Mittwoch, 18. Dezember 2013

RÜCKKEHR ZU DEN ORTHODOXEN QUELLEN: ZEHN JAHRE PILGERSCHAFT DURCH DEUTSCHLAND UND DIE SCHWEIZ -Teil 2


Das Kloster Mariastein und die Baseler Reliquien
Erst im Jahr 2009 konnte ich mit meiner Schweizer Kusine und einer jungen Freundin Mariastein besuchen, jenes Benediktinerkloster, das die Baseler Reliquien erhalten hatte. Wir nahmen einen Straßenbahnwagen vom Baseler Bahnhof zur außerhalb gelegenen Stadt Flüh. Kurz bevor wir ausstiegen, hatte meine Kusine ein freundliches Gespräch mit einem Mönch darüber, wie das Kloster zu finden sei. Ein schöner halbstündiger Marsch den Hügel hinauf im leichten Regen führte uns zur Klosterkirche. Jeweils am nördlichen und südlichen Altar wurden viele Reliquien gezeigt, jede mit dem Namen eines Heiligen beschriftet. Da ich nicht alle Namen lesen konnte, fragte ich einen Mönch, ob es sich um die Reliquien von Basel handelte und ob es eine Liste von ihnen gab. Er bat uns zu warten und kam kurze Zeit später mit einem anderen Mönch zurück, der die Geschichte der Reliquien kannte. Das war der gleiche Mann, den wir eben in der Straßenbahn getroffen hatten, und, wie sich herausstellte, eben jener Mönch, von dem der Artikel über die Reliquien stammte, der mich hierher gebracht hatte! Er zeigte uns Materialien aus den Archiven und schenkte mir ein sehr nützliches Buch. Er zeigte mir auch die wunderschöne handschriftliche Liste aller Baseler Reliquien, unterschrieben vom Abt, der sie 1835 in Empfang genommen hatte. Es befanden sich aufgelistet die Reliquien des hl. Martin, der hl. Ursula, des hl. Pantalus, des hl. Fridolin, der hl. Verena, und des Apostels Philipp, und vieler anderer (insgesamt 91).

Nebenbei gesagt, ist das Kloster Mariastein hauptsächlich bekannt als bedeutendes Wallfahrerziel, für Pilger zur Mutter Gottes. Es erinnert an ein Wunder, das hier ein paar Jahrhunderte früher geschehen war. Ein kleiner Junge fiel von der Klippe, auf welcher das Kloster liegt, und wurde gerettet von den Armen der Jungfrau. Eine kleine Pilgerkapelle erinnert an dieses Ereignis.


RTE: Wunderbar. An welche anderen Stätten erinnern Sie sich besonders?


Matuschka Margaret: Während meiner ersten Reise im Jahr 2001 konnte ich auch Kaiseraugst besuchen (eine frühe Römerstadt nahe Basel, wo der älteste christliche Grabstein der Schweiz zu sehen ist, und eine Taufkirche aus dem 4. Jahrhundert), weiter Zürich (mit seinen städtischen Schutzheiligen, den hll. Felix und Regula, Märtyrern aus dem frühen 4. Jahrhundert), die uralten früheren Klöster Peyenne und Romainmotier, und das noch aktive Kloster des hl. Mauritius (St. Maurice), wo um das Jahr 300 jener afrikanische Soldaten-Märtyrer zusammen mit anderen Soldaten der Thebäischen Legion starb. Ich kam auch über den Rhein nach Bad Säckingen in Deutschland, wo ich meine Liebe entdeckte für den frühen irischen Missionar, den hl. Fridolin. Ich machte meinen ersten Besuch in St. Gallen, und schließlich nach Bayern einen Ausflug, zur Ruhestätte der hl. Walburga, einer frühen angelsächsischen Missionarin und Äbtissin, die den hl. Bonifatius unterstützte, um so das Christentum im Innern Deutschlands zu festigen.

