Sonntag, 1. Dezember 2013

Mutter Marija Skobcova - Märtyrerin im KZ Ravensbrück

Vier der neu kanonisierten Heiligen standen in ihrem Leben – und Sterben!- in einer engen Verbindung, deren Zentrum in gewisser Weise Mutter Marija Skobcova war. Bei ihr handelte es sich sicher in mehrfacher Hinsicht um eine ungewöhnliche Frau. Geboren als Elisaveta Jur’evna Pilenko am 8. Dezember 1891 in einer aristokratischen Familie in Riga, verbrachte sie die Jahre ihrer Kindheit und Jugend vor allem in der Stadt Anapa am Schwarzen Meer, wo ihr Vater Leiter eines botanischen Gartens geworden war. Damals konnte wohl niemand ahnen, dass sie einmal 1932 im Alter von 41 Jahren Nonne werden würde – dies aber nach einem bewegten Leben, als sie sich als Dichterin und Künstlerin schon lange im Mittelpunkt der künstlerischen und gesellschaftlichen führenden Kreise bewegt hatte, zweimal verheiratet und geschieden und Mutter dreier Kinder war.
Bekannt wurde sie zuerst unter dem Namen Kuzmina-Karavaeva –und zwar nach ihrem damaligen Ehemann Dimitrij Kuzmin-Karavaev, mit dem sie acht Jahre verheiratet war (und der später römisch-katholisch, Jesuit und unierter Priester wurde). Die spätere Mutter Marija veröffentlichte in der Zeit von 1911 bis 1921 – noch in Russland – ihre ersten Gedichte und philosophischen Essais und veranstaltete die ersten Ausstellungen ihrer Werke.
In diesen Jahren gehörte sie zu den Kreisen um Aleksandr Blok, Nikolaj Gumil’ev und Natalija Gončarova. Übrigens setzte sie auch später ihre künstlerische Tätigkeit fort, sei es bei der Ausgestaltung von Kirchen und Kapellen oder der Gestaltung liturgischer Gewänder.

1917 nahm sie begeistert an der Februar-Revolution teil und schloss sich dem rechten Flügel der Sozialrevolutionäre (SR) unter Aleksandr Kerenskij an. Doch dann wurde sie nach der Trennung von ihrem ersten Mann in Anapa, wo sie jetzt mit ihrer Tochter Gajana lebte, vom bolschewistischen Umsturz überrascht. Mit ihrem zweiten Mann Danill Skobcov, den sie dort kennenlernte, ihrer Mutter und ihren nunmehr drei Kindern konnte sie schließlich über Georgien, Konstantinopel und dann Jugoslawien aus dem sowjetisch gewordenen Russland fliehen. 1923 ließ sich die Familie in Paris nieder, wo ihre kleine Tochter Anastasia1936 starb. Das Elend, das Elisaveta Skobcova auf der Flucht und im Zusammenhang mit dem Tod ihrer Tochter kennengelernt hatte, wurden für sie zu einem tiefgreifenden geistlichen Erlebnis.
Sie begann, sich immer stärker im sozialen Dienst für die Randgruppen zu engagieren – so stark, dass ihr Familienleben darunter litt, zumal sie immer stärker den Wunsch hatte, die Nonnenweihe zu empfangen. Auf Anraten von Metropolit Evlogij, der siezu diesem Weg ermutigte, kam es zu einer religiösen Trennung der zweiten Ehe und der Metropolit selbst spendete ihr die Nonnenweihe und suchte für sie den Namen der Maria von Ägypten aus. 1935 gründete sie im 15 Arrondissement von Paris in der rue de Lourmel 77 ein Foyer und ein Hospiz für Obdachlose, wobei sie dies ebenso als eine spirituelle wie als eine karitative Arbeit empfand, als – wiesie selbst es formulierte – ein „Mönchtum in der Großstadt, in der Wüste der menschlichen Herzen“. Zur Unterstützung ihrer Arbeit gründete sie eine Laiengruppe mit dem– von Nikolaj Berdjaev vorgeschlagenen - Namen „L’ Action Orthodoxe“ zum Dienst an den Obdachlosen und Clochards mit einer Kantine, Werkstätten und einer Sozialberatung.
Die heilige Mutter Maria (in der Mitte)

Während der deutschen Okkupation Frankreichs wirkte sie von Anfang an aktiv in der Résistance mit und versteckte nicht nur entflohene sowjetische Kriegsgefangene, sondern auch zahlreiche Juden in ihrem Foyer in Paris, für die sie teilweise falsche Taufbescheinigungen besorgte. Allerdings ist das Wort falsch“ nicht ganz richtig, zumindest nicht im Sinne von Mutter Marija, denn sie ging von einer besonderen Beziehung zwischen Christen und Juden aus, wie sie in einem unveröffentlichten Manuskript Reflexionen zur Zukunft von Europa und Asien“1941 festhielt, indem sie ihre ganze Sicht der „Judenfrage“ darlegt, wobei sie allerdings mit Vladimir Solov’ev betont: „Es gibt keine Judenfrage, sondern nur eine Frage an die Christen!“ In ihrer Sicht sollte die Kirche besonders ihre Hand zu den Juden ausstrecken und ihnen ihr Herz öffnen: „Der Christ ist berufen, Pate des jüdischen Volkes zu werden. Durch Gottes Willen steht er jetzt an Angesicht zu Angesicht seinem, älteren Bruder gegenüber,der einst weggegangen ist!“ Indem sie Juden vom Tode rettete, sah Mutter Marija Christus zusammen mit den verfolgten Juden gekreuzigt: „Der Sohn Davids, der Messias, den sein Volk nicht erkannte, wird jetzt mit denen gekreuzigt, die ihn nicht anerkannten. Das Kreuz von Golgotha wird auf die Schultern Israels gelegt. Und dies Kreuz bedeutet auch eine Verpflichtung“. In Mutter Marijas Sicht wurden die Christen, die Juden retteten, gleichsam freiwillig zusammen mit den Juden gekreuzigt – zum Zwecke ihrer Rettung. Die Christen bedeuten den Leib Christi und in diesem Sinne Christus selbst. Somit gewinnen die geretteten Juden Anteil am Leibe Christi. So bleiben diese Geretteten nicht außerhalb des Leibes Christi, sondern haben in gewisser Weise– wenigstens potentiell oder zumindest passiv – Anteil an ihm.

Natürlich konnte ihr Wirken auf die Dauer dendeutschen Okkupanten nicht verborgen bleiben: Am 8. Februar 1943 fand eine Hausdurchsuchtung in der rue de Lourmel statt. Da gerade niemand von den Führungskräften anwesend war, verhaftete die Gestapo den zwanzigjährigen Sohn Mutter Marijas, den Lektor Jurij Skobcov. Am folgenden Tag feierte Vr. Dimitrij die letzte Göttliche Liturgie in der Kapelle des Foyers, bevor er sich zur Gestapo begab. Am folgenden Tag wurde auch Mutter Marija, die sich um die Freilassung ihres Sohnes bemühen wollte, selbst verhaftet. Zuerst brachte man die drei nach Romainville, dann ins Lager von Compiègne und schließlich nach Deutschland, wo Mutter Marija im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück bei Berlin am Samstag, dem 31. März 1945, dem Karfreitag des Jahres nach westlichem Kalender, in der Gaskammer starb. Nach einigen Berichten hatte sie dabei den Platz freiwillig für eine andere Inhaftierte übernommen. Ihr 1920 geborener Sohn diente als Lektor in der Kapelle in der rue de Lourmal. Auch er wurde im Zusammenhang mit der Verhaftung seiner Mutter arretiert und ins Konzentrationslager Dorain Deutschland gebracht,wo er am 6. Februar 1944 verstarb. Priester Dimitrij Klepinin, geboren 1904, war Absolvent des Hl.-Sergij-Institutes, verheiratet und Vater zweier Kinder. Seit 1939 arbeitete er als Seelsorger in dem von Mutter Marija gegründeten Foyer in derrue de Lourmel und der dortigen Mariä-Obhut Kirche, bis er mit Mutter Marija zusammen verhaftet wurde. Nach Deutschland ins Konzentrationslager Dora gebracht, verstarb er dort an Pneumonie am 9. Februar 1944.
Für ihren Einsatz zur Rettung der verfolgten Juden haben sowohl Mutter Marija wie Vr. Dimitrij vom Staat Israel posthum den Titel eines „Gerechten unter den Völkern“ erhalten und sind ihre Namen in der Gedenkstätte von Yad Vashem in Jerusalem eingetragen. Il’ja Fondaminskij war selbst ein russischer Intellektueller jüdischer Nationalität und arbeitete mit seiner Frau und anderen eng mit Mutter Marija in der „Action Orthodoxe“ zusammen, wobei er sich Schritt um Schritt dem christlichen Glauben annäherte. Er wurde aber erst nach seiner Verhaftung 1941 im Zwischenlager von Compiègne (Oise) getauft, kurz bevor man ihn in das Lager Auschwitz deportierte,wo er am 19. November 1942 umgebracht worden ist.(...)

Jede Kanonisierung ist sicher mehr als eine quantitative Erweiterung des Heiligenkalenders, sondern sie trägt eine besondere Aussage in sich.Dies gilt wohl in besonderem Maße für diese neuen Heiligen, denn sie sind ein Zeugnis nicht nur für die Askese ihres eigenen Lebens, sondern auch dafür, dass im 20. Jahrhundert ein neues Kapitelder Geschichte Orthodoxie in West- und Mitteleuropa begonnen hat, ein Kapitel der Verankerung in dieser Gesellschaft, in ihren Nöten und Freuden. Mögen auch die neuen Heiligen nicht freiwillig in die Emigration gegangen sein, so haben sie – im Gegensatz zu manchen anderen Emigranten sich nicht in einer abgeschlossenen Welt des bloßen Gedenkens der alten Heimat abgekapselt, sondern entschlossen den Platz, den ihnen ihr Verständnis des Evangeliums zeigte, bis hin zum Martyrium erfüllt. Noch ein weiterer abschließender Gedanke sei in diesem Zusammenhang gestattet: Das Leben von vier der fünf neu kanonisierten Heiligen wurde durch die Gewalt eines deutschen Terrorregimes beendet, bei den meisten von ihnen in Konzentrationslagern innerhalb der deutschen Grenzen: Wäre es da nicht sinnvoll, wenn auch die Orthodoxe Kirche in diesem Lande auch ihre Verehrung aktiv übernehmen würde? Nicht im Sinne einer Aufrechnung und eines Vorwurfes, sondern im Sinne der Versöhnung,des neuen Lebens, dass aus dem Blut der Märtyrer springt. Wäre eine gemeinsame Wallfahrt der Orthodoxen dieses Landes etwa zur Stätte des Martyriums der hl. Mutter Marija in Ravensbrück am ihrem Gedenktag nicht ein richtungweisendes Zeichen?

Neue Heilige der Orthodoxie in Westeuropa
Quelle: http://www.kokid.de

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