Montag, 10. Februar 2014

Altvater Joseph der Hesychast

Abt Ephraim von Vatopedi:
Altvater Joseph der Hesychast
und die Lehre des Inneren Gebets,
die aus seinen Briefen fließt
Der selige Altvater Joseph der Hesychast ist eine der bedeutendsten Gestalten des gegenwärtigen athonitischen Mönchtums. Dieser Mönch ist geheiligt. Sein Leben ist wahrlich das eines zeitgenössischen Heiligen, und seine Schüler haben heutzutage fast die Hälfte des Heiligen Berges besiedelt und sind auch für viele Frauenklöster innerhalb und außerhalb Griechenlands zuständig.
Von einem frommen Mönch, der die Sprache des Heiligen Geistes spricht, stammt der Ausspruch, daß die gesegnete Erneuerung des Heiligen Berges in der heutigen Zeit in erster Linie das gemeinsame Werk von Archimandrit Sophronij, dem Altvater des Klosters des hl. Vorläufers in Essex, mit seinem hervorragenden Buch über den hl. Siluan den Athoniten1, Altvater Paisios des Asketen2 mit seinem gesegneten Aufenthalt im Heiligen Land und den Schülern des seligen Altvaters Joseph des Hesychasten ist. Den Baum erkennt man an den Früchten.
Wir glauben fest, daß die Rückkehr des Athos zur Innerlichkeit und zum Gebet und allgemein zur hesychastischen Theologie weitgehend der Anwesenheit des geheiligten Altvaters Joseph des Hesychasten [1898-1959] zu verdanken ist. Wie man aus allem weiß, was bis heute über den seligen Altvater Joseph in Umlauf ist, war er ein Mann, der nicht die Fähigkeit besaß, mit weltlichen Dingen umzugehen. Er war darin nicht einmal ein Anfänger. Seine Schulbildung bestand aus nur zwei Klassen Grundschule, und das kann man leicht erkennen, wenn man auf eine Kopie seiner handgeschriebenen Briefe schaut. Doch da er die Fülle der göttlichen Gnade besaß und es ihm durch die vollständige Erleuchtung seines von Gnade erfüllten Geistes gelang, zu den höchsten Stufen der Theologie aufzusteigen, wurde er ein vollkommener Theologe. Denn wir wissen, daß ein Theologe nicht jemand ist, der an den modernen theologischen Schulen studiert hat, sondern einer, in dem Gott der Logos spricht. Theologie ist eine Gabe des Heiligen Geistes. Der selige Altvater schrieb diesbezüglich: „Wenn jemand in Gehorsam und Stille die Sinne reinigt und den Geist beruhigt und das Herz reinigt, dann empfängt er Gnade und die Erleuchtung des Wissens. Er wird ganz nous, ganz Klarheit und so sehr von Theologie erfüllt, daß, wenn drei mitschrieben, sie nicht mit diesem Fluß mithalten könnten. Er verbreitet Frieden und völlige Untätigkeit der Leidenschaften im ganzen Leib.“

Theologie gemäß dem verehrungswürdigen Vater und allgemein den Heiligen Vätern ist eine Frucht der göttlichen Gnade in uns. Daher betrachten die Heiligen Väter die Klöster der Wüste als Universitäten. Die Briefe des verehrungswürdigen Vaters sind echte theologische Abhandlungen, doch geschrieben ohne die Regeln der Syntax und Orthographie. Jeder, der in den Briefen des seligen Altvaters stöbert, kann leicht die große Gnade erkennen, mit der dieser vollkommene athonitische Mönch sie verschickte. Um so mehr wir, die wir seine geistlichen Nachkommen sind und zusätzlich das Glück hatten, unseren Altvater [d. h. Altvater Joseph den Jüngeren, der ein Schüler des Altvaters Joseph des Hesychasten war]bei uns zu haben, der unter den geistlichen Kindern des Altvaters ewigen Gedenkens war und uns sehr oft etwas Geistliches bezüglich seines Altvaters, Joseph des Hesychasten, vermittelte.
Und wir befinden uns am Ort über allen anderen der orthodoxen Tradition, auf dem Heiligen Athos, wo die Liebe der Mutter Gottes für uns fleht. Wir, die wir im von der Gottesgebärerin behüteten Kloster Vatopedi durch den höchsten Langmut unseres großen Gottes leben, leben die wahre Bedeutung der orthodoxen Tradition.

