Montag, 2. Dezember 2013

Die Reinheit des Verstandes- heiliger Isaak der Syrer


Was Reinheit des Verstandes ist.

Rein an Verstand ist nicht Derjenige, welcher nichts Böses kennt; denn sonst wäre es ja sogar das Tier.
Auch nennen wir Diejenigen nicht rein an Verstand, welche die Natur auf der Stufe der Kindheit gelassen hat; noch verlangen wir Solche, welche niemals die Versuchung zum Bösen erfahren haben, sonst würden wir ja von den Menschen fordern, daß sie nicht zu der Ordnung der geschaffenen Wesen gehören dürften.

Die Reinheit des Verstandes ist vielmehr ein Sichgefangengeben an das Göttliche, welches nach Ausübung vieler Tugendwerke zu Stande kommt.
Selbst Denjenigen wagen wir nicht rein zu nennen, der diese Tugend ohne Versuchung durch entgegengesetzte Gedanken besitzt, denn sonst könnte er ja nicht mit dem Leibe bekleidet sein. Wir aber heben den Kampf der Natur gegen die Widersacher nicht vor der zukünftigen Welt auf.
Unter der Versuchung durch Gedanken verstehe ich jedoch nicht solche, in welche der Mensch einwilligt, sondern den Beginn des Kampfes der Gedanken, welcher durch die vier verschiedenen Ursachen, die zur Aufregung aller Arten von Leidenschaften dienen, im Geiste erregt wird, da es in diesem Leben keinen Menschen gibt, welcher über solche irdische Erinnerung erhaben ist, vielleicht mit Ausnahme der höchsten Kriegsführer. Wenn wir uns Jemanden auch so vollkommen wie Paulus denken, so urtheile selbst darüber, ob ein Solcher, da ihn der Leib durch seine Regungen gemäß der natürlichen Anordnung, die Welt durch ihre Wesen vermittelst der Tätigkeit der Sinne, die Seele durch Gedanken in Folge der Erinnerung und der Fähigkeit der Wahlfreiheit, die Dämonen durch Antreibung, und alle obengenannten durch diese vier Mittel zu Leidenschaften zu drängen suchen, vor dem Ende der Welt oder der Hinwegnahme durch den Tod auch nur eins von diesen vieren beseitigen kann, selbst wenn er die erhabenen, durch die Betrachtung sichtbaren Dinge einigermaßen empfindet und nach ihnen strebt, oder ob der Leib seinen Bedürfnissen gänzlich enthoben werden kann, so daß ihn die Natur nicht mehr zum Begehren irdischer Dinge zwingt!

Wenn es aber unsinnig ist, Dieses anzunehmen, dann müssen notwendig, so lange jene Dinge bleiben, auch die Leidenschaften in allen mit dem Leibe Bekleideten sich regen, und bedürfen
deshalb Alle der Behutsamkeit.
Unter den Leidenschaften verstehe ich aber nicht etwa nur die eine oder die andere, sondern alle ihre verschiedenen Arten, gegen welche die mit dem Fleische Bekleideten zu kämpfen haben.
Dennoch wagt der Mensch diesen (sich auszusetzen), obgleich er den Regungen gegenüber schwach ist und nur wenig, obendrein noch ohne sich dabei anzustrengen, kämpft. Deshalb bedarfst du strenger Wachsamkeit.

Welcher Unterschied zwischen der Reinheit des Verstandes und der Reinheit des Herzens besteht.

Die Reinheit des Verstandes ist etwas Anderes als die Reinheit des Herzens, gleichwie ein einzelnes Glied des Leibes vom ganzen Leibe verschieden ist.
Der Verstand ist nämlich eine einzelne Seelenkraft, während das Herz die Gesammtheit der Seelenkräfte in sich schließt, also die Centralkraft und die Wurzel der übrigen ist. Wenn nun die Wurzel heilig ist, so sind es auch alle Zweige. Nicht aber verhält es sich auch umgekehrt so mit einem einzelnen geheiligten Zweige.
Der Verstand vergißt zwar durch einiges Betrachten in der (heiligen) Schrift und eine geringe Anstrengung im Fasten und Stillschweigen sein früheres Gedankengetriebe und wird geläutert,
indem er sich der Beschäftigung mit fremdartigen Dingen entzieht, wird aber doch leicht wieder verunreinigt.

