Das
Kloster Mariastein und die Baseler Reliquien
Erst im Jahr 2009 konnte ich mit meiner
Schweizer Kusine und einer jungen Freundin Mariastein besuchen, jenes
Benediktinerkloster, das die Baseler Reliquien erhalten hatte. Wir nahmen einen
Straßenbahnwagen vom Baseler Bahnhof zur außerhalb gelegenen Stadt Flüh. Kurz
bevor wir ausstiegen, hatte meine Kusine ein freundliches Gespräch mit einem
Mönch darüber, wie das Kloster zu finden sei. Ein schöner halbstündiger Marsch
den Hügel hinauf im leichten Regen führte uns zur Klosterkirche. Jeweils am
nördlichen und südlichen Altar wurden viele Reliquien gezeigt, jede mit dem
Namen eines Heiligen beschriftet. Da ich nicht alle Namen lesen konnte, fragte
ich einen Mönch, ob es sich um die Reliquien von Basel handelte und ob es eine
Liste von ihnen gab. Er bat uns zu warten und kam kurze Zeit später mit einem
anderen Mönch zurück, der die Geschichte der Reliquien kannte. Das war der
gleiche Mann, den wir eben in der Straßenbahn getroffen hatten, und, wie sich
herausstellte, eben jener Mönch, von dem der Artikel über die Reliquien
stammte, der mich hierher gebracht hatte! Er zeigte uns Materialien aus den
Archiven und schenkte mir ein sehr nützliches Buch. Er zeigte mir auch die
wunderschöne handschriftliche Liste aller Baseler Reliquien, unterschrieben vom
Abt, der sie 1835 in Empfang genommen hatte. Es befanden sich aufgelistet die
Reliquien des hl. Martin, der hl. Ursula, des hl. Pantalus, des hl. Fridolin,
der hl. Verena, und des Apostels Philipp, und vieler anderer (insgesamt 91).
Nebenbei gesagt, ist das Kloster Mariastein hauptsächlich bekannt als
bedeutendes Wallfahrerziel, für Pilger zur Mutter Gottes. Es erinnert an ein
Wunder, das hier ein paar Jahrhunderte früher geschehen war. Ein kleiner Junge
fiel von der Klippe, auf welcher das Kloster liegt, und wurde gerettet von den
Armen der Jungfrau. Eine kleine Pilgerkapelle erinnert an dieses Ereignis.
RTE: Wunderbar. An welche
anderen Stätten erinnern Sie sich besonders?
Matuschka Margaret: Während meiner ersten Reise im Jahr 2001 konnte ich auch
Kaiseraugst besuchen (eine frühe Römerstadt nahe Basel, wo der älteste
christliche Grabstein der Schweiz zu sehen ist, und eine Taufkirche aus dem 4.
Jahrhundert), weiter Zürich (mit seinen städtischen Schutzheiligen, den hll.
Felix und Regula, Märtyrern aus dem frühen 4. Jahrhundert), die uralten
früheren Klöster Peyenne und Romainmotier, und das noch aktive Kloster des hl.
Mauritius (St. Maurice), wo um das Jahr 300 jener afrikanische
Soldaten-Märtyrer zusammen mit anderen Soldaten der Thebäischen Legion starb.
Ich kam auch über den Rhein nach Bad Säckingen in Deutschland, wo ich meine
Liebe entdeckte für den frühen irischen Missionar, den hl. Fridolin. Ich machte
meinen ersten Besuch in St. Gallen, und schließlich nach Bayern einen Ausflug,
zur Ruhestätte der hl. Walburga, einer frühen angelsächsischen Missionarin und
Äbtissin, die den hl. Bonifatius unterstützte, um so das Christentum im Innern
Deutschlands zu festigen.
Zürich: die
hll. Felix und Regula
In Zürich besuchte ich das „Großmünster“, die
ursprüngliche Grabstätte der Schutzheiligen dieser Stadt. Hier war ich
besonders entsetzt über die Verwüstungen der Reformation. Ich erfuhr, dass der
Reformator Zwingli Kelche, Monstranzen und Statuen beseitigt, die Reliquien der
Heiligen hinausgeworfen, all die schönen Freskos übermalt hatte. In dieser und
sechs anderen Kirchen wurden die Altartische abgerissen, um ihm eine Kanzel zu
bauen, von welcher er dann predigte! Die Schweizer sind sich jetzt ihrer
Verluste bewusst, zumindest im Bereich der Kunstgeschichte, und versuchen die
Freskomalerei in den Kirchen freizulegen, die verbleibenden kirchlichen Objekte
auf Museen zu verteilen.
Die meisten Reliquien dieser Kirchen wären
wohl auf immer verloren, und das Gedächtnis der Heiligen auf ihre
kulturhistorische Bedeutung oder sogar auf eine Legende reduziert worden, wenn
nicht durch die Gnade Gottes in jüngerer Zeit zwei Ereignisse stattgefunden
hätten. Durch sie erneuerte sich in der Stadt Zürich ein wenig die Verehrung
jener Schutzheiligen, trotz des protestantischen „Fegefeuers“.
Vom ersten dieser Ereignisse erfuhr ich,
während ich mich in einem Buchladen umsah. Im Jahr 1950 wurde nämlich in der
Stadt eine neue römisch-katholische Kirche auf die Namen der Züricher
Schutzheiligen gegründet, und erhielt Reliquien aus Andermatt. Dorthin waren
die Züricher Reliquien nämlich zur Zeit Zwinglis gerettet worden. Alle anderen
Reliquien warf man damals ins „Gebeinhaus“, nur jene der Schutzheiligen der
Stadt, der hll. Felix und Regula, wurden sicher verwahrt und von einem bei
diesem Zerstörungswerk gerade in Zürich weilenden Bürger aus Andermatt an
diesen entlegenen Ort gebracht.
Das zweite Ereignis begab sich im Jahr 2004,
als alle orthodoxen Jurisdiktionen der Stadt – d.h. die vier
chalzedonisch-kanonischen (der russischen, serbischen, griechischen und
rumänischen) und der fünf orientalisch-orthodoxen Kirchen – einen gemeinsamen
Abendgottesdienst im Großmünster feierten, am Vorabend des Festes der hll.
Felix und Regula. Sie schenkten der Kirche eine neue gemalte Ikone dieser
beiden Heiligen. Felix und Regula sind natürlich „Gemeingut“ aller Christen,
denn sie erlitten um das Jahr 300 das Martyrium. Die Tradition erzählt, dass
beide in Zürich enthauptet wurden und dann ihre Häupter in die Hände genommen
haben und von der Wasserkirche bis zum Großmünster gelaufen sind. Die Ikone
hängt jetzt im Treppenhaus, das hinunterführt zur früheren Grabeskapelle der
Märtyrer.
Die orthodoxen Christen der Schweiz scheinen
sich besonders tatkräftig um die Anerkennung der frühen Heiligen zu bemühen und
ihre orthodoxe Verehrung zu fördern. Jener Abendgottesdienst wurde nun ein
jährliches Ereignis, und es wuchs sogar eine Assoziation orthodoxer Kirchen
(die AGOK) daraus hervor. Auch der jüngst entschlafene Bischof Ambrosius von
Lausanne (Russische Auslandskirche) sammelte Informationen über Schweizer
Heilige, und schrieb einen Gottesdienst für sie. Seitdem habe ich noch weitere
Bilder von Ikonen der Züricher Heiligenpatrone gesehen, auch ein Fresko in der
Serbischen Kirche von Zürich. Das bedeutet, dass Orthodoxe auf die Patrone
aufmerksam machen, und zwar ebenso für die Orthodoxen wie die Nicht-Orthodoxen.
RTE: Und was ist mit Köln? Wir hören immer,
dass sich dort die Reliquien der drei Weisen (aus dem Morgenland) befinden.
Matuschka Margaret: Als eine der ursprünglich
römischen Städte am Rhein (gegründet im Jahre 50 n.Chr.) ist Köln ein sehr
reich ausgestatteter Ort, was die Reliquien früher Heiliger und Kirchen angeht.
Trotz der Bombardierungen des 2. Weltkriegs sind noch zehn romanische Kirchen
erhalten!5 Bis zum Ende des 12. Jahrhunderts war in Köln
das geistige Zentrum die Kirche des hl. Gereon, wo noch heute Reliquien der
Märtyrer der Thebäischen Legion6verehrt werden, und wo auch verschiedene Könige gesalbt
wurden. Im Jahr 1164 erwarb Köln dann die Reliquien der drei Weisen, und der
großartige Kölner Dom wurde gebaut. Er sollte diese Reliquien aufnehmen und
alle anderen Kirchen nach Maß und Bedeutung in den Schatten stellen.
Die Gebeine hatten sich seit dem 4.
Jahrhundert in einer Kirche außerhalb von Mailand befunden, und vorher sollen
sie in Konstantinopel gewesen sein. Wie sie nach Konstantinopel kamen, liegt im
Bereich der Legende: die einen erzählen, dass die drei Könige ihren Weg nach
Indien nahmen, und dort vom Apostel Thomas getauft wurden; andere sagen, dass
ihre Gräber (wahrscheinlich in Persien) von der hl. Helena entdeckt wurden, die
ihre Reliquien nach Konstantinopel in die Kirche Hagia Sophia brachte.
Als der Schrein der drei Weisen zuletzt im
Jahr 1864 geöffnet und überprüft wurde, enthielt er die fast vollständigen
Skelette dreier Körper – eines jugendlichen, eines erwachsenen und eines alten
Mannes, ebenso die Reliquien dreier anderer Heiliger. Er enthielt auch
Stoffgewebe, welches sich in diverser Hinsicht als sehr alt erwies,
vergleichbar ähnlichen Mustern aus der Zeit von Christus bis zum 4. Jahrhundert.
Vor vielen Jahren führte mich ein glücklicher
Zufall am Dreikönigstag (dem 6. Januar) nach Köln. Ich reihte mich im Dom in
eine lange Schlange von Gläubigen ein, um die Totenschädel der Könige zu
verehren (der Reliquienschrein wurde dafür am Kopfende geöffnet). Ich habe gelesen,
dass viele Heilungen auf Gebeten am Schrein beruhten, besonders Heilungen von
Epilepsie.
Die hll.
Gallus und Fridolin: zwei irische Missions-Heilige
RTE: Wenn wir von Lieblingsheiligen sprechen
dürfen, welche Heiligen der deutschsprachigen Lande schätzen Sie besonders?
Matuschka Margaret: Es gibt viele, aber zwei,
die ich von Herzen liebe, sind die hll. Gallus und Fridolin, irische
Missionare, die für die Bekehrung der Alemannen in der nördlichen Schweiz und
im südwestlichen Deutschland verantwortlich sind. Ich komme stets dorthin
zurück, wo beide lebten, um ihre Reliquien zu verehren, und ich arbeite daran,
ihre Lebensläufe zu rekonstruieren.
Hl. Gallus
Der hl. Gallus war ein Gefährte des großen
Iren, des hl. Kolumban, der Klöster in Frankreich gründete und dort viele Jahre
lebte, bis das politische Klima umschlug, und er flüchten musste. Als der hl.
Kolumban im Jahr 612 nach Italien ging, blieb der hl. Gallus zurück, und zwar
in der Gegend südlich von Konstanz am Bodensee (heutige Schweiz), wo er tief im
Wald eine Einsiedelei mit kleiner Kapelle und ein paar Hütten um sie herum
erbaute. Sie lag nahe bei einem Wasserfall der Steinach, einem Fluss, welcher
einen See voller Fische speiste. Noch heute kann man den Wasserfall hinter der
Kathedrale sehen, die über der ursprünglichen Kapelle errichtet wurde. Der zum
Teich geschrumpfte See ist aber immer noch voller Fische!
Der hl. Gallus lebte ein sehr demütiges
Leben, schlug Angebote aus, Bischof von Konstanz oder Abt des früheren Klosters
des hl. Kolumban in Frankreich zu werden. Ebenso verschenkte er die Reichtümer,
die er dafür erhielt, dass er die besessene Tochter eines örtlichen Herzogs
heilte. Er befreundete sich mit dem einfachen Volk der Berge ringsumher,
sammelte ein paar Schüler um sich, erzog und förderte statt seiner selbst einen
einheimischen jungen Mann als Bischofsanwärter. Es heißt, dass er die ganze
Gegend bekehrte; nach seinem Tod wurden viele Wunder aufgezeichnet. Dies ist
der Heilige, der meine Suche überhaupt anspornte. Er kam mir in Amerika zu
sonderbarsten Zeiten in den Sinn, als wollte er mich ermutigen, nach Europa
zurückzukehren, und die Pilgerfahrten fortzusetzen. In der Kathedrale von St.
Gallen konnte ich dann seine Reliquien verehren, und verschiedene andere mit
seinem Leben verknüpfte Orte besuchen.
Einst wollte ich erfahren, wie die Wälder
ausschauten, wo er zuerst nach einem Platz für seine Einsiedelei suchte. Ich
nahm einen Zug bis zu einer Bahnstation zwischen Arbon am Bodensee, wo er
losgepilgert war, und St. Gallen, der großen Stadt, die um sein Kloster herum
entstand. An einer Zwischenstation zwischen beiden Orten stieg ich aus, mitten
in Wäldern, und begann zu wandern. Es war ein sonniger Frühlingstag, mit bunt
gesprenkeltem Licht, das seinen Weg durch die Wipfel der Bäume bahnte. Keine
Seele war in der Nähe, und ich stellte mir den hl. Gallus vor, wie er von Arbon
aus sich auf den Weg gemacht hatte, wie er die ganze Nacht im Gebet verbrachte
und seinen Beutel mit Reliquien bei sich trug. Er vertraute allein auf Gott,
der ihn in seine neue Heimat geleiten würde. Ich fühlte mich ihm sehr nahe.
Nach diesem idyllischen Morgen wollte der
Heilige wohl, dass ich herausfände, was eine solche Wanderung wirklich
bedeutet. Mein Plan war gewesen, einen kleinen Gang in die Wälder zu machen,
und gleich bei der nächsten Station einen Zug nach St. Gallen zu nehmen. Aber
keine Schienen kreuzten meinen Weg, keine Bahnstation weit und breit, und so
musste ich lange Zeit durch die Wälder wandern, und dann durch Ackerland. Ich
sah niemanden und wusste nicht, wo ich mich befand. Schließlich begegnete ich
einem Mann, der mir sagte, wenn ich noch etwas weiter wanderte, könnte ich
einen Bus in die Stadt nehmen. So endete mein Versuch, dem Heiligen ein wenig
näher zu kommen. Er selbst war vom Morgengrauen bis gegen drei Uhr nachmittags
marschiert, und er hat gefastet, bis er sein Ziel erreichte. Nur hatte ich
leider die falschen Schuhe an und holte mir ziemlich wunde Füße. Trotz allem
wurde ich belohnt mit einem Besuch der Krypta, wo ich seine Reliquien verehren
konnte. Diese Gelegenheit besteht selten, da man sich gewöhnlich vorher
anmelden muss, und sowieso eher als Gruppe Zugang erhält, nicht als
Einzelbesucher.
Ein andermal kehrte ich nach einem Besuch in
St. Gallen zum Haus einer Verwandten zurück, stieg aber einen Halt zu früh aus
dem Bus. Das endete so, dass ich mich im Wald verirrte, als es schon dunkel
wurde, und ich geriet in Panik. Ich dachte an den hl. Gallus, und wie er in den
Wäldern zuhause war (er vertrieb sogar einen Bär in die Berge, zum Schutz
seiner Einsiedelei). So konnte ich mich beruhigen und fand endlich meinen Weg
zurück.
St. Gallen
Da die heutige Stadt St. Gallen wenig
Ähnlichkeit aufweist zu der Gegend, die der Heilige einst bewohnte, halfen mir
all diese Erfahrungen, jenes lebendige Bild zu entwerfen, von dem ich früher
sprach. Ich entdeckte den Wasserfall mit den Fischen, den Ort, wo er über eine
Wurzel stolperte und sagte: „Das ist sie – das ist die Stelle“, und ich
erblickte das Ufer des Bodensees nahe Arbon, wo er anlandete, nachdem er von
Bregenz herüber gerudert war, um die Schweiz zu missionieren.
Der andere heilige irische Missionar, den ich
„traf“, auf meiner ersten Reise zurück nach Europa, war der hl. Fridolin. Er scheint im 6./7. Jhdt. auf das europäische Festland
gekommen zu sein, und sein Leben ist faszinierend. Nach einer frühen Ausbildung
in Irland wurde er zum Priester geweiht und diente schon in seinem Heimatland
als Wanderprediger. Er war so beliebt, dass ihm hunderte Menschen ans Meer
folgten, als er zum Kontinent aufbrach, um ihm Lebewohl zu sagen. An der Küste
hielt er eine letzte Predigt, und kam dann nach Gallien (ins heutige
Frankreich).
Anders als viele heilige irische Wanderpilger, die es vorzogen,
als Einsiedler zu leben, wirkte der hl. Fridolin als Missionar, wo auch immer
er hinkam. Er reiste in ganz Gallien umher, predigte denen, die noch nicht
Christen geworden waren. Er machte schließlich Halt in Poitiers, im verfallenen
Kloster des hl. Hilarius, das während der Völkerwanderung 409 überrannt worden
war. Hier erschien ihm der hl. Hilarius zweimal: zunächst, um dem hl. Fridolin
zu prophezeien, dass er das Kloster wieder herrichten und dort wieder die
Gottesdienstordnung einsetzen würde, dann später, um ihm vorauszusagen, dass er
ein Kloster auf einer Insel des Flusses Rhein gründen würde. Beide
Prophezeiungen sind wahr geworden. Der hl. Fridolin gründete auch noch ein
Kloster und zwei Kirchen in Frankreichs heutiger Elsass-Region, und eine
weitere Kirche in der Schweiz. Sie alle sind dem hl. Hilarius geweiht, und
gesegnet durch Teile seiner Reliquien.
Als der hl. Fridolin endlich seine Insel auf dem Rhein gefunden
hatte (die ihm von König Clovis geschenkt wurde), war sie unbewohnt, außer dass
dort Vieh graste. Als er anfing, sich auf ihr umzusehen, sahen die
Einheimischen darin einen Übergriff. Sie peitschten ihn kräftig aus, nicht nur
einmal, sondern mehrmals. Der hl. Fridolin musste schließlich an König Clovis
appellieren, und erst des Königs Unterstützung (wahrscheinlich mittels
bewaffneter Soldaten) machte es ihm möglich, einer Kirche den Boden zu
bereiten. Doch sein missionarischer Eifer trug bald Frucht und binnen kurzer
Zeit hatte er die Ortsbevölkerung gewonnen.
