Freitag, 14. März 2014

Der Heilige -Archetyp der Orthodoxie (Teil 1) - Altvater Basilios von Iviron

Die Heiligen Zyperns

Wenn wir, als Priester und als Menschen, die in der Orthodoxen Kirche leben, von Heiligen reden hören, kommt uns unwillkürlich jener Augenblick der Göttlichen Liturgie in den Sinn, wo der Priester sagt: "Das Heilige den Heiligen."In jenem Augenblick sind wir ratlos und empfinden, dass keiner von uns heilig ist. Deshalb antwortet das Volk durch die Stimme der Kantoren: "Einer ist heilig, einer ist Herr, Jesus Christus, zum Ruhme Gottes des Vaters. Amen."  Eben deshalb, weil es diesen  Einzigen Heiligen gibt, den Einzigen Herrn, haben wir Hoffnung und können auf unseren Füßen stehen.  Und wir erkennen, dass  jede Heiligkeit, jede Gutheit von dem Einzigen Heiligen stammt,  denn dieser Heilige, Jesus Christus, ist der Sohn Gottes. Er ist Gott Selbst.

Aus Liebe erschuf Gott die Schöpfung

In unserer Kirche, der Orthodoxen Kirche, der Einen, Heiligen, Katholischen und Apostolischen, glauben wir, dass Gott nicht nur liebt, sondern  Liebe ist (1 Joh 4,8). Wie geschrieben steht,  ist Liebe das, was das eigentliche Sein Gottes ausmacht. Eine Über-fülle von Liebe. Der heilige Gregor der Theologe sagt: "Weil es der Gutheit nicht genügen konnte, Sich in  der Betrachtung Ihrer Selbst allein zu bewegen,  mußte das Gute Sich ausgiessen und hinausgehen aus Sich Selbst."

Deshalb erschuf Gott zuerst die Ordnungen der Engel und danach den Menschen. "Das Gute mußte Sich ausgießen und hinausgehen aus Sich Selbst." Es mußte sich ausgießen und ausbreiten. Für Gott Selbst bestand hiezu keinerlei Notwendigkeit. Die Seligkeit Gottes ist vollkommen, doch eben deswegen, weil Er Überfülle von Liebe ist, wollte Er, dass das Gute ausgegossen werde und hinausgehe aus Sich Selbst, "damit die  Empfänger Seiner Wohltat sich vermehren", und so erschuf Er neue Wesen, neue Personen, die Teilhaber werden konnten an dieser göttlichen Seligkeit. 
Gott ist Liebe, und Er ist auch  absolute Freiheit. In Freiheit liebt Er,und in Liebe schenkt Er Freiheit. Deshalb sagen wir in der  Göttlichen Liturgie: "Aus der Fülle Deines Erbarmens hast Du alle Dinge aus dem Nichtsein ins Dasein gebracht." Und in der Folge, als Gott den Menschen formte, formte Er ihn als ein  neues Geschöpf, als Krone Seiner Schöpfung  -ein geplagtes Geschöpf jedoch, wenn man so sagen darf, welches auch Gott plagt. Doch vielleicht nahm Gott  lieber  diese Plage des Menschen und Seine eigene  in Kauf, als uns ohne Freiheit und ohne Liebe zu erschaffen, das heißt wie Tiere, wären es auch gescheite,  womit wir 
unabwendbar und unfehlbar einen Weg durchlaufen hätten, der vom Instinkt diktiert gewesen wäre.

Das gefährliche Geschenk der Freiheit und der Sturz des Menschen

Stattdessen  aber  gab Er uns Seinen eigenen Atem. Und Er machte uns ein gefährliches Geschenk, das Geschenk der Freiheit -ein doppelschneidiges Schwert. Nun konnte der Mensch, wenn er auf die Liebe Gottes antwortete, sich demütigte, gehorchte und Liebe ausgoß, so wie Gott der Vater die Liebe ausgießt, zur Vergöttlichung der Gnade nach gelangen. Das Hingelangen zu jener Vollendung hört nie auf, sondern ist eine endlose Wanderung. 
Es ist die Wanderung der Heiligen. Was aber geschah stattdessen? Kaum hatte Gott den Menschen erschaffen und ihm jene Freiheit verliehen, begann alsbald das Elend der Menschheitsgeschichte. Unser Urvater Adam verfehlte sein Ziel.  Wie der hl. Maximos der Bekenner zusammenfassend sagt: "Freiwillig
und töricht handelte Adam wider die Natur." Von jenem Moment an kam die ganze Krankheit, Sünde und Plage in unser Dasein. 
Zeitalter vergingen, Generationen vergingen, und man konnte sich fragen: Wie lange noch? Gott ist allmächtig, kann Er den Menschen nicht retten? Gewiß kann Er es, doch Er will ihn nicht retten auf eine Weise, die ihn zerstört. Deshalb läßt Er Generation um Generationvorbeiziehen.  Es braucht unbedingt eine Mitarbeit seitens des Menschen, eine freiwillige Umkehr des Menschen zu Gott, denn wie die Väter betonen, nichts Gutes kommt zustand durch Zwang. In einer seiner Homilien stellt der hl. Johannes Chrysostomos die Frage nach 
dem, was  mit Judas geschah, und er antwortet: "Christus hatte die Macht, Seinen Jünger zur Umkehr zu veranlassen, doch Er wollte nicht, dass jener das Gute durch Nötigung tue, noch auch wollte Er ihn mit Zwang an Sich ziehen."

                               

Die Fülle der Zeiten -die Geburt der Gottesmutter

Aus eben diesem Grund, weil Gott uns nicht mit Gewalt an Sich ziehen will, warten wir Generation um Generation.Gott gibt das Gesetz, sendet die Propheten, und schließlich kommt die Fülle der Zeiten. Die Fülle der Zeiten, die Erfüllung der Tage, ist die Geburt und das Auftreten der Allheiligen Gottesmutter. Als die reine, die absolut makellose und absolut demütige Tochter Maria geboren wird, ist die Zeit erfüllt, während welcher Gott wartete, um der Menschheit zu helfen. Nun gibt es einen demütigen Menschen, der liebt, der rein ist, der frei ist und keinen eigenen, rebellischen Willen hat. Sie kannZwiesprache  halten mit dem Erzengel Gabriel  und den himmlischen Gruß empfangen und sagen: "Es geschehe mir nach deinem Wort" (Lk 1,38). 
Als die Fülle der Zeit kam, sandte Gott Seinen Sohn, geboren aus der Frau, geboren unter dem Gesetz, damit Er die unter dem Gesetz loskaufe, damit wir als Söhne angenommen werden könnten (Gal 4,5-6). Die  "Fülle der Zeit"ist die Allheilige Gottesmutter. Nikolaos Kabasilas sagt:Als Gott alle Dinge erschaffen hatte, sah Er, dass alles  sehr gutwar (Gen 1,31), und diese Gutheit und Schönheit der Schöpfung  zeigt sich in der Schönheit der Allheiligen Gottesmutter, der"Schönsten unter den Frauen", wie unsere Hymnographie sie charakterisiert, weil sie jene äußerste Reinheit und Demut erreichte. Sie  wurde nicht bloß gewürdigt, sichim Geistmit Gott zu beschäftigen, sondern den Sohn  und Logos Gottes Fleisch werden zu lassen in ihrem Schoß. Unddas Wort wurde Fleisch (Joh 1,14). 


Das Heilswerk des Erlösers

Während Adam freiwillig wider die Natur handelte, handelt unser Herr  freiwillig gemäß der Natur und gibt uns das erhabene Beispiel des wahren Menschen. Er zeigt uns, was der Mensch ist, denn der Herr ist zugleich vollkommener Gott und vollkommener Mensch, Er ist der Gottmensch.
Am Verhalten des Herrn sehen wir, dass Er sanft und demütig von Herzen ist (Mt 11,29). Wir sehen, was der heilige Johannes der Theologe sagt:  Das Gesetz wurde durch Moses gegeben, doch die Gnade und die Wahrheit kam durch Jesus Christus  (Joh 1,19). Mit dem Kommen der Gnade und der Wahrheit durch Christus wurde unser Heil verwirklicht.Der Sohn Gottes wurde Mensch. Er wurde weder System, noch Gesetz, noch Theorie,sondern Er wurde Mensch undlebte als Mensch wie wir, doch ohne Sünde, einfach und demütig. Er erzeigte uns Liebe. Er durchzog das Land, Wohltaten spendend und alle heilend (Apg 10,38).  Er sprach die Sprache, die die Leute verstanden. Das heißt  -der eine verlangte Brot, und Er gab ihm welches. Eine Mutter weinte, weil sie ihren einzigen Sohn verloren hatte, und Er erweckte ihn. Andere waren blind und erbaten vom Sohn Davids, Er möchte Sich ihrer erbarmen, und Er schenkte ihnen das Augenlicht.  Wiederein anderer hatte Aussatz und litt, ausgestoßen von der Welt, mit Wunden bedeckt, und Er machte ihn rein und erlöste ihn von seiner Qual. 
Er sprach die Sprache des Menschen. Er redete nicht eine unverständliche Sprache. Doch Er ging weiter als das. Er sprach  auch über Sein  neuartiges Königreich, die neue Schöpfung, die eine andere Logik bringt. Wenn Er über Sein Reich sprach, sagte Er Dinge, die die Juden nicht recht  verstanden. Deshalb stellt Ihm der heilige Johannes Chrysostomos irgendwo in seinen Kommentaren zu den Evangeliendie Frage: "Warum, Herr, redest Du auf solche Art zu den Juden, wo sie doch nicht verstehen, was Duihnen sagst?" Und der Herr antwortet ihm: "Mit Absicht rede Ich so, damit sie sich wegen der Unklarheit des Gesagten aufraffen 
möchten und selbst  nach der Wahrheit suchen."  So gibt uns der Herr zunächst das, was wir verstehen, und hilft uns dann, nach und nach über dieses hinaus weiterzuschreiten. 
Als die Zeit Seiner Passion kommt, sehen wir wiederum, wie langmütig und geduldig Er uns erträgt. Wir spüren, dass Er unser Verhalten entschuldigen will und uns daher nicht ernst nimmt, sondern uns als Kranke betrachtet. Und da wo wir den ganzen Mob der Geschichte versammeln, um Ihn zu bespucken, zu verhöhnen und zu schmähen, öffnet Er nicht einmal Seinen Mund. Der Prophet Isaiah sagtes:  "Ich widerstehe nicht, ich widerrede nicht. Meinen Rücken  bot ich den Geißeln dar und meine Wangen den  Schlägen"  (Is 50,5).  Hier sehen wir die größte Stärke. Der wirksamste Widerstand besteht darin, dass einer zum Nicht-Widerstehen gelangt. Hier offenbart sich die höchste Kraft  -nicht ungehorsam zu sein und nicht zu widerreden. 
Wir sind schwach, und deshalb sind wir ungehorsam und widersprechen.Erinnern wir uns auch an jene andere Aussage des Propheten Isaiah über den Messias: 
"Ein Mann in Wunden, der Schwäche zu ertragen weiß"  (Is 53,3). Er ist ein verwundeter Mensch, Der den Schmerz zu ertragen weiß. Was uns der Herr hier mit Seinem Beispiel zeigt, ist von eminenter Wichtigkeit -wie wir das Leid, den Schmerz ertragen können.Indem wir den Schritten Christi folgen, gelangen wir in den Garten Gethsemane, und auch dort erweist Er Sich als vollkommener Mensch und vollkommener Gott. Wir sollten die Beschreibung von Christi  Agonie in Gethsemane mit höchster Gottesfurcht und heiliger Scheu 
lesen,  wie ein allerheiligstes Gebet. Dort sehen wir, dass der Herr  -auf menschliche Art gesagt  -ausdrückt, was Ihn bewegt.  Er sagt:  "Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an Mir vorüber"  (Mt 26,39). Und Er gerät in  so qualvolle Bangigkeit,  dass Sein Schweiß wie schwere  Blutstropfen auf die Erde fällt (Lk 22,44). Er bittet Seine Jünger, mit Ihm zu wachen, doch sie vermögen es nicht. Am Ende sagt Er: "Mein Vater, wenn dieser Kelch nicht vorübergehen kann, ohne dass Ich ihn trinke, so geschehe Dein Wille" (Mt 26,42).Als der Herr zu dem  "Dein Wille geschehe"  kommt, ist alles vollendet, die Agonie ist zu Ende. Da sagt Er zu Seinen Jüngern: "Steht auf, laßt uns weggehen von hier" (Joh 19,31). 
Und sie gehen weiter. 


Das neue Leben -die Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen

Altvater Basilios von Iviron auf Athos
Als wenig später die anderen herkommen, mit Laternen, Waffen und Knütteln, um den Herrn festzunehmen, da widersetzt sich Petrus, der nicht imstand war, mit dem Herrn zu wachen und zu beten und wie Er zu sagen:  "Dein Wille geschehe".  Er widersetzt sich, so wie die Welt sich widersetzt.  Er greift zum Schwert und schlägt Malchus das Ohr ab. Doch der Herr sagt ihm, dass das nicht recht ist. Sein Reich ist nicht von dieser Welt.Wäre es von dieser Welt, würde Er den Vater bitten, zwölf Legionen Engel zu schicken, um die Feinde zu  zerschmettern(s. Joh 18,10-11, Mt 26,53). Doch hier ist eine neue Art von König, Der entblößt und ohne Waffen in Allmacht voranschreitet.Ein neuer und großer König, Der keinen anderen Feind hat als die Feindschaft selbst. Sein Ziel ist nicht, irgendwelche Feinde zu besiegen, indem er sie zerschmettert, sondern die Feindschaft abzuschaffen. Deshalb läßt Er zu, dass sie Ihn zerschmettern, dass sie Ihn töten, um allen die Möglichkeit zu verschaffen, zu leben, einzugehen ins ewige Leben.
Hier ist das neue Ethos,  die neue Lebensart. Deshalb werfen die Worte des Herrn,Der soeben gesagt hat:  "Dein Wille geschehe"  und jetzt den Häschern zur Bestätigung Seiner Identität einfach antwortet:  "Ich bin es"  (Joh 18,6), alle Seine schwer bewaffneten Verfolger zu Boden.Dieses Zubodenfallen war ein Segen für sie. Nun schreiten wir fort zur Passion, schreiten fort zum Einzug, zum Kommen des Reichs der Himmel auf Erden.
Als Ihn später die Juden und alle Vorbeigehenden verhöhnten und sagten: "Andere rettete Er, doch Sich Selbst vermag Er nicht zu retten. Wenn Er der König von Israel ist, so steige Er herab vom Kreuz, und dann werden wir  an Ihn  glauben"  (Mt 27,42),  da stieg der Herr nicht vom Kreuz, um einige wenige sehen zu lassen und zum "Glauben" zu bringen. Sondern Er stieg vom Kreuz als Toter und besiegte den Tod durch Seinen Tod. Wie unsere Kirche bekennt: "Indem Er von den Toten auferstand, auferweckte Er mit Sich die Menschheit ins-gesamt".  Oder wie der heilige Johannes Chrysostomos sagt: "Er auferweckte mit Sich Selbst die ganze Welt."

Nun ist die Schöpfung der Familie Gottes möglich geworden.  All denen, die Ihn annahmen, gab Er Macht, Kinder Gottes zu werden (Joh 1,12). Mit der Passion, der Auferstehung, der Auffahrt und  dem Pfingstereignis ist die Kirche geschaffen worden. Anders gesagt, mit diesen ist der neue Sauerteig gekommen,  der den ganzen Teig durchsäuert (s. Mt 13,33).  Mit diesen  ist das Reich der Himmel gekommen, das potentiell in jedem Menschen existiert, in uns allen, und jeden Menschen zur Entfaltung und zum Wachsen bringen kann, sodass er seine wirklichen, ihm im Anfang verliehenen charismatischen Dimensionen annimmt und Gott der Gnade nach wird. 
So gelangen wir zur Gemeinschaft der Heiligen, jener Menschen, die von Christus genährt werden wie die Reben vom Weinstock,und ihrerseits Christusse der Gnade nach werden.


*Diesen Vortrag hielt Altvater Basilios, Prohigumen des Hl. Klosters Iviron (Athos), im September 1986 an der 6. Nationalen Tagung der Theologen Griechenlands in Athen.


Quelle: www.prodromos-verlag.de

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