Montag, 17. Februar 2014

Über Unterschiede und Gemeinsamkeiten der vier Evangelien- hl Johannes Chrysostomos (Goldmund)

Hl Johannes Chrysostomos

... Nachdem es nun aber doch so viele Jünger gab, warum schrieben dann von den Aposteln nur zwei, und auch nur zwei von eben deren Schülern? Denn von den Jüngern, die mit Johannes und Matthäus die Evangelien schrieben, war einer ein Schüler des Paulus, der andere ein solcher des Petrus. Der Grund liegt darin, daß sie nichts taten, um ihren Ehrgeiz zu befriedigen, sondern nur um uns nützlich zu sein. - Indes hätte es da nicht genügt, wenn ein Evangelist alles allein aufgeschrieben hätte? Gewiß! Allein, wenn es auch nur vier waren, die Evangelien schrieben, so schrieben sie doch nicht zu gleicher Zeit, nicht am selben Ort und nicht nach Übereinkunft und gegenseitiger Verabredung. Wenn sie also trotzdem alles wie aus einem Munde berichten, so ist gerade das der deutlichste Erweis der Wahrheit.

Doch, wirft mir da jemand ein, gerade das Gegenteil ist ja der Fall; denn man bemerkt bei ihnen vielfache Verschiedenheiten. - Nun, auch das beweist klar, daß sie die Wahrheit schrieben. Wenn sie nämlich in allem bis aufs kleinste übereinstimmten, in Zeit und Ort und den einzelnen Worten, so würde keiner von unseren Gegnern glauben, daß sie nicht nach Übereinkunft und menschlicher Verabredung ihre Schriften verfaßt haben; denn eine so weitgehende Übereinstimmung könne doch kein Zufall sein. So aber benimmt ihnen die scheinbare Verschiedenheit in untergeordneten Dingen jedes Mißtrauen, und ist auch zugleich die beste Bürgschaft für die Aufrichtigkeit der Verfasser. Wenn sie aber zuweilen über Zeit und Ort verschieden berichten, so tut dies der Wahrheit des Gesagten keinerlei Eintrag. Das werden wir auch mit Gottes Hilfe im weiteren Verlauf zu beweisen suchen. Euch aber bitten wir, außer dem schon gesagten besonders das festzuhalten, daß in den wesentlichen Dingen, von denen unser Leben abhängt und die das eigentliche Evangelium ausmachen, niemals einer auch nur im geringsten mit den anderen in Widerspruch erfunden wird.

Was ist nun aber dieses Wesentliche? Das ist z.B. die Tatsache, daß Gott Mensch geworden ist, daß er Wunder gewirkt hat, daß er gekreuzigt und begraben wurde, daß er auferstanden und zum Himmel gefahren ist, daß er zum Gericht kommen wird, daß er heilbringende Gebote gab, daß er nicht ein neues Gesetz einführte, das im Widerspruch stünde mit dem Alten Testamente, daß er der Sohn ist, der Eingeborene, der Wahre, gleichen Wesens mit dem Vater und Ähnliches mehr. In diesen Dingen werden wir bei ihnen volle Übereinstimmung finden. - Wenn aber von den Wundern nicht jeder alle erwähnte, sondern der eine diese, der andere jene, so darf dich das nicht verwirren; denn entweder hätte einer alles erzählt, und dann wären die anderen überflüssig gewesen, oder jeder hätte etwas ganz Neues geschrieben, was die anderen nicht hatten, und dann wäre das Wahrheitsargument verloren gegangen, das sich aus ihrer Übereinstimmung ergibt. Aus diesem Grunde haben sie vieles gemeinsam berichtet, und doch auch jeder von ihnen wieder etwas Eigenes, damit keiner etwa überflüssig erscheine, gleichsam als zwecklose Zugabe, sondern damit er so einen unwiderstehlichen Beweis für die Wahrheit des Inhaltes abgebe.

Lukas gibt nun auch den Grund an, der ihn zum Schreiben veranlaßte. "Damit du nämlich", so sagt er, "sicher seiest über die Glaubenswahrheiten, in denen du unterrichtet worden bist"; das heißt, damit du fortwährend daran erinnert werdest, so die feste Überzeugung (im Glauben) erlangest und in dieser Überzeugung auch verharrest. - Johannes hat zwar selbst keinen Grund namhaft gemacht; allein nach dem, was uns von unseren Vätern überliefert wurde, war es auch kein bloßer Zufall, was ihn zum Schreiben veranlaßte, sondern der Umstand, daß die ersten drei (Evangelisten) absichtlich mehr die menschliche Seite (des Erlösers) betonten, und so Gefahr vorhanden war, daß seine Gottheit zu sehr in den Hintergrund träte; deshalb fühle er sich, auf die Eingebung Christi hin, veranlaßt, sein Evangelium zu schreiben. - Das kann man sowohl aus seinem Berichte selbst, wie auch insbesondere aus dem Anfange seines Evangeliums erkennen. Er fängt nämlich nicht wie die anderen mit dem Irdischen an, sondern mit dem Himmlischen, zu dem er sich hingezogen fühlte, und aus diesem Grunde hat er sein ganzes Buch geschrieben. Aber nicht bloß in der Einleitung, sondern durch das ganze Evangelium hindurch behält er einen höheren Gesichtspunkt im Auge als die übrigen.

Indes erzählt man auch von Matthäus, es seien einige Judenchristen zu ihm gekommen und hätten ihn gebeten, ihnen das Evangelium, das er verkündete, auch schriftlich, und zwar in hebräischer Sprache, zu hinterlassen. Ebenso habe Markus in Ägypten auf Bitten seiner Schüler das gleiche getan. - Da also Matthäus für Judenchristen schrieb, suchte er auch nur das eine zu beweisen, daß Christus von Abraham und David abstamme. Lukas dagegen, der ganz allgemein und für alle schrieb, ging noch höher hinauf und fing mit Adam an. 

Quelle: Johannes Chrysostomus, Kommentar zum Evangelium des heiligen Matthäus (= BKV 23). Übersetzt von Johannes Bauer. Kempten-München 1915, 15-18


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