Eines
der ältesten Idealziele des Menschen war unter anderem die Erringung
der Freiheit. Und dieses Gut der Freiheit ist auch heute noch ein
Ideal. Weil aber auch das Wissen heutzutage vergöttert wird, so
werden diese beiden Güter (Wissen und Freiheit) von vielen als
Einheit gesehen. Gewöhnlich betrachtet man die Aneignung von Wissen
als Voraussetzung der Freiheit. Deshalb wird ersteres angestrebt, um
als Rüstzeug, Mittel und Waffe der Erringung des zweiten Gutes zu
dienen.
Diesem
Thema, der Verbindung von Wissen und Freiheit, wollen wir uns im
Lichte der folgenden Bibelstelle theologisch nähern: »και
γνώσεσθε την αλήθειαν και η αλήθεια
ελευθερώσει υμάς« (Joh 8,32). Wir könnten freilich
noch hinzufügen, daß sich die oben genannte Verbindung und
Vereinigung von Wissen und Freiheit vielleicht gerade unter dem
Einfluß dieser Stelle von Johannes dem Evangelisten in der
christlichen Welt durchgesetzt hat.
Wie
es aber scheint, geschieht mit diesem Zitat leider dasselbe, was auch
mit jenem Zitat des Apostels Paulus geschieht, welches lautet: »εί
τις ου θέλει εργάζεσθαι μηδέ εσθιέτω«
(2 Thess 3,10). Diese Stelle verändern viele vielleicht zugunsten
der Kürze und sagen: »Ο μη εργαζόμενος, μηδέ
εσθιέτω«. Es besteht aber ein großer inhaltlicher
Unterschied zwischen der einen und der anderen Variante des Zitats.
Denn der Apostel Paulus sagt keinesfalls, daß nicht essen solle, wer
nicht arbeite, weil er etwa krank sei oder keine Arbeit finde.
Vielmehr bezieht er sich eindeutig auf jenen Fall, wo jemand aus
Unlust oder Faulheit nicht arbeiten will, obwohl er dazu in der Lage
wäre -dann freilich soll er auch nichts zu essen bekommen.
Damit
aber bei unserem Thema keine solche Fehlinterpretation, keine
unangebrachte Verbindung von Wissen und Freiheit geschieht, und um
jede Verwirrung zu vermeiden, wollen wir versuchen, die Dinge zu
ordnen und uns möglichst klar und kurz zu fassen. Denn schon unseôe
Vorfahren in der Antike sagten: »Weise ist, was klar ist«. Außerdem
warnen uns auch die Worte der Heiligen Schrift, wenn dort zu lesen
ist: »Ήτω δε υμών το ναι ναι και το ου ου,
ινα μη υπό κρίσιν πέσητε« (Jak 5, 12).
Um
also mit Hilfe der oben angeführten Methode zu möglichst richtigen
Schlüssen zu gelangen, sei uns erlaubt, die Ausarbeitung des Themas
in folgende Hauptpunkte zu gliedern: a) Das Wissen als Inhalt. b) Das
Wissen als Streben und Funktion. c) Die Vervollkommnung des Wissens
und die Erringung der Freiheit.
a)
Das Wissen als Inhalt
Viele
im Lebenskampf stehende Menschen, die nach der Freiheit verlangen,
versuchen auf jede Art und Weise Wissen, und zwar möglichst viel
Wissen zu erlangen. Ist dies nun richtig? Erreicht man mit dieser
Methode, mit diesem Mittel das angestrebte Ziel? Wir glauben, daß
dies in Frage zu stellen und anzuzweifeln ist. Denn zumindest die
Geschichte und das tägliche Leben der Menschen und ihre Erfahrungen
scheinen damit nicht übereinzustimmen.
