Freitag, 13. Dezember 2013

Gedenktag der Massenhinrichtung von unschuldigen Zivilisten in Kalavryta/ Griechenland

Kalavryta: Eine Stadt fast nur aus Witwen

Vor 70 Jahren verübte die deutsche Wehrmacht in einer Kleinstadt auf der Peloponnes ein Massaker an Zivilisten. Etwa die Hälfte der dort eingesetzten Einheiten stammte aus Österreich. Aber das wurde verdrängt und vergessen.
  (Die Presse)
Am 13. Dezember vor 70 Jahren ereignete sich in Kalavryta eines der ärgsten Kriegsverbrechen, das je von der Wehrmacht an Zivilisten verübt wurde, sodass die Bevölkerung dieser Klein- und Sommerfrischestadt auf der Peloponnes Jahrzehnte lang fast nur aus Witwen bestand.
Die Wehrmacht hatte Griechenland 1941 besetzt, ihr Oberbefehlshaber wurde der frühere österreichische Offizier Alexander Löhr. (In seinem Stab befand sich auch Kurt Waldheim, der von all dem nichts gehört haben wollte.) Nicht nur 60.000 Juden wurden in die Vernichtungslager deportiert, sondern auch Zehntausende von anderen Griechen als Geiseln oder zwecks Einschüchterung getötet.

Die griechische „Melkkuh“

Ausbeutung, Kontributionen und eine Hyperinflation stürzten das ohnehin nicht reiche Land auch wirtschaftlich in eine Katastrophe, mit verheerenden Nachwirkungen. Eine Hungersnot im Winter 1941/42 raffte 100.000 Menschen dahin. Hermann Neubacher, der erste NS-Bürgermeister Wiens, sollte als „Sonderbeauftragter“ die griechische „Kuh“ für die deutsche Kriegswirtschaft ausmelken, musste aber bald den verheerenden Kurs etwas korrigieren, was jedoch zu inneren Spannungen mit Wehrmacht und SS führte.
Schon seit 1942 hatten sich Demonstrationen, Sabotageakte und Anschläge gegen Wehrmachtssoldaten zunehmend gehäuft. Auf Seiten der Okkupanten nährte dies ein rassistisches Bild von den hinterhältigen, „herabgekommenen“ Griechen, das den bildungsbürgerlichen Vorstellungen von den antiken Helenen widersprach. Umso hemmungsloser wurden Geiselerschießungen und „Sühneaktionen“ gegen Griechen, die des Widerstands und dessen Unterstützung verdächtigt wurden, durchgeführt.
All das bewirkte nicht eine „Pazifizierung“, sondern verschaffte der Widerstandsbewegung, von einigen britischen Geheimdienstoffizieren unterstützt, nur umso mehr Zulauf. Die prokommunistische Elas war daher imstande, vor allem innerhalb der westlichen Gebirgsketten und -becken einen „Parastaat“ innerhalb des besetzten Griechenlands aufzubauen, mit eigenen Versorgungs-, Besteuerungs- und Volksgerichtsstrukturen; „Verräter“, aber auch nicht sich beteiligen wollende Griechen wurden hier liquiert.
Die schwächeren Rechtsnationalen, obwohl zum Teil auch Ziel der deutschen Repression, hielten sich aus ideologischen Gründen eher zurück. Sie wurden von der Okkupationsmacht, die sich zunächst auch auf eine beträchtliche Kollaborationsbereitschaft gegen die „Kommunisten“ stützen konnte, gegen diese als Ordnungsorgane und Hilfspolizei instrumentalisiert. Bereits vor Kriegsende entwickelte sich daher hier ein innerer gräkohelenischer Krieg, der fast nahtlos in den Bürgerkrieg bis 1949 überging.

Brutale „Befriedungs“-Aktionen

Was an jenem grauen Dezembertag dann in Kalavryta geschah, ist nur in diesem Zusammenhang voll zu verstehen. Den Widerstandsaktionen der prokommunistischen Elas folgten noch brutalere „Befriedungs“-Operationen der Wehrmacht. Dem „unsichtbaren Feind“ war es hier im Herbst 1943 jedoch gelungen, fast 80 Wehrmachtssoldaten gefangen zu nehmen, die nach zwei Monaten, da im Partisanenkrieg selten Gefangene gehalten werden konnten, ermordet wurden. Dagegen entsandte die Wehrmacht eine Kampftruppe, die brandschatzend, plündernd und mordend an den Vortagen des 13. Dezember in die Stadt vorrückte.

MG-Salven, „Gnadenschüsse“

Doch viele Einwohner waren in die Berge geflohen. Nur Greise, Frauen und Kinder sowie die nicht mit den linken „Andarten“ Sympathisierenden waren im Ort geblieben. Diese hatten sogar verwundete Soldaten gepflegt, und waren ohne „schlechtes Gewissen“.
Sie alle wurden in das Volksschulgebäude beordert. Der männliche Bevölkerungsteil, vom Halbwüchsigen bis zum Greis, wurde ausgesondert und zu einem nahe gelegenen Hügel geführt und schließlich durch MG-Salven und „Gnadenschüsse“ ermordet.
Dabei tat sich ein Österreicher namens Willibald Akamphuber als Kommandant des Vollstreckungskommandos hervor. Er war schon als SS-Mann am 25. Juli 1934 beim Sturm auf das Bundeskanzleramt beteiligt und dafür eine Zeitlang im Anhaltelager Wöllersdorf interniert gewesen, was in einem Buch des deutschen Historikers Hermann Frank Meyer nachgelesen werden kann.
Die bei der Schule Zurückgelassenen wurden dort eingesperrt – offensichtlich, um das Mordhandwerk und die nun erfolgende Inbrandsetzung der Häuser nicht zu stören. Erst als das Massaker, das nur wenige verletzt überlebten, vollendet und das Feuer im Begriff war, das Schulgebäude zu erfassen, wurden die Eingeschlossenen freigelassen. Das soll durch einen einzelnen Wehrmachtssoldaten geschehen sein, und dieser sei ein Österreicher gewesen, der danach von den eigenen Leuten erschossen worden sei. Die ganze Geschichte ist allerdings durch keinerlei Dokumente belegt. Sie ist also ein Mythos, der unter Griechen, selbst über die Waldheim-Affäre hinaus, noch erzählt wird.
Allerdings wurde übersehen, dass gerade von den in Kalavryta eingesetzten Einheiten etwa die Hälfte aus Österreich stammte. Das haben Wiener Forscher wie Walter Manoschek und Hans Safrian bereits vor Jahren nachgewiesen. All dies und Kalavryta sind hierzulande aber verdrängt und vergessen.
Keiner der involvierten Österreicher wurde nach 1945 strafrechtlich wirklich zur Verantwortung gezogen. Der schon erwähnte Akamphuber verbrachte nach 1945 ungestört seinen Lebensabend in Wien. Aber auch die alte wie die neue Bundesrepublik Deutschland erwies sich bei einer adäquaten symbolischen und finanziellen Entschädigung im Fall Kalavryta und allgemein bei Griechenland als säumig und halbherzig.

Trauer und Ungehaltenheit

Es ist auch noch nicht allzu lange her, dass in Deutschland über die kriegsverbrecherische Besatzungspolitik immer noch ein Entschuldigungsdiskurs ablief, ja dass verantwortliche Wehrmachtsoffiziere freigesprochen, früh amnestiert oder in die Bundeswehr übernommen wurden und sogar in der sonst verdienstvollen Ludwigsburger Zentralstelle für die Aufklärung von NS-Verbrechen mitwirkten.
Die DDR, die sich ebenso wie Österreich dafür als nicht für zuständig erklärt hatte, betrieb eine verfälschende Heroisierung des Widerstands. Auch unter griechischen Historikern und Politikern kommt es heute darüber wieder zu einem Streit, der bis in die aktuelle Regierungs- und Oppositionspolitik ausgetragen wird.
In diesem Jahr wird in Griechenland wieder solcher traumatisierender Ereignisse gedacht, voll Trauer und Ungehaltenheit. Die verletzten Gerechtigkeitsgefühle und familiären Wunden sind hier nicht verheilt. Sie brechen nicht zuletzt unter der von „Europa“ dem Land auferlegten Austerity-Politik erneut auf.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen