Wenn wir erst einmal eine Lehre der Heiligen Schrift subjektiv als richtig angenommen haben, dann scheinen uns alle Stellen, die wir (oberflächlich) lesen, in unserer diesbezüglichen Annahme zu bestätigen bzw. wir legen sie im Licht unseres Vorverständnisses aus. Ein intensiveres und ergebnisoffenes Lesen aber offenbart uns den wahren, bisher verborgenen Sinngehalt dieser Passagen.
Auch wenn wir an anderer Stelle uns bereits mit der Bedeutung des „Lösegeldes“ beschäftigten und auch damit, wie die satisfaktorische bzw. forensische Auffassung das Opfer Christi ungültig macht, befasst sich folgender Artikel mit dem Wort des "Freikaufs", das in Galater 3,13 angeführt wird. Was genau meint diese Stelle? Unterstützt sie etwa die westliche Auffassung, die in Gott einen fordernden Richter sieht, der den Tod eines Gerechten verlangt für die Errettung der Schuldigen?
Die Stelle, die uns jetzt beschäftigen wird, ist also Galater 3, 13:
altgriechisch: Χριστός ημάς εξηγόρασεν εκ της κατάρας του νόμου γενόμενος υπέρ ημών κατάρα· γέγραπται γαρ· επικατάρατος πας ο κρεμάμενος επί ξύλου
deutsch (immer Luther 1912): Christus aber hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns (denn es steht geschrieben: „Verflucht ist jedermann, der am Holz hängt!").
Diese Passage wird von manchen dazu verwendet, um zu behaupten, dass angeblich Gott Sich im wörtlichen Sinn eines Prozesses des Gebens und Nehmens, eines Handels, bedient hätte, um die Rettung der Menschheit auf eine forensische oder satisfaktorische Art zu erkaufen. Und in der Tat wird ein "Freikauf" durch eine "Transaktion" auch auf gewisse Weise angeführt. Eine gründliche Überprüfung der Stelle offenbart indessen eine ganz andere Bedeutung als jene, von der fälschlicherweise ausgegangen wird.
1.) Auf wen bezieht sich die Stelle?
Die Stelle ist eine Fortsetzung der Argumentation Pauli in den Versen 10-12, in denen er die Weise erklärt, auf die das Gesetz Ursache des Fluches wurde, nämlich deshalb, weil alle Israeliten das Gesetz nicht in allen Punkten wahren konnten (es war Keinem möglich) und so alle verflucht waren.
In den Versen 10-12 steht:
Όσοι γαρ εξ έργων νόμου εισίν, υπό κατάραν εισί· γέγραπται γαρ· επικατάρατος πας ος ουκ εμμένει εν πάσι τοις γεγραμμένοις εν τω βιβλίω του νόμου του ποιήσαι αυτά· 11 ότι δε εν νόμω ουδείς δικαιούται παρά τω Θεώ, δήλον· ότι ο δίκαιος εκ πίστεως ζήσεται. 12 ο δε νόμος ουκ έστιν εκ πίστεως, αλλ' ο ποιήσας αυτά άνθρωπος ζήσεται εν αυτοίςDenn die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch. Denn es steht geschrieben: "Verflucht sei jedermann, der nicht bleibt in alle dem, was geschrieben steht in dem Buch des Gesetzes, daß er's tue." Daß aber durchs Gesetz niemand gerecht wird vor Gott, ist offenbar; denn "der Gerechte wird seines Glaubens leben." Das Gesetz aber ist nicht des Glaubens; sondern "der Mensch, der es tut, wird dadurch leben."
Achtung: Hier wird explizit auf Israeliten eingegangen, die "unter dem Gesetz" stehen. Es geht demnach nicht um die Heiden. Über die Heiden wiederum schreibt Paulus im Römerbrief 2,12:
όσοι γαρ ανόμως ήμαρτον, ανόμως και απολούνται· και όσοι εν νόμω ήμαρτον, δια νόμου κριθήσονταιWelche ohne Gesetz gesündigt haben, die werden auch ohne Gesetz verloren werden; und welche unter dem Gesetz gesündigt haben, die werden durchs Gesetz verurteilt werden.
2.) Die Heiden betreffend
Wenn wir also über die "unter dem Gesetz" sprechen, dann ist es nicht möglich, diese Stelle im Zusammenhang mit dem erlösenden Opfer Christi generell auf die Menschheit anzuwenden, die Heiden also miteinzuschließen. Denn es stand nicht die gesamte Menschheit unter dem Gesetz, da Letzteres ausschließlich für die Israeliten Geltung beanspruchte. Wie kann es aber sein, dass Christus die Heiden von dem Gesetz freigekauft hat, wenn diese in keiner Weise und zu keiner Zeit unter ihm standen?
