Montag, 31. März 2014

Ein Dialog zu Großenfastenzeit



Im Folgenden lesen Sie eine theologische Reflexion über den Sinn und die Bedeutung des Großen Fastens, das uns jeden Tag der Woche der Großen Herrlichkeit näher bringt, von Diakon Augustin Sokolovski und Priestermönch Iosif (Pavlinchuk).
Zur Einführung
Priestermönch Iosif (Pavlinchuk) : Das Große Fasten nähert sich seiner Vollendung. Versuchen wir uns auf das, was wir durchlebt und gelernt haben, zu besinnen, und zu verstehen, worin für uns der Sinn des Fastens besteht, was sein Ziel und sein Zweck ist. Traditionell beginnen wir unseren Dialog mit Fragen, also mit der Problematik, die sich an uns alle richtet, in erster Linie an uns selbst. Im patristischen Erbe sind dem Thema „Fasten“ zahlreiche Traktate, Predigten und Belehrungen gewidmet. Auch in der gottesdienstlichen Literatur hat das Große Fasten eine besondere Stelle. 
Was ist das für eine Periode im Leben der Kirche, im Leben jedes Christen? Wofür fasten wir? Was ist der Sinn des Fastens – sowohl spirituell als auch vom Standpunkt der körperlichen Enthaltung? Und warum schenkt die Kirche dem Fasten und der Fastenzeit solche besondere Aufmerksamkeit?

Die Zeit Christi
Augustin Sokolovski : Das Große Fasten ist der Eintritt in die Wanderung des Jünglings Gottes Jesu Christi. Sein Weg, der von uns in unserem ganzen Leben wahrgenommen und durch die evangelischen Lektüren[1] im Laufe des Jahres weitergeben wird, zeigt sich uns mit besonderer Kraft und Deutlichkeit in dieser Zeit, die symbolisch 40 Tage lang dauert und Ostern vorhergeht. Das Große Fasten ist die Zeit des Herrn, die Zeit seiner irdischen Herrlichkeit.
Vater Iosif : Die Kirche legte besondere Tage, Perioden und Feste des Jahres fest, die mit dem irdischen Leben unseres Herrn Jesus Christus zusammenhängen. Das vierzigtägige Fasten ist sowohl die Erinnerung an den vierzigtägigen Aufenthalt Christi in der Wüste als auch Vorbereitung auf die Karwochen sowie die Erfüllung des Gebots über den Zehnten. Bildhaft gesprochen ist 40 Tage ein Zehntel des Jahres. Wir widmen und geben diese Zeit Gott. Als Gabe haben wir ein wertvolles Geschenk erhalten – Zeit, und ein Zehntel davon bringen wir Gott dar. Eine 40jährige Periode gilt auch als Zeitspanne für eine Generation. Auf diese Weise „befehlen (übergeben) wir uns selbst und einander und unser ganzes Leben Christum, Gott.“

Osterzeit
Vater Augustin: Tatsächlich unterscheidet sich das Große Fasten von allen anderen Fastenzeiten, die in der Satzung der Kirche enthalten sind, auf besondere Weise. Es ist das Osterfasten – die Rückseite der Auferstehung, in die der Mensch, in Berührung mit dem Kreuzweg des Großen Leidendulders, eintritt
Vater Iosif: Der Kreuzgang des Heilands ist auch unser Weg. „ Wenn jemand mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf täglich und folge mir nach“ (Lk 9,23) – so spricht Christus jede gläubige Seele an. An den Tagen des Großen Fastens kommt ein Christ näher als an anderen Tagen an den engen Pfad, den dornigen Weg. Und auf diesem Weg begegnet er einer Menge Prüfungen, Schwierigkeiten, innerem Schmachten, Ratlosigkeit. Verliert er die Achtsamkeit, kann er in einem Augenblick in den Abgrund der Schwermut, der Verzweiflung und der Gottverlassenheit geraten. Auf diese Weise, indem der Mensch mit dem Heiland mitleidet, nimmt er sein Bild, das Bild des Gekreuzigten und Auferstandenen, das Bild des Neuen Adam wahr.
Vater Augustin: Einer der wichtigen Bestandteile der vorösterlichen Fastenzeit ist die asketische Besinnung. Askese öffnet sich als ein Weg der Selbstbewahrung, in der der Mensch sich zwei grundlegende Dimensionen seines Seins bewusst macht: Beschränktheit und Endlichkeit. Durch die Annäherung an die Wahrheit über sich selbst in Christum können wir eine neue Dimension erringen. Sie öffnet sich in der Unsterblichkeit der Gnadengabe.

Fasten und Verzeihen
Vater Iosif: Die asketische, spirituelle und theologische Besinnung des Fastens ist sehr wichtig, aber alleine nicht ausreichend. Das Fasten verlangt nach etwas mehr, nach unserer Teilnahme. Und diese Teilnahme beginnt mit der Versöhnung am Sonntag des Vergebens. Christus belehrt seine Jünger: „ Wenn du nun deine Gabe darbringst zu dem Altar und dich daselbst erinnerst, dass dein Bruder etwas wider dich habe, so lass daselbst deine Gabe vor dem Altar und geh zuvor hin, versöhne dich mit deinem Bruder; und dann komm und bringe deine Gabe dar“ (Mt 5,23-24). Das ist der Beginn des Fastens. So beruft uns die Kirche, hineinzutreten, in den heilsamen Strom hineinzukommen.
Vater Augustin : Die Bitte um das gegenseitige Verzeihen wiederholt sich im Laufe des Gottesdienstes an jedem Tag des liturgischen Jahres. So wird die Ordnung des Verzeihens, die an der Schwelle des Großen Fastens steht, zur Kulmination dessen, wovon die Kirche im Laufe des Jahres lebte.
Zugleich erinnert uns das Verzeihen vor dem Eintritt ins Große Fasten daran, was wir bereits aufgehört hatten zu bemerken – unser Verzeihen in Gott, das, nach dem Wort Christi, im gegenseitigen Verzeihen auffindbar ist. Der Ort des Verzeihens ist derjenige, der nahe steht.

Dialektik des guten Werkes
Vater Iosif : Im Verzeihen öffnet sich uns ein anderes spirituelles Geheimnis – Demut. Der Nachlass der Sünden des Nächstens ist nur durch Demut, durch Selbstherabsetzung, durch Bewusstmachung des eigenen Unvermögens und der eigenen Sünde zu erreichen; im Gegenfall wird es Falschheit, Heuchelei und Lüge sein. Unser Herr Jesus Christus rief seine Jünger mehrmals dazu auf: in seinem persönlichen Beispiel der Demut; seiner Mahnung, die Schriftgelehrten und Pharisäer nicht nachzuahmen; seinem Aufruf zur Bescheidenheit bei der Verrichtung der Tugenden des Almosens, des Fastens und des Gebets – all das ist für uns Orientierung in diesem asketischen Werk des Vorwärtskommens.
Jede Verschärfung der Eigenliebe und Stolzes, die sich nach den ersten erfolgreichen Schritten am Anfang des Fastens unverzüglich zeigen, kann und muss durch das Gefühl der Demut und das Bewusstmachen der eigenen sündhaften Übertritte und der eigenen Schwäche beantwortet werden.
Vater Augustin : Die Wahrnehmung der Tugend und der Wunsch, sie sich anzueignen und im eigenen Leben zu entwickeln, darf nicht mechanisch sein. Einer der Wüstenväter sagte: „Während du den Heiligen nachahmst, fürchte dich, das zum Beruf zu machen.“
Die Dialektik der Fastenzeit eröffnet sich im Wunsch und der gleichzeitigen Notwendigkeit, die Grundlagen des Verzichts, auf denen das Fasten aufbaut, zu erfüllen. Dabei verzichten wir während des Fastens nicht nur bzw. weniger auf böse Taten, sondern hauptsächlich auch auf die guten Sachen. Besonders deutlich wird diese Antinomie in der Unmöglichkeit, während der Fastenzeit an den Wochentagen die Liturgie zu zelebrieren.

Am Treffpunkt von Altem und Neuem Testament
Vater Iosif : Dazu sollte gesagt werden, dass auch keine Ordnungslektüren aus dem Neuen Testament vorgelesen werden, sondern diese aus dem Alten Testament stammen. Die ganze Periode des Großen Fastens wird von der Kirche als Erlebnis eines alttestamentarischen Zustands zelebriert, Erlebnis der Zerknirschung über die Sünden und der Reue über die verlorene Reinheit. Es ist der Zustand des Klagens über das verlorene Paradies, über die verlorene Gemeinschaft mit Gott, über die nicht zustande gekommene Gottähnlichkeit. Der Bußkanon des Andreas von Kreta, der an den ersten vier Abenden des Großen Fastens während des Großen Apodeipnons vorgelesen wird, ist ein markantes Beispiel dieses spirituellen Zustands. Doch sollte nicht vergessen werden, dass die Zeit des Großen Fastens auch die Zeit der Vorbereitung der Begegnung mit dem Messias und der Zelebrierung der Auferstehung Christi ist. In den Parömien, Psalmen und Großfastenhymnen erschallen fröhliche Verheißungen über die Ankunft des Heilands in der Welt, über die allgemeine Auferstehung, über die Vergebung Gottes und seine Liebe an die Menschheit.
Vater Augustin: Ich denke, dass die Zuwendung zu alttestamentarischen Lektüren während des Großen Fastens uns die Besinnung dessen ermöglicht, dass das Wort Gottes im Laufe des Jahres aufhörte, bemerkbar zu sein. Die gesamte Bibel ist voll mit seiner Präsenz, die im Lesen im Glauben und mit Geduld spürbar wird. Der ostchristlichen Tradition ist der Dualismus der Gegenüberstellung alttestamentarischer und der neutestamentarischer Schriften im Allgemeinen fremd.

Die Annäherung der Herrlichkeit
Vater Iosif : Die Heilige Schrift ist ganzheitlich und unteilbar, aber in ihrer Struktur ist sie historisch und dynamisch. Das Mysterium der Heilsordnung Gottes öffnet sich dem Menschen allmählich, in zeitlichen Abschnitten. Deshalb erinnert uns auch der Weg des Fastens an diesen Erziehungsprozess. Dieser beginnt aber vor der Rückkehr an den Ausgangspunkt, an die Erschaffung der Welt, an den Sündenfall, an die Welt, in der alles von Gott spricht und alles die Herrlichkeit Gottes widerspiegelt, und in der alles, was geschieht, alle Ereignisse mit Gott unmittelbar verbunden sind, wo alles und auch der Mensch die wahren Dimensionen seines Lebens findet; und nachdem er sie gefunden hat, büßt er und versucht, sich mit Tugend zu bekleiden.
Vater Augustin : Das Große Fasten vollendet sich in der Woche des Leidens Christi. Christus wird ans Kreuz geschlagen – wegen der Bosheit derjenigen, die IHM nicht verzeihen konnten. In mystischer Teilnahme an seinem Werk eröffnet sich uns und der Welt die Verheißung der Realität der Rückgewinnung der Herrlichkeit, des gelobten Eintritts in die Welt des Reiches, die für uns vom Erlöser vorbereitet wird. Die Sünde – die verlorene Herrlichkeit – wird mit dem Sieg seiner Auferstehung überwunden. „ Und Jahwe der Heerscharen wird auf diesem Berge allen Völkern ein Mahl von Fettspeisen bereiten, ein Mahl von Hefenweinen, von markigen Fettspeisen, geläuterten Hefenweinen. Und er wird auf diesem Berge den Schleier vernichten, der alle Völker verschleiert, und die Decke, die über alle Nationen gedeckt ist. Den Tod verschlingt er auf ewig; und der Herr, Jahwe, wird die Tränen abwischen von jedem Angesicht, und die Schmach seines Volkes wird er hinwegtun von der ganzen Erde. Denn Jahwe hat geredet“ (Jes 25,6-8).


[1]In der Orthodoxen Kirche sind jedem Tag ein oder mehrere Abschnitte aus dem Evangelium zugeteilt, die während der Liturgie vorgelesen werden. (Anm.d.Ü.)

Quelle:http://de.bogoslov.ru/text/1612962.html

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