Heutzutage wird viel gesprochen über die orthodoxe Tradition, und das ist auch richtig so.  Doch es ist in unseren Tagen schwer, traditionelle Menschen gemäß der Fülle des orthodoxen Verständnisses zu finden. Man sagt, daß traditionelle Menschen jene seien, die traditionelle/patristische Bücher studiert haben, und das ist nicht falsch. Doch wahrhaft traditionelle Menschen sind jene, die das orthodoxe Leben von Menschen empfangen haben, die es besitzen und es schlicht und unmißverständlich vermitteln können.
Auf diese Weise haben wir in all unserer Niedrigkeit diese Situation erfahren und kennen persönlich den großen Segen, der darin liegt, auf unmittelbarem Weg die Erfahrung und Fertigkeit des orthodoxen Lebens zu empfangen. Wenn unser Altvater uns etwas von seinem Geistlichen Vater berichtet, unserem „papou“, wie wirihn nennen, ist das für uns ein großer Segen, eine geistliche Harmonie; es ist eine Freude und ein Glück.
Wenn jemand aus erster Hand die Erfahrung des Heiligen Geistes empfängt, spürt er auf außerordentliche Weise, daß das Evangelium nicht etwas ist, das „zu jener Zeit“ geschehen ist, sondern daß es ein fortwährendes Leben darstellt, in dem sich bestätigt, daß Jesus Christus Derselbe ist – gestern, heute und allezeit.
Wenn man den Briefwechsel des seligen Altvaters studiert, ist das erste, was auffällt, sein Verlangen, seine Sehnsucht, sein reiner Wunsch, seinen Mitmenschen nahezubringen, sich mit dem Jesus-Gebet zu befassen. Denn als er auf den Athos kam, hatte er sich als Ziel gesetzt, wie die Asketen der frühen Zeit zu leben, wie er das in dem Buch jenes Tages – Kalokairini – gelesen hatte, das die Leben der Heiligen enthielt.
Das ganze Leben des verehrungswürdigen Altvaters bestand in seiner ständigen Versenkung in das Jesus-Gebet. Er versuchte, das Gebot des Apostels Paulus: Betet ohne Unterlaß zu erfüllen. Jeden Abend hatte er als Regel, sich mit dem Jesus-Gebet unbeirrbar sechs volle Stunden hintereinander zu befassen. Er beschrieb diese Methode in einem seiner Briefe: „Ich kannte einen Bruder, der sechs Stunden lang seinen Geist in sein Herz hinunterführte und ihm nicht gestattete, von der neunten Stunde des Nachmittags an (ca. 3 Uhr) bis zur dritten Stunde der Nacht (ca. 9 Uhr) hinauszugehen. Er hatte eine Uhr, die die Stunden schlug. Und er war schweißgebadet. Als er hinausging, arbeitete er den Rest seiner Pflichten ab.“ Diese Art des geistlichen Werks, von den Vätern gelernt, beweist große geistige Kraft und einen hohen geistlichen Zustand. Denn es ist wahrlich selten, besonders in unseren Tagen, einen Geist zu finden, der unbeirrbar eine solch lange Zeit zu beten vermag. Der selige Altvater sagte, daß sich der Mensch, um solch eine große geistliche Leistung zu vollbringen, ins Gebet hineinzwingen müsse, und er betonte: „Sprich das Gebet zu jeder Zeit, laß deinen Mund überhaupt nicht ruhen. Auf diese Weise wird es in dir zur Gewohnheit, und der Geist wird es aufnehmen.“
Der hesychastische Altvater ist einer der zeitgenössischen Altväter, die die Einzelheiten der Praxis des geistigen Gebets nicht nur Mönchen, sondern auch in der Welt lebenden Christen lehren. Gemäß dem Altvater können alle Menschen – ungeachtet ihrer Lebensweise, des Ortes, an dem sie sich befinden, und dessen, was auch immer sie tun – das geistige Gebet auf sich nehmen. Der selige Altvater schrieb diesbezüglich: „Die Übung des geistigen Gebets besteht darin, sich zu zwingen, das Gebet unablässig mit dem Mund zu sprechen. Achte nur auf die Worte ‚Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner’, und du wirst eine Süße erfahren, als hättest du Honig im Mund.“
Jemand, der das geistige Gebet systematisch üben möchte, sollte nicht auf besondere Momente warten, die er für das Gebet bestimmt. Der geheiligte Altvater – als ein Lehrer des Gebets – betont: „Sprich allezeit das Gebet: im Sitzen oder in deinem Bett, oder wenn du gehst oder stehst. Betet ohne Unterlaß, sprecht Dank in allen Dingen, sagt der Apostel. Du solltest nicht nur beten, wenn du dich zum Schlaf begibst. Das Gebet erfordert einen Kampf: im Sitzen und im Stehen. Wenn du müde bist, setze dich, dann stehe wieder auf. Ob du ißt oder arbeitest, höre nicht auf mit dem Gebet.“
Das Gebet ist gemäß dem seligen Altvater der Atem des Lebens für die Seele. Und er rät diesbezüglich: „Laß ‚Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner’ dein Atem sein.“ Daher sind die Gaben groß, groß ist der Trost, außerordentlich ist die Süße, unbeschreiblich das Glück, unaussprechlich die Freude, tief der Frieden, unendlich die Liebe, die durch das Jesus-Gebet erlangt werden.
Die Hauptbotschaft des Heiligen Berges an das fromme Volk Gottes lautet: So viel du kannst, sprich das Gebet. Was auch immer wir sagen, was auch immer wir erklären – es ist unmöglich, mit Worten die Tiefe und Breite der guten Ergebnisse des Jesus-Gebets zum Ausdruck zu bringen. Ihm – dem Herrn Jesus – aber gebühret alle Herrlichkeit, Ehre und Anbetung in alle Ewigkeit. Amen.
Geistliche Ratschläge- Briefe
Anweisungen zum Erlernen des geistigen Gebets

Um nun zu beginnen, das geistige Gebet zu beherrschen, mußt du dich ständig dazu zwingen, das Gebet ohne Unterlaß zu sprechen. Am Anfang schnell: der nous [Geist, Verstand] darf keine Zeit haben, irgendwelche ablenkenden Gedanken zu formen. Achte einzig auf die Worte „Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner.“ Wenn das Gebet lange Zeit mündlich gesprochen wurde, beginnt der nous sich daran zu gewöhnen, greift es auf und beginnt es zu sprechen. Dann wird es süß, als ob man Honig im Mund hätte, und man möchte es allezeit sprechen. Wenn man dann aufhört, fühlt man sich sehr bekümmert.
Wenn sich der nous daran gewöhnt hat und davon erfüllt ist – wenn er es gut gelernt hat – dann sendet er es zum Herzen. Da der nous die Seele mit Nahrung versorgt, ist seine Aufgabe, alles, was er an Gutem oder Schlechtem sieht oder hört, ins Herz hinunterzuschicken, das das Zentrum der geistigen und leiblichen Kräfte des Menschen, der Thron des nous, ist. Wenn nun jemand das Gebet spricht, soll er seinen nous davor bewahren, sich irgend etwas vorzustellen, und er darf nur auf die Worte des Gebets achten. Daraufhin bringe man den nous – sanft mit einem leichten Zwang und ein wenig Anspannung des Willens atmend – ins Herz hinunter; man hält ihn dort eingeschlossen wie in einem Gefängnis und spricht rhythmisch das Gebet: „Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner!“
Am Anfang spricht man das Gebet ein paarmal und holt dann Atem. Später, wenn der nous sich daran gewöhnt hat, im Herzen zu bleiben, spricht man ein Gebet bei jedem Atemzug: „Herr Jesus Christus“ beim Einatmen, „erbarme Dich meiner“ beim Ausatmen. Dies geschieht, bis die Gnade die Seele überschattet und in ihr zu wirken beginnt. Was dann folgt, ist Theoria.
So wird das Gebet überall gesprochen: sitzend, im Bett, beim Gehen und im Stehen. Betet ohne Unterlaß, in allem dankt, sagt der Apostel. Es ist jedoch nicht genug, nur dann zu beten, wenn man ins Bett geht. Es erfordert einen Kampf: im Stehen und im Sitzen. Wenn du müde wirst, setze dich. Dann stehe wieder auf, um nicht vom Schlaf übermannt zu werden.
Dies wird praxis genannt. Du mußt Gott deine gute Absicht zeigen, doch alles hängt von Ihm ab, ob Er es dir gibt oder nicht. Gott ist der Anfang und das Ende. Seine Gnade ist die treibende Kraft, die alle Dinge aktiviert.
Wie die Liebe aktiviert wird, wirst du erkennen, wenn du die Gebote hältst. Wenn du in der Nacht aufstehst und betest; wenn du einen Kranken siehst und Mitgefühl mit ihm hast; wenn du eine Witwe siehst, Waisenkinder oder alte Menschen und Nächstenliebe an ihnen erweist, dann liebt dich Gott. Und dann liebst du Ihn auch. Er liebt zuerst und ergießt auf dich Seine Gnade, und wir geben an Ihn zurück, was Ihm gehört: „Das Deine vom Deinigen“.
Nun, wenn du danach trachtest, Ihn allein durch das Gebet zu finden, laß nicht einen einzigen Atemzug ohne es vergehen. Nur sieh dich vor, daß du keine Phantasien akzeptierst. Denn Gott ist formlos, unvorstellbar und ohne Farben: Er ist im höchsten Maß vollkommen, nicht Syllogismen [logischen Schlußfolgerungen] unterworfen. Er wirkt wie ein feines Wehen in unserem Geist. Zerknirschung entsteht, wenn du darüber nachdenkst, wie sehr du Gott betrübt hast, der so gütig, so süß, so barmherzig, so freundlich und voller Liebe ist; der für uns gekreuzigt wurde und alles für uns erlitt. Wenn du über diese und andere Dinge nachdenkst, die der Herr erlitten hat, bringt das Zerknirschung. Wenn du also in der Lage bist, das Gebet ohne Unterlaß laut auszusprechen, kannst du dich in zwei oder drei Monaten daran gewöhnen. Dann überschattet dich die Gnade und erfrischt dich. Nur sprich es laut, ohne Unterbrechung. Wenn der nous es aufgreift, dann höre damit auf, es mündlich zu sprechen. Und wenn der nous es verliert, so daß er es nicht mehr festhält, dann nimm es wieder mit der Zunge auf. Dieser ganze Zwang mit der Zunge ist nötig, bis man sich am Anfang daran gewöhnt hat. Danach, alle Jahre deines Lebens, wird es der nous ohne Anstrengung sprechen.

Wenn du also nicht leiden willst, erwarte nicht aufzusteigen. Wer Leiden nicht erduldet, kann von Ihm keine Gnade erwarten. Er hat die Gnade von dir fortgenommen, damit du weise wirst. Doch sie wird wiederkehren. Sie läßt dich nicht allein. Das ist ein Gesetz Gottes. Doch sie wird dich wieder verlassen. Und noch einmal wird sie wiederkehren. Solange du nicht aufhörst, sie zu suchen, wird sie weiterhin kommen und gehen, bis sie dich vollkommen gemacht hat.

Über Geduld und Ausdauer

Gott hilft immer. Er kommt immer rechtzeitig, doch Geduld ist notwendig.

Komm, meine gute und geliebte Schwester. Komm, und ich werde Dich noch einmal in Deinem Kummer trösten. Komm und wir werden Gott mit der süßen Stimme unseres Herzens segnen, die durch unseren Mund erklingt und in unserem Geist widerhallt: Segne den Herrn, meine Seele, und alles in mir segne Seinen heiligen Namen.
Siehst Du, wie sehr uns der Herr liebt? Siehst Du, wie glücklich wir Undankbaren für alles sein sollten, das uns Seine Güte jeden Tag gibt? Doch die Zeit der wirklichen Ernte liegt noch vor uns: jener gesegnete Augenblick, in dem wir alles hier verlassen und abreisen in die andere Heimat – die wahre – in das gesegnete Leben, die sichere Freude, damit jeder von uns den Anteil erhalte, den ihm der großzügige, gütigste Jesus geben wird.
O Freude! O Dankbarkeit! O Liebe des himmlischen Vaters! Er reinigt uns von aller Befleckung, ehrt uns, bereichert uns, gewährt uns Seine Güter! Dort, meine goldene Schwester, gibt es keine listigen Menschen, die uns Unrecht zufügen. Neid und Eifersucht werden verschwunden sein. Dort gibt es keinerlei Leidenschaften mehr; diejenigen, die sie haben, sind auf der anderen Seite der Brücke zurückgeblieben. Denn eine tiefe Kluft besteht zwischen hier und dort. Aber, o süße Liebe Christi, was sahest Du Gutes in uns, daß Duuns auf Deinen göttlichen Pfad geführt hast?
So freue Dich und jauchze, meine geliebte Schwester. Danke und verherrliche Gott, und siehe, die Zeit naht. Die Zeit wird bald für uns kommen, in der wir die gesegnete Stimme hören: Kommt zu Mir.
Und sobald sich diese körperlichen Augen schließen, werden sich die geistigen Augen der Seele öffnen. Dann werden wir wie aus dem Schlaf in das andere Leben aufwachen. Dann wirst Du die Eltern, Brüder, Verwandten sehen. Dann wirst Du Engel, Heilige und die gesegnete Mutter aller, die reine Jungfrau, die Gottesgebärerin sehen, die wir alle jeden Augenblick anrufen und der wir alles, nach Gott, verdanken. Mit wem werden wir dann zuerst sprechen, wer wird uns zuerst küssen, wen werden wir küssen? Mit aller Reinheit, mit aller Bescheidenheit, mit aller Heiligkeit. Wer also, der solchen Segen erwartet, würde nicht jeden Kummer dieses gegenwärtigen Lebens hier ertragen?
Daher, meine gute geliebte Schwester, halte Rückschau über Dein Leben. Untersuche, auf welche Weise Du Dein Leben verbracht hast. Erinnere Dich an die unzähligen Wohltaten unseres Erlösers Jesus Christus und Seiner süßesten Mutter. Und sei geduldig in den kommenden Prüfungen.
Gott hilft immer. Er kommt immer rechtzeitig, doch Geduld ist notwendig. Er hört uns sofort, wenn wir zu Ihm aufschreien, doch nicht gemäß unserer eigenen Denkweise.
Du denkst, daß Deine Stimme die Heiligen, die Panagia und Christus nicht sofort erreicht. Im Gegenteil, sogar schon, bevor Du aufgeschrieen hast, sind die Heiligen schon zu Deiner Hilfe geeilt, da sie schon wußten, daß Du sie anrufen und ihren gottgegebenen Schutz suchen würdest. Da Du jedoch nicht jenseits dessen, was offensichtlich ist, siehst und nicht weißt, wie Gott die Welt lenkt, möchtest Du, daß Deine Bitte blitzschnell Erfüllung findet. Aber so sind die Dinge nicht. Der Herr wünscht Geduld. Er will, daß Du Deinen Glauben erweist. Du kannst nicht einfach wie ein Papagei beten. Es ist auch notwendig, auf das, worum man betet, hinzuarbeiten und dann lernen zu warten. Du siehst, daß das, wonach Du in der Vergangenheit verlangtest, schließlich geschehen ist. Du erlittest jedoch Schaden, da Du nicht die Geduld hattest zu warten, sonst hättest Du beides erlangt, sowohl das eine als auch das andere: sowohl das zeitliche als auch das ewige.

Nun bist Du zornig und verzagt und traurig geworden und denkst, daß der himmlische Vater nur langsam antwortet. Aber ich sage Dir, es wird so geschehen, wie Du es wünscht – es wird mit Sicherheit so geschehen –, doch zuerst bedarf es des Gebets aus ganzer Seele, und dann mußt Du warten. Und wenn Du Deine Bitte vergessen hast und aufgehört hast, darum zu fragen, wird es zu Dir als Belohnung für Deine Geduld und Ausdauer kommen. Wenn Du den Rand der Verzweiflung erreicht hast, während Du betest und suchst, dann ist die Erfüllung Deiner Bitte nahe. Christus will irgendeine verborgene Leidenschaft in Dir heilen, und deshalb schiebt Er die Erfüllung Deiner Bitte auf. Wenn Du es früher erhalten würdest, dann, wenn Du danach verlangst, würde Deine Leidenschaft in Dir ungeheilt verbleiben. Wenn Du wartest, erhältst Du das, worum Du bittest, und die Heilung Deiner Leidenschaft. Und dann wirst Du Dich sehr freuen und Gott warmen Dank emporsenden, der alle Dinge in Weisheit einrichtet und alles zu unserem Nutzen vollbringt.