Das Alte Testament selbst nämlich setzt die Heiden nur unter vier Anweisungen, und auch nur diejenigen, die unter Israeliten lebten, gemäß Lev 17, 7-18. Es handelt sich um die einzigen vier Gebote an Heiden, die auf israelitischem Gebiet verweilten, welches die Apostolische Synode sehr schön zusammenfasst in Apg 15: 20, 28, 29. Dort wird den Heidenchristen geboten "sich zu enthalten von Unsauberkeit durch Abgötterei und Hurerei sowie vom Erstickten und vom Blut".
Und selbst wenn wir die Heiden in Pauli Worte hineinsetzen wollten, würden wir mithin wiederum nur diejenigen meinen können, die auf israelitischem Gebiet lebten, und wiederum befanden sich doch jene eben nicht "unter dem Fluch des Gesetzes", denn die erwähnten vier Anweisungen waren ganz einfach einzuhalten. Sicherlich hat die Mehrheit der Heiden, die unter Israeliten lebten, diese Gebote auch leicht umgesetzt, so das sie nicht "unter dem Fluch des Gesetzes" standen wie die Israeliten, die immerzu irgendetwas nicht wahren konnten (niemand konnte das).
3.) Wer ist "ημάς" - "uns"?Anmerkung des Übersetzers: Diese Stelle ist im Griechischen auch deshalb wichtig, weil zwischen "uns" und "euch" sich nur der erste Buchstabe unterscheidet (ημάς, υμάς) und sich diese Worte - und jetzt kommt's - phonetisch überhaupt nicht unterscheiden!
Wenn Paulus schreibt: "Christus hat uns vom Fluch des Gesetzes freigekauft" (er schreibt "uns" mit η, nicht mit υ, es ist also eindeutig), dann bezieht er sich nicht auf die Galater, sondern auf sich selber und seine Landsleute, die Israeliten, die unter dem Gesetz gestanden hatten. Denn offensichtlich standen die Galater nie unter dem Gesetz, außer Einige von ihnen waren Israeliten.
Da der Vers nun nachgewiesenermaßen nicht von dem Erlösungsopfer Christi generell ffür die Sünden der ganzen Welt spricht, sondern insbesondere von dem "Freikauf" der Israeliten von dem Fluch des Gesetzes, können wir nun die Art und Weise betrachten, mit der Christus die Israeliten von dem Fluch des Gesetzes „freigekauft" hat, um festzustellen, ob in diesem Fall über einen merkantilen bzw. forensischen "Handel" oder über etwas Anderes gesprochen wird.
4.) Wie wurde Er zum ... Fluch?
Es steht nun in Galater 3,13:
Χριστός ημάς εξηγόρασεν εκ της κατάρας του νόμου γενόμενος υπέρ ημών κατάραChristus aber hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns.
Was bedeutet "ward ein Fluch"? Wandelte sich Christus etwa in einen Fluch? Denn das heißt diese Stelle im wortwörtlichen Sinne. Es ist aber offensichtlich, dass es metaphorisch gemeint ist, denn sie will uns aufzeigen, wie verflucht das Kreuzesopfer des Herrn ist, denn "verflucht ist jedermann, der am Holz hängt!"
Wie das Gesetz sagt (Dt 21, 22-23):
Εάν δε γένηται εν τινι αμαρτία κρίμα θανάτου και αποθάνη και κρεμάσητε αυτόν επί ξύλου, 23 ου κοιμηθήσεται το σώμα αυτού επί του ξύλου, αλλά ταφή θάψετε αυτό εν τη ημέρα εκείνη, ότι κεκατηραμένος υπό Θεού πας κρεμάμενος επί ξύλου· και ου μη μιανείτε την γην, ην Κύριος ο Θεός σου δίδωσί σοι εν κλήρωWenn jemand eine Sünde getan hat, die des Todes würdig ist, und wird getötet, und man hängt ihn an ein Holz, so soll sein Leichnam nicht über Nacht an dem Holz bleiben, sondern du sollst ihn desselben Tages begraben, denn ein Gehenkter ist verflucht bei Gott, auf daß du dein Land nicht verunreinigst, das dir der HERR, dein Gott, gibt zum Erbe.
Gemäß dem Gesetz und der zitierten Deuteronomiumstelle, ist der am Holz Gehängte verflucht "Wenn [er] eine Sünde getan hat, die des Todes würdig ist...". Aber Christus hatte nicht gesündigt! Wie wurde er demnach zum Fluch? Die metaphorische Bedeutung ist offensichtlich.
Die Israeliten dachten er wäre verflucht, sie betrachteten Ihn als verflucht, als am Holz Gehängten, als Gottlosen gemäß ihrem Gesetz. Zum Fluch werden bedeutet, Er würde gleichgestellt werden mit den verfluchten Gekreuzigten des Gesetzes.
Wenn wir nun eine eindeutig metaphorische Aussage haben, wie ist es dann möglich, dass manche den ebenfalls metaphorisch gemeinten Sinn des "Geschäftes" wörtlich auffassen, wenn das Zitat sagt, Er "hat uns freigekauft"? Wenn also schon eine metaphorische Aussage in einer Passage existiert, wie kann man dann im gleichen Zitat - ja sogar im gleichen Satz - "freigekauft" wortwörtlich nehmen? Wie dogmatisiert man Wortwörtlichkeit in einem offensichtlich metaphorischen Satz?
5.) Wie wurde das Gesetz ungültig?
Das oben Genannte betrachtend, ergibt das Zitat nun seinen wahren Sinn. Da der ohne Sünde wie ein Verfluchter gemäß des Gesetzes Gottes starb, setzt Er das Gesetz außer Kraft, weil er sich das Recht auf Auferstehung erwirkt. Der einzig Reine hat das Recht den Tod zu besiegen und aufzuerstehen (denn er wurdeungerechterweise verurteilt). Und natürlich mit Ihm alle, die an Ihn glauben und an Seinem Leib Anteil haben, die sich also in der Taufe mit Christus kleiden (Gal 3, 27). Das ist es, was ihnen gesagt wird und ihnen erklärt wird, dass sie als Mitglieder des Leibes Christi selber "Christus" sind und Anteil haben an Seinem Sieg über den Tod. Ein Sieg, der möglich wurde, weil der Reine ungerechtfertigt als "Verfluchter" starb.
Paulus erklärt, dass während Keiner es schaffte, das Gesetz komplett zu wahren, um durch das Gesetz gerettet zu werden, sondern im Gegenteil alle zu "Verfluchten" wurden (Gal 3, 10-12), Christus sogar als Reiner wie ein Verfluchter starb! Und das Recht auf Auferstehung, Seinen Sieg über den Tod gibt Er weiter an alle Gläubigen wie weiter unten in Vers 22 gesagt wird "Aber die Schrift hat alles beschlossen unter die Sünde, auf daß die Verheißung käme durch den Glauben an Jesum Christum, gegeben denen, die da glauben."
Wenn wir also durch den Glauben an Christus errettet werden können, wozu brauchen wir dann das Gesetz, das niemand zu wahren im Stande war, der unter ihm stand? Ist dieser Glaube nicht der Ausgang aus dem Fluch des Gesetzes, das dich verflucht, aber nicht zu erretten vermag? Ist also das Opfer Christi nicht der "Freikauf“ vom Gesetz, wo doch keiner mehr das Gesetz wahren muss, um errettet zu werden?
6.) Die Heiden betreffend
In Gal 3, 14 steht: "auf dass der Segen Abrahams unter die Heiden käme in Christo Jesu und wir also den verheißenen Geist empfingen durch den Glauben." Das heißt, während hier über Israeliten gesprochen wird und über ihre Errettung vor dem Gesetz durch das Opfer Christi, wird auf einmal auch gesagt, dass genau dieses Opfer die Möglichkeit zur Errettung auch auf die Heiden überträgt. Da man kein Israelit mehr sein und das Gesetz nicht mehr wahren muss, um errettet zu werden, aber dass diese Errettung durch den Glauben sich auf alle Mitglieder des Leibes Christi ausbreitet, so dass auch sie am Sieg über die Sünde und den Tod teilhaben.
Paulus erklärt also, dass der "Freikauf" der Israeliten vom Gesetz durch das Opfer Christi sich nun auf alle Heiden ausbreitet, auch wenn sie selber nicht "unter dem Gesetz" standen, jedoch auch auf dem Pfad des Verlustes waren ohne Aussicht auf Errettung - nicht mal mit der Wahrung des Gesetzes. Aber jetzt gibt es einen neuen Weg der Errettung, durch den Glauben an Christus, an dem alle teilhaben und errettet werden können.
Natürlich spricht die Stelle über die Errettung der Heiden in Christus. Aber die Errettung wird nicht abhängig gemacht von der Befreiung von dem Fluch des Gesetzes, wie das bei den Israeliten der Fall gewesen war, sondern von dem Opfer Christi und Seinem Sieg über den Tod.
Und in all dem gibt es kein "Geschäft" forensischer Art bzw. keine Befriedigung verwerflicher Anforderungen angeblicher "göttlicher Gerechtigkeit". Es gibt nur die Öffnung eines neuen Weges zur Errettung, dieses Mal für alle durch den Glauben an Christus. Jedoch nicht durch das Gesetz für jene unter dem Gesetz, die dadurch ebenfalls vom Fluch des Gesetzes befreit wurden.
7.) Wieso Wortwörtlichkeit statt Metapher?
Nach allem, was bisher gesagt wurde, ist nun der (metaphorische) Sinn der Formulierung "Christus uns freikaufte..." eindeutig klar. Ich erkaufe etwas, wenn ich einen Gegenwert bezahle, um in den Besitz von etwas zu gelangen. Ich verzichte auf etwas, um etwas Anderes zu erhalten. Christus bezahlte etwas, gewann jedoch etwas Anderes. Er bezahlte mit seinem Leben und seinem "Ansehen" in der Welt und gewann die Befreiung der "unter dem Gesetz" lebenden Israeliten vom Fluch des Gesetzes.Und mit ihnen gewann er auch das Leben der Heiden, die an Christus glauben und sich mit Ihm kleiden durch die Taufe. Er bezahlte etwas, er gewann etwas.
Wenn wir wortwörtlich über das Wort "freikaufen" sprechen, dann betrachten wir
- denjenigen, der für eine Dienstleistung oder ein Gut bezahlt (gibt) und
- denjenigen, der bezahlt wird (nimmt).
Aber Jesus bezahlte niemanden. Er bezahlte nur (er gab). Mit seinem Leben! Ohne dass es jemanden gab, der etwas erhielt (nahm). Denn wer konnte das Leben Christi erhalten, mit dem Christus bezahlte? Keiner. Nirgendwo in der Stelle steht, dass das, was Christuts bezahlte, irgendjemand erhielt. Er bezahlte einfach nur! Und es steht dort übrigens auch nirgendwo, dass jemand eine Bezahlung verlangte. Denn, abgesehen davon, was sollte dieser jemand mit solch einer Bezahlung anfangen?
Denjenigen, die immer noch nicht verstehen, die auf westliche Weise an einer Art forensischer Auffassung Gottes und Seiner Gerechtigkeit anhängen, wollen wir ein Beispiel nennen:
Stellen wir uns ein Gebiet in Afrika vor, in dem der Fluch der Malaria jedes Jahr Tausende umbringt. Und ein Arzt geht in jenes Gebiet, um die Menschen gegen Malaria zu impfen. In jenem Gebiet grassieren aber auch andere Seuchen, gegen die der Arzt selber nicht geimpft ist, nur gegen Malaria. Während nun seine Impfungen Tausende retten bzw. vor dem Tod durch Malaria bewahren, infiziert sich der Arzt mit einer anderen der Seuchen. Und stirbt. Der Fluch des Todes kommt auf ihn, auch wenn er Tausende errettete. Was gewann er? Tausende von Leben! Was verlor er? Sein Leben! Er gab etwas für diesen Zweck und er erhielt etwas. An wen gab er sein Leben? An niemanden. "Der Preis" für die Rettung Anderer war sein eigener Tod. Und sein Tod war durch niemanden vorherbestimmt. Er war voraussehbar, als möglicher Ausgang seines Werkes, aber nicht vorherbestimmt.
Dasselbe gilt für den Tod Christi. Mit Seinem Leben bezahlte er "den Preis" für die Errettung uns aller, und für die Befreiung der Israeliten vom Fluch des Gesetzes.
Keiner verlangte diesen Tod als Gegenwert für die Errettung der Menschen (auch wenn der Allwissende von vornherein wusste, dass das geschieht). Dass Sein Opfer errettend wirkt, das war verlangt. Nicht das Geschäft, aber die Errungenschaft, die der Verlust Seines Lebens erwirkte. Abgesehen davon, welcher vernünftige Mensch könnte einen "Gott" lieben, der nicht nur das Leben eines Unschuldigen zur Errettung der Schuldigen als Gegenwert vorsieht, sondern dies verlangt? Welcher vernünftige Mensch könnte dieses Verbrechen als "Gerechtigkeit" bezeichnen?
oodegr.com
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