Es gab jedoch immer noch eine Gruppe, die ihm heftig Widerstand
leistete. Als der König starb, versuchten sie, die Insel wieder an sich zu
reißen. Durch unaufhörliches Gebet hatte der hl. Fridolin den Einfall, den Lauf
des Rheins zu ändern. In der Nacht brachte er Kiefernholz ins Flussbett ein, so
dass die Insel nun durch einen reißenden Strom vom Festland getrennt wurde,
nicht mehr durch seichtes Wasser. Endlich bereuten die früheren Feinde des hl.
Fridolin und baten um seine Gebete. Er baute rechtzeitig auch ein Kloster für
Frauen, in das die Ortsansässigen ihre Töchter schickten. Die erste Nonne, so
wird erzählt, war die Tochter einer Frau, die zunächst den Heiligen scharf
verdammt hatte, ihn aber später unterstützte und achtete.
Bad Säckingen
Ich lernte Bad Säckingen, die Gegend der Mühen des hl. Fridolin
zuerst gemeinsam mit einer weiteren Cousine kennen. Wir erkundeten die Altstadt
im Regen, beteten und entzündeten Kerzen in der Kirche, und wurden
glücklicherweise in die Krypta eingelassen. Wir fanden auch einen wunderbaren
Buchladen mit der vollständigen Vita des hl. Fridolin. Seine Gegenwart vor den
heiligen Reliquien war so eindringlich, dass ich von Alexander Stoljarov, dem
in Deutschland lebenden russischen Ikonenmaler, eine Ikone des Heiligen malen
ließ. Das ist ein Ort, wo die Heiligenverehrung bis zur Gegenwart lebendig
geblieben ist.
Wenn Sie die Stadt heute besuchen, werden Sie sich fragen, wie
auch ich, wo denn die Insel geblieben ist. Im 19. Jahrhundert wurde der
Flussarm, der zwischen Insel und Festland floss, aufgefüllt, und die Insel
stellt nun die „Alt-Stadt“ von Bad Säckingen dar. Die Stadt hat ihren ganz
besonderen Charme – Statuen und Brunnen, wunderschöne Blumengärten, die
interessante „Alt-Stadt“, und eine irgendwie unglaublich überdachte Holzbrücke
über den Rhein mit Blumenkästen an den Geländern, voll roter Geranien.
Einige Jahre später erhielt ich durch Gottes Gnade die unerwartete
Gelegenheit, den hl. Fridolin erneut zu besuchen. Es wurde mir eine Bleibe im
nahegelegenen Stein angeboten, einer Stadt in der Schweiz, die mit Bad
Säckingen durch die erwähnte Brücke verbunden ist – Das ist überhaupt Europas
längste überdachte Brücke. Zweimal durfte ich mich auf den Weg machen zur
Kirche des hl. Fridolin. Beim zweiten Mal, obwohl meine Gastgeberin auf mich
hinten in der Kirche wartete, konnte ich es nicht über mich bringen, diesen
innig vertrauten Ort und das mächtige Empfinden bei den Reliquien
zurückzulassen. Wir waren dann gerade zum Abschied bereit, als eine Gruppe in
die Krypta geführt wurde, der wir uns anschließen durften. Hier sah ich nun, wo
sich sein Sarg ursprünglich befand, und wo dieser einst eingemauert worden war,
um ihn vor Napoleons Soldaten zu schützen.
RTE: Sie forschen sehr
gründlich. Sind die, die Sie hier erwähnt haben, schon so ziemlich alle frühen
Heiligen?
Matuschka Margaret: Nein, die Heiligen und Reliquien, von denen wir gerade
sprachen, sind nur ein Teil derer, die ich gefunden habe. Es gibt auch sehr
viele andere, von denen ich nur gehört habe, aber noch keine Gelegenheit fand,
mich damit zu befassen. So finden wir z.B. entlang der gewundenen Mosel mit
ihren Weingärten und Schlössern die Szenen aus dem Leben des hl. Castor in
Karden; die unglaublich reiche Stadt Trier, welche ein ganzes Buch rechtfertigen
würde, um über ihre frühen Heiligen zu berichten, ihre Reliquien, die aus dem
Osten gebracht wurden, und die Spuren aus dem Leben der hll. Konstantin und
Helena. Nahebei liegt Echternach (Luxemburg) mit den Reliquien des hl.
