Die
selige Anysia lebte im dritten Jahrhundert nach Christus, zu Zeiten
des blutrünstigen Autokraten Diokletian. Ihre Heimat war die Gott
gerettete Stadt Thessaloniki. Ihre Eltern waren wohlhabend, aber auch
gläubige und gute Christen. Denn die Reichtümer an sich schaden der
Seele des Menschen nicht zwangsläufig, vielmehr ist es der gute oder
böse Gebrauch derselben, der zu Nutzen oder Schaden führt. Dieses
selige Ehepaar vollbrachte viele Werke der Barmherzigkeit und
versorgte ihre Tochter von klein auf mit der Milch der wahren
Weisheit und Tugend. Als sie jedoch entschliefen, war die junge
Anysia auf sich allein gestellt. Doch die zahlreichen Güter, die sie
von ihnen als Erbe erhielt, machten sie weder trunken, noch blind.
Auch ließ sie sich von ihrer Waisenschaft keinesfalls zu
unsittlicher Lebensführung verleiten, denn sie hütete sich vor den
zahlreichen Gefahren und Verführungen der Jugend mit viel Bedacht.
In
ihrer Seele loderte das Feuer, für das Jesus Christus auf die Erde
gekommen ist, um es anzuzünden (Lk 12,49). Sie strebte allein
danach, ihrem himmlischen Bräutigam zu begegnen und gottgefällige
Werke zu vollbringen. Alles wollte sie von sich weisen, das sie an
Irdisches hätte binden können. Sie schenkte allen ihren Knechten
die Freiheit und gab überdies jedem von ihnen eine stattliche Summe
mit auf den Weg. Dann verteilte Anysia Besitzgüter, Häuser,
Tierherden, all ihr Hab und Gut, an Bedürftige. Gleich des Kaufmanns
aus dem Evangelium, der eine köstliche Perle fand und alles
verkaufte, was er hatte, um diese eine Perle zu kaufen (Mt 13,46),
verteilte die Glückselige
alles, um allein für Gott zu leben. Sie legte ebenso die
kostbaren Gewänder und Schmuckstücke ab und gab sie den Armen. In
einfachen Gewändern gekleidet besuchte sie aus wahrer Nächstenliebe
Kranke, Waisen und Witwen, wie auch Bedürftige, gab ihnen Trost und
versorgte sie mit Kost und Kleidung. Doch ihre besondere Sorge galt
den Opfern der Christenverfolgungen. Ohne vor den mannigfaltigen
Gefahren zurückzuschrecken, begab sie sich häufig zu den feuchten
Verliesen, wo die Verfolgten Hunger, Durst, grausame Misshandlungen
und viel andres Leid für die Liebe Christi erduldeten. Anysia
berührte ehrfurchtsvoll ihre Wunden mit ihrem Munde und pflegte sie,
als wenn es sich um die seligen Wunden der Passion Christi gehandelt
hätte. Sie spendete den Märtyrern Trost und stärkte sie im
Glauben.
Die
gütige Anysia hatte all ihre Güter für Werke der Liebe verwendet,
und nur ihr sterblicher Leib verband sie nunmehr mit den irdischen
Dingen. Ihre einzige Begierde war es, auch selbst für die Liebe Jesu
Christi das Martyrium zu erleiden. Doch dieser Entschluss konnte nur
von Gott Selbst getroffen werden. Sie zog sich in ihren freien
Stunden in eine enge Zelle zurück, wo sie sich dem strengen Fasten,
dem immerwährenden Gebet, den Tränen der Metanie und dem Lesen von
geistlichen Schriften widmete. Auf diese Weise wollte sie ihre
sterbliche Natur bezwingen, um die göttliche Theorie zu erreichen.
Der
Teufel hingegen wandte sich Hass gegen die Jungfrau, als er ihren
Wettkämpfe und die engelsgleichen Übungen sah, und benutzte jede
List, um sie von ihrem guten Vorhaben abzubringen und sie aus ihrer
Zelle zu vergraulen. Doch der Widersacher scheiterte an ihrer
standfesten Gesinnung, welche auch die der mannhaftesten Kämpfer
überstieg. Er focht sie gewaltig an mit den Geistern der Trägheit,
der Kleinmütigkeit, der Schwachheit, der fleischlichen Entkräftung
und Erkrankung, doch die junge Tochter besiegte ihn, weil sie niemals
die Hoffnung auf den Herrn verlor. Mit dem Kreuzzeichen wappnete sich
sich gegen die Angriffe und mithilfe der Geißel des Gebetes
entschied sie den Kampf zu ihrem Gunsten.
Im
Jahre 305 n. Chr. hatte die Christenverfolgung unter Diokletian ihren
Höhepunkt erreicht. Die Jungfrau Anysia bat den Herrn in ihren
Gebeten darum, auch für das Martyrium auserlesen zu werden. Ihre
Bitte wurde von Gott erhört. Ihr Gottesglauben war unterdessen schon
unter den Götzendiener bekannt geworden. Eines Tages, als sie sich
gerade auf dem Weg zur Kirche befand, traf sie auf einen heidnischen
Soldaten. Er erkannte sie als Christin und schleppte sie mit Gewalt
zu einem heidnischen Tempel. Als sie dort ankamen, drängte er sie
dazu, den Götzen ein Opfer darzubringen. Doch die Heilige bekannte
ohne Furcht und Zögern, dass sie an den Einen Gott, dem Vater, dem
Sohne Jesus Christus, und dem Heiligen Geist glaubte, und allein Ihm
Verehrung darbot.
Der
Soldat fing aus Jähzorn an, Gott auf' s Übelste zu lästern. Diese
Blasphemie konnte die zarte Seele der Anysia nicht ertragen: Sie
spuckte ihm geradewegs ins Gesicht! Aus Schmach holte der Soldat das
Schwert hervor und durchdrang mit diesem mit einer einzigen Bewegung
ihre Rippen. Auf diese Art erhielt die heilige Anysia den
unverwelklichen Kranz der Märtyrer, wie es ihr größter Wunsch
gewesen war. Einige fromme Christen übernahmen ihre Gebeine und
setzten sie an einem Ort etwas außerhalb von Thessaloniki bei, wo
nach dem Ende der Christenverfolgungen eine Kirche zu ihren Ehren
erbaut wurde. Heute kann man ihre gnadenerfüllten Gebeine in der
prächtigen Kirche des heiligen Großmärtyrers Dēmētrios1
in Thessaloniki verehren.
Die
heilige Orthodoxe Kirche feiert ihr Gedenken am 30 Dezember/ 12
Januar.
1Der
heilige Großmärtyrer Dēmētrios
(gr. Δημήτριος), der
Schutzheilige von Thessaloniki, der jährlich am 26 Oktober/ 08
November gefeiert wird.
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