Montag, 23. Dezember 2013

Filaret (Drozdov), Metropolit von Moskau Zur Geburt Christi - Predigt aus dem Jahre 1812

Und dies sei euch das Zeichen: ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. (Lk. 2, 12)

Die lobpreisende Kirche verkündet an den Altären und in den Häusern dieses Zeichen des neugeborenen "Retters" (Lk. 2, 11). Die Hirten von Bethlehem, die vielleicht nicht mehr als drei Momente lang die himmlische Botschaft von Ihm und den Lobpreis hörten, eilten in der selben Nacht, um Ihn nach dem ihnen gegebenen Zeichen zu finden: und sie sagten zu einander: laßt uns nun hingehen nach Bethlehem und dieses Wort sehen, das geschehen ist, welches der Herr uns kundgetan hat. (Lk. 2, 15) Wir sind schon so lange und so häufig von dem Ruhm erleuchtet und zur Verherrlichung des in die Welt gekommenen Christus aufgerufen worden: Christus wird geboren, lobpreiset, - wir werden beinah zur Begegnung mit den von den Himmeln Herabsteigenden gezogen: Christus von den Himmeln, geht Ihm entgegen, - doch sind wir endlich nach Bethlehem gegangen und haben wir gesehen, wie dieses Wort wahr wurde, welches der Herr zu uns sprach?
Doch wie können wir nach Bethlehem gehen, werden uns die sagen, die nicht den einfachen Glauben der Hirten von Bethlehem besitzen noch die Weisheit der Weisen aus dem Morgenlande? - Können wir denn als Christen in größerer Entfernung von unserem neugeborenen Erretter bleiben, als die heidnischen Weisen und in größerer Unwissenheit über Ihn als die Hirten, die sich nur um das unvernünftige Vieh kümmern? Die Kirche täuscht sich natürlich nicht, wenn sie uns in die Ohren ruft: Christus von den Himmeln, geht Ihm entgegen. Natürlich steigt Christus bis heute von den Himmeln herab und befindet Sich in solcher Nähe zu uns, daß wir ähnlich den Hirten und Weisen rechtzeitig am Ort Seiner Göttlichen Erscheinung anlangen kön-nen. Laßt uns nun hingehen nach Bethlehem.
Bethlehem bedeutet Haus des Brotes - aber was für eines Brotes, wenn nicht des lebendigen Brotes, das aus dem Himmel herniedergekommen ist (Jo. 6, 51). In dieses Bethlehem gehen oder vielmehr zu diesem Bethlehem werden, muß jede christliche Seele, um dann selbst einzutreten und sich in das neue Jerusalem, in die Hütte Gottes zu verwandeln (Apok. 21, 2-3). Gott will durch unsere gnadenreiche Geburt in uns allen Seinen Sohn offenbaren (Gal. 1, 16).
Damit der Weg zu dem neugeborenen Retter uns nicht unbekannt oder fraglich bleibt, und damit wir nicht anstelle des Bethlehems der neuen Geburt im alten Jerusalem verbleiben, welches am Tag der Errettung zu seinem Untergang bei seinem Herodes verbleibt - fassen wir Mut um zu ergründen, was für ein Zeichen uns in unserer Annäherung an Christus bestätigen könnte in der Wahrheit unserer Wiedergeburt.

Im Evangelium sehen wir zwei Wege zu dem neugeborenen Christus: den Weg der Weisen und den Weg der Hirten. Der Weg der Weisen ist der Weg des Lichtes und der Erkenntnis, der durch das deutliche Zeichen des Sterns gewiesen wird, den sie im Osten sahen und der sie nach Jerusalem und Bethlehem führte. Der Weg der Hirten ist der Weg des Schattens und Geheimnisses, der Weg des Glaubens, nicht aber des Sehens, der nach dem kurzen Aufleuchten des Ruhmes Gottes zur Zeit der Nachtwache unternommen wird, ohne Führer beschritten und von keinem besonderen Zeichen gesichert wird außer dem Zeichen des in Windeln gewikkelten und in einer Krippe liegenden Kindes, das leicht zu Widerspruch Anlaß gibt. Wer würde nicht denken, daß der lichte Weg der Weisen ungefährlicher, angenehmer und kürzer ist? Tatsächlich war er jedoch sowohl länger als auch schwieriger und gefährlicher als der dunkle Weg der Hirten. Anstatt in Bethlehem erscheinen die Weisen zuerst in Jerusalem. Hier bringt das von ihnen gepredigte Wissen nichts außer allgemeiner Verwirrung. Sie verfallen in Zweifel über die Fortsetzung ihres Weges. Die Belehrung des himmlischen Zeichens erscheint ihnen unklar. Und das Göttliche Kind, vor Dem sie sich in Ehrfurcht niederwerfen wollten, wird beinahe von ihnen in die Hände der Ehrlosigkeit gebracht. Die Hirten durchlaufen die Gefilde der Finsternis und erreichen in Bethlehem, daß der Ruhm des Herrn, der sie einmal vom Himmel erleuchtete, jetzt unsichtbar in ihnen Wohnung nimmt: und die Hirten kehrten um, indem sie Gott verherrlichten und lobten. (Lk. 2, 20)