Das Herz dagegen wird gereinigt durch schwere Trübsale und Enthaltung (Enthaltsamkeit) von jeder Vermengung mit der Welt, bei vollkommener Abgestorbenheit von allen Dingen. Wenn es so
gereinigt ist, wird seine Reinheit durch den Andrang geringfügiger Dinge nicht getrübt, oder vielmehr sie fürchtet sich nicht einmal vor gewaltigen Kämpfen.
Sie hat sich nämlich einen kräftigen Magen erworben, welcher leicht alle Speisen verdauen kann, die den Anderen in ihrem Gewissen Erkrankten zu schwer sind. Denn die Ärzte behaupten,
daß jede schwer verdaulich Fleischspeise dem gesunden Körper größere Stärke verleiht, wenn sie in einen kräftigen Magen aufgenommen wird.
So wird auch jede Reinigung, die leicht, schnell und mit geringer Mühe erworben ist, wieder leicht getrübt; aber eine durch schwere, langandauernde Leiden errungene Reinheit fürchtet sich auch in den einzelnen Teilen der Seele nicht vor dem schwachen Andrang der Aussendinge. 
Die Regelung der Sinne bewirkt Frieden in der Seele, weil sie nicht zulässt, daß diese durch Kampf versucht werde. Zwar wenn sie überhaupt von keinem Dinge eine Empfindung erhält, so ist dies ein Sieg ohne Kampf. Aber wenn sie aus Leichtsinn versäumt, sich die Unkenntniss (des Bösen) zu bewahren, und erst, nachdem sie die Empfindung in sich aufgenommen hat, um Befreiung von derselben kämpft, so verliert sie ihren ursprünglichen Zustand, nämlich die ihr von Natur eigene Reinheit und Unschuld.

Die meisten Menschen, vielleicht sogar die ganze Welt, verlassen auf diese Weise jenen Zustand; aber unter Vielen findet sich kaum Einer, welcher zum zweiten Male an dessen Stätte zurückkehrte.
Doch ist die Einfalt etwas weit Schöneres als die verschiedenen Stufen derVergebung.

Die Furcht ist der menschlichen Natur nützlich, um sich ausserhalb der Grenzen der Gesetzesübertretung zu halten; die Liebe aber, um in sich das Verlangen nach den Gütern zu
erregen, um deren willen sie sich der Ausübung guter Werke befleissigt. 
Die geistliche Erkenntniss folgt ihrer Entstehung nach erst auf die Ausübung der Tugend; aber beiden gehen Liebe und Furcht vorher, und zwar ist die Furcht früher als die Liebe vorhanden.
Ein Jeder nun, welcher sich erdreistet, das Spätere vor dem Früheren erwerben zu wollen, legt ohne Zweifel das Fundament zum Untergang in seiner Seele. Denn diese (Gnaden) werden von
Gott in solcher Reihenfolge verliehen, daß die einen von den anderen hervorgebracht werden.
Vertausche nicht die Liebe zu deinem Nächsten mit der Liebe zu den Aussendingen! Denn in jenen ist Der verborgen, welcher über Alle erhaben ist.
Das, was für fleischliche Augen nur eine äusserliche Anordnung ist, erscheint der verborgenen Anschauung als ein heilsamer Schmerz; ganz ebenso erscheint Dasjenige, was der natürlichen Beschauung der zweiten Stufe wie ein Gewölke von Leiden vorkommt, der ursprünglichen Anordnung der Natur. In dieser Weise verhalten sich die Beschauungen zu einander, bis zu derjenigen, bei welcher ihre Reihenfolge aufhört.

Wenn sich der Geist in der ursprünglichen Anordnung der Natur befindet, so ist er in der Beschauung der Engel; denn diese ist die erste und natürliche Beschauung. Sie wird auch bloßer Geist genannt. Wenn er sich aber in der natürlichen Erkenntniss der zweiten Stufe befindet, so trinkt er von den Brüsten der materiellen Welt und wird mit Milch genährt. Diese Erkenntniss wird das letzte Gewand in der vorher erwähnten Reihenfolge genannt und hat ihren Platz nach der Reinheit, in welche der Geist zuerst eingehen soll. Auch diese Erkenntniss selbst ist der Entstehung nach die erste. Denn der Zeitfolge nach geht sie vorher, der Würde nach aber ist sie das letzte. Deshalb wird
sie auch die zweite genannt und mit als Merkzeichen dienenden Buchstaben verglichen, durch welche der Geist gereinigt und geübt wird zur Ersteigung der nach der Zeitfolge zweiten Stufe,
welche ist Vollkommenheit der Regungen des Verstandes und die nächste Stufe zur Aufnahme der göttlichen Beschauung.
Das letzte Gewand des Geistes sind die Sinne, seine Entblößtheit aber ist seine Erregung durch die immateriellen Beschauungen. Gib das Geringe auf, um das Große zu finden!
Verwirf das Überflüssige, um das Kostbare zu erlangen!
Sei im Leben abgestorben und lebe nicht im Tode! Entschließe dich, aus Pflichteifer zu sterben und nicht in Verwerfung zu leben!
Nicht nur Diejenigen sind Martyrer, welche den Tod für den Glauben an Christum erdulden, sondern auch die, welche für die Beobachtung seiner Gebote sterben

heiliger Isaak der Syrer 
Ausschnitt aus: Über das tugendhafte Leben



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