Zürich: die hll. Felix und Regula

  In Zürich besuchte ich das „Großmünster“, die ursprüngliche Grabstätte der Schutzheiligen dieser Stadt. Hier war ich besonders entsetzt über die Verwüstungen der Reformation. Ich erfuhr, dass der Reformator Zwingli Kelche, Monstranzen und Statuen beseitigt, die Reliquien der Heiligen hinausgeworfen, all die schönen Freskos übermalt hatte. In dieser und sechs anderen Kirchen wurden die Altartische abgerissen, um ihm eine Kanzel zu bauen, von welcher er dann predigte! Die Schweizer sind sich jetzt ihrer Verluste bewusst, zumindest im Bereich der Kunstgeschichte, und versuchen die Freskomalerei in den Kirchen freizulegen, die verbleibenden kirchlichen Objekte auf Museen zu verteilen.
Die meisten Reliquien dieser Kirchen wären wohl auf immer verloren, und das Gedächtnis der Heiligen auf ihre kulturhistorische Bedeutung oder sogar auf eine Legende reduziert worden, wenn nicht durch die Gnade Gottes in jüngerer Zeit zwei Ereignisse stattgefunden hätten. Durch sie erneuerte sich in der Stadt Zürich ein wenig die Verehrung jener Schutzheiligen, trotz des protestantischen „Fegefeuers“.
Vom ersten dieser Ereignisse erfuhr ich, während ich mich in einem Buchladen umsah. Im Jahr 1950 wurde nämlich in der Stadt eine neue römisch-katholische Kirche auf die Namen der Züricher Schutzheiligen gegründet, und erhielt Reliquien aus Andermatt. Dorthin waren die Züricher Reliquien nämlich zur Zeit Zwinglis gerettet worden. Alle anderen Reliquien warf man damals ins „Gebeinhaus“, nur jene der Schutzheiligen der Stadt, der hll. Felix und Regula, wurden sicher verwahrt und von einem bei diesem Zerstörungswerk gerade in Zürich weilenden Bürger aus Andermatt an diesen entlegenen Ort gebracht.
Das zweite Ereignis begab sich im Jahr 2004, als alle orthodoxen Jurisdiktionen der Stadt – d.h. die vier chalzedonisch-kanonischen (der russischen, serbischen, griechischen und rumänischen) und der fünf orientalisch-orthodoxen Kirchen – einen gemeinsamen Abendgottesdienst im Großmünster feierten, am Vorabend des Festes der hll. Felix und Regula. Sie schenkten der Kirche eine neue gemalte Ikone dieser beiden Heiligen. Felix und Regula sind natürlich „Gemeingut“ aller Christen, denn sie erlitten um das Jahr 300 das Martyrium. Die Tradition erzählt, dass beide in Zürich enthauptet wurden und dann ihre Häupter in die Hände genommen haben und von der Wasserkirche bis zum Großmünster gelaufen sind. Die Ikone hängt jetzt im Treppenhaus, das hinunterführt zur früheren Grabeskapelle der Märtyrer.
Die orthodoxen Christen der Schweiz scheinen sich besonders tatkräftig um die Anerkennung der frühen Heiligen zu bemühen und ihre orthodoxe Verehrung zu fördern. Jener Abendgottesdienst wurde nun ein jährliches Ereignis, und es wuchs sogar eine Assoziation orthodoxer Kirchen (die AGOK) daraus hervor. Auch der jüngst entschlafene Bischof Ambrosius von Lausanne (Russische Auslandskirche) sammelte Informationen über Schweizer Heilige, und schrieb einen Gottesdienst für sie. Seitdem habe ich noch weitere Bilder von Ikonen der Züricher Heiligenpatrone gesehen, auch ein Fresko in der Serbischen Kirche von Zürich. Das bedeutet, dass Orthodoxe auf die Patrone aufmerksam machen, und zwar ebenso für die Orthodoxen wie die Nicht-Orthodoxen.

RTE: Und was ist mit Köln? Wir hören immer, dass sich dort die Reliquien der drei Weisen (aus dem Morgenland) befinden.
Matuschka Margaret: Als eine der ursprünglich römischen Städte am Rhein (gegründet im Jahre 50 n.Chr.) ist Köln ein sehr reich ausgestatteter Ort, was die Reliquien früher Heiliger und Kirchen angeht. Trotz der Bombardierungen des 2. Weltkriegs sind noch zehn romanische Kirchen erhalten!5 Bis zum Ende des 12. Jahrhunderts war in Köln das geistige Zentrum die Kirche des hl. Gereon, wo noch heute Reliquien der Märtyrer der Thebäischen Legion6verehrt werden, und wo auch verschiedene Könige gesalbt wurden. Im Jahr 1164 erwarb Köln dann die Reliquien der drei Weisen, und der großartige Kölner Dom wurde gebaut. Er sollte diese Reliquien aufnehmen und alle anderen Kirchen nach Maß und Bedeutung in den Schatten stellen.
Die Gebeine hatten sich seit dem 4. Jahrhundert in einer Kirche außerhalb von Mailand befunden, und vorher sollen sie in Konstantinopel gewesen sein. Wie sie nach Konstantinopel kamen, liegt im Bereich der Legende: die einen erzählen, dass die drei Könige ihren Weg nach Indien nahmen, und dort vom Apostel Thomas getauft wurden; andere sagen, dass ihre Gräber (wahrscheinlich in Persien) von der hl. Helena entdeckt wurden, die ihre Reliquien nach Konstantinopel in die Kirche Hagia Sophia brachte.
Als der Schrein der drei Weisen zuletzt im Jahr 1864 geöffnet und überprüft wurde, enthielt er die fast vollständigen Skelette dreier Körper – eines jugendlichen, eines erwachsenen und eines alten Mannes, ebenso die Reliquien dreier anderer Heiliger. Er enthielt auch Stoffgewebe, welches sich in diverser Hinsicht als sehr alt erwies, vergleichbar ähnlichen Mustern aus der Zeit von Christus bis zum 4. Jahrhundert.
Vor vielen Jahren führte mich ein glücklicher Zufall am Dreikönigstag (dem 6. Januar) nach Köln. Ich reihte mich im Dom in eine lange Schlange von Gläubigen ein, um die Totenschädel der Könige zu verehren (der Reliquienschrein wurde dafür am Kopfende geöffnet). Ich habe gelesen, dass viele Heilungen auf Gebeten am Schrein beruhten, besonders Heilungen von Epilepsie.

