Der Mensch, dazu erschaffen, das unendlich große
Bild des Göttlichen Schöpfers auf Erden im Kleinen abzubilden, mußte
notwendigerweise mit den Eigen-schaften Gottes ausgerüstet sein, damit er in
allem auf Gott Selbst hin geordnet, auf Ihn bezogen war. Als Abbild Gottes
mußte der Mensch ein seiner selbst bewußtes, freies und seiner selbst
mächtiges Wesen sein, denn ein Wesen ohne Bewußtsein seiner eigenen
Existenz, ohne Freiheit, ohne Macht über sich selbst, wäre der ihm durch
den großen Ratschluß des Göttlichen Schöpfers vorbehaltenen hohen Berufung
unwürdig.
Die Freiheit des Menschen ist mithin die notwendige
Konsequenz seiner erhabenen Sendung, seiner Erschaffung und seines Erscheinens
in der Welt, und deshalb eine notwendige und ehrwürdige Gabe. Ohne Freiheit
wäre der Mensch von gleichem Rang wie die anderen Lebewesen, sein Tun wäre der
Knechtschaft unterworfen und ebenso sein Denken, das sich in einem begrenzten
Kreis bewegen und umherstreifen würde. Die Ideen des Guten und Rechten
wären ihm unbekannt, und er würde nicht wissen, was schändlich ist, was
schlecht, was unwahr. Er hätte keine Macht zum Handeln aus freiem Entschluß,
keine Möglichkeit, herauszutreten aus dem begrenzten Kreis der angeborenen
Triebe.
Die Unkenntnis des Guten, des Rechten
und des Wahren würde den Menschen zu einem ethiklosen Wesen machen, sodass die
Ethik für ihn ein Wort ohne Sinn wäre, da sein Tun ethisch neutral und deshalb
unqualifizierbar wäre. Wegen ihrer Neutralität und Unterschieds-losigkeit
wiederum würden seine Taten keinerlei Gefühl oder Eindruck erwecken im Verstand
oder im Herzen des Menschen. Und auf Grund dieses Mangels wäre das Herz
gefühllos und der Verstand träge und untätig.
Diese Gefühllosigkeit und diese Trägheit aber würden sich herabsenken
wie dunkle Wolken und das wunderbare Bild des Göttlichen Schöpfers überdecken,
das Seine schöpferische Hand so strahlend und mit so bewundernswerter
Kunstfertigkeit geschaffen hat und in welchem Seine Gutheit, Weisheit und
Kraft so hell leuchten. Diese Wolken würden ihn hindern, seinen Bildner, den
Schöpfer aller Dinge zu schauen und zu erkennen. So würde der Mensch nichts
wissen von Gott und von seinen eigenen göttlichen Eigenschaften, und deshalb
vermöchte die Schöpfung niemals mit Wissen und Bewußtsein Gott zu
verherrlichen, zu besingen, zu lobpreisen und Ihm zu danken.
Der Mensch wurde erschaffen, damit er Gott abbilde auf Erden. Gott
gestaltete ihn als geistiges und seiner selbst mächtiges Wesen, damit er Seinen
Willen erfülle, den Er in sein Herz einschrieb, und gab ihm auch einen eigenen
Willen. Zweck seiner Erschaffung war, dass [durch ihn] die Schöpfung Gott
erkenne. Er wurde mithin erschaffen, damit er seinen Bildner und Schöpfer
erkenne. Er wurde erschaffen, damit er sich zu Gott erhebe, Gott verherrliche.
Er wurde erschaffen mit dem Zweck, dass die von Gott erschaffene
Schöpfung mit vollem Bewußtsein ihren Göttlichen Schöpfer lobpreise. Seine
Macht über sich selbst,[5] sein geistiges Wesen und seine Freiheit, die
ihn zu ethischem Handeln befähigt, wurden ihm mithin dazu gegeben, seine hohe
Bestimmung zu erfüllen, seine hohe Sendung, die Erde zu verbinden mit dem
Himmel, und nicht abzuweichen nach rechts oder nach links, sondern
voranzuschreiten auf dem geraden Weg durch das Tun allein des Guten, das in
sein Herz eingeschrieben ist und das er auch spontan von sich aus liebt.
Tut er aber etwas anderes und weicht
ab von seiner Bestimmung, wird er unfrei und „macht
sich den vernunftlosen Tieren gleich“ (s.
Ps 48,13 und 48,21). Der Mensch ist wahrhaft frei, solange er sich nicht
entfernt vom Guten, solange er seinen eigenen Willen dem Willen Gottes
angleicht. Doch sobald er abweicht vom geraden Weg, wird er zu einem unfreien
Wesen, und seine Freiheit ist nichts mehr als eine Vortäuschung von Freiheit,
eine Pseudo-Freiheit.
Heiliger Nektarios von Ägina
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