1. Geistliches Leben und kirchliche Theologie
Die Organisation des Lebens der Kirche in ihrer lokalen und weltweiten Verwirklichung hat ein einziges und unverrückbares Ziel: die Vergottung ihrer Glieder, d.h. ihre “gänzliche” (1. Thes. 5,23) Einordnung in den “Leib Christi”, was den absoluten Zweck und das Ziel des Christseins bildet. Sollte sich dieses Ziel verändern, so hat das automatisch die Entfremdung der Kirche (auf ihrer menschlichen Seite) zur Folge; sie sinkt zu einer weltlichen Gruppierung (Verein, Verband u.ä.) ab und verliert somit den ihr eigenen Charakter. Die wesentlichste Entstellung des Christentums, die sein Wesen unkenntlich macht, ist seine Betrachtung als eine “christliche Ideologie” oder ein System von “Wahrheiten”(1), das der Gläubige aufgefordert ist, anzunehmen, um sein Leben entsprechend zu gestalten. In diesem Fall “erlernt” man das Christentum, wie man eine Lektion in der Schule lernt. Aber das Christentum ist nicht einfach etwas “zu Erlernendes”, sondern vor allem etwas “zu Erleidendes”. Es wird als Leben angeboten, als Einordnung in eine “neue” – geoffenbarte Lebensweise, als das Leben, das das fleischgewordene Wort Gottes, unser Herr Jesus Christus, in die Geschichte einführte. Der Gläubige ist aufgefordert, – auf einem konkreten Weg – zu dem Punkt zu gelangen, an dem er das Bekenntnis des Ap. Paulus auch auf sich anwendet: Ich lebe, doch nicht mehr als Ich, sondern Christus lebt in mir (Gal. 4,19). Es ist die “Gestaltwerdung” Christi im Gläubigen (vgl. bis Christus in euch Gestalt gewinnt (Gal. 4,19). Der Mensch wird der Gnade nach zum Christus-Gottmenschen.
Dieser Weg, der mit einem therapeutischen Wandel der menschlichen Existenz(2) gleichzusetzen ist, ist eben das geistliche Leben, das Leben im Heiligen Geist. Letzteres bedeutet Teilhabe an der vom Heiligen Geiste dargebotenen ungeschaffenen Gnade, die vom asketisch lebenden Gläubigen als “Reich der Himmel” (himmlisches Reich) Besitz ergreift und als Wandeln im Heiligen Geist offenkundig wird. Bestimmung des Menschen ist es, im Licht der Heiligen Trinität zu leben, damit er wahrhafter Mensch und Mitmensch ist, Gott und seinen Nächsten in den Grenzen der Frömmigkeit und der liebenden Uneigennützigkeit wirklich liebt, wie es das Apostelwort besagt: besonnen, gerecht und fromm in dieser Zeit zu leben (Tit. 2,12).
Geistlich ist somit im Sprachgebrauch der Kirche nicht der verstandesmäßig Gebildete, der Intellektuelle, der nach weltlichen Maßstäben Weise, sondern der nach Gottes Maßstäben Weise (Jak. 3,17), derjenige, dem die Würde zuteil wurde, zum Tempel des Heiligen Geistes zu werden, der Geistesträger(3). Wirklich geistlich ist der Vergottete, der Heilige. Das orthodoxe Kirchengebäude ist “mit Heiligengestalten ausgemalt”, ja man könnte sagen, überladen, um jedem Gläubigen ständig sein Ziel vor Augen zu halten: den gleichen Weg wie die Heiligen zu beschreiten, und gleichfalls die Aufgabe der Kirche zu betonen: eine ständige “Werkstatt der Heiligkeit” und, möge es sich auch noch so unpassend anhören, Raum der Schaffung von Heiligen und “geistliche Heilstätte” (Hl. Chrysostomus) – geistliches Krankenhaus zu sein. Diese Begriffe, die den geistlich geprägten Realismus der Kirche offenkundig werden lassen, stützen sich auf ihre Historizität, d.h. auf ihr Verbleiben in der “Welt” (in der Welt, aber nicht von der Welt, Joh. 17,14), um deren Rettung willen, sie in der Geschichte besteht.
Die kirchliche Theologie und das theologische Denken ist Inhalt und Ausdruck des geistlichen Lebens. Mit der Theologie wird die Erfahrung der Erleuchtung durch den Heiligen Geist und die der Vergottung zum Ausdruck gebracht. Die Erfahrung des Heiligen Geistes ist die Voraussetzung der kirchlichen Theologie. Das Wort über Gott setzt die Erkenntnis Gottes voraus(4). Die Gotteserkenntnis kann jedoch niemals die Frucht verstandesmäßigen, intellektuellen, metaphysischen Forschens sein, sondern nur der “Gemeinschaft des Heiligen Geistes” (Göttliche Liturgie). Nach dem hl. Gregor dem Theologen setzt das theologische Denken (das “Philosophieren über Gott”) bekanntlich die Gemeinschaft mit Gott voraus, und ist demnach Sache der Geprüften und “nun zur Schau (d.h. zur Gottesschau) Gelangten, und zuvor in Seele und Leib Gereinigten oder zumindest sich Reinigenden”(5). Die Gemeinschaft mit Gott macht den Menschen zum Theologen; Theologe ist der Heilige. Für die von der Gottesschau herrührende Theologie verwendet die Heilige Schrift den Begriff “Prophetengabe”. Der “Prophet” (als Mund Gottes zum Volk) spricht als Mensch, der Gott geschaut hat, und wirkt somit als Theologe(6).