Willibrord, des Erleuchters der Niederlande, und wunderschön ausgemalten
Manuskripten. Und Koblenz, wo sich jetzt die Reliquien der hll. Castor und Goar
befinden. Längs des mittleren Rheins liegen die früheren Römerstädte Bonn,
Xanten und Mainz, mit Reliquien der frühen Märtyrer und Bischöfe, alten
Kirchen, und reicher Geschichte. Dann gibt es das nördliche Deutschland, und im
Süden Bayern, Österreich, und andere Teile der Schweiz. Mit anderen Worten,
fast jeder Ort, den wir gerne als Touristen besichtigen würden, verfügt auch
über heilige Stätten und Reliquien, wenn wir nur wissen, wonach wir schauen
müssen.
Hl. Goar. Arbeit von Alexander
Stoljarov
Meine Freundin Cornelia Delkeskamp-Hayes, die auch in dieser Ausgabe7 interviewt wurde, hat eine
ständig wachsende Datensammlung von Reliquien in Deutschland und benachbarten
Ländern zusammengestellt, welche Hunderte von Städten und Ortschaften mit ihren
Reliquien und Heiligen umfasst. Sie hat mir sehr geholfen, und wir unternahmen
einige aufregende Fahrten zusammen, bei denen unsere Interessen sich schön
ergänzten.
Praktischer Rat für
Pilgerreisende
RTE: Matuschka Margaret, möchten Sie für das Vorhaben von
Pilgerreisen irgendwelche praktischen Empfehlungen weiterreichen, die Sie
erarbeitet haben?
Matuschka Margaret: Ich begann meine Forschung auf sehr naive
Weise. Sie war voller Abenteuer und manchmal so aufregend wie bei einer
Detektivarbeit oder archäologischen Grabung. Aber ich habe einiges verpasst,
weil ich nicht wusste, wonach ich suchen sollte, oder ich konnte die
interessanten Plätze nicht finden. Wenn Sie wirklich nach Heiligen forschen,
lassen Sie sich durch so etwas nicht aufhalten. Sie können nie vorhersagen, was
passieren wird, wenn Sie einem Schauplatz, den Reliquien oder einem
(Heiligen)Leben nachgehen. Ich bin sicher, dass es den Heiligen gefällt, wenn
wir an ihrem Zeugnis interessiert sind, und sie helfen in der Tat.
Bei meinem ersten Besuch in Eichstätt, wo der hl. Willibald sich mühte, und wo
jetzt die Reliquien der hl. Walburga ruhen, kam ich ohne Zimmerreservierung an,
am späten Samstagnachmittag. Ich hatte gehofft, im Gästehaus des Klosters
bleiben zu können, welches die Nonnen für Pilger und andere Reisende
unterhalten. Das stellte sich als Irrtum heraus! An diesem verlängerten
Ferienwochenende war das Gästehaus voll ausgebucht, und die Stadt war voll von
deutschen Urlaubern. Freundlich wies mich eine Nonne in Richtung diverser
kleiner Hotels. So rollte ich mit meinem schweren Handkoffer davon. Nach zwei
oder drei erfolglosen Versuchen fand ich endlich ein Gasthaus mit einem freien
Zimmer. Ich zog mich zurück, und dann klappte ich in meiner nervösen Spannung
erst mal zusammen. Später aß ich Brot mit Käse, was ich noch rechtzeitig
gekauft hatte, bevor die Geschäfte schlossen. Am nächsten Tag sah ich dieselbe
Nonne im Kloster wieder. Nun erst erfuhr ich, dass es die Äbtissin war. Sie
fragte mich, ob ich denn einen Schlafplatz gefunden hätte, und sagte mir, dass
sie den ganzen Abend für mich gebetet hatte.
Ein paar Erfahrungen solcher Art stärkten meinen Glauben. Aber sie
lehrten mich auch, Zimmer vorab zu buchen. Ich habe auch gelernt, dass es in
den Kirchen oft sehr wenig Personal gibt, und die Kirchenschätze Europas, die
Reliquien bergen, können oft nur nach Vereinbarung besichtigt werden.
RTE: Sie sind nun verschiedene Male in Europa auf Pilgerreise
gewesen. Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Heilige selbst sie führen?
Matuschka Margaret: Ja, sicher hatte ich solche Gefühle, so wie in
der Einleitung erwähnt, z.B. die Erfahrungen mit dem heiligen Gallus in den
Wäldern, und zu anderen Zeiten. Es gab auch eine Reihe irdischer „Engel“, die
eine Eingebung erhielten, mir zu helfen, wofür ich sehr dankbar bin. An einen
erinnere ich mich besonders. In Regensburg war es, während einer langen
Wartezeit auf die Zugverbindung nach München. Ich musste einen Anschlusszug in München erreichen, aber es wurde
später und später, und der Zug war noch nicht angekommen. Plötzlich sagte mir
ein netter deutscher Geschäftsmann mittleren Alters, dass es für München noch
eine andere Verbindung gäbe. Er nahm mich rasch mit sich, fand den Zug, setzte
mich ganz präzise in den passenden Eisenbahnwagen, und erklärte mir alles
Nötige, was ich für diese Reise wissen musste.
