Ιn der theologischen Sprache ist mit »Offenbarung« nicht irgendeine, sondern nur die Offenbarung Gottes gemeint, d. h. der Akt oder Prozess, durch den Gott sich zeigt und ausdrückt. Die klassische Theologie unter-scheidet zwei Arten der göttlichen Offenbarung: dienatürliche und die übernatürliche. Erstere wird in der Welt, in der Geschichte und im Gewissen der Menschen verwirklicht (vgl. Röm 1,19; 2,14; 1Kor 1,21 u.a.). Sie allein kann dem Menschen die Erlösung und das Heil nicht verschaffen, deshalb muss sie durch die übernatürliche Offenbarung ergänzt werden. Damit meint man den Prozess, durch den sich Gott den Menschen unmittelbar offenbart.
Betrachten wir nun diese Unterscheidung aus einer anderen Perspektive, die dem Geist der Väter der Ostkirche entspricht, bei denen diese Trennung zwischen natürlich und übernatürlich nicht besonders beliebt ist: Nach dem 1. Johannesbrief »ist Gott Liebe«. Das Geheimnis der sog. Perichorese, d.h. die gegenseitige Durchdringung der drei Personen der Dreieinigkeit, ist das Geheimnis der Liebe Gottes. Gott, der weder Anfang noch Ende hat und der die Liebe selbst ist (weil die drei Personen in der Perichorese als Liebe existieren), öffnet sich, drückt seine Liebe aus und schafft freie und vernünftige Wesen nach seinem Bilde, die ihm ähnlich sind, damit sie an seiner Seligkeit teilhaben. Diese gottähnlichen Wesen sind, indem sie in der materiellen Welt leben, sowohl an dieser materiellen als auch an dergeistlichen Welt beteiligt. Mit dieser Öffnung nach außen erschafft der dreieinige Gott die Materie und die Zeit. Der Anfang von Materie und Zeit bildet auch den Anfang der Offen-barung Gottes.
Diese Offenbarung Gottes geschah durch sein Wort, seinen Logos.
Wenn wir uns den Prozess der Offenbarung als eine Linie vorstellen, so würde sie mit der Schöpfung durch das göttliche Wort beginnen: »Und Gott sprach: Es werde Licht! ... Es werde eine Feste ... Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut ... Es werden Lichter an der Feste des Himmels ... Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier ... «(Gen 1,3.6.11.14.20) oder, wie die Psalmen sagen: »Denn wenn er spricht, so geschieht's, wenn er gebietet, so steht's da«(Ps 33,9) oder »der Himmel ist durch das Wort des Herrn gemacht«(Ps 33,6). Das Ende der Linie, die Vollendung und Vervollständigung der Offenbarung bildet die Menschwerdung des Wor-tes. Es heißt im Prolog des Johannes-Evangeliums: »Im Anfang war das Wort ... alle Dinge sind durch dasselbe gemacht ... und das Wort ward Fleisch ...«(Joh 1,1.3.14). Zwischen beiden Enden stehen die Propheten, durch die »Gott vor Zeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hatzu den Vätern«, bevor er durch den Sohn zu uns spricht (Hebr 1,1.2). Also der Sohn, der »im Anfang bei Gott«war (Joh 1,2) und der »in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt«. Und Gott, den niemand »je gesehen«(Joh 1,18) hat, offenbarte sich den Menschen.
Mit dem Sohn erreicht die Offenbarung Gottes ihre Fülle, weil sich Gott den Menschen durch seinen Sohn in der ganzen ihnen zugänglichen Fülle zu eigen gab. Und »von seiner Fülle haben wir alle genommen ..., die Gnade und Wahrheit (der Offenbarung Gottes) ist durch Jesus Christus geworden«(Joh 1,16.17). So ist das Wort als Person der dreieinen Gottheit der einzige Mittler der göttlichen Of-fenbarung. Die Linie der Offenbarung, von der oben die Rede war, wechselt durch das Wort, durch Christus, die Richtung. Sie geht nach oben in die Di-mension des Unendlichen, um den unendlichen Gott zuerreichen, der sich nun am Ende der Zeit und der Materie, der Welt, als Richter offenbart.
Der Inhalt der Offenbarung ist Gott, der sich durchseinen Sohn offen-bart. Und wenn die Menschwerdung des Sohnes das Ereignis der Fülle der Of-fenbarung ist, so ist das fleischgewordene Wort, Jesus Christus, ihr Inhalt. In der Menschwerdung offenbarte sich Gott nicht nur indirekt, indem er seinen Willen oder seine Wirkungen kundtat, nahm die Offenbarung selbst konkrete menschliche Gestalt an: »Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden«(Joh 1,17).
Die Menschwerdung des Sohnes Gottes geschah in Jesus Christus. Das eröffnet den Menschen die Möglichkeit, Gottes teilhaftig zu werden.
Dies geschieht durch den Heiligen Geist in der Kirche. Haupt der Kirche ist der menschgewordene auferstandene Christus. Ihre Glieder sind Men-schen, die an Christus glauben und mit ihm und durch ihn auch miteinan-der verbunden sind. So ist Christus selbst die Kirche, dem jeder begegnet und mit dem sich jeder vereint, der in die Kirche kommt. Die Kirche bewahrt die Offenbarung, denn in der Kirche wird den Gläubigen das menschgewordene Wort, durch das sich Gott offenbarte, vermittelt: einmal als Leib und Blut Christi und zum anderen als Verkün-digung des Evangeliums.
Diese zwei Aspekte des Wortes werden übrigens im orthodoxen Gottesdienst durch den Kleinen und den Großen Einzug angedeutet: im Kleinen wird das Evangelium, im Großen werden Brot und Wein, die für die Eucharistie bestimmt sind, feierlich durch die Kirche zum Altar getragen, so dass auf ihm die beiden Elemente liegen, die die Kirche konstituieren: das Evangelium und die Gaben der Eucharistie. Bei-de sind das Tor zur Offenbarung. Und dieser Zugang betrifft nicht nur die rein intellektuelle Erkenntnis, die etwa vom Hören des Wortes abhängig ist, sondern vielmehr die ganze Existenz des Menschen. Denn die wahre Erkenntnis Gottes vollzieht sich dadurch, daß Gott den Menschen erkennt:
»Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin« (1Kor 13,12).
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