Verherrlichen wir Denjenigen, Der den Weg der Weisen verherrlichte; verachten wir den Weg der Hirten nicht. Wenn der lichte Weg der Erkenntnis unsere Blicke anzieht, so vergessen wir nicht, daß wir nicht reisende Beobachter sein sollen, sondern "beobachtende Reisende". Indessen, wie sich unsere Augen in der Betrachtung erhabener Anblikke verlieren, die sich uns darbieten, kann es leicht geschehen, daß wir unter unseren Füßen die Steine, Schlingen und Abgründe nicht bemerken oder auf unserem Weg dann anhalten, wenn wir vorwärts streben müßten. Und deshalb darf man deutliche Erleuchtungen des Geistes nicht immer als unzweifelhafte Zeichen der Annäherung an Christus ansehen und als sichere Anzeichen des wahren Weges der Wiedergeburt. Es gibt erleuchtete Geister - durchsichtigen Körpern gleich -, welche das Licht aufnehmen und weitergeben, selbst es jedoch nicht fühlen, und sogar in anderen eine Flamme hervorbringen, selbst aber kalt und tot bleiben. Die höchste menschliche Weisheit ist ein solches Licht, welches, solange es noch auf einem ungewissen Weg läuft, kein verläßlicher Führer sein kann und welches entsprechend dem Maß der Größe seines Leuchtens in seiner Verfinsterung umso furchtbarer sein kann. Wie kann man auch besseres wünschen? Wahres und lebendiges Schauen ist nicht eigentlich ein Bestandteil unseres gegenwärtigen Lebens, seine eigentliche Seligkeit besteht im Glauben: denn wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen (2 Kor. 5, 7): selig sind, die nicht gesehen und doch geglaubt haben (Jo. 20, 29). Folgen wir den Hirten von Bethlehem auf dem geheimnisvollen Weg des Glaubens. Und je verborgener und unsichtbarer er ist, umso mehr mühen wir uns, ihn an dem ihm eigenen greifbaren Zeichen zu erkennen.
Nur derjenige kann den Umherirrenden deutliche und unzweifelhafte Zeichen auf dem für sie neuen und unbekannten Weg hinterlassen, der ihn durchlaufen, erkannt, ermessen hat. Und wer kann vollkommener den Gang der reinen Geburt nicht von Blut und Fleisch (Jo. 1, 13) wissen und eröffnen, als Jener, Der allein nicht in Sünden geboren wurde, sondern durch das Überkommen des Heiligen Geistes und die Überschattung der Kraft des Höchsten (Lk. 1, 35), und welcher allein allen, die Ihn annehmen, Macht gibt, Kinder Gottes zu sein (Jo. 1, 12)? Dafür wurde Er eben auf Erden geboren, um hier die himmlische Geburt zu zeigen; wurde Er sichtbar geboren, um die unsichtbare Geburt vor Augen zu führen; und da der in Reinheit und Heiligkeit Geborene nicht des Aufstiegs zu einer anderen, besseren Geburt bedurfte, machte Er diese Seine Geburt im Fleische nur zum durchsichtigen Vorhang (Hebr. 10, 20), durch den wir auf den neuen und lebendigen Weg unserer geistlichen Geburt "vorherschauen" können. Fragt also nicht, die ihr eure Seele zum Herrn erhebt, fragt nicht mehr mit David: Tu' mir kund, Herr, den Weg, den ich wandeln soll (Ps. 142, 8). Dieser unerfindliche Weg ist jetzt zum Erhören des Fleisches selbst vom fleischgewordenen Wort Gottes ausgesprochen worden: Ich bin der Weg (Jo. 14, 6). Die ihr das Höhere betrachtet, nehmt in euer Herz keine anderen Wege zu Gott, als die Stufen, auf denen der Sohn Gottes zum Menschen herabsteigt: diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war, Welcher, da Er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, sondern Sich Selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem Er in Gleichheit des Menschen geworden ist, und, in Gestalt wie ein Mensch erfunden(Phil. 2, 5 u. 7). Geht nicht eilig an dem Zeichen vorbei, das mit so unverzierter Einfachheit in Bethlehem erschien. Durch diese Einfachheit selbst wurde das Geheimnis eures eigenen Bethlehem besiegelt: im äußeren Zeichen des neugeborenen Retters ist das innere Zeichen der rettenden Wiedergeburt beschlossen.

