Liebe Brüder und Schwestern,
Die heilige Kirche führt uns auf die große und vierzigtägige Fastenzeit zu, die uns die Freude der Auferstehung öffnen wird.
Vor dem ersten Vorfastensonntag (Sonntag des Zöllners und des Pharisäers) hören wir das Lied des Morgenamtes:
Der Buße Türen öffne mir, o Lebensspender;
morgendlich erhebt sich mein Geist in DEINEM Tempel,
der ich des Leibes Tempel ganz befleckt trage:
Reinige mich als der Erbarmungsvolle durch DEINE wohlgesinnte Güte.
Führe mich hinauf die Stufen der Erlösung, o Gottesgebärerin,
der ich meine Seele mit beschämenden Sünden befleckte
und in Trägheit mein ganzes Leben verbrachte:
Von aller Unreinheit erlöse mich durch Deine Gebete.
Erbarme DICH meiner, o Gott, durch DEINE große Güte,
und noch DEINES Erbarmens Menge reinige mich von meiner Zügellosigkeit.
Da ich betrübt der Menge meiner Übeltaten gedenke,
zittere ich vor dem Tage des Gerichtes;
aber hoffend auf DEINE wohlwollende Güte rufe ich wie David zu DIR:
Erbarme DICH meiner, o Gott, durch DEINE große Güte.
Auf den Herrn gehen wir zu, DER uns entgegenkommt, um uns die Türen der Buße zu öffnen. Unser guter Wille allein ist zu schwach, unser Herz der Buße zu öffnen. In der heiligen Kirche sind wir nicht allein. Im Gebet verbunden, geht uns die Gottesgebärerin fürbittend voran, dass wir mit der ganzen Kirche hinaufsteigen, der Erlösung entgegen.
Uns Menschen schrecklich ist der Tag des Todes und des Gerichtes. Aber es ist der Herr, DER uns auch in Tod und Gericht begegnet.
Das Erschrecken vor dem Tage des Gerichtes wird in uns zur Freude des Gebetes in der Gemeinschaft der Kirche mit dem heiligen David und allen, die da mitbeten in dieser Zeit und auf dieser Welt und in der Welt, die uns beschrieben wird mit den Worten:
IHM – dem Herrn, unserem Gotte – leben sie alle.
Zum Sonntage des verlorenen Sohnes singen wir den Psalm:
An den Wassern Babylons saßen wir und weinten;
wir gedachten aber deiner, o Zion. (. . .)
Da nun forderten von uns jene, die uns gefangen hatten,
Worte des Gesanges, und Lieder verlangten sie von uns:
„ Singet uns die Gesänge von Zion“
Wie aber mögen wir die Gesänge des Herrn singen auf fremder Erde?
Wenn ich dich, o Jerusalem, vergesse,
so werde auch meiner Rechten nicht mehr gedacht.
Meine Zunge klebe an meinem Gaumen, wenn ich nicht dein gedenke,
wenn ich nicht Jerusalem setze zum Anfang meiner Freude. (. . .)
(Psalm 137 , 1-6)
Es wartet die Welt, die uns in Sünden gefangen hält, auf die Gesänge Jerusalems, auf die Worte der Freude. Wie aber können wir der Welt, die daliegt im Dunkeln des Todes, Gesänge des Herrn singen, das Wort des Evangeliums sagen, wenn wir nicht aufbrechen aus der Stadt der Sünde, aus den Banden der Übeltaten und des Unglaubens?
So ruft uns das Gleichnis vom verlorenen Sohn wie dieser Psalm zur Umkehr, zur Tat der Buße. Die Schöpfung, die Kreatur wartet auf uns, die Kinder der Versöhnung, das wir in die Welt der Unordnung Frieden bringen. Lasset uns aufbrechen. Die Türen der Buße sind offen. Der Vater wartet auf den fernen und verlorenen Sohn.
So bitten und flehen wir im Gebet und im Gesang der Kirche; aber so wollen wir auch stark sein im Leben des Alltages, dass wir in demütigen Taten der Liebe und der Hilfe unseren Nächsten im Dunkeln dienen.
Das Angesicht des Moses leuchtete von dem Licht Gottes wider, als er herabkam vom Berge Sinai, wo er mit Gott, dem Herrn, gesprochen hatte, wie ein Mann mit seinem Freunde redet. Möge unser Angesicht leuchten von dem Licht unseres Herrn und Gottes, DER uns entgegenkommt, DER bei uns ist.
Um dieses Licht bitten wir am Abend des Sonntages der Vergebung zu Beginn der großen Fastenzeit:
Wende nicht ab DEIN Angesicht von DEINEM Kinde, da ich trauere!
Höre mich bald, nimm auf meine Seele und erlöse sie.
DEIN Heil, o Gott, möge mich umfangen.
Dass die Armen es sehen und frohlocken.
Suchet Gott, und eure Seele wird lebendig sein.
(Großes Prokimen mit Versen im 8. Ton)
In der Gemeinschaft der Kirche wenden wir uns dem Herrn zu. Wie die Juden in Babylon, so trauern wir, dass wir ferne der Stadt des Herrn sind, dass unsere Lieder verstummen. In unserer Trauer rufen wir zu Gott, dass ER uns höre und dass SEIN Heil uns umfange.
Es ist die große Tat des verlorenen Sohnes, dass er aufbricht aus der fernen Stadt, in der er in Sünden lebt. So ist es unsere Tat, dass wir uns dem Herrn zuwenden, dass wir IHN suchen. Auch wir sind auf dem Wege wie der verlorene Sohn, und schon auf diesem Wege umfängt uns das Heil und wird unsere Seele von Leben erfüllt.
Nicht nur mit diesem Ruf des Gebetes wenden wir uns zu Gott, sondern wir bitten unsere Nächsten um Vergebung. In dieser einfachen und unscheinbaren Bitte um Vergebung ist der Herr mitten unter uns.
In dem Gleichnis von dem undankbaren Knecht berichtet uns der Herr, dass ein Knecht viele Schulden hatte und sie nicht bezahlen konnte. Da er nun seiner Schulden wegen mit Frau und Kindern in die Sklaverei verkauft werden soll, bittet er den Herrn um Aufschub. Der Herr aber, in seinem großen Erbarmen, erlässt ihm die ganze Schuld. Eben hat dieser Knecht seinen Herrn verlassen, da begegnet er einem Mitknecht, der ihm nur wenig schuldet. Er aber, dem gerade seine große Schuld erlassen wurde, will nichts von Aufschub hören, sondern lässt seinen Mitknecht ins Gefängnis werfen. Als das die Mitknechte hören, sind sie traurig; als das der Herr hört, wird er zornig und lässt seinen Knecht kommen und ihn ins Gefängnis werfen, bis er alles bezahlt hat.
Wir treten in die Zeit der Buße ein und erbitten den Frieden des Herrn, da wir unseren Nächsten vergeben und einen jeden bitten, er möge uns verzeihen. In dieser Bitte um gegenseitige Vergebung öffnet sich die Kirche dem unerschöpflichen Strom der Vergebung, der uns wieder und wieder reinigt von all unseren Sünden.
In dem Gebet des seligen Ephraim des Syrers, das wir an diesem Abend zuerst beten – und dann die Zeit hindurch bis Ostern jeden Tag, wieder und wieder, wenden wir uns nun unserem konkreten alltäglichen Leben zu.
Herr und Gebieter meines Lebens,
nimm von mir den Geist des Müßigganges,
der Verzagtheit, der Herrschsucht
und der Schwatzhaftigkeit;
den Geist aber der Keuschheit , der Demut,
der Geduld und der Liebe schenke mir, Deinem Knechte.
O Herr, König, gib mir, meine Übertretungen zu sehen,
und nicht, meinen Bruder zu richten;
denn gepriesen bist DU von Ewigkeit zur Ewigkeit.
Amen.
O Herr, reinige mich und erbarme DICH über mich Sünder. (12 x)
Unser Leben, das in Christus bei der heiligen Taufe seinen Grund, seine Kraft und sein Ziel gefunden hat, vermag unseren ganzen Tag, all unsere Worte und Taten, all unsere Gedanken und Wünsche zu durchdringen. In uns hat der Herr das Samenkorn des neuen Lebens gelegt. Dieses neue Leben ist kein unbestimmtes Leben, kein vergehender Hauch, sondern eine Kraft, die uns gegeben ist, die wir ergreifen dürfen, dass unser Alltag und unsere Festtage, unser Schweigen und unser Reden widerstrahlt von dem Leben und Licht Christi.
In dem Gebet des seligen Ephraim des Syrers bitten wir um den Regen und um den Sonnenschein, damit das Samenkorn in uns zu wachsen vermag und zu einem mächtigen Baum werde.
Wir aber sind erfüllt von der Verzagtheit, die auch die Jünger am Tage der Kreuzigung des Herrn überfiel.
Verzagt gingen die beiden Jünger nach Emmaus. Es ist Gottes Ordnung, SEINE ,,Oekonomia/ οἰκονομία“, dass es diese Zeit des Wartens gibt. Maria, die Mutter des Herrn und Immerjungfrau, wartet auf der Hochzeit zu Kana, als Ihr der Herr sagt:
,,Weib, was ist zwischen MIR und DIR? MEINE Stunde ist noch nicht gekommen.“ Sie aber, Die die Worte des Herrn allezeit in Ihrem Herzen bewegt, wartet in Geduld und sagt den Dienern: ,,Was ER euch sagt, das tut!“
So ist auch unser Leben erfüllt von der Zeit zwischen der Kreuzigung und der Auferstehung. Oft sind wir mit IHM auf dem Wege nach Emmaus und erkennen IHN nicht.
So treten wir ein in die vierzig Tage des Fastens. Im Fasten unseres Leibes und im Gebet der Kirche wird uns dieses Warten bewusst – und doch warten wir mit Freude.
Zu Kana wusste die Mutter des Herrn nicht, wie und wann der Herr helfen würde; der Jünger unter dem Kreuz wusste nicht, dass der Herr auferstehen wird: Aus der Liebe, die sie mit IHM verband, blieben sie bei IHM.
Wir, die wir die Kunde der Auferstehung kennen, die wir gehört haben, dass ER das Wasser in Wein verwandelte und SEINE Jünger an IHN glaubten, dürfen fröhlich sein im Warten des Leidens. Aber auch uns befällt die Verzagtheit, und uns mangelt es an Geduld. Und so bitten wir den Herrn unablässig, Tag für Tag, dass ER uns die Kraft gebe und erneuere, die Verzagtheit zu überwinden und die Geduld zu erlangen, dass uns unsere Trübsale und Leiden durch Geduld Hoffnung bringen, Hoffnung, die nicht zuschanden wird, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz.
Wenn wir während der heiligen Liturgie den Ruf des Diakons hören: ,,Lasset uns einander lieben, auf dass wir einmütig bekennen mögen“, dann erschrickt unser Herz, denn wir wissen, wie wenig es uns gelingt, den Nächsten von ganzem Herzen zu lieben. Aber der Herr, DER SEINE Liebe in unsere Herzen ausgegossen hat, DER bei uns ist in der Gemeinschaft all derer, die vor uns IHN bekannt haben, nimmt uns hinein in
das Geheimnis SEINER Gegenwart, da ER uns würdigt, IHN zu bekennen und einander zu lieben, so wir im Gottesdienst der Kirche und in den Worten des Gebetes allezeit IHN darum bitten.
Das Leiden ist der Weg zur Auferstehung, das Grab ist der Ort des Sieges über den Tod. Die Grabeskirche ist die Kirche der Auferstehung.
So treten wir in die heilige Zeit des Fastens ein und nehmen in unser Herz immer neu die Gebete dieser Vorfastenzeit, dass uns der Herr würdigt, durch die von IHM geöffneten Türen der Buße einzutreten.
Als Träger des Lebens, als schöner als das Paradies und strahlender als
jedes königliche Brautgemach erwies sich, o Christe, DEIN Grab, die
Quelle unserer Auferstehung.
(Gebet nach dem großen Einzug)
Der Beginn der großen Fastenzeit
Liebe Brüder und Schwestern,
vergebt mir, was ich an euch gesündigt habe in Worten, Werken und Gedanken. Vergebt mir, so ich euch mit Unrecht gebunden habe; vergebt mir, so ich euch beschwerte, So ich gedrängt und euch mit meiner Last und Mühe beladen habe. Vergebt mir, dass ich euch mein Brot nicht brach, wo ihr hungrig wart nach geistiger und leiblicher Speise; dass ich euch nicht in mein Haus gebeten habe, wo ihr einsam und elend wart; dass ich euch nicht gestärkt habe; dass ich euch, wo ihr nackt wart, nicht bekleidet und mich eurer in all euren Nöten nicht angenommen habe. Vergebt mir, Brüder und Schwestern, all meine Sünden, die ich an euch vor dem Angesicht Gottes begangen habe.
(zu: Jesaja 58, 6-7)
So spreche ich zu euch von meinem ganzen Herzen und denke an die Worte des Propheten Jesaja, der auch meine Schwäche und Sünde wohl getroffen hat und ohne Scheu von ihnen spricht, wie der Herr ihm geboten hat:
Rufe getrost, schone nicht! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und
verkündige MEINEM Volk sein Übertreten und dem Haus Jakob seine
Sünden!
(Jes. 58, I )
So sprechen wir zu einander und bitten uns gegenseitig um Vergebung am Abend des Sonntages vor der großen und heiligen Fastenzeit, die uns in vierzig Tagen auf das herrliche und heilige Osterfest vorbereitet. Weil es uns aber schwerfällt, wirklich von Herzen um Vergebung zu bitten und unser Wesen gern Vorbehalte macht, darum bitten wir auch den Körper zu Hilfe und fallen vor einander nieder an diesem Abend, berühren mit der Stirn den Boden und sprechen: ,,Vergib mir“
Wir suchen unsere Schuld, nicht die Schuld der anderen. Wir bringen unseren Zehnten dem Herrn dar, indem wir vierzig Tage des Jahres ganz Gott weihen und in dieser Zeit mit Seele und Leib IHN suchen.
Die heilige Kirche kennt wohl die Gefahren des hochmütigen Fastens. So hören wir am Sonntag, der das Fasten einleitet – der Tyrophagie -, im Evangelium die Worte:
Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer sehen wie die Heuchler, denn sie
verstellen ihr Angesicht, auf dass sie vor den Leuten etwas scheinen mit
ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch: Sie hoben ihren Lohn dahin.
(Matth. 6, 16)
So warnt uns der heilige Apostel Paulus in der Lesung aus dem Brief an die Römer:
Welcher isset , der verachte den nicht , der da nicht isset; und wer nicht
isset, der richte nicht den, der da isset; denn Gott hat ihn angenommen.
Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest? Er steht und fällt
seinem Herrn. Er mag aber wohl aufgerichtet werden; denn Gott kann ihn
wohl aufrichten.
(Römer 14,3-4)
Auch die Verse am Abend erinnern uns daran:
Die Zeit des Fastens wollen wir eifrig beginnen. Zu den geistigen Kämpfen
wenden wir uns, dass wir die Seele heiligen und das Fleisch reinigen. Lasset
uns enthaltsam sein – wie in den Speisen, so auch in jeder Leidenschaft –
und uns an den Tugenden des Geistes erquicken. In diesen mögen wir
verharren mit Liebe und alle gewürdigt werden, das altehrwürdige Leiden
Christi, des Gottes, zu betrachten und das heilige Osterfest und uns im
Geiste freuen.
(zu: Herr, ich rufe zu DIR.)
Wie wir uns vor dem Beginn des leiblichen Fastens gegenseitig um Verzeihung bitten, so geht auch in der Lesung des Evangeliums dem Verse von dem Fasten die Stelle von der Vergebung voraus:
Denn so ihr den Menschen ihre Fehler vergebet, so wird euch euer Vater
eure Fehler auch vergeben. Wo ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht
vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben.
(Matth. 6, 14)
Predigt/Fastenbrief, März 2002, von
Erzpriester Dr.med. Arnold/Ambrosius Backhaus †
(geb. 24. August 1923, gest. 3. April 2005)
http://www.deutsch-orthodox.de/
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