Eva im Paradies unser eigener Feind. Natürlich hat die Schlange mit Eva gesprochen, aber Eva hätte ihr aus dem Weg gehen können. Die Schlange sagte ihr: "Der Herr hat dich belogen“, aber wenn Eva Vertrauen in Gott gehabt hätte, hätte sie gar nicht erst angefangen, sich mit der
Schlange auf ein Gespräch einzulassen. Und auch Adam verlor seine Verbindung zum Herrn und blieb bei seinem Ego. Und beide Egos, Adam und Eva, wirkten zusammen. Der wirkliche Feind ist
das Ego, und zwar deswegen, weil es gegen die Liebe gerichtet ist. Wenn ich meinen Blick auf mich selbst richte, liebe ich die anderen nicht. Wenn ich etwas für mich in Anspruch nehme, das eigentlich jemand anderem gehört, werde ich zum Mörder meines Bruders–wie Kain, der Abel tötete. Wenn ich mich selbst zufrieden stellen will, wird diese Befriedigung nur dadurch erlangt, dass ich die Freiheit des anderen opfere. Dann wird mein Ego zu meinem Herrn, zu meinem Gott, und das ist die stärkste Versuchung, die es gibt. Uns erscheint dieses Ego nämlich wie ein Diamant. Es glänzt wie Gold. Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt. Das Ego gleicht einem Feuer ohne Licht, einem Feuer ohne Wärme, einem Feuer ohne Leben. Es hat den Anschein, als habe es viele Seiten und viele Möglichkeiten–aber was sind das denn eigentlich für Möglichkeiten? Was ist das Ego? Doch nur das Mittel, mit dem ich mich schütze, als ob ich mich mitten in einer Schlacht befinden würde und jeder andere mein Feind wäre. Dann ist der Sieg das Einzige, um das ich mich noch kümmere.
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