Donnerstag, 12. Dezember 2013

Die Begegnung Dostojewskis mit dem Missionar von Japan dem Hl. Nikolai Kasatkin - Mich. K. Makrakis


Das Gespräch zwischen Dostojewski und dem HL. Nikolai Kasatkin  
Obwohl in Moskau geboren (30. Oktober 1821), so lebte Dostojewski seit Mai 1837 in Petersburg. In der Zeit, in der er in dieser Stadt lebte, wechselte er oft seinen Wohnsitz. Sein letzter Wohnsitz befand sich in der Seitenstraße von Kuznetski, in der Nähe der Kirche Vladimirskaja. An diese Adresse erhielt er eines Tages die Einladung des Vereins der Freunde der Russischen Literatur zu einer Rede, die er anlässlich der Einweihung des Puschkin Denkmals in Moskau halten sollte. Es war im April oder Mai 1880. Dostojewski schrieb zu der Zeit sein letztes Buch "Die Brüder Karamasoff". Obwohl er sein Werk nicht unterbrechen wollte, bewog ihn die große Liebe zu Puschkin, sich für die Reise nach Moskau zu entscheiden. 

Er reiste am 22. Mai ab. Seine Ehefrau, Anna Grigorjewna, die ihn bis zum Bahnhof begleitete, bat ihn darum, ihr jeden Tag in allen Details zu schreiben. So ergossen sich aus seiner Feder die Briefe, die die gesamte Dauer seines Aufenthalts in Moskau abdecken: vom folgenden Tag an (23. bzw. 24. Mai) bis zum 8. Juni 1880, dem Tag, an dem er seine Rede über Puschkin hielt. Diese Rede, die so eindrucksvoll war, dass sie als historisches Ereignis bezeichnet wurde. Wie er selbst nach seiner Rede in einem seiner Briefe schrieb (13. Juni 1880): "Das Publikum brach in Schluchzen aus und einer umarmte den anderen, indem sie sich gegenseitig schworen, von nun an bessere Menschen zu werden." 
Die Begegnung Dostojewskis mit Kasatkin fand genau eine Woche vor seiner Puschkin-Rede statt. Der Brief an seine Frau wurde allerdings am folgenden Tag, den 2.bzw. 3. Juni, geschrieben. Und erst spät in der Nacht, um 2.00 Uhr morgens. Obwohl es sich um einen langen Brief handelt, wird Kasatkin, den er aufgrund seines Missionsortes Japonski (japanisch) nannte, erst am Ende erwähnt. Wir legen hier die entsprechende Stelle vor:  
"Gestern Morgen traf ich die Metropoliten Alexei und Nikolai (Japonski). Ich bin sehr dankbar, sie getroffen zu haben. Wir saßen ungefähr eine Stunde beisammen. Bis eine Fürstin angekündigt wurde und ich ging. Ich führte mit beiden die ganze Zeit ein sehr aufrichtiges Gespräch. Sie sagten mir, dass mein Besuch für sie eine Ehre und eine große Freude war. Sie hatten meine Bücher gelesen. Deshalb schätzen sie mich auch, da ich Gott verteidigte. Als ich aufbrechen wollte, segnete mich Alexei voller Liebe und gab mir die Kommunion." 
Aber betrachten wir jetzt, wie Nikolai Kasatkin (Japonski) seinerseits die Begegnung mit Dostojewski beschrieben hat, wir erinnern daran, dass diese Beschreibung in seinem Tagebuch genau das Datum ihrer Begegnung (1. Juni 1880) trägt. An jenem Morgen (es war Sonntag) befand er (Kasatkin) sich, wie er schreibt, in der Göttlichen Liturgie in der Kirche, die zu dem Kloster des Heiligen Savvas gehört. Die Liturgie hielt Ehrwürden Alexei, der unter anderem auch einen Diakon für das Dorf Maikowsk in Kleinasien weihte. Nach der Liturgie ging Kasatkin, immer gemäß seiner eigenen Worte, um Trapeznikov zu treffen, der der Mission in Japan eine Spende versprochen hatte... 
"Auf dem Rückweg zu Ehrwürden Alexei - schreibt Kasatkin weiter - traf ich den berühmten Schriftsteller Fjodor Dostojewski. Er war überzeugt davon, dass die Nihilisten sich über kurz oder lang in gläubige Personen wandeln werden. Jetzt schon überschritten sie die Grenzen der materiellen Ökonomie und befänden sich in geistigen Gefilden. Über Japan sagte er zu mir: Es ist eine gelbhäutige Rasse (asiatische Mentalität). Gibt es somit keine besonderen Kennzeichen über ihre Bekehrung zum Christentum? Dostojewski ist eine ausdruckstarke Person, formell, mit stolzen Augen, einer rauen Stimme und starkem Husten. Er wirkt tuberkulös." 
Hier endet mit der Ankunft der Gräfin die Beschreibung Kasatkins... 

Das Thema des Nihilismus
Das Gespräch zwischen Dostojewski und den Metropoliten Alexei und Nikolai drehte sich anfangs um das für die Kirche brennende Thema der Nihilisten. Ein Thema, für das sich Kasatkin offensichtlich sehr interessierte. 
Der Begriff "Nihilismus" wurde zum ersten Mal von Ivan Turgenjew in seinem Roman "Väter und Söhne" (1861) benutzt. Mir diesem Begriff wollte der Schriftsteller den Protagonisten seines Romans, Basarow, der alles ablehnte, charakterisieren. Die reaktionären und bürgerlichen Liberalen übernahmen die Bezeichnung des Helden Turgenjews für die Revolutionäre, die zum Heer
Tschernischewskys gehörten. Dieser russische Radikalist behauptete in seinem Werk "Was sollen wir tun?", dass nur die revolutionäre Gewalt den Weg zu einem neuen Leben ebnen könnte. So hatte sich diese neue radikale Gruppe von der Gruppe der alten utopischen Sozialisten - Anhänger von Petrasewski, die in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts auftauchten und an eine gesellschaftliche Veränderung mit friedlichen Mitteln glaubten.- abgesplittert.  
Der Kampf zwischen diesen zwei Gruppierungen hatte tödliche Folgen. Dostojewski selbst schrieb in der Zeitschrift "Epoche" einen Artikel über diese Auseinandersetzung, die er "Schisma (Raskol) innerhalb der Nihilisten" nannte. Diesen Namen (Raskol) gab er auch seinem zentralen Helden Raskolnikow in "Schuld und Sühne" (1866). Raskolnikow ist im Gegensatz zum utopistischen Sozialisten Lebesiatnikov in dem Buch, gemäß Joseph Frank, der nihilistische Revolutionär. Deswegen zögert er auch nicht die alte Wucherin zu töten, die für ihn ein Parasit ist, "eine Laus" (5. Teil, Kap. IV). Wenn Raskolnikov, wie auch sein Name sagt, die Revolution symbolisiert, symbolisiert die alte Wucherin auf der anderen Seite die bürgerliche Klasse, die die Not des Arbeiters ausnutzt. "Für Marx - schreibt Boris Litvinov - stellt der Wucherer das Böse dar, das Raskolnikov tötet." Für Dostojewski aber, wie Jean-Marie Benoist feststellt, gibt es in keinem Fall eine historische Rechtfertigung für die Revolution. Denn was das Böse betrifft, ist die Wucherin (d.h. die bürgerliche Klasse) das kleinere Übel im Vergleich zu dem Mittel, das zu seiner Vernichtung ergriffen wurde, d.h. die Gewalt." 
Außer Raskolnikov beschrieb Dostojewski noch andere Typen von Nihilisten in seinem Buch "Die Dämonen", das eine prophetische Anatomie des russischen Nihilismus darstellt, die vielleicht systematischste Studie des Nihilismus in Abwesenheit Gottes. Denn, wenn jemand alles verneint, jeden Wert im Leben, verneint er erwartungsgemäß auch am Ende das höchste Gut, nämlich Gott. Alle Nihilisten in den Werken von Dostojewski, Raskolnikov, Kyrillov, Stavrokin, glauben nicht an Gott. Und denen, die nicht daran glauben, dass es Gott gibt, ist alles erlaubt, nach Einschätzung Dostojewskis. Von dieser Seite betrachtet, ist das Hauptthema seiner Bücher, wie er selber in einem seiner Briefe schreibt (25. März 1870), die Frage, ob Gott existiert. 
Dies war das Thema noch zu der Zeit, als er "Die Dämonen" schrieb, ein Buch, das der vollkommene Ausdruck des Nihilismus hinsichtlich der Ablehnung Gottes darstellt, der Revolte, der Revolution. Es scheint aber, dass ihn nach diesem Buch das Phänomen des Wandels vieler Atheisten interessierte. Wie er seinem Freund A.S. Suvorin mitteilte, hat er mit seinem Buch "Die Dämonen" statt, wie er anfangs befürchtet hatte, seine Beliebtheit zu verlieren, ganz im Gegenteil größere Anerkennung im Publikum gefunden, und vor allem bei der Jugend, die scharenweise hinter ihm her lief, um ihn zu hören, um ihm verschiedene Fragen zu stellen. In jenen Jahren erhielt er viele Briefe und viele Beichten von jungen Leuten. Unter ihnen befand sich auch ein atheistischer Student der Theologischen Akademie von Petersburg, A.A. Zelenetski, der nach einer Beichte an Dostojewski seinen Glauben an Gott wieder fand. Gemäß Ivan Ivanovic Popov, der zu dem linken Flügel gehörte, gewann Dostojewski die Sympathie vieler von ihnen, die ihn herzlich grüßten, wenn er auf den Literaturabenden erschien. 
Der Wandel dieser Beziehung zwischen den jungen Menschen und Dostojewski fand vor allem im letzten Jahr seines Lebens statt. Ersichtlich war dies auch an der großen Menge junger Menschen, die seiner Beerdigung beiwohnten. Der Vicomte E.M. de Vogue, der damalige Botschafter Frankreichs in Moskau, der sich auf der Beerdigung befand, bezeichnete sie als wahrhafte "Vergötterung". Wie er in seinem Buch "Le roman russe" schreibt, konnte man unter den tausenden jungen Menschen "die Nihilisten mit ihrer sonderbaren Kleidung und sonderbarem Verhalten, die Männer mit den über der Schulter hängenden Mänteln, die Frauen mit Brille und extrem kurzen Haaren" erkennen. 
Der Wandel dieser jungen Menschen war auch bei der Nachtwache, die die Studenten bei dem Toten in der letzten Nacht vor der Beerdigung hielten, zu ersehen. Der Metropolit von Petersburg sagte, als er jene Ansammlung junger Menschen auf den Knien betend und schluchzend sah, einige Tage später zu der Frau und der Tochter Dostojewskis: "Mir wurde gesagt, das diese Menschen Atheisten seien und dass sie die Kirchen hassen würden. Welche magische Kraft muss Dostojewski besessen haben, dass er sie Gott so nahe bringen konnte!" 
Diese Liebe und diese Hingabe also der jungen Menschen, unter denen sich sicherlich auch viele Nihilisten befanden, stellte Dostojewski bereits zu Lebzeiten fest. Und offensichtlich hat er sich von solch einer Feststellung leiten lassen, als er Nikolai Kasatkin bei ihrer Begegnung in Moskau sagte, dass die Nihilisten sich schon bald in religiöse Menschen wandeln würden und dass sie jetzt schon die Grenzen ihrer Interessen für das materielle Wohlgefühl überschritten hätten und in ein "ethisches Feld" gelangt wären. 
Für Dostojewski war der Atheismus die letzte Stufe, um Gott zu finden. Und es ist nicht auszuschließen, dass in solch einer Situation Nihilisten Gott durch die Werke Dostojewskis gefunden haben. Doch die größte Strömung des Nihilismus scheint schließlich ihren normalen Verlauf genommen zu haben und mündete in der Revolution. Diese Revolution konnte Dostojewski generell in seinem Werk "Die Dämonen" vorausgesehen haben. Und vielleicht tritt auch noch eine andere Prophezeiung dieses Buches ein. Die Rückkehr seines Landes zur Orthodoxie nach der Prüfung, die sie mit verschiedenen "Dämonen", die über das Land gekommen sind, bestehen muss und die sie aussehen lassen wie den Besessenen der Gadarener. Denn über ihr wacht, wie Dostojewski glaubt, die göttliche Kraft, die sie letztendlich heilt, um "geheilt und fromm zu Füssen Judas zu sitzen". (Teil 3, Kap VII, § 2). 

Die Mission in Japan 
Außer der Nihilistenfrage, die Dostojewski und Kasatkin in ihrem Gespräch anschnitten, sprachen sie auch über die Mission in Japan. Ein Thema, das Kasatkin speziell anging. Zu dem, was letzterer über seine Erfahrung in diesem Land sagte, bemerkte Dostojewski, dass es auf jeden Fall große Schwierigkeiten bei der Bekehrung ihrer Bewohner zum Christentum geben müsste, da sie zur gelbhäutigen Rasse gehörten. 
In seiner Rede über Puschkin, die der berühmte Schriftsteller eine Woche nach seiner Begegnung mit Kasatkin halten wird, verkündet er zwar eine weltweite Einheit im Namen Christi, eine Einheit somit auch der Asiatischen Völker, denkt aber dabei eher an eine europäische Gemeinschaft, innerhalb derer der Redner sein Volk hervorheben wird: "Innerhalb aller europäischen Völker - wird er sagen - ist vielleicht nur das russische Volk, mit den Vorzügen seines Herzens, am meisten bestimmt dazu, die weltweite Einheit der Menschen, ihre Einheit in der Brüderschaft zu verwirklichen". ("Das Tagebuch eines Schriftstellers", August 1880, Kap. II) So sehr sich auch das asiatische Russland in der Nähe von Japan befand, und noch näher an China, gehören ihre Bewohner doch einer anderen Mentalität an. Und dieser Unterschied er-  Der Hl. Nikolai Kasatkin schwert vielleicht noch mehr die Annäherung dieser Völker an Russland. Und deswegen konnten  sie sich, obwohl Dostojewski sowohl in Japan als auch in China verehrt wurde, ihm nie so sehr nähern wie die Europäer.  
Ein Beispiel dafür ist der große moderne Schriftsteller und Regisseur Japans, Akira Kurosawa. In
seinem Film "Der Idiot" (1951), der sich auf das gleichnamige Buch Dostojewskis stützt, verdreht er mit seiner unendlichen Bewunderung für den russischen Schriftsteller (es handelte sich um seinen Lieblingsschriftsteller) die zentrale Idee des Buchs. Und dies, weil die entsprechenden notwendigen Voraussetzungen in seinem religiösen Glauben nicht existieten. In dem Buch fragt Rogoschin den Fürsten Myshkin: "Glaubst Du an Gott?" und dieser antwortet: "Das Substantielle des religiösen Gefühls hat mit keiner Logik etwas zu tun, sie ist unnahbar für jeden Atheismus." (Teil 2, Kap. IV). In Kurosawas Film fragt Rogoschin (Akama), der wohl dem Schintoismus mit einer Menge an "Gottheiten" angehört, Myschkin (Kamenta): "Glaubst Du an Götter?". Und Myschkin antwortet: "Nicht sehr", ohne auf das Thema näher einzugehen. Kurosawa, der auch der
Drehbuchautor des Films ist, schließt das Thema Gott auf dieselbe Weise ab, wie er es eröffnet hat. Auf diese Art und Weise zerstört er den tieferen Sinn des Buchs, der schon in seinem Titel zum Ausdruck gebracht wird. Natürlich betont Kurosawa besonders den Sinn des Titels mit der häufigen Wiederholung der Bezeichnung "Idiot" für den Helden seines Films und gibt so die Auffassung der Gesellschaft über den Naiven, der als "Idiot" verspottet wird, über den Idiotismus als Unsinn wieder. Aber er gibt diesem Un-Sinn nicht den symbolischen Sinn des "Paradoxen" in seiner religiösen Bedeutung wieder. Das Paradoxe also oder besser gesagt, das Hyper-logon (das Unverständliche), das der Fürst Myshkin mit seinem Glauben an Gott ausdrückt. Und genau dieser Held, der mit seiner Ankunft aus einer anderen Welt und seiner Rückkehr in dieselbe Welt, in seine transzendentale Welt, ist für Dostojewski "der russische Christus".  
Vielleicht sind die Werke Dostojewskis, wie "Der Idiot" die beste Form der Verbreitung der Orthodoxie im Osten, und speziell in Japan, das den großen Schriftsteller so sehr bewunderte. Jedoch nicht immer. Denn es muss die geeigneten Voraussetzungen dafür geben. Und diese können nur mit einer richtigen Vorbereitung und einem persönlichen Kontakt mit ihren Bewohnern geschaffen werden. Mit einer systematischen Mission, wie sie Nikolai Kasatkin, der Missionar und Erzbischof Japans, ausgeübt hat. 

Eine Information über Dostojewski 
Nach seinem Gespräch mit Dostojewski über sein missionarisches Werk in Japan, beschreibt Kasatkin den berühmten Schriftsteller als "ausdrucksstarke Person, formell, mit stolzen Augen". Und endet mit seiner rauen Stimme und seinem Husten, die ihm den Eindruck eines tuberkulösen Menschen gaben. 
Die Wahrheit ist, dass Dostojewski krank war. Aber er hatte keine Tuberkulose, wie es Kasatkin schien und wie J.A. Meyers in seinem Buch "Fighters of Fate" glaubt. Seine tatsächliche Krankheit hatte mit seinem Herzen zu tun. Er muss nach heutiger Diagnose eine Herz-Lungen-Insuffizienz gehabt haben. Diese Krankheit führte letztendlich auch zu seinem Tod. Mit dem ersten Blutsturz, sein kommendes Ende vorausahnend, bat er seine Frau, einen Geistlichen zu holen, damit er die Beichte ablegen und die letzte Kommunion empfangen konnte. Nach einer halben Stunde kam Pater Megorski, den Dostojewski, wie seine Frau in ihren Erinnerungen schreibt, "heiter und ruhig empfing". Diese Ruhe behielt er bei bis zu seinem letzten Atemzug. Er starb am 28. Januar 1881,acht Monate nach seiner Begegnung mit Kasatkin. 

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