Samstag, 22. Februar 2014

Anthony (Bloom), Metropolit of Sourozh –Vom Jüngsten Gericht


 

Heute erinnern wir an den Tag des Jüngsten Gerichts. Man spricht auch vom furchtbaren Gericht des Herrn. Was ist nun so furchtbar an diesem Gericht? Etwa die Strafe, die uns eventuell erwartet?
Nein! In einem gewissen Sinne würde uns eine Strafe die Schwere unserer Sünden erleichtern. Der Bestrafte fühlt sich frei, wenn er seine Schuld abbezahlt hat, denn er kann dann erleichtert seines Weges gehen. Furchtbar an diesem Gericht ist vielmehr, dass wir vor dem Lebendigen Gott stehen werden, wenn es schon zu spät sein wird und wir in unserem Leben nichts mehr ändern können, wenn wir dann feststellen müssen, dass wir umsonst gelebt haben, dass hinter uns nur sinnlos verlebte Zeit liegt und in uns nur Leere ist. Der ganze Sinn des Lebens besteht darin, lebendig und aktiv zu lieben – nicht sentimental, nicht nur mit dem Gefühl, sondern tatkräftig: Lieben, wie es Christus gemeint hat. Der, der liebt, gibt sein Leben hin für die, die seiner Liebe bedürfen. Lieben bedeutet bei Ihm aber nicht nur den, den man mag, sondern auch den, der uns braucht. Plötzlich merken wir, dass wir an all dem vorbeigegangen sind. Wir hätten Gott lieben können wie ebenso auch unseren Nächsten. Wir hätten uns selbst lieben können,  das heißt, uns achten können und die Größe des Abbildes Gottes in uns begreifen wie ebenso die Größe unserer eigenen Berufung, nämlich an der Göttlichen Natur Anteil zu gewinnen (2.Petrus 1,4). Doch an all dem haben wir einfach vorbeigelebt, denn es war leichter nur einfach dahinzuleben als zu wirklich leben, es war leichter, einfach ohne Leben dahin zu vegetieren.

Was wäre, wenn jemand von uns nach Hause gehen und dort seinen geliebten Menschen ermordet vorfinden würde. Das wäre ein Moment des Schreckens. Dann erst würde er begreifen, was es heißt zu lieben, dass es nun aber dazu zu spät ist, weil man diesem Menschen nun keine Liebe mehr schenken kann, denn jemand hat ihm das Leben genommen. Wie würde es uns dann ergehen? Wenn  wir vor Christus treten, dann werden wir begreifen, dass wir es sind, die mit unserem gesamten Leben die Verantwortung für Seinen Kreuzestod tragen, mit allem, was wir in unserem Leben getan haben, was uns, Ihm und unseren Mitmenschen gegenüber unwürdig ist. Wir werden dann begreifen, dass der Mörder nicht derjenige ist, der, bevor wir nach Hause gekommen sind, bereits im Hause war, sondern wir!
Wie sollen wir dann vor Christus treten und bestehen? Hier geht es nicht um Strafe, sondern um das Erschauern in uns selbst! Wir haben Zeit. Christus spricht zu uns, dass das Gericht keine Gnade kennt für die, die sich niemandem anderen erbarmt haben. Er sagt ebenso, dass es nicht stimmt, wenn wir behaupten, Gott zu lieben, gleichzeitig jedoch nicht in der Lage sind, unseren Nächsten zu lieben. Dies ist dann eine Lüge. Er zeigt uns heute, worin die Liebe zu unserem Nächsten besteht, die quasi auf Ihn übergeht, weil jeder Dienst an einem anderen, ja beliebigen Menschen, für Ihn eine Freude ist. Es ist ein Dienst an Ihm.
Lasst uns darüber nachdenken! Wir haben die Möglichkeit Buße zu tun, das heißt, wie können uns mit unserem Herzen und unserem Verstand von der Erde zum Himmel wenden. Diese Hinwendung liegt ganz in der Hand unseres Willens und unserer Entschlusskraft. Der Heilige Serafim von Sarow hat gesagt, dass sich ein Sünder, der verloren geht, von einem, der zum Heil gelangt, nur in einer Sache unterscheidet: in seiner Entschlusskraft. Haben wir sie? Sind wir bereit, voller Entschlusskraft zu handeln?

Und noch etwas: In einer Woche versammeln wir uns alle hier, um nach dem Gottesdienst einander um Vergebung zu bitten. Wir werden sie erbitten und wir werden sie auch erteilen. Ohne Früchte der Buße jedoch um Vergebung zu bitten, macht keinen Sinn. So zu bleiben, wie wir heute sind und dafür, wie wir gestern waren, um Vergebung zu bitten, ist sinnlos! Wir müssen unser Leben und ebenso uns selbst überdenken. Worin haben wir uns vor jedem Einzelnen schuldig gemacht? Was wollen wir mit all unserer Kraft ändern? Wir sollten nicht um Vergebung bitten, um uns danach frei zu fühlen von allem, was vergangen ist, sondern vielmehr um Neues anzugehen, um neu mit dem Leben zu beginnen, so zu sagen auf eine neue Art und Weise mit all denen zusammen zu leben, die wir erniedrigt haben, beleidigt und geistig oder sonstwie geplündert haben. 
Wenn wir jemandem vergeben, dann sollten wir dies verantwortungsvoll tun. Lasst uns über unser Leben nachdenken und die Frage aufwerfen, was wäre, wenn wir jetzt und heute vor Gott treten müssten und begreifen würden, dass wir nichts als Leere sind, dass wir sinnlos und umsonst gelebt haben. Was wäre, wenn wir vor Gott mit dieser Leere stünden und dabei um uns schauten und sehen würden, dass unser Heil einerseits auch von denen abhängt, die bereit sind, uns zu vergeben und andererseits auch davon, ob wir selbst fähig sind zu verzeihen. Wie furchtbare wäre es, wenn wir dann begreifen müssten, dass weder sie noch wir dazu bereit sind.
Lasst uns darüber nachdenken, denn dies ist keine Sache einer Predigt oder einer Evangeliumslesung, Es ist eine Sache um Leben und Tod. Lasst uns den Weg des Lebens wählen!

Amen


Predigt vom 10. Februar 1991

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