Die hll. Gallus und Fridolin: zwei irische Missions-Heilige
RTE: Wenn wir von Lieblingsheiligen sprechen dürfen, welche Heiligen der deutschsprachigen Lande schätzen Sie besonders?
Matuschka Margaret: Es gibt viele, aber zwei, die ich von Herzen liebe, sind die hll. Gallus und Fridolin, irische Missionare, die für die Bekehrung der Alemannen in der nördlichen Schweiz und im südwestlichen Deutschland verantwortlich sind. Ich komme stets dorthin zurück, wo beide lebten, um ihre Reliquien zu verehren, und ich arbeite daran, ihre Lebensläufe zu rekonstruieren.

Hl. Gallus
Der hl. Gallus war ein Gefährte des großen Iren, des hl. Kolumban, der Klöster in Frankreich gründete und dort viele Jahre lebte, bis das politische Klima umschlug, und er flüchten musste. Als der hl. Kolumban im Jahr 612 nach Italien ging, blieb der hl. Gallus zurück, und zwar in der Gegend südlich von Konstanz am Bodensee (heutige Schweiz), wo er tief im Wald eine Einsiedelei mit kleiner Kapelle und ein paar Hütten um sie herum erbaute. Sie lag nahe bei einem Wasserfall der Steinach, einem Fluss, welcher einen See voller Fische speiste. Noch heute kann man den Wasserfall hinter der Kathedrale sehen, die über der ursprünglichen Kapelle errichtet wurde. Der zum Teich geschrumpfte See ist aber immer noch voller Fische!
Der hl. Gallus lebte ein sehr demütiges Leben, schlug Angebote aus, Bischof von Konstanz oder Abt des früheren Klosters des hl. Kolumban in Frankreich zu werden. Ebenso verschenkte er die Reichtümer, die er dafür erhielt, dass er die besessene Tochter eines örtlichen Herzogs heilte. Er befreundete sich mit dem einfachen Volk der Berge ringsumher, sammelte ein paar Schüler um sich, erzog und förderte statt seiner selbst einen einheimischen jungen Mann als Bischofsanwärter. Es heißt, dass er die ganze Gegend bekehrte; nach seinem Tod wurden viele Wunder aufgezeichnet. Dies ist der Heilige, der meine Suche überhaupt anspornte. Er kam mir in Amerika zu sonderbarsten Zeiten in den Sinn, als wollte er mich ermutigen, nach Europa zurückzukehren, und die Pilgerfahrten fortzusetzen. In der Kathedrale von St. Gallen konnte ich dann seine Reliquien verehren, und verschiedene andere mit seinem Leben verknüpfte Orte besuchen.
Einst wollte ich erfahren, wie die Wälder ausschauten, wo er zuerst nach einem Platz für seine Einsiedelei suchte. Ich nahm einen Zug bis zu einer Bahnstation zwischen Arbon am Bodensee, wo er losgepilgert war, und St. Gallen, der großen Stadt, die um sein Kloster herum entstand. An einer Zwischenstation zwischen beiden Orten stieg ich aus, mitten in Wäldern, und begann zu wandern. Es war ein sonniger Frühlingstag, mit bunt gesprenkeltem Licht, das seinen Weg durch die Wipfel der Bäume bahnte. Keine Seele war in der Nähe, und ich stellte mir den hl. Gallus vor, wie er von Arbon aus sich auf den Weg gemacht hatte, wie er die ganze Nacht im Gebet verbrachte und seinen Beutel mit Reliquien bei sich trug. Er vertraute allein auf Gott, der ihn in seine neue Heimat geleiten würde. Ich fühlte mich ihm sehr nahe.
Nach diesem idyllischen Morgen wollte der Heilige wohl, dass ich herausfände, was eine solche Wanderung wirklich bedeutet. Mein Plan war gewesen, einen kleinen Gang in die Wälder zu machen, und gleich bei der nächsten Station einen Zug nach St. Gallen zu nehmen. Aber keine Schienen kreuzten meinen Weg, keine Bahnstation weit und breit, und so musste ich lange Zeit durch die Wälder wandern, und dann durch Ackerland. Ich sah niemanden und wusste nicht, wo ich mich befand. Schließlich begegnete ich einem Mann, der mir sagte, wenn ich noch etwas weiter wanderte, könnte ich einen Bus in die Stadt nehmen. So endete mein Versuch, dem Heiligen ein wenig näher zu kommen. Er selbst war vom Morgengrauen bis gegen drei Uhr nachmittags marschiert, und er hat gefastet, bis er sein Ziel erreichte. Nur hatte ich leider die falschen Schuhe an und holte mir ziemlich wunde Füße. Trotz allem wurde ich belohnt mit einem Besuch der Krypta, wo ich seine Reliquien verehren konnte. Diese Gelegenheit besteht selten, da man sich gewöhnlich vorher anmelden muss, und sowieso eher als Gruppe Zugang erhält, nicht als Einzelbesucher.
Ein andermal kehrte ich nach einem Besuch in St. Gallen zum Haus einer Verwandten zurück, stieg aber einen Halt zu früh aus dem Bus. Das endete so, dass ich mich im Wald verirrte, als es schon dunkel wurde, und ich geriet in Panik. Ich dachte an den hl. Gallus, und wie er in den Wäldern zuhause war (er vertrieb sogar einen Bär in die Berge, zum Schutz seiner Einsiedelei). So konnte ich mich beruhigen und fand endlich meinen Weg zurück.

St. Gallen
Da die heutige Stadt St. Gallen wenig Ähnlichkeit aufweist zu der Gegend, die der Heilige einst bewohnte, halfen mir all diese Erfahrungen, jenes lebendige Bild zu entwerfen, von dem ich früher sprach. Ich entdeckte den Wasserfall mit den Fischen, den Ort, wo er über eine Wurzel stolperte und sagte: „Das ist sie – das ist die Stelle“, und ich erblickte das Ufer des Bodensees nahe Arbon, wo er anlandete, nachdem er von Bregenz herüber gerudert war, um die Schweiz zu missionieren.
Der andere heilige irische Missionar, den ich „traf“, auf meiner ersten Reise zurück nach Europa, war der hl. Fridolin. Er scheint im 6./7. Jhdt. auf das europäische Festland gekommen zu sein, und sein Leben ist faszinierend. Nach einer frühen Ausbildung in Irland wurde er zum Priester geweiht und diente schon in seinem Heimatland als Wanderprediger. Er war so beliebt, dass ihm hunderte Menschen ans Meer folgten, als er zum Kontinent aufbrach, um ihm Lebewohl zu sagen. An der Küste hielt er eine letzte Predigt, und kam dann nach Gallien (ins heutige Frankreich).
Anders als viele heilige irische Wanderpilger, die es vorzogen, als Einsiedler zu leben, wirkte der hl. Fridolin als Missionar, wo auch immer er hinkam. Er reiste in ganz Gallien umher, predigte denen, die noch nicht Christen geworden waren. Er machte schließlich Halt in Poitiers, im verfallenen Kloster des hl. Hilarius, das während der Völkerwanderung 409 überrannt worden war. Hier erschien ihm der hl. Hilarius zweimal: zunächst, um dem hl. Fridolin zu prophezeien, dass er das Kloster wieder herrichten und dort wieder die Gottesdienstordnung einsetzen würde, dann später, um ihm vorauszusagen, dass er ein Kloster auf einer Insel des Flusses Rhein gründen würde. Beide Prophezeiungen sind wahr geworden. Der hl. Fridolin gründete auch noch ein Kloster und zwei Kirchen in Frankreichs heutiger Elsass-Region, und eine weitere Kirche in der Schweiz. Sie alle sind dem hl. Hilarius geweiht, und gesegnet durch Teile seiner Reliquien.
Als der hl. Fridolin endlich seine Insel auf dem Rhein gefunden hatte (die ihm von König Clovis geschenkt wurde), war sie unbewohnt, außer dass dort Vieh graste. Als er anfing, sich auf ihr umzusehen, sahen die Einheimischen darin einen Übergriff. Sie peitschten ihn kräftig aus, nicht nur einmal, sondern mehrmals. Der hl. Fridolin musste schließlich an König Clovis appellieren, und erst des Königs Unterstützung (wahrscheinlich mittels bewaffneter Soldaten) machte es ihm möglich, einer Kirche den Boden zu bereiten. Doch sein missionarischer Eifer trug bald Frucht und binnen kurzer Zeit hatte er die Ortsbevölkerung gewonnen.
Es gab jedoch immer noch eine Gruppe, die ihm heftig Widerstand leistete. Als der König starb, versuchten sie, die Insel wieder an sich zu reißen. Durch unaufhörliches Gebet hatte der hl. Fridolin den Einfall, den Lauf des Rheins zu ändern. In der Nacht brachte er Kiefernholz ins Flussbett ein, so dass die Insel nun durch einen reißenden Strom vom Festland getrennt wurde, nicht mehr durch seichtes Wasser. Endlich bereuten die früheren Feinde des hl. Fridolin und baten um seine Gebete. Er baute rechtzeitig auch ein Kloster für Frauen, in das die Ortsansässigen ihre Töchter schickten. Die erste Nonne, so wird erzählt, war die Tochter einer Frau, die zunächst den Heiligen scharf verdammt hatte, ihn aber später unterstützte und achtete.

Bad Säckingen
Ich lernte Bad Säckingen, die Gegend der Mühen des hl. Fridolin zuerst gemeinsam mit einer weiteren Cousine kennen. Wir erkundeten die Altstadt im Regen, beteten und entzündeten Kerzen in der Kirche, und wurden glücklicherweise in die Krypta eingelassen. Wir fanden auch einen wunderbaren Buchladen mit der vollständigen Vita des hl. Fridolin. Seine Gegenwart vor den heiligen Reliquien war so eindringlich, dass ich von Alexander Stoljarov, dem in Deutschland lebenden russischen Ikonenmaler, eine Ikone des Heiligen malen ließ. Das ist ein Ort, wo die Heiligenverehrung bis zur Gegenwart lebendig geblieben ist.
Wenn Sie die Stadt heute besuchen, werden Sie sich fragen, wie auch ich, wo denn die Insel geblieben ist. Im 19. Jahrhundert wurde der Flussarm, der zwischen Insel und Festland floss, aufgefüllt, und die Insel stellt nun die „Alt-Stadt“ von Bad Säckingen dar. Die Stadt hat ihren ganz besonderen Charme – Statuen und Brunnen, wunderschöne Blumengärten, die interessante „Alt-Stadt“, und eine irgendwie unglaublich überdachte Holzbrücke über den Rhein mit Blumenkästen an den Geländern, voll roter Geranien.
Einige Jahre später erhielt ich durch Gottes Gnade die unerwartete Gelegenheit, den hl. Fridolin erneut zu besuchen. Es wurde mir eine Bleibe im nahegelegenen Stein angeboten, einer Stadt in der Schweiz, die mit Bad Säckingen durch die erwähnte Brücke verbunden ist – Das ist überhaupt Europas längste überdachte Brücke. Zweimal durfte ich mich auf den Weg machen zur Kirche des hl. Fridolin. Beim zweiten Mal, obwohl meine Gastgeberin auf mich hinten in der Kirche wartete, konnte ich es nicht über mich bringen, diesen innig vertrauten Ort und das mächtige Empfinden bei den Reliquien zurückzulassen. Wir waren dann gerade zum Abschied bereit, als eine Gruppe in die Krypta geführt wurde, der wir uns anschließen durften. Hier sah ich nun, wo sich sein Sarg ursprünglich befand, und wo dieser einst eingemauert worden war, um ihn vor Napoleons Soldaten zu schützen.

RTE: Sie forschen sehr gründlich. Sind die, die Sie hier erwähnt haben, schon so ziemlich alle frühen Heiligen?


Matuschka Margaret: Nein, die Heiligen und Reliquien, von denen wir gerade sprachen, sind nur ein Teil derer, die ich gefunden habe. Es gibt auch sehr viele andere, von denen ich nur gehört habe, aber noch keine Gelegenheit fand, mich damit zu befassen. So finden wir z.B. entlang der gewundenen Mosel mit ihren Weingärten und Schlössern die Szenen aus dem Leben des hl. Castor in Karden; die unglaublich reiche Stadt Trier, welche ein ganzes Buch rechtfertigen würde, um über ihre frühen Heiligen zu berichten, ihre Reliquien, die aus dem Osten gebracht wurden, und die Spuren aus dem Leben der hll. Konstantin und Helena. Nahebei liegt Echternach (Luxemburg) mit den Reliquien des hl. Willibrord, des Erleuchters der Niederlande, und wunderschön ausgemalten Manuskripten. Und Koblenz, wo sich jetzt die Reliquien der hll. Castor und Goar befinden. Längs des mittleren Rheins liegen die früheren Römerstädte Bonn, Xanten und Mainz, mit Reliquien der frühen Märtyrer und Bischöfe, alten Kirchen, und reicher Geschichte. Dann gibt es das nördliche Deutschland, und im Süden Bayern, Österreich, und andere Teile der Schweiz. Mit anderen Worten, fast jeder Ort, den wir gerne als Touristen besichtigen würden, verfügt auch über heilige Stätten und Reliquien, wenn wir nur wissen, wonach wir schauen müssen.

Hl. Goar. Arbeit von Alexander Stoljarov

Meine Freundin Cornelia Delkeskamp-Hayes, die auch in dieser Ausgabe7 interviewt wurde, hat eine ständig wachsende Datensammlung von Reliquien in Deutschland und benachbarten Ländern zusammengestellt, welche Hunderte von Städten und Ortschaften mit ihren Reliquien und Heiligen umfasst. Sie hat mir sehr geholfen, und wir unternahmen einige aufregende Fahrten zusammen, bei denen unsere Interessen sich schön ergänzten.


Praktischer Rat für Pilgerreisende


RTE: Matuschka Margaret, möchten Sie für das Vorhaben von Pilgerreisen irgendwelche praktischen Empfehlungen weiterreichen, die Sie erarbeitet haben?
Matuschka Margaret: Ich begann meine Forschung auf sehr naive Weise. Sie war voller Abenteuer und manchmal so aufregend wie bei einer Detektivarbeit oder archäologischen Grabung. Aber ich habe einiges verpasst, weil ich nicht wusste, wonach ich suchen sollte, oder ich konnte die interessanten Plätze nicht finden. Wenn Sie wirklich nach Heiligen forschen, lassen Sie sich durch so etwas nicht aufhalten. Sie können nie vorhersagen, was passieren wird, wenn Sie einem Schauplatz, den Reliquien oder einem (Heiligen)Leben nachgehen. Ich bin sicher, dass es den Heiligen gefällt, wenn wir an ihrem Zeugnis interessiert sind, und sie helfen in der Tat.
Bei meinem ersten Besuch in Eichstätt, wo der hl. Willibald sich mühte, und wo jetzt die Reliquien der hl. Walburga ruhen, kam ich ohne Zimmerreservierung an, am späten Samstagnachmittag. Ich hatte gehofft, im Gästehaus des Klosters bleiben zu können, welches die Nonnen für Pilger und andere Reisende unterhalten. Das stellte sich als Irrtum heraus! An diesem verlängerten Ferienwochenende war das Gästehaus voll ausgebucht, und die Stadt war voll von deutschen Urlaubern. Freundlich wies mich eine Nonne in Richtung diverser kleiner Hotels. So rollte ich mit meinem schweren Handkoffer davon. Nach zwei oder drei erfolglosen Versuchen fand ich endlich ein Gasthaus mit einem freien Zimmer. Ich zog mich zurück, und dann klappte ich in meiner nervösen Spannung erst mal zusammen. Später aß ich Brot mit Käse, was ich noch rechtzeitig gekauft hatte, bevor die Geschäfte schlossen. Am nächsten Tag sah ich dieselbe Nonne im Kloster wieder. Nun erst erfuhr ich, dass es die Äbtissin war. Sie fragte mich, ob ich denn einen Schlafplatz gefunden hätte, und sagte mir, dass sie den ganzen Abend für mich gebetet hatte.

Ein paar Erfahrungen solcher Art stärkten meinen Glauben. Aber sie lehrten mich auch, Zimmer vorab zu buchen. Ich habe auch gelernt, dass es in den Kirchen oft sehr wenig Personal gibt, und die Kirchenschätze Europas, die Reliquien bergen, können oft nur nach Vereinbarung besichtigt werden.
RTE: Sie sind nun verschiedene Male in Europa auf Pilgerreise gewesen. Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Heilige selbst sie führen?
Matuschka Margaret: Ja, sicher hatte ich solche Gefühle, so wie in der Einleitung erwähnt, z.B. die Erfahrungen mit dem heiligen Gallus in den Wäldern, und zu anderen Zeiten. Es gab auch eine Reihe irdischer „Engel“, die eine Eingebung erhielten, mir zu helfen, wofür ich sehr dankbar bin. An einen erinnere ich mich besonders. In Regensburg war es, während einer langen Wartezeit auf die Zugverbindung nach München. Ich musste einen Anschlusszug in München erreichen, aber es wurde später und später, und der Zug war noch nicht angekommen. Plötzlich sagte mir ein netter deutscher Geschäftsmann mittleren Alters, dass es für München noch eine andere Verbindung gäbe. Er nahm mich rasch mit sich, fand den Zug, setzte mich ganz präzise in den passenden Eisenbahnwagen, und erklärte mir alles Nötige, was ich für diese Reise wissen musste.
An einem andern Tag befand ich mich in einem kleinstädtischen Buchladen, und schaute nach der Vita der hl. Lioba, einer Lokalheiligen. Sie hatten nichts, aber der Geschäftsleiter erinnerte sich plötzlich an ein Buch, das Jahre zuvor von einer Nonne verfasst worden war. Er telefonierte mit dem katholischen Kirchenbüro des Orts. Dort fand die Sekretärin in den Akten eine noch verbliebene Kopie. Es war mir aber nicht möglich, dieses Buch dort abzuholen. So ließ sich der freundliche Mann von mir formell einen Geldbetrag geben und hat gleich am folgenden Tag diese Kopie an die Adresse meines nächsten Aufenthalts geschickt! Das war ein äußerst hilfreiches Buch.

Auch versäumte Züge oder Fahrplanprobleme können frustrieren. Aber auf Pilgerreisen scheint das oft Führung von oben zu sein. Wenn Sie Geduld haben, werden Sie möglicherweise belohnt mit Dingen, die Sie nie erwarteten. Als wir zum Beispiel einmal keinerlei Verkehrsverbindung in eine entlegene heilige Gegend nahe Donauwörth fanden, entschieden wir, stattdessen die Heiligkreuzkirche der Stadt zu besuchen. Wir liefen vom Bahnhof einen Fluss entlang, und dann aufwärts durch den Wald, bis die Kirche erschien. In ihrem Innern gab es eine erstaunliche Anzahl von Reliquien, und in der Pilgerkapelle der Krypta hing ein großes Stück des Ehrwürdigen Kreuzes8, das dem lokalen Herzog Mangold I. von Kaiser Romanus III. überreicht worden war, als er im Jahr 1029 Konstantinopel besuchte. Nach seiner Rückkehr baute Mangold eine Kapelle, und dann später eine größere Kirche und ein Kloster. Dort wurde seit jeher das Kreuz verehrt. An diesem heiligen Ort gebetet zu haben, gehört zu den tiefsten und wirkmächtigsten Momenten meines Lebens, und es zieht mich immer wieder dorthin.

Einige Monate später war ich zurück in Amerika, und meine Kirchengemeinde feierte eines der Kreuzfeste. Als ich das geschmückte Kreuz küsste, erinnerte ich mich an das Kreuz, welches ich in Deutschland verehrt hatte. Das Gefühl, dort gewesen zu sein, war wieder sehr stark. Dies geschah mehr als einmal an solchen Festtagen des Kreuzes. Als ich wenige Jahre später Donauwörth erneut besuchte, war das Kreuz nicht in der Krypta. Eine Nonne der Kirche sagte uns, dass das Kreuz nur zu gewissen Zeiten ausgelegt würde. Doch sie schloss die Sakristei auf, um das Kreuz eigens für uns herauszuholen. Sie nahm sogar den Teil des Holzes aus seinem Gehäuse und erlaubte uns, es zu küssen. Als ich danach wieder bei einem anderen Fest des Kreuzes in der Kirche zugegen war, begannen meine Lippen zu prickeln, und ich dachte: “Diese Lippen haben das Ehrwürdige Kreuz geküsst!“.
Das hatte ganz klar nichts mit mir zu tun, sondern mit der Macht des Kreuzes selbst. Das bewies mir, dass das Stück vom Kreuz, das wir verehrten, dasselbe war, das die hl. Helena gefunden, und das einen Toten zum Leben erweckt hatte und bestärkte meinen Glauben an die Pilgerreisen zu jenen heiligen Plätzen, wo Reliquien verehrt werden, die von unserem Herrn und Seinen Heiligen hinterlassen wurden.


Einheimische deutsche orthodoxe Heilige


RTE: Die Heiligen, über die Sie gesprochen haben, sind alle Missionare von anderswoher, Römer, Angelsachsen, Iren, und sogar aus Afrika. Gibt es auch irgendwelche eingeborene deutsche Heilige?
Matuschka Margaret: Mir wird diese Frage oft gestellt. Dabei geht es nicht nur um Heilige germanischer Herkunft (wozu natürlich auch die Anglo-Sachsen gehören), sondern auch um jene, die in den missionierten Gegenden geboren worden waren. Weil die Gebiete mit deutscher Sprache relativ spät vom Christentum erreicht wurden, gibt es vor dem Schisma wenige einheimische Heilige. Ich weiß vom hl. Otmar bei den Alemannen, der die Einsiedelei des hl. Gallus in ein blühendes Kloster einheimischer Mönche verwandelte, bis seine Feinde ihn fälschlich beschuldigten und er im Exil starb; vom hl. Sturm(ius), einem Bajuwaren, der vom hl. Bonifatius ausgebildet wurde, als Eremit lebte, und dann das berühmte Fuldaer Kloster gründete; vom hl. Liudgar, einem Friesen, der ein herausragender Missionar war für Friesen ebenso wie für Sachsen, im Norden Deutschlands.