Das geistliche Leben bildet folglich das Wesen des Kirche-Seins als Christsein. Eben deshalb ist das Ziel der Gegenwart der Kirche in der Welt die Aufnahme und Eingliederung der ganzen Menschheit in die Gemeinschaft mit Gott, die Verkirchlichung der Welt. Denn die Gemeinschaft des Menschen mit Gott durch Dessen ungeschaffene Gnade ist die (ewige) Bestimmung der menschlichen Existenz und die einzige Möglichkeit zur Verwirklichung wahrer Gemeinschaft uneigennütziger Liebe unter den Menschen. In der Kirche als Gemeinschaft in Christo verwirklicht sich das Wort Christi: Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen (Mt. 18,20).
2) Die Hauptkomponenten des geistlichen Lebens
Sind die Askese und der Gottesdienst(7). Die Theologie bringt das Was des Glaubens als Selbstoffenbarung der göttlichen Liebe und als tägliche Verherrlichung und Bekenntnis der Kirche als Leib Christi zum Ausdruck. Askese und Gottesdienst bilden das Wie des Lebens in Christo als Treue zum göttlichen Ruf und Voraussetzungen seiner Verwirklichung.
“Die Rettung in Christo ist die Wiederherstellung des Menschen auf den Weg zur Vollendung und Unsterblichkeit mittels der Gemeinschaft des Heiligen Geistes”(8). Zur “Gemeinschaft des Heiligen Geistes” gelangend, nimmt der Mensch an der Existenzweise Gottes Anteil und verwirklicht sich als “Person”, indem er die Uneigennützigkeit der persönlichen Gemeinschaft der Heiligen Trinität lebt. Dieser Weg erweist sich mit der Eingliederung der ganzen menschlichen Existenz in den Leib Christi als erfolgreich, mit ihrer Verchristung, damit der Mensch zur Wahrheit wird und Gott erkennen (1. Joh. 5,20), mit Ihm vereint, vergottet werden kann.
Diese Lebens- und Existenzweise im Leib Christi ist die Askese; denn das forderte der Herr, indem Er sagte, daß “das Himmelreich Gewalt leidet und Gewalttätige es an sich reißen” (Mt. 11,12). Aber auch der Ap. Paulus bestätigt uns dies mit den Worten: “ich zerschlage meinen Leib und mache ihn mir untertan, damit ich nicht, während ich andern Heroldsdienste tat, selbst dastehe wie einer, der disqualifiziert wurde” (1. Kor. 9,27). Die Askese ist ein Hauptbestandteil des Lebens in Christo und bildet den ständigen Weg der Metanoia-Umkehr, die den Menschen für die göttliche Gnade empfänglich macht. Da der Empfang des Heiligen Geistes (empfanget den Heiligen Geist, Joh. 20,22) das Ziel des Menschen ist, muß er sich der Gnade “öffnen”. Mit der Askese wird die aufrührerische Natur getötet, damit sie wieder zu ihrer Echtheit zurückfindet. Die Heiligung der menschlichen Natur geschah allumfassend “ein einziges Mal” mit dem Heilswerk Christi und der Annahme unserer Natur von Ihm. Mit der Askese wird die konkrete menschliche Person geheiligt und die menschliche Natur auf die Vereinigung mit dem Ungeschaffenen, der Gnade, vorbereitet.
Als Ringen des ganzen Menschen ist die Askese für die Kirche die Methode der theologischen Erkenntnis. Allerdings muß hier betont werden, daß die asketische Bemühung des Gläubigen keinen ethischen Charakter trägt, d.h. sie strebt nicht eine einfache Besserung des Charakters und des Verhaltens an, sondern die persönliche Teilnahme am Fest und der Freude der Kirche, An der “Festversammlung der Erstgeborenen” (Hebr. 12,22). Daher auch weckt sie im Gläubigen ein Gefühl unsäglicher Freude, die jede (pharisäische) künstliche Umsicht und gekünstelte Niedergeschlagenheit, die nichts weiter als eine affektierte vorgeschobene Frömmigkeit ist, verblassen läßt. Die christliche Askese ist ein gewolltes Teilhaben am Gehorsam Christi und Seiner Heiligen, damit der eigene Wille getötet und schließlich in Einklang mit dem Willen Christi gebracht wird (Phil. 2,5), fern aber von jeder gesetzlichen Konvention und auf den eigenen Vorteil bedachtem Streben, einfach als Erkenntnis der Echtheit des Christseins und Entschluß der Hingabe an es. So führt die Askese zum ständigen Genuß der gottmenschlichen Wirklichkeit als Theozentrik und Gottesgemeinschaft.
Die Frömmigkeit und “Spiritualität” der Orthodoxie ist jedoch liturgisch. Obwohl sich das Leben der Orthodoxie nicht in den Grenzen eines (formellen) Kultes(9) erschöpft, bildet der Gottesdienst doch das Herz und das Wesen ihres Lebens. “Das Christentum ist”, wie V. Georg Florovskij bemerkte, “eine liturgische Religion. Die Kirche ist in erster Linie eine gottesdienstliche Gemeinschaft. Zuerst kommt der Kult, erst hernach folgt die (dogmatische) Lehre und die Disziplin (kirchliche Ordnung)”(10). Das bedeutet, daß sich in der “liturgischen Versammlung” der Kirche “die Quelle des Lebens, ihr Zentrum befindet; von hier aus entströmt die neue Lehre, ihre heiligende Gnade und die Weise, in der sie verwaltet wird”(11). Das gesamte kirchliche Leben gestaltet sich in den Grenzen des Kultes. Die Kirche verwirklicht sich als gottesdienstliche Gemeinschaft, da sich ihr ganzes Leben in allen seinen Details ständig in Gottesdienst verwandelt.
Die Teilnahme des Gläubigen am Gottesdienst des Kirchenleibes verdeutlