Sonntag, 2. Februar 2014

DER MENSCH VERKAUFTE SICH ZU BILLIG AN DIESE WELT Interview mit dem Oberpriester Andrej Lemeschonok



Wir erleben jetzt eine wunderbare Jahreszeit: alles blüht, die Vögel singen, es ist warm. Ist es das Paradies?! Aber da schaue ich auf den Boden… 
Und was sehe ich? Zigarettenstummel, Papierchen, Flaschen.
Die Menschen schimpfen, töten einander, verlassen ihre Kinder… Nein, das ist kein Paradies. Das ist unsere schmutzige Welt. Und wo ist das Paradies und wie kann man es finden? Darum geht es in unserem Gespräch mit dem Oberpriester Andrej Lemeschonok - dem Beichtvater des Klosters der Hl. Elisabeth.

Vater Andrej, wann begann die Verschmutzung der Welt?

Das Paradies ist eine Stelle, wo es den Menschen gut ging. Dort hatten sie alles. Aber in dem Zeitpunkt, wo der Mensch aufhörte, Gott zu vertrauen, und Sein Gebot brach, wurde das Paradies zu einer Verbannungsstätte. Der Mensch begann sich zu verstecken, er litt, weil die Verbindung mit Gott gestört war. Das war die erste Verschmutzung der Welt, denn für einen Unreinen ist alles unrein. Nachdem der Mensch die Sünde begangen hatte, verdeckte die Sünde Gott von ihm und die Menschen voneinander. Sie begannen einander zu stören. Die Sünde zerstörte die Schönheit, die Fülle des Lebens, die nur mit Gott und in Gott möglich sind. Und aus der Erde wurde eine Deponie, ein Friedhof. Die Erde wurde von Blut, Tränen und Schweiß vieler Generationen durchtränkt, die darauf lebten. Aber Christus kam auf diese Erde herab und erleuchtete sie! Sein Blut, das Er auf Golgatha vergossen hatte, ermöglichte dem Menschen eine neue Welt, eine neue Welt im Inneren, in sich selbst zu bauen. Es gibt eine äußere Umwelt: Autos mit ihren Auspuffgasen, Fabrikschornsteine… Aber es gibt eine innere Ökologie. Die Entwicklung der Industrie verursachte nicht die bestehenden Umweltprobleme. Die ganze Zivilisation geht in eine Sackgasse und wird diese Erde früher oder später zu einem Untergang führen.

Ist es unmöglich, die Erde zu retten?

Wir sollen mit uns selbst beginnen. Ich denke, wenn wir ein wenig fleißiger würden und auf sich selbst aufpassten, weniger eitle, leere, geschweige «schmutzige» Wörter, sprachen, wenn wir helle, reine Gedanken hätten… Wenn wir begannen, auf die Reinheit unserer Herzen und Gedanken aufzupassen, so „würden sich Tausende von Menschen um uns herum retten“, wie der hochwürdige Serafim von Sarow sagte. Wer verschmutzt denn die Erde? Der Mensch. Der König. Aber wenn der Mensch beginnt, mit Gott zu kommunizieren, (sicherlich erlebt ein gläubiger Mensch solche Minuten) so braucht er nichts in einem solchen Zustand, alles wird klar und sauber um ihn herum, und wenn er auf der dreckigsten Deponie wäre, würde die Deponie sauber, weil der Mensch sie säuberte. Aber wenn ein dreckiger Mensch, in dem die Sünde wohnt, auf die sauberste Stelle käme, verschmutzte er alles. Wenn wir daran denken würden, bestimmt würde sich alles in uns, um uns herum und dadurch in der ganzen Welt ändern. Vielleicht sollten wir lernen das schätzen, was wir besitzen? 
Lasst uns Folgendes vorstellen. Ein Mensch macht einen Ausflug aufs Land. Er ist ja der König! Er beginnt Holz zu hacken, Äste zu brechen. Er erholt sich, aber er hinterlässt einen Haufen Müll. Er denkt nicht, was danach kommt. Das ist so schrecklich. Das ist der innere Zustand eines Menschen, der nichts sieht. Einmal war ich mit Kindern in Schweden. Ich war erstaunt, dass ich auf dem Strand, wo es viel Menschen gab, keinen Zigarettenstummel, keinen Fetzen Papier sah. Der Mensch soll die Erde, wo er lebt, schätzen und schützen. Aber bei uns kommt es vor, dass wir Müll direkt unter die Fenster hinauswerfen. Man gewöhnte sich mit Müll zu wohnen, für einige ist Müll normal, Dreck gilt als eine Lebensnorm. Eine der Aufgaben der Kirche ist es, dem Menschen eine neue, saubere Welt zu eröffnen. Man meint, dass es auf dem Lande sauberer ist, als in der Stadt. Sind Sie damit einverstanden? In der Stadt ist es lustiger, es ist bequemer, man vergisst aber, dass eine Wohnung ein Betonkasten ist.
Asphalt lässt uns kein Gras, keine Blumen sehen… Der Mensch macht, was ihm leichter scheint. Jetzt gibt es aber immer mehr solche Menschen, die denken, die in die Natur wollen, die Moskau und andere große Städte verlassen und stille ländliche Gegend suchen, eine Stelle, wo sie sich beruhigen und erholen könnten. In den Städten sind ja so viele Menschen konzentriert, hier gibt es so viele Abfälle, weil die Menschen es immer eilig haben, sie denken nicht, sie laufen. Der Lebensrhythmus ist so, dass man keine Zeit hat, halt zu machen und zu überlegen, was im Herzen drin ist und was man macht. Man meint, je größer ist eine Stadt, desto bessere Aussichten, Möglichkeiten hat man. Aber man verlernt, allein, in der Stille zu sein. Die Menschen wollen, dass der städtische Lärm ihren Kummer, den schweren Zustand
ihrer Seele übertönt. Hier gibt es genug Werbung, Geschrei, Lärm. Immer Lärm. All das wird zu einer Lebensform, wo es einfacher zu leben ist. Man denkt nicht, man versteckt sich hinter die Rücken der Menschen, die auf den Straßen strömen. Die Stadt ist eine Wüste. Schaufenster, Häuser, Straßen… All das glänzt und zieht an, aber hat keinen Inhalt. Alles wird ge- und verkauft. Was ist aber mit der menschlichen Seele? Doch in der Stadt kann man auch mit Gott leben. In der Stadt gibt es mehr Menschen, die in die Kirche gehen. Leider, auf dem Lande saufen und kommen viele herunter. Hier ist kein Paradies! Von der inneren Leere, vom Nichtstun beginnt man zu trinken. Das ist schrecklich: man ist dreißig, aber man sieht wie ein Greis aus. 
Natürlich ist es schön auf dem Lande. Meinen Urlaub verbringe ich schon dreißig Jahre im Zelt, am See, ich schwimme, sammle Pilze. Doch das bedeutet auch keine Fülle im Leben. In der Kirche ist es besser.


Was sagen Sie zu dem Sprichwort «Wo geboren, dort ist man zu Hause»?

Der Mensch wird in einer Verbannung geboren. Man wird ja mit der Sünde geboren. Welche irdische Heimat man auch hat (Land, Stadt, Dorf), ist man nicht dafür erschaffen, sondern zu dem ewigen Leben.
Der Mensch hat aber das Paradies verloren, er ist ein Flüchtling. Zwar hat jeder von uns Talente und man soll sie realisieren. Aber wie viele denken daran? Es scheint mir, nicht viele. Die Menschen sind mit ihren alltäglichen Angelegenheiten beschäftigt – Hektik, Überlebenskampf, Geldbörse, Kühl- und Kleiderschrank, Wohnraum, Autos… Der Mensch verkaufte sich an diese Welt sehr billig.
Vielleicht war es nicht so dann, als dieses Sprichwort erfunden wurde? Es hat Leben, Kultur, gewisse Tradition, Kontinuität, Respekt, Familie gegeben. Gibt es das jetzt? Ich weiß nicht. Ich zweifle. Es gibt Geld, Arbeit, Kolchosen, Bauer, Datschabesitzer… Man muss das alles sozusagen vergeistigen. In der Mitte muss Gott sein. Nur dann kommen Schönheit und Ordnung dazu.
Ja, früher waren die Menschen vielleicht schön, man arbeitete und erholte sich richtig, aber es ereignete sich eine Tragödie und man versuchte, diese arbeitsamen Menschen zu vernichten… Denken Sie an die gottlosen Zeiten zurück. Die Menschen begannen die Verbindung mit Gott zu verlieren. Die Verschmutzung der Welt geschah erneut.
So vergehen die Jahre. Der Mensch versteht nicht, wozu er lebt. Eine der Aufgaben der Kirche ist es, dem Menschen zu zeigen, dass es ein anderes Leben – ein inneres gibt. Es gibt andere Werte, einen anderen Sinn, Unsterblichkeit, Auferstehung, Liebe, die den Menschen lebendig macht.
Könnten Sie sich zu der Ökologie der Familie äußern? Der Begriff «Familie» gehört in das Rote Buch. Wo sind die echten Familien, wo ist der richtige Respekt, wo ist die Liebe? Die Familie ist eine Schule des Lebens, hier werden die Kinder erzogen, hier wird man groß, hier lernt man. Aber die Menschen lassen sich scheiden, sie wollen sich nicht mit der gegenseitigen Verantwortung belästigen, sie wollen für sich leben. In den alten Dörfern war es nicht so.
Es gab eine Sippe, eine Tradition, man hörte auf die Älteren. Was sehen die Kinder jetzt in ihren Familien? Der Teufel kämpft gegen die Familie. Für uns bedeutet die Familie Hauskirche, Heiligtum, das ist wirklich eine Schule der Gottesfurcht, Liebe, Demut, Geduld. Jetzt will die Ehefrau auf ihren Mann nicht hören. Sie sagt: „Er ist ein Dummkopf, wieso soll ich auf ihn hören?“ Wo ist der Ehemann, der seine Frau wirklich liebt und ihretwegen auf irgendwas verzichtet? Wenn man in der Familie untreu ist, was für eine Familie kann das sein? Das ist überhaupt keine Familie. Das ist nur die äußere Hülle. So sieht die ganze Ökologie der Familie aus. Eventuell gibt es noch Menschen in den Familien, die bereit sind, alles, was sie haben: ihr Leben, ihr Herz, für den Nächsten zu geben. Solche Menschen sind aber nicht oft zu treffen.
Als Priester höre ich oft, wie die Menschen sich gegenseitig beschuldigen, sie verstehen einander nicht, jeder rechtfertigt sich selbst. Als Folge zerfällt alles, und die Kinder bleiben ohne ihre Eltern.  Man muss auf den Menschen schauen, in seine Augen. Was ist darin? Wenn das Leben und Licht darin sind, wird er, wenn sogar an das Bett gebunden, allen nützlich sein. Wenn man aber leer ist, wer braucht einen solchen Menschen? Man kann Kleider und andere dekorative Klamotten anziehen, man kann sein Haus komfortabel einrichten, man kann sich selbst betrügen, aber früher oder später endet alles und man wird mit gefalteten Händen in einem Sarg liegen. Es ist interessant auf einen Menschen im Sarg zu schauen. So sieht man sein ganzes Leben, die Qualität dieses Lebens. 
Übrigens, was Tod betrifft, genauer gesagt, die Sauberkeit der Friedhöfe. Es kommt vor, man kommt zum Friedhof, aber dort sind Müll und Dreck… Der Friedhof ist eine Stätte, wo die Reste unserer Geliebten und Nächsten liegen. Wir hoffen auf die Auferstehung der Toten. Das Christentum lehrt, dass der Friedhof eine zeitweilige Stätte ist. 

Was bedeutet der Tod für einen gläubigen Menschen? 

Das ist eine Prüfung. Das ist aber keine Tragödie. Darin besteht der Sinn des christlichen Glaubens. In unserem Glaubensbekenntnis sagen wir: „Ich erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der künftigen Zeit.“ Wir sollen an dieses Treffen glauben. Der Friedhof ist eine Stätte, wo die Menschen herkommen und mit ihren Nächsten durch Gott und Gebet
Gemeinschaft haben. Die Friedhöfe werden aber zu den Stätten, wo man trinken und essen hingeht. Es ist nicht schlecht, dass sich die Familien versammeln, das darf aber nicht hässlich ablaufen. Allgemein gesagt ist die ganze Erde ein großer Friedhof. Wir gehen jetzt dort, wo vor tausend oder fünfhundert Jahren jemand gestorben ist und begraben liegt. Wir sind von der Erde und gehen in die Erde. Der Friedhof erinnert an das Leben. Die Heiligen hatten einen Sarg in ihrer Zelle stehen und schliefen sogar darin. Wenn wir auf einen Friedhof kommen, müssen wir daran denken, dass man auch uns bald hierher bringt. So gesund wir auch sind und solch gute Ärzte uns auch behandeln, kommen wir immer näher zu unserem Tod, zu der Linie, hinter der unser ewiges Leben oder ewiger Tod sind. Gerade für dieses Leben kämpfen wir. Wir sind keine Heiden, und der menschliche Körper ist heilig für uns. Wir küssen den Körper eines Verstorbenen, das ist keine bloße Leiche. Wenn ein Mensch in der Kirche lebt, zur Kommunion kommt, ist sein Körper geheiligt. Das ist ein Heiligtum, welches man wie Holz nicht verbrennt. Die Buddhisten machen so, das ist die Norm ihrer Religion, ihrer Weltanschauung. Sie denken, dass das ganze Leben eine Illusion sei. Der Tod ist ein Übergang in die Ewigkeit, das ist ein sehr wichtiges Ereignis
im Leben eines Menschen. Die Nächsten des Verstorbenen werden auch anders in dieser Zeit, sie denken über ihr Leben nach.
Ich meine, dass es Barbarentum ist, die Leichen zu verbrennen. Es gibt genug Land für eine normale Bestattung, genug.

Wie kann man die Situation ändern und eine saubere Welt zurückgewinnen?

Eine Ikone wiederherstellen (und der Mensch ist eine Ikone), kann man durch die Buße und innere Arbeit. Dafür soll man seine Augen aufmachen, sein Herz öffnen und entdecken, dass Gott in der Nähe ist. Der Mensch lebt einsam, die Menschen leben hinter den Wänden, die sie selbst gebaut haben. Aber wenn der Mensch seine Augen aufmacht und Gott in seinem Nächsten, in sich selbst und in seinem eigenen Leben sieht, wird sich vielleicht alles, die ganze Welt ändern, weil für den, der rein ist, ist alles rein.

Interview von Dmitri Artjukh
Photo von Mönch Dimitrij (Kosyrew)

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