Bekannt
wurde sie zuerst unter dem Namen Kuzmina-Karavaeva –und zwar nach
ihrem damaligen Ehemann Dimitrij Kuzmin-Karavaev, mit dem sie acht
Jahre verheiratet war (und der später römisch-katholisch, Jesuit
und unierter Priester wurde). Die spätere Mutter Marija
veröffentlichte in der Zeit von 1911 bis 1921 – noch in Russland –
ihre ersten Gedichte und philosophischen Essais und veranstaltete die
ersten Ausstellungen ihrer Werke.
In
diesen Jahren gehörte sie zu den Kreisen um Aleksandr Blok, Nikolaj
Gumil’ev und Natalija Gončarova. Übrigens setzte sie auch später
ihre künstlerische Tätigkeit fort, sei es bei der Ausgestaltung von
Kirchen und Kapellen oder der Gestaltung liturgischer Gewänder.
1917
nahm sie begeistert an der Februar-Revolution teil und schloss sich
dem rechten Flügel der Sozialrevolutionäre (SR) unter Aleksandr
Kerenskij an. Doch dann wurde sie nach der Trennung von ihrem ersten
Mann in Anapa, wo sie jetzt mit ihrer Tochter Gajana lebte, vom
bolschewistischen Umsturz überrascht. Mit ihrem zweiten Mann Danill
Skobcov, den sie dort kennenlernte, ihrer Mutter und ihren nunmehr
drei Kindern konnte sie schließlich über Georgien, Konstantinopel
und dann Jugoslawien aus dem sowjetisch gewordenen Russland fliehen.
1923 ließ sich die Familie in Paris nieder, wo ihre kleine Tochter
Anastasia1936 starb. Das Elend, das Elisaveta Skobcova auf der Flucht
und im Zusammenhang mit dem Tod ihrer Tochter kennengelernt hatte,
wurden für sie zu einem tiefgreifenden geistlichen Erlebnis.
Sie
begann, sich immer stärker im sozialen Dienst für die Randgruppen
zu engagieren – so stark, dass ihr Familienleben darunter litt,
zumal sie immer stärker den Wunsch hatte, die Nonnenweihe zu
empfangen. Auf Anraten von Metropolit Evlogij, der siezu diesem Weg
ermutigte, kam es zu einer religiösen Trennung der zweiten Ehe und
der Metropolit selbst spendete ihr die Nonnenweihe und suchte für
sie den Namen der Maria von Ägypten aus. 1935 gründete sie im 15
Arrondissement von Paris in der rue de Lourmel 77 ein Foyer und ein
Hospiz für Obdachlose, wobei sie dies ebenso als eine spirituelle
wie als eine karitative Arbeit empfand, als – wiesie selbst es
formulierte – ein „Mönchtum in der Großstadt, in der Wüste der
menschlichen Herzen“. Zur Unterstützung ihrer Arbeit gründete sie
eine Laiengruppe mit dem– von Nikolaj Berdjaev vorgeschlagenen -
Namen „L’ Action Orthodoxe“ zum Dienst an den Obdachlosen und
Clochards mit einer Kantine, Werkstätten und einer Sozialberatung.
Die heilige Mutter Maria (in der Mitte) |
Während
der deutschen Okkupation Frankreichs wirkte sie von Anfang an aktiv
in der Résistance mit und versteckte nicht nur entflohene
sowjetische Kriegsgefangene, sondern auch zahlreiche Juden in ihrem
Foyer in Paris, für die sie teilweise falsche Taufbescheinigungen
besorgte. Allerdings ist das Wort „falsch“
nicht ganz richtig, zumindest nicht im Sinne von Mutter Marija, denn
sie ging von einer besonderen Beziehung zwischen Christen und Juden
aus, wie sie in einem unveröffentlichten Manuskript „Reflexionen
zur Zukunft von Europa und Asien“1941 festhielt, indem sie ihre
ganze Sicht der „Judenfrage“ darlegt, wobei sie allerdings mit
Vladimir Solov’ev betont: „Es gibt keine Judenfrage, sondern nur
eine Frage an die Christen!“ In ihrer Sicht sollte die Kirche
besonders ihre Hand zu den Juden ausstrecken und ihnen ihr Herz
öffnen: „Der Christ ist berufen, Pate des jüdischen Volkes zu
werden. Durch Gottes Willen steht er jetzt an Angesicht zu Angesicht
seinem, älteren Bruder gegenüber,der einst weggegangen ist!“
Indem sie Juden vom Tode rettete, sah Mutter Marija Christus zusammen
mit den verfolgten Juden gekreuzigt: „Der
Sohn Davids, der Messias, den sein Volk nicht erkannte, wird jetzt
mit denen gekreuzigt, die ihn nicht anerkannten. Das Kreuz von
Golgotha wird auf die Schultern Israels gelegt. Und dies Kreuz
bedeutet auch eine Verpflichtung“.
In Mutter Marijas Sicht wurden die Christen, die Juden retteten,
gleichsam freiwillig zusammen mit den Juden gekreuzigt – zum Zwecke
ihrer Rettung. Die Christen bedeuten den Leib Christi und in diesem
Sinne Christus selbst. Somit gewinnen die geretteten Juden Anteil am
Leibe Christi. So bleiben diese Geretteten nicht außerhalb des
Leibes Christi, sondern haben in gewisser Weise– wenigstens
potentiell oder zumindest passiv – Anteil an ihm.
Natürlich
konnte ihr Wirken auf die Dauer dendeutschen Okkupanten nicht
verborgen bleiben: Am 8. Februar 1943 fand eine Hausdurchsuchtung in
der rue de Lourmel statt. Da gerade niemand von den Führungskräften
anwesend war, verhaftete die Gestapo den zwanzigjährigen Sohn Mutter
Marijas, den Lektor Jurij Skobcov. Am folgenden Tag feierte Vr.
Dimitrij die letzte Göttliche Liturgie in der Kapelle des Foyers,
bevor er sich zur Gestapo begab. Am folgenden Tag wurde auch Mutter
Marija, die sich um die Freilassung ihres Sohnes bemühen wollte,
selbst verhaftet. Zuerst brachte man die drei nach Romainville, dann
ins Lager von Compiègne und schließlich nach Deutschland, wo Mutter
Marija im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück bei Berlin am
Samstag, dem 31. März 1945, dem Karfreitag des Jahres nach
westlichem Kalender, in der Gaskammer starb. Nach einigen Berichten
hatte sie dabei den Platz freiwillig für eine andere Inhaftierte
übernommen. Ihr 1920 geborener Sohn diente als Lektor in der Kapelle
in der rue de Lourmal. Auch er wurde im Zusammenhang mit der
Verhaftung seiner Mutter arretiert und ins Konzentrationslager Dorain
Deutschland gebracht,wo er am 6. Februar 1944 verstarb. Priester
Dimitrij Klepinin, geboren 1904, war Absolvent des
Hl.-Sergij-Institutes, verheiratet und Vater zweier Kinder. Seit 1939
arbeitete er als Seelsorger in dem von Mutter Marija gegründeten
Foyer in derrue de Lourmel und der dortigen Mariä-Obhut Kirche, bis
er mit Mutter Marija zusammen verhaftet wurde. Nach Deutschland ins
Konzentrationslager Dora gebracht, verstarb er dort an Pneumonie am
9. Februar 1944.
Für
ihren Einsatz zur Rettung der verfolgten Juden haben sowohl Mutter
Marija wie Vr. Dimitrij vom Staat Israel posthum den Titel eines
„Gerechten unter den Völkern“ erhalten und sind ihre Namen in
der Gedenkstätte von Yad Vashem in Jerusalem eingetragen. Il’ja
Fondaminskij war selbst ein russischer Intellektueller jüdischer
Nationalität und arbeitete mit seiner Frau und anderen eng mit
Mutter Marija in der „Action Orthodoxe“ zusammen, wobei er
sich Schritt um Schritt dem christlichen Glauben annäherte. Er wurde
aber erst nach seiner Verhaftung 1941 im Zwischenlager von Compiègne
(Oise) getauft, kurz bevor man ihn in das Lager Auschwitz
deportierte,wo er am 19. November 1942 umgebracht worden ist.(...)
Jede
Kanonisierung ist sicher mehr als eine quantitative Erweiterung des
Heiligenkalenders, sondern sie trägt eine besondere Aussage in
sich.Dies gilt wohl in besonderem Maße für diese neuen Heiligen,
denn sie sind ein Zeugnis nicht nur für die Askese ihres eigenen
Lebens, sondern auch dafür, dass im 20. Jahrhundert ein neues
Kapitelder Geschichte Orthodoxie in West- und Mitteleuropa begonnen
hat, ein Kapitel der Verankerung in dieser Gesellschaft, in ihren
Nöten und Freuden. Mögen auch die neuen Heiligen nicht freiwillig
in die Emigration gegangen sein, so haben sie – im Gegensatz zu
manchen anderen Emigranten – sich
nicht in einer abgeschlossenen Welt des bloßen Gedenkens der alten
Heimat abgekapselt, sondern entschlossen den Platz, den ihnen ihr
Verständnis des Evangeliums zeigte, bis hin zum Martyrium erfüllt.
Noch ein weiterer abschließender Gedanke sei in diesem Zusammenhang
gestattet: Das Leben von vier der fünf neu kanonisierten Heiligen
wurde durch die Gewalt eines deutschen Terrorregimes beendet, bei den
meisten von ihnen in Konzentrationslagern innerhalb der deutschen
Grenzen: Wäre es da nicht sinnvoll, wenn auch die Orthodoxe Kirche
in diesem Lande auch ihre Verehrung aktiv übernehmen würde? Nicht
im Sinne einer Aufrechnung und eines Vorwurfes, sondern im Sinne der
Versöhnung,des neuen Lebens, dass aus dem Blut der Märtyrer
springt. Wäre eine gemeinsame Wallfahrt der Orthodoxen dieses Landes
etwa zur Stätte des Martyriums der hl. Mutter Marija in Ravensbrück
am ihrem Gedenktag nicht ein richtungweisendes Zeichen?
Neue
Heilige der Orthodoxie in Westeuropa
Quelle:
http://www.kokid.de
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