Montag, 23. Dezember 2013

Ehre Gott in den Höhen-von Vt. Martinos Petzolt

„Engel lobsingen mit den Hirten“ singt die Kirche im Kontakion von Weihnachten, und auch auf den Ikonen der Geburt Christi sind in einer Nebenszene meist Hirten abgebildet, die zu Engeln in die Höhe schauen und sich auf den Weg zur Geburtshöhle machen. Die Höhle, die Joseph in Bethlehem als Notunterkunft für die Gottesmutter fand, sowie die Krippe mit dem Stroh gehörten Hirten, ebenso die Stalltiere Ochs und Esel, die allerdings nicht im Weihnachtsevangelium, sondern bei Isaias (1,3) vorkommen.
Die eigentliche Geburt Jesu wird bei den Evangelisten Matthäus und Lukas recht nüchtern erzählt, genau genommen nur mit einem einzigen Satz beschrieben, wobei nur Lukas noch von dem Wickeln und der Krippe spricht. Erst im nächsten Abschnitt der Weihnachtsevangelien werden die Szenen farbiger, denn den ersten Besuchern an der Krippe wird breiter Raum gewidmet. Allerdings unterscheiden sich die Gäste bei Matthäus und Lukas in Rang und Herkunft, denn im Unterschied zu den vom Stern geführten Magiern aus der Ferne bei Matthäus kommen nach Lukas einfache Hirten aus der Nachbarschaft zur Krippe. Bei Beiden jedenfalls findet nach dem Geburtsgeschehen gewissermaßen ein Szenenwechsel von der Höhle zum Feld bzw. zur Stadt Jerusalem statt, und mit der Ankunft der Gäste wendet sich die Aufmerksamkeit wieder der Krippe zu.
Bei Lukas erscheint „der Engel des Herrn“ – hier mag man an den Boten Gottes Gabriel denken – vor den Hirten, um ihnen die Geburt des Heilandes zu verkünden, und danach gesellt sich zu diesem auch noch eine große Schar, die Gott verherrlicht. Hinter dieser scheinbar einfachen Erzählung verbirgt sich eine ungemein große Dramatik und theologische Dichte. Wenn ein mit dem Alten Testament verbundener Gläubiger hört, daß bei der Engelankunft „die Herrlichkeit des Herrn sie umstrahlte und sich die Hirten sehr fürchteten“ (Lk 2,9), muss er sofort hellhörig werden. Es scheint nämlich, dass die Hirten mehr als über den Engel, was gut verständlich wäre, über die „Herrlichkeit des Herrn“ erschrecken. Denn es fällt auf, daß die Hirten nicht vom Glanz des Engels umstrahlt werden, auch nicht vom Licht des Bethlehemssternes oder dem Glanz der Krippe, sondern dass es die Herrlichkeit des Herrn selbst ist, die sie „umleuchtet“. Die „Herrlichkeit des Herrn“ ist ein besonderer und fester Begriff Gottes und läßt sogleich an eine Zentralstelle der Bibel denken, an die große Gottesoffenbarung am Sinai. Dort umhüllte die Herrlichkeit des Herrn den Berg, als Moses dorthin aufstieg, um die 10 Gebote zu empfangen. (Ex 24,16). Dass die Hirten dabei erschrecken müssen, ist verständlich, denn „die Herrlichkeit des Herrn stellte sich den Augen der Israeliten dar wie ein verzehrendes Feuer“ (Ex 24,17). Nicht zufällig ist diese wörtliche Anspielung, denn beide Ereignisse stehen in engem Zusammenhang. Das Wort Gottes, auf dem Sinai geoffenbart, wurde in Bethlehem selbst Fleisch und erschien den Menschen sichtbar. Es ist dieselbe Herrlichkeit Gottes, welcher nicht nur im Wort spricht, sondern selbst Mensch wird, oder mit den Worten des Evangelisten Johannes: „Das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14). So wird mit dieser kurzen Anspielung auf die die Hirten umstrahlende Herrlichkeit des Herrn ganz ohne theologische Begrifflichkeit bereits ein eindeutiges Glaubensbekenntnis abgelegt: Der in der Krippe liegt, ist der Gott der Offenbarung selbst, das Wort Gottes, das nicht nur spricht, sondern nun auch selbst Mensch geworden ist.
Der Engel erläutert nun die Grundlosigkeit der Furcht. Die Herrlichkeit Gottes ist nicht verzehrendes Feuer, sondern das in der Krippe liegende, in Windeln gewickelte Kind, eine große Freude, nicht ein furchterregendes Geschehen. Es ist derselbe Herr: der Herr auf dem Sinai ist auch der Heiland und Messias in der Krippe. „Dies soll euch ein Zeichen sein: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend“ (Lk 2,12).
Nun fragt sich allerdings, wieso ausgerechnet das in der Krippe liegende Kind ein unverwechselbares und sicheres Zeichen für den Messias sein soll. Die Hirten sahen den Säugling, aber konnten sie auch seine Heilsbestimmung und seine Göttlichkeit in der Krippe entdecken? Ein Gläubiger des Alten Testaments konnte tatsächlich in der Höhle Bethlehems ein Zeichen sehen und verstehen, wenn er an den Propheten Isaias dachte und wußte, dass mit einem Kind die Heilszeit beginnt: „Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt“ (Is 9, 6). Deshalb findet sich das Bild, mit dem der Evangelist Johannes die Menschwerdung umschreibt, unmittelbar wenige Verse vorher beim Propheten: „Das Volk, das im Finstern wandelt, schaut ein großes Licht, über denen, die im Lande der Dunkelheit wohnen, erstrahlt ein Licht“ (Is 9,2). Wenn die Hirten auf dem Felde plötzlich von der Herrlichkeit des Herrn umstrahlt werden, wenn sie dann noch einen himmlischen Boten sehen und wenn sie schließlich auch noch vor einem Kind stehen, das der Erlöser und Messias sein soll, wissen sie, daß die prophetische Ansage wahr geworden ist, daß sich die Heilshoffnung erfüllt.
Die Bestätigung all dessen findet sich im Refrain der Engelschar, denn dieser wiederholt das Bekenntnis von der Herrlichkeit des Herrn in der Krippe zu Bethlehem: „Herrlichkeit Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade – Δόξα ἐν ὑψίστοις Θεῷ, καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη, ἐν ἀνθρώποις εὐδοκία“. Mit diesem Engelsgesang beginnt die Doxologie. Allerdings wird im Deutschen nicht leicht sichtbar, daß die „Ehre“ dasselbe Wort wie die Herrlichkeit des Herrn ist, von der am Sinai, aber auch unmittelbar bei dem Engelbesuch auf dem Hirtenfeld die Rede ist. Für all das verwendet die griechische Bibel dasselbe Wort: die Doxa des Kyrios. Diese bedeutet zugleich die Herrlichkeit und die Verherrlichung (Ehre) Gottes.
Die Doxa des Herrn brauchen die Menschen tatsächlich nicht zu fürchten, vielmehr bewirkt sie den wirklichen Frieden, jedenfalls für alle, die Gott die Ehre erweisen und in seiner Gnade sein wollen. Die Hirten, die man gewöhnlich mit friedlicher Ruhe in Verbindung bringt, passen in den heilsgeschichtlichen Zusammenhang, weil doch in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft der Messias, der Friedensfürst, geboren wurde und die Herrlichkeit des Herrn erschienen ist, jedoch nicht mehr als furchterregendes Feuer, sondern als in Windeln gewickeltes Kind.

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