Und zuerst - das Zeichen: ihr werdet ein Kind finden. - Der Stolz des Morgensterns, der im Menschen Fleisch wurde, brachte einen Riesen hervor, für den das enge Tor und der schmale Weg, der zum Leben führt (Mt. 7, 14), undurchlässig wurden. Um diesen Weg durch Seinen Leib zu erneuern, verringert der Sohn Gottes Seine unfaßbare Größe auf die ärmlichen Maße eines Kindes und nimmt sie als Maß, mit welchem wir den Weg des Lebens beschreiten und uns den Toren des Himmelreiches nähern können. Das, was Er einstmals Seinen Jüngern auf ihre Frage, wer der Größte im Himmelreich sei, antwortete, war schon zuvor durch Seine stumme Kindheit gepredigt worden: wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kindlein, so werdet ihr in das Reich der Himmel nicht eingehen (Mt. 18, 1 u. 3). Wer also den Weg Christi finden will, der suche Seine Kindheit. Ein Kind ruht auf den Armen seiner Mutter, denkt mit ihrem Verstand, wird durch ihren Willen gelenkt, durch ihre Nahrung genährt, lebt durch ihr Leben. Wenn ihr in kindlicher Einfachheit auf den Armen der Vorsehung ruht, wenn euer Verstand sich in ehrfürchtiger Demut vor den Geschicken der Weisheit Gottes vergisst, wenn ihr den Willen Gottes so vollbringt, als sei es euer Wille, wenn ihr begierig seid nach der vernünftigen und unverfälschten Milch (Petr. 2, 2), nicht nur als Süßigkeit, sondern auch als Nahrung, nach dem Wachsen und Aufleben des Geistes, - so lobpreiset Gott, Der in euch das lebendige Zeichen der Geburt des Heilands festigte.
Zweitens, das Zeichen: ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt - das Zeichen des Einwickelns in Windeln, erklärt uns einer der alten christlichen Lehrer (Tertullian adv. Marcion cap. IV). In dem Wickeln, sagt er, beginnt Jesus Seine Beerdigung. Tatsächlich waren die Windeln des Kindes und das Grabtuch des Gestorbenen von einem Künstler gewebt; die Krippe und das Grab haben einen und denselben Erfinder. Hätte die Sünde nicht das Grab und das Grabtuch erfunden, so gäbe es auch keine Windeln und Krippen. Wie die Geburtswehen den Beginn des Todes anzeigen, so ist die Krippe der Vorbote des Sarges, und die Windeln sind das erste Stück des allmählich aufgefalteten Grabtuches. Warum zeichnet der Gottessohn, Dem es gefiel, in Windeln gewickelt zu werden, durch diese ein Leben stetigen Absterbens vor? Wer ihr auch sein mögt, die ihr Christus folgen wollt, auch ihr müßt auf dem Weg der Geburt zum ewigen Leben den Schatten des Todes durchschreiten. Jedes Instrument der Versuchung muß abgehauen werden (Mt. 18, 8), jede Bewegung des eigenen Willens zurückgehalten und gekürzt, jeder irdische Wunsch gebunden und abgetötet werden: Tötet nun eure Glieder, die auf der Erde sind (Kol. 3, 5). Ihr müsst ähnlich dem in Windeln Gewickelten die Freiheit bewahren, eure Augen nur dafür öffnen, dass sie sich daran gewöhnen, gelassen auf die Fesseln eures alten Menschen zu schauen und so das Sehen selbst abzutöten; ihr sollt euren Mund dazu bewahren, dass er nur die Seufzer des Gebetes atmet. So trugen die Nachfolger des Herrn Sein Sterben auf ihrem Körper und starben an allen Tagen (2 Kor. 4, 10; 1 Kor. 15, 31), doch in diesem Tod selbst schöpften sie neues Leben: als Sterbende, und siehe, wir leben (2 Kor. 6, 9). Das Leben des Absterbens ist ein untrügliches Zeichen des Weges Christi, und das Grab des alten ist die wahre Krippe des neuen Menschen.

