Dienstag, 24. Dezember 2013

Erste Predigt auf Weihnachten -Leo der Große Bischof von Rom (+ 461)


Lasst uns frohlocken, Geliebteste; denn heute ist uns der Heiland geboren! Darf doch dort keine Trauer aufkommen, wo das Leben selbst zur Welt kommt, das die Furcht vor dem Tode benimmt und uns durch die Verheißung ewigen Lebens mit Freude erfüllt. Niemand wird von der Teilnahme an dieser Jubelfeier ausgeschlossen, alle haben den gleichen Grund, in festlicher Stimmung zu sein; denn da unser Herr, der die Sünde und den Tod vernichtet, niemand findet, der ohne Schuld ist, so kommt Er, um alle zu befreien. Es jauchze der Heilige, weil er sich der Siegespalme naht; es frohlocke der Sünder, weil ihm Verzeihung winkt, und neuer Mut belebe den Heiden, weil ihn das Leben ruft! Denn nachdem sich die Zeit erfüllt, welche die unerforschliche Tiefe des göttlichen Ratschlusses dazu bestimmte, nahm der Sohn Gottes die Natur des Menschengeschlechtes an, das wieder mit seinem Schöpfer versöhnt werden sollte, damit der Teufel, der den Tod in die Welt gebracht, gerade durch die menschliche Natur, die er bezwungen hatte, wieder bezwungen würde. In diesem für uns unternommenen Kampfe wurde der Streit nach dem erhabenen und bewunderungswürdigen Grundsatz der Gleichheit geführt, indem sich der allmächtige Herr mit dem so wütenden Feinde nicht in Seiner Majestät, sondern in unserer Niedrigkeit misst. Er stellt ihm den gleichen Leib entgegen und die gleiche Natur, die zwar wie die unsrige sterblich, aber frei von jeder Sünde ist. Gilt doch von Seiner Geburt nicht, was von der aller zu lesen steht: „Niemand ist rein von dem Schmutze der Sünde, nicht einmal das Kind, dessen Lebenshauch nur einen Tag auf Erden währt.“ Keinerlei Makel ist auf diese Geburt, die nicht ihresgleichen hat, von der Begierlichkeit des Fleisches übergegangen, keinerlei Schuld von dem Gesetze der Sünde auf sie entfallen. Eine königliche Jungfrau aus dem Stamme Davids wird dazu auserwählt, die heilige Frucht in sich aufzunehmen und Gottes und der Menschen Sohn zunächst im Geiste und dann in ihrem Schoße zu empfangen. Und damit sie nicht, unbekannt mit dem himmlischen Ratschlusse, über eine so ungewöhnliche Wirkung erschrecke, erfährt sie durch die Unterredung mit dem Engel, was in ihr der Heilige Geist wirken sollte. Auch glaubt die nicht an Verlust der Jungfräulichkeit, die bestimmt ist, bald „Gottesgebärerin“ zu werden. Denn warum hätte sie in diese neue Art der Empfängnis Zweifel setzen sollen, da ihr die Macht des Allerhöchsten dies zu vollbringen verspricht? Gestärkt wird ihr gläubiges Vertrauen auch noch durch das Zeugnis eines vorausgehenden Wunders: Der Elisabeth, die nicht mehr darauf hoffen konnte, wird Kindersegen verliehen, damit man nicht daran zweifle, dass derjenige, der einer Unfruchtbaren die Kraft zu empfangen gegeben hatte, auch eine Jungfrau empfangen lassen würde. So ist also das „Wort Gottes“, „Gott“, „Gottes Sohn“, „der im Anfang bei Gott war, durch den alles gemacht worden ist, und ohne den nichts gemacht wurde“, Mensch geworden, um den Menschen vom ewigen Tode zu befreien. Dabei hat Er sich ohne Minderung Seiner Majestät in der Weise zur Annahme unserer Niedrigkeit herabgelassen, dass Er die wahre Knechtsgestalt mit jener verband, worin Er Gott dem Vater gleich ist. 

Er blieb, was Er war, und nahm an, was Er nicht war. In der Weise hat Er sich herabgelassen, dass Er beide Naturen so miteinander vereinte, dass weder die Erhebung der niedrigeren Natur diese aufgehen ließ, noch ihre Annahme der höheren Abbruch tat. Indem also die Eigenart beider Wesenheiten gewahrt bleibt und sich zu ein und derselben Person verbindet, bekleidet sich die Majestät mit Niedrigkeit, die Stärke mit Schwachheit, die Ewigkeit mit Sterblichkeit. Und um die Schuld unseres Sündenzustandes zu tilgen, hat sich die unversehrbare Natur mit der leidensfähigen vereint, sind wahrer Gott und wahrer Mensch zur Einheit des Herrn verbunden. Dadurch sollte wie dies unserer Erlösung entsprach ein und derselbe „Mittler zwischen Gott und den Menschen“6 einerseits sterben, andererseits auferstehen können. Billigerweise also brachte die Geburt des Heils der jungfräulichen Reinheit keinerlei Schaden; denn das Erscheinen der Wahrheit war ein Schutz der Keuschheit. Eine solche Geburt, durch die in Seiner Menschlichkeit uns gleich, in Seiner Göttlichkeit uns überlegen sein sollte, ziemte, Geliebteste, Christus, „Gottes Macht und Weisheit“. Wäre Er nicht wahrer Gott, so brächte Er keine Erlösung, wäre Er nicht wahrer Mensch, so böte Er uns kein Beispiel. Darum wird auch von den jauchzenden Engeln bei der Geburt des Herrn gesungen: „Ehre sei Gott in der Höhe!“ Darum wird auch „den Menschen auf Erden, die guten Willens sind“, Friede verheißen. Sehen sie doch, wie sich das himmlische Jerusalem aus allen Völkern der Erde erbaut. Wie sehr muss sich da menschliche Niedrigkeit über dieses unbeschreibliche Werk der göttlichen Liebe freuen, wenn die hehren Engel darüber in solchen Jubel ausbrechen!

Quelle: Bibliotek der Kirchenväter. Band 2 Leo der Große. Kempten 1927

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