An einem andern Tag befand ich mich in einem kleinstädtischen Buchladen, und
schaute nach der Vita der hl. Lioba, einer Lokalheiligen. Sie hatten nichts,
aber der Geschäftsleiter erinnerte sich plötzlich an ein Buch, das Jahre zuvor
von einer Nonne verfasst worden war. Er telefonierte mit dem katholischen
Kirchenbüro des Orts. Dort fand die Sekretärin in den Akten eine noch
verbliebene Kopie. Es war mir aber nicht möglich, dieses Buch dort abzuholen.
So ließ sich der freundliche Mann von mir formell einen Geldbetrag geben und
hat gleich am folgenden Tag diese Kopie an die Adresse meines nächsten
Aufenthalts geschickt! Das war ein äußerst hilfreiches Buch.
Auch versäumte Züge oder Fahrplanprobleme können frustrieren. Aber auf
Pilgerreisen scheint das oft Führung von oben zu sein. Wenn Sie Geduld haben,
werden Sie möglicherweise belohnt mit Dingen, die Sie nie erwarteten. Als wir
zum Beispiel einmal keinerlei Verkehrsverbindung in eine entlegene heilige
Gegend nahe Donauwörth fanden, entschieden wir, stattdessen die
Heiligkreuzkirche der Stadt zu besuchen. Wir liefen vom Bahnhof einen Fluss
entlang, und dann aufwärts durch den Wald, bis die Kirche erschien. In ihrem
Innern gab es eine erstaunliche Anzahl von Reliquien, und in der Pilgerkapelle
der Krypta hing ein großes Stück des Ehrwürdigen Kreuzes8,
das dem lokalen Herzog Mangold I. von Kaiser Romanus III. überreicht worden
war, als er im Jahr 1029 Konstantinopel besuchte. Nach seiner Rückkehr baute
Mangold eine Kapelle, und dann später eine größere Kirche und ein Kloster. Dort
wurde seit jeher das Kreuz verehrt. An diesem heiligen Ort gebetet zu haben,
gehört zu den tiefsten und wirkmächtigsten Momenten meines Lebens, und es zieht
mich immer wieder dorthin.
Einige Monate später war ich zurück in Amerika, und meine
Kirchengemeinde feierte eines der Kreuzfeste. Als ich das geschmückte Kreuz
küsste, erinnerte ich mich an das Kreuz, welches ich in Deutschland verehrt
hatte. Das Gefühl, dort gewesen zu sein, war wieder sehr stark. Dies geschah
mehr als einmal an solchen Festtagen des Kreuzes. Als ich wenige Jahre später
Donauwörth erneut besuchte, war das Kreuz nicht in der Krypta. Eine Nonne der
Kirche sagte uns, dass das Kreuz nur zu gewissen Zeiten ausgelegt würde. Doch
sie schloss die Sakristei auf, um das Kreuz eigens für uns herauszuholen. Sie
nahm sogar den Teil des Holzes aus seinem Gehäuse und erlaubte uns, es zu
küssen. Als ich danach wieder bei einem anderen Fest des Kreuzes in der Kirche
zugegen war, begannen meine Lippen zu prickeln, und ich dachte: “Diese Lippen
haben das Ehrwürdige Kreuz geküsst!“.
Das hatte ganz klar nichts mit mir zu tun, sondern mit der Macht des Kreuzes
selbst. Das bewies mir, dass das Stück vom Kreuz, das wir verehrten, dasselbe war,
das die hl. Helena gefunden, und das einen Toten zum Leben erweckt hatte und
bestärkte meinen Glauben an die Pilgerreisen zu jenen heiligen Plätzen, wo
Reliquien verehrt werden, die von unserem Herrn und Seinen Heiligen
hinterlassen wurden.
Einheimische deutsche orthodoxe
Heilige
RTE: Die Heiligen, über die Sie gesprochen haben, sind alle
Missionare von anderswoher, Römer, Angelsachsen, Iren, und sogar aus Afrika.
Gibt es auch irgendwelche eingeborene deutsche Heilige?
Matuschka Margaret: Mir wird diese Frage oft gestellt. Dabei geht es nicht nur
um Heilige germanischer Herkunft (wozu natürlich auch die Anglo-Sachsen
gehören), sondern auch um jene, die in den missionierten Gegenden geboren
worden waren. Weil die Gebiete mit deutscher Sprache relativ spät vom
Christentum erreicht wurden, gibt es vor dem Schisma wenige einheimische
Heilige. Ich weiß vom hl. Otmar bei den Alemannen, der die Einsiedelei des hl.