Schließlich, dies sei euch das Zeichen: ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. Wenn Kindheit und Windeln des Gottmenschen Zeichen Seiner tiefen Demut und Seines Absterbens sind, so ist die Krippe ein Symbol Seiner unfaßbaren Erniedrigung. Er erniedrigte Sich schon vor den Engeln in Seiner Menschheit; durch Kindheit und Windeln nahm Er das auf Sich, was an Menschen das Niedrigste ist: Er steigt noch weiter herab, und das untrennbar bei Gott seiende Wort (Jo. 1, 1) erscheint unter den wortlosen Tieren. Doch alles Erhabene in den Menschen, alles Ruhmreiche in der Welt, wie verkleinert und verringert es sich nicht nur vor diesem Zeichen göttlicher Herablassung, sondern zerfällt, verschwindet und versteckt sich in seiner natürlichen Nichtigkeit! Und selig ist, wer vor der Krippe des Gottmenschen Ehrfurcht empfindet wie vor dem Throne Seiner Größe, wer sich vor ihr niederwirft und sie über sich sieht in gleicher Höhe wie der Himmel! Mag er die ganze Welt verlieren, mag er sich selbst in der grenzenlosen Tiefe seiner Nichtigkeit verlieren: diese Grenzenlosigkeit ist die Grenze der Verbindung mit der grenzenlosen Gottheit. Mag nach den Worten des Psalmensängers seine Seele schwinden: sie schwindet zur Rettung (Ps. 118, 81).

Ihr seht, auf welche Weise das Zeichen des neugeborenen Retters von Bethlehem nicht nur den Hirten von Bethlehem gegeben wurde, sondern auch jedem von uns, um unseren geistlichen Weg zu Christus, dem Heiland, zu lenken. Fragen wir noch einmal: sind wir nach Bethlehem gegangen und haben wir das, was unsere Seele natürlich sucht, genauso unaufhaltsam, ohne Hindernisse, getreu gefunden, wie diese in ihrer Einfachheit treuen Hirten - sie kamen eilend und fanden (Lk. 2, 16)? O Jesus, Der Du zum Kind wurdest! Wie schwer fällt es uns, uns auf Dein geringes Maß zu verringern! Wir wollen nicht mit Dir klein werden, sondern in uns selbst wachsen - wachsen an Eigensinn, wachsen an Wünschen, wachsen an falschem Ruhm. O Du in die Beerdigung gewickeltes Leben! Wie oft verachten wir unaufmerksam und zerreißen wir mutwillig Deine Windeln! Wir wünschen, lieber zu leben um zu sterben, als zu sterben, um zu leben! O Weisheit und Wort Gottes, das Du uns heute aus Deiner Krippe heraus belehrst! Wie wenig hören wir auf die hohe Predigt Deines Stummseins! Als seien die Zeichen des Sohnes Gottes auf der Erde für uns gering und niedrig; als warteten wir, dass für uns das Zeichen des Sohnes des Menschen im Himmel erschiene (Mt. 24, 30)! Es erscheint; doch dann wird schon nicht mehr Zeit sein um zu feiern oder zu lernen: dann werden wehklagen alle Stämme der Erde.
Lasst uns, Christen, schnell den dunklen Weg des Glaubens durchlaufen, damit das Licht des Tages des Gerichtes uns nicht plötzlich blendet. Begegnen wir mit Liebe dem vom Himmel herabsteigenden Christus, damit Er uns mit Seiner in den Himmel steigenden Barmherzigkeit begegnet. Und wenn jemand schon mit den Hirten zu Ihm gekommen ist, so kehre er immer mit ihnen zurück von den herrlichen Zeichen zur Einfachheit des Glaubens, der die Herrlichkeit allein Gott zuschreibt. Wenn jemand aber mit den Weisen aus dem lärmenden Jerusalem in das geheimnisvolle Bethlehem gelaufen ist: so kehre dieser nicht zu Herodes zurück (Mt. 2, 12), um sich seines Fundes zu rühmen; damit das Geheimnis des Königs der Herrlichkeit nicht zur Waffe des Weltenherrschers der Finsternis dieses Zeitalters werde, der das Kindlein sucht, um es umzubringen. Amen.


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