Ich weiß, dass ein Heiliger, welcher der Herkunft nach Ihnen nahesteht, Ihnen hilft, eine Verbindung zu ihm aufzubauen, und durch ihn zu Gott. Es gibt aber noch eine breitere Sicht auf dieses Thema. Die ersten tausend Jahre der Christenheit waren gekennzeichnet von großer Bewegung und Wanderung, und das gilt nicht nur für Völker sondern auch (sozusagen) für Reliquien. Darin kann man auch das Werk des Heiligen Geistes sehen. Viele Menschen pilgerten nach Jerusalem und Konstantinopel und brachten dann bei der Rückkehr den Geist der Apostel, den monastischen Einfluss der östlichen Wüstenväter in ihren heimischen Westen und Norden zurück. Damit kam in diese Gebiete auch das Zeugnis der Märtyrer, die Reliquien der Heiligen und Apostel, die lebendige Gegenwart von Teilen des Ehrwürdigen Kreuzes, und sogar ein Nagel vom Kreuz (nach Trier verbracht durch die hl. Helena). Es kamen überdies Missionare und Lehrer verschiedener Völker und Herkunft, die feurig für Christus kämpften, und die für all jene, die sehen und hören konnten, die die himmlische Welt eröffneten. All dies ist auch heute für uns noch geistig gegenwärtig, wenn wir uns nur dafür öffnen. Ich glaube, man kann letztlich nicht von einer speziell deutschen Tradition der Heiligkeit sprechen, sondern findet überall das allumfassende Christentum, das wir aber für die deutschsprachigen Länder erst erschließen müssen.

Margaret Bauman
Übersetzung aus dem Englischen von Peter U. Trappe
1 Englischer Ausgangstitel in der Frühjahrsausgabe 2010 der Zeitschrift ‚Road to Emmaus‘: „Orthodox Roots, Woods and Water – A Decade of Pilgrimage Through Germany and Switzerland”. Aufgrund der Freizügigkeit der russischen Übersetzung von Dmitrij Lapa, vgl. http://www.pravoslavie.ru/put/61795.htm, nutzen wir zwecks Vermeidung von Missverständnissen fast ausschließlich das Original der englischen Vorlage.
2 Im Interview von ‘Road to Emmaus’ finden wir als Anrede für Frau Margaret Bauman den Ausdruck Popadia. Das kommt lt. Wikipedia aus dem Makedonischen: Popadija (vom Wort pop, verheirateter Priester), bedeutet also: mit dem Priester verheiratet, griechisch: Presbytéra, rumänisch: Preoteasa, russisch: Màtuschka. Da das deutsche Wort „Mutter“ eher als monastische Anrede gebräuchlich ist, verwenden wir hier vorläufig den noch eher bekannten, der russischen Übersetzung entnommenen Ausdruck „Matuschka“.

3 ‚Road to Emmaus‘ wird im Interview abgekürzt zu RTE.
4 Die wichtigsten Reliquien des hl. Goar befinden sich, ziemlich versteckt, in einer Kirche in Koblenz 
5 Die Alliierten Streitkräfte bombardierten Köln in 262 separaten Luftangriffen und zerstörten die gesamte Innenstadt mit Bombenteppichen, wobei sie auch die Bevölkerung um 95 % reduzierten! Dass irgendetwas gerettet wurde, ist in der Tat ein Wunder.

6 Die Thebäische Legion ist eine Legion römischer Soldaten aus Theben (Ägypten), die Christen waren und am Ende des 3. Jahrhunderts dienten. Sie wurden Märtyrer für ihren Glauben in den Schweizer Bergen, in der Stadt Agaunum, heute bekannt als St. Moritz. Ihr Führer, der heilige Mauritius und zwei andere Offiziere, die heiligen Exuperantus und Candidus, sind die einzigen, die wir dem Namen nach kennen. Von anderen Einheiten der Thebäischen Legion glaubt man, dass sie stationiert waren im heutigen Italien, in der Schweiz, und längs des Rheins im heutigen Deutschland. Die Märtyrer dieser Einheiten schließen die oben erwähnten hll. Felix und Regula von Zürich / Schweiz ein, so wie auch den hl. Gereon und seine Gefährten in Köln / Deutschland.

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