Es besteht also kein Grund, den Mut zu verlieren, wütend zu werden und zu klagen. Du mußt Deinen Mund verschließen. Laß keinen wahrnehmen, daß Du beunruhigt bist. Qualme nicht vor Zorn, als müßtest Du es nach Deinem System herausarbeiten, sondern sei statt dessen ruhig. Verbrenne den Teufel durch Geduld und Ausdauer.
Der Herr, der alle zunichte macht, die Lügen sprechen, ist mein Zeuge, daß ich großen Gewinn erhielt durch den Rat, den ich Dir gab. Die Versuchungen, die ich hatte, waren so stark, daß man denken konnte, es würde einen die Seele verlassen wegen der Schmerzen, wie in einem Feuerofen. Nichtsdestotrotz, wenn die Prüfung vorüber ist, kommt so viel Trost, daß man sich fühlt wie im Paradies ohne einen Körper. Dann liebt dich Christus, unsere Panagia liebt dich, die Heiligen loben dich, und die Engel bewundern dich.
Siehst Du, wie viel Gutes die Versuchungen und Leiden bewirken? Wenn Du also die Liebe Christi ebenfalls sehen, schmecken willst, erdulde, was auch immer über Dich kommt – nicht das, was Du magst, sondern womit Dich der Herr prüfen will. Was wir freiwillig auf uns nehmen, ist absolut nichts im Vergleich zu den Prüfungen, die uns der Herr gegen unseren Willen sendet. Der feindselige Teufel bekämpft uns Mann gegen Mann und bis aufs Blut, so weit es Gott zuläßt. Er kämpft so heftig, daß man schmilzt und wie Wachs vor dem Feuer zerfließt.  Doch wenn die Versuchung vorbei ist, wirst du vollkommen von Freude erfüllt. Du bist von außergewöhnlichem Licht umgeben und siehst Mysterien, die die menschliche Zunge nicht wiederzugeben vermag. Und von da an dürstest du nach mehr Versuchungen, wenn sie wiederkommen werden, denn du hast schon gelernt, wie heilsam sie sind.

Dies ist wahrlich die Straße, meine Schwester, und der an Dich schreibt, legt darüber Zeugnis ab aus seiner eigenen Erfahrung. So sei mutig und stark im Herrn, erdulde, was auch immer zu Dir kommen mag, und erwarte neben dem Schmerz den Frieden und die Gnade Gottes. Sei stark und ermutige Deine Seele und zieh in Betracht, daß die Lahmen und Verstümmelten nicht in diese guten Dinge gelangen. Christus läßt Versuchungen zu, damit wir von unseren Neigungen gereinigt werden. Versuchungen sind wie Seife und wie ein Schläger, der uns schlägt und weiß werden läßt. Alle gestärkten Kleider sind für den Bräutigam nützlich. Doch jene, die den Schläger nicht aushalten, werden zerrissen und in den Abfall geworfen.
Daher laßt uns hier ein bißchen Anstrengung auf uns nehmen, denn die Zeit nähert sich. Bewahre die Briefe, die ich Dir schicke, damit Du sie hast, wenn Dich Kummer beunruhigt, denn es scheint mir, daß ich euch bald verlassen werde. Je mehr Zeit vergeht, desto ernster wird meine Erkrankung. Ich bin jetzt wie ein Gelähmter.
Postscript: Ich habe nicht die Zeit, Dir über das Wunder zu schreiben, daß der Herr mir zeigte, um einen Fehler zu berichtigen, den ich aus Unwissenheit beging, wie Du weißt. Siehst Du also die große Güte unseres Herrn? Siehst Du, daß er auch Wunder vollbringt, wenn es Seiner göttlichen Vorsehung angebracht erscheint? Häufig befindet sich der Mensch aus Unwissenheit in Täuschungen oder weil andere ihn irreleiten. Doch wenn er eine aufrechte Seele und gute Absichten hat, verläßt ihn der Herr nicht, sondern verschafft ihm auf verschiedene Weise Erleuchtung. Dann fühle ich mich wie Schmutz, Asche und wie ein Wurm der Erde.
Es ist ganz wahr, groß ist die Barmherzigkeit des Herrn. Der Psalmist sagt: Nicht nach unseren Sünden tat Er an uns, und nicht nach unserem Unrecht vergalt Er uns. Warum solltest Du nun also Gott nicht danken? Warum solltest Du murren? Wenn ich Dir die Versuchungen aufschreiben sollte, die mir widerfahren, wärest Du nicht in der Lage, das zu ertragen. Nichtsdestoweniger werden sie alle durch die Gnade Christi und unserer Panagia zerstreut. Habe Geduld, denn die Gottesgebärerin, die Königin und Herrin aller, verläßt uns nicht. Sie betet für uns.
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