Wie
uns der von Gott erleuchtete Mose in der Schöpfungserzählung
berichtet, ist das Gegenteil der Fall -denn sobald der Mensch den
Versuch unternommen hat, sich Wissen, viel Wissen anzueignen, um
schließlich allwissend ein Gott zu werden, indem er vom Baum der
Erkenntnis des Guten und des Bösen aß, verlor er seine
Unsterblichkeit, seine Selbstbestimmung und somit seine Freiheit.
Seitdem sucht er danach auf vielerlei Wegen. År setzt sich die
Freiheit als Ziel und als sein Ideal.
Aber
auch der Alltag stellt dieses Zeugnis nicht in Frage. Diesbezüglich
ist allgemein bekannt, daß viele sagen: »Ich wollte, ich wüßte
nicht all das, was ich weiß«. Dieser »Seufzer« bedeutet
zumindest, daß sich diese Menschen als mit bestimmtem Wissen
ÜBERLADENE, als von diesem Wissen GEFANGENE betrachten, was nicht
mit dem Begriff der Freiheit übereinstimmt. Denn Freiheit ist die
Unabhängigkeit von jedem äußeren Willen, jeder äußeren Macht und
Gewalt oder von allen inneren Trieben und Schwächen.
Zudem
ist bekannt und unbestritten, daß »η γνώσις φυσιοί«
(1 Kor 8,1 ). Und tatsächlich ist jemand, der vom Strom des Wissens
fortgerissen wird, nicht frei, sondern gebunden und somit ein
Gefangener. Heute stehen wir, wie es heißt, vor einer »Explosion«
des Wissens, der vielen und der verschiedensten Kenntnisse. Wer kann
also bestreiten, daß sich diese Überflutung des Menschen mit
Eindrücken, dieses »Überrumpelt-Werden«, diese »Ekstase«
hemmend auf die Freiheit der Person auswirkt? Unter diesem »Druck
des Wissens« ist es nur natürlich, daß man sich nicht frei fühlt,
und es ist zu erwarten, daß man erdrückt wird und nicht
standhält.
Aus
diesem Grund ist es selbst für die Weitergabe von Kenntnissen in
wissenschaftlichen Belangen pädagogisch notwendig, daß dies
dosiert, fortschreitend und gemäß den Voraussetzungen und der
Aufnahmefähigkeit der entsprechenden Personen geschieht. Erinnern
wir uns nur an die weisen Worte, die Jesus Christus an seine Schüler
richtete: »Έτι πολλά έχω υμίν λέγειν, αλλ'
ου δύνασθε βαστάζειν άρτι όταν δε έλθη
εκείνος, το πνεύμα της αληθείας, οδηγήσει
υμάς εις πάσαν την αλήθειαν« (Joh
16,12-13).
Natürlich
kann jemand nicht als frei angesehen werden, wenn er mit trügerischem
und falschem Wissen überladen ist. All diese - und es sind wenige -
Gründe, die angeführt wurden, lassen es nicht zu zu sagen, daß
Freiheit und Wissen, gemeint ist jedwedes Wissen, eine Einheit
darstellen, und noch viel weniger, daß Freiheit die Folge von vielem
Wissen, von einer Unmenge von Wissen ist. Das Zitat, das wir als
»Faden der Ariadne«, als Richtschnur der vorliegenden
Veröffentlichung verwenden, gibt uns an diesem Punkt eine klare und
eindeutige Antwort. Es heißt: »Γνώσεσθε την αλήθειαν,
και η αλήθεια ελευθερώσει υμάς«. Wir sehen
also, daß zunächst, wenn auch indirekt, im ersten Satz das Wissen
von der Freiheit getrennt wird und zwischen ihnen die Wahrheit
eingeschoben wird. Im zweiten Satz fehlt der Hinweis auf das Wissen
vollständig, während nur die zwei Wörter »Wahrheit« und
»Freiheit« wiederholt werden. Nur diese beiden Wörter werden in
Beziehung, in Æusammenhang gebracht. Es heißt: »Die Wahrheit wird
euch frei machen«, und nicht irgendein anderes Wissen.
Es
ist also die Wahrheit, die uns frei macht, nicht die »Vielwisserei«.
Eine direkte Verbindung zwischen dem Wissen als Inhalt, als
Hauptsache, als Objekt und der Freiheit ist nicht vorhanden. Im
Gegensatz dazu besteht eine unmittelbare Beziehung zwischen der
Wahrheit und der Freiheit.
b)
Das Wissen als Streben und Funktion
Wenn
nun das Wissen als Inhalt nicht in einer unmittelbaren absoluten
Beziehung zur Freiheit zu sehen ist, so hat es doch als Streben, als
Suche, als bewegende Kraft (Energie), als Lernprozeß, als Tätigkeit
eine direkte, ganz unmittelbare Beziehung dazu. Wenn wir mit
Aufmerksamkeit das obengenannte Zitat untersuchen, insbesondere das
Verb »γνώσεσθε«, so sehen wir in der Tat, daß es sich
dabei nicht um etwas Statisches, ein Objekt, ein Substantivum
handelt, sondern um eine bewegende Kraft, ein Stôeben, eine
Funktion. Es ist ein Streben, eine Funktion des Menschen mit dem
Ziel, die Wahrheit der Wesen, Subjekte und Objekte, Personen und
Dinge zu erfahren. Aber dieses Streben ist nicht immer schmerzlos, es
gehört Mühe dazu, z.B. braucht man die Gabe, unterscheiden zu
können zwischen dem Wahren und dem Unwahren.
Aber
auch das reicht noch nicht. Denn, wie es scheint, ist das
»Sich-zu-eigen-Machen« des Wissens etwas noch Tieferes, ein innerer
Prozeß der Verarbeitung, ein »Erleben«. Deshalb steht das Verb
auch nicht im Aktiv, sondern in der »μέση φωνή« (= Ausdruck
der griechischen Grammatik, die eine Form des Verbs zwischen Aktiv
und Passiv bezeichnet; vergeichbar mit dem Reflexivum im Deutschen).
Es heißt »γνώσεσθε«. Diese, sagen wir, reflexive Form des
Verbs deutet darauf hin, daß jemand, um in den Stand des Wissens
gesetzt zu werden, auch diesen Weg des Wissens gehen muß, d.h. es zu
durchleben, und zwar bewußt und willentlich und nicht unwillentlich
(nicht passiv -denn das Verb steht auch nicht im Passiv).
Demgemäß
könnte man zu folgendem Schluß gelangen: Das Wissen führt zwar zur
Freiheit, aber nur als Streben in Richtung Wahrheit, als treibende
Kraft und als Trachten nach der Wahrheit und nicht als Inhalt, als
Substanz.
c)
Die Vervollkommnung des Wissens und die Erringung der Freiheit
Es
stellt sich aber weiterhin die Frage: Genügt dieses Streben, um die
Freiheit zu erwerben, genügt also auch unvollkommenes Erkennen und
Erleben der Wahrheit, oder ist die Vervollkommnung des Wissens um die
Wahrheit nötig? Ist vielleicht die vollkommene Kenntnis der
Wahrheit, die ganze Wahrheit unerläßlich? Daß dies so ist, läßt
sich aus dem erwähnten Zitat ableiten, denn dort steht: »και
γνώσεσθε την αλήθειαν, και η αλήθεια
ελευθερώσει υμάς«. Én beiden Sätzen wird der
bestimmte Artikel (»την« und »η« = die) verwendet, was
eindeutig zeigt, daß die ganze Wahrheit verlangt ist, die
vollkommene Wahrheit und nicht ein Teil der Wahrheit. Es heißt
nicht: »γνώσεσθε αλήθειαν και αλήθεια
ελευθερώσει υμάς«.
Aber
zu diesem Schluß führt uns auch das Tempus der verwendeten Verben.
Sowohl das erste (»γνώσεσθε«) wie auch das zweite
(»ελευθερώσει,«) stehen im Futur. Sie bedeuten und
weisen darauf hin, daß »euch die Wahrheit frei machen wird, wenn
ihr sie in ihrer Gesamtheit kennt«. Wenn das nicht erreicht wird,
wenn wir die Vervollkommnung und Ergänzung unseres Wissens um die
Wahrheit nicht erreichen, können wir auch nicht frei werden, können
wir die Freiheit in ihrer Gänze nicht erlangen. Wer kennt aber auf
dieser Welt schon die ganze Wahrheit? Damit verbindet sich auch die
Frage: Was ist diese Wahrheit?
Nach
diesen Fragen könnte jemand schwermütig bemerken, daß die völlige
Freiheit (auf dieser Welt) unmöglich und unerreichbar ist. Im
Prinzip konnte man diese pessimistische Bemerkung unterstützen, wenn
man nicht auf diese Weise in Gefahr geriete anzunehmen, daß das
Versprechen des Herrn »και γνώσεσθε την αλήθειαν
και η αλήθεια ελευθερώσει υμάς« in diesem
Leben keine Verwirklichung erfahren kann. Wenn man sich auf die
menschlichen Gegebenheiten besinnt und auf die menschlichen Kräfte
(auf menschliches Vermögen) stützt, könnte man diesen negativen
Standpunkt tatsächlich teilen.
Glücklicherweise
liegen die Dinge aber nicht so: Zwar ist das völlige Wissen um eine
»αν-υπόστατον«, um eine unpersönliche Wahrheit auf
dieser Welt unerreichbar, aber die »εν-υπόστατος«, die
persönliche Offenbarung und Erkenntnis der Wahrheit ist erreichbar
und möglich. Die Schwierigkeit liegt nur darin, daß wir akzeptieren
sollen, daß dies nur »in Christus«, dem fleisch- und
menschgewordenen Wort Gottes zu verwirklichen ist. Jedenfalls
eröffnet uns der von Gott erleuchtete Evangelist Johannes: »Η
χάρις και η αλήθεια διά Ιησού Χριστού
εγένετο« (Joh 1,17). Außerdem verkündet Jesus Christus
selbst: »Εγώ ειμί η οδός και η αλήθεια καί
ή ζωή« (Joh 14,6).
Aus
diesem Grund kann auch die Freiheit nur in Christus erlangt werden,
wie uns auch das Wort Gottes durch Johannes versichert: »Εάν ουν
ο υιός υμάς ελευθερώση, όντως ελεύθεροι
έσεσθε« (Joh 8,36). Dasselbe bestätigt uns mit seiner
persönlichen Erfahrung ( 1 Kor 9,1 ) und seinem Zeugnis der Apostel
Paulus, indem er sagt: »Τη ελευθερία ημάς Χριστός
ηλευθέρωσεν« (Gal 5,1). Wie nun die persönliche
Aneignung der Wahrheit und der tatsächlichen Freiheit in Christus zu
verwirklichen ist, ist ein anderes Ô'hema, das Kirche und Theologie
oft analysiert haben.
Nachwort
Der
Weg zur Freiheit geht also über die Wahrheit und nicht über das
Wissen, über das einfache oder vielfache oder vielgestaltige Wissen.
Und dieser Weg ist wiederum der menschgewordene Gott. Sagt er nicht:
»Ich bin der Weg ... « (Joh 14,6)? Der Weg der Freiheit führt also
über den menschgewordenen Gott, über das Wort Gottes, über Jesus
Christus.
Und
dies hat offenbar folgende Konsequenz: Der Weg zur Freiheit kann zwar
auch über die anderen Wissenschaften führen, sofern sie für die
Wahrheit arbeiten, aber auf jeden Fall führt er auch über die
Theologie. Denn unvollkommenes Wissen der Wahrheit genügt nicht für
die vollkommene Freiheit. Die ganze Wahrheit ist nötig.
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