Gallus in ein blühendes Kloster einheimischer Mönche verwandelte, bis seine
Feinde ihn fälschlich beschuldigten und er im Exil starb; vom hl. Sturm(ius),
einem Bajuwaren, der vom hl. Bonifatius ausgebildet wurde, als Eremit lebte,
und dann das berühmte Fuldaer Kloster gründete; vom hl. Liudgar, einem Friesen,
der ein herausragender Missionar war für Friesen ebenso wie für Sachsen, im
Norden Deutschlands.
Ich weiß, dass ein Heiliger, welcher der Herkunft nach Ihnen nahesteht, Ihnen
hilft, eine Verbindung zu ihm aufzubauen, und durch ihn zu Gott. Es gibt aber
noch eine breitere Sicht auf dieses Thema. Die ersten tausend Jahre der
Christenheit waren gekennzeichnet von großer Bewegung und Wanderung, und das
gilt nicht nur für Völker sondern auch (sozusagen) für Reliquien. Darin kann
man auch das Werk des Heiligen Geistes sehen. Viele Menschen pilgerten nach
Jerusalem und Konstantinopel und brachten dann bei der Rückkehr den Geist der
Apostel, den monastischen Einfluss der östlichen Wüstenväter in ihren
heimischen Westen und Norden zurück. Damit kam in diese Gebiete auch das Zeugnis
der Märtyrer, die Reliquien der Heiligen und Apostel, die lebendige Gegenwart
von Teilen des Ehrwürdigen Kreuzes, und sogar ein Nagel vom Kreuz (nach Trier
verbracht durch die hl. Helena). Es kamen überdies Missionare und Lehrer
verschiedener Völker und Herkunft, die feurig für Christus kämpften, und die
für all jene, die sehen und hören konnten, die die himmlische Welt eröffneten.
All dies ist auch heute für uns noch geistig gegenwärtig, wenn wir uns nur
dafür öffnen. Ich glaube, man kann letztlich nicht von einer speziell deutschen
Tradition der Heiligkeit sprechen, sondern findet überall das allumfassende
Christentum, das wir aber für die deutschsprachigen Länder erst erschließen
müssen.
Margaret Bauman
Übersetzung
aus dem Englischen von Peter U. Trappe
1 Englischer
Ausgangstitel in der Frühjahrsausgabe 2010 der Zeitschrift ‚Road to Emmaus‘:
„Orthodox Roots, Woods and Water – A Decade of Pilgrimage Through Germany and
Switzerland”. Aufgrund der Freizügigkeit der russischen Übersetzung von Dmitrij
Lapa, vgl. http://www.pravoslavie.ru/put/61795.htm,
nutzen wir zwecks Vermeidung von Missverständnissen fast ausschließlich das
Original der englischen Vorlage.
2 Im
Interview von ‘Road to Emmaus’ finden wir als Anrede für Frau Margaret Bauman
den Ausdruck Popadia. Das kommt lt. Wikipedia aus dem Makedonischen: Popadija
(vom Wort pop, verheirateter Priester), bedeutet also: mit dem Priester
verheiratet, griechisch: Presbytéra, rumänisch: Preoteasa, russisch: Màtuschka.
Da das deutsche Wort „Mutter“ eher als monastische Anrede gebräuchlich ist,
verwenden wir hier vorläufig den noch eher bekannten, der russischen
Übersetzung entnommenen Ausdruck „Matuschka“.
3 ‚Road
to Emmaus‘ wird im Interview abgekürzt zu RTE.
4 Die
wichtigsten Reliquien des hl. Goar befinden sich, ziemlich versteckt, in einer
Kirche in Koblenz
5 Die
Alliierten Streitkräfte bombardierten Köln in 262 separaten Luftangriffen und
zerstörten die gesamte Innenstadt mit Bombenteppichen, wobei sie auch die
Bevölkerung um 95 % reduzierten! Dass irgendetwas gerettet wurde, ist in der
Tat ein Wunder.
6 Die Thebäische Legion ist eine Legion
römischer Soldaten aus Theben (Ägypten), die Christen waren und am Ende des 3.
Jahrhunderts dienten. Sie wurden Märtyrer für ihren Glauben in den Schweizer
Bergen, in der Stadt Agaunum, heute bekannt als St. Moritz. Ihr Führer, der
heilige Mauritius und zwei andere Offiziere, die heiligen Exuperantus und
Candidus, sind die einzigen, die wir dem Namen nach kennen. Von anderen
Einheiten der Thebäischen Legion glaubt man, dass sie stationiert waren im
heutigen Italien, in der Schweiz, und längs des Rheins im heutigen Deutschland.
Die Märtyrer dieser Einheiten schließen die oben erwähnten hll. Felix und
Regula von Zürich / Schweiz ein, so wie auch den hl. Gereon und seine Gefährten
in Köln / Deutschland.
Quelle: http://www.pokrov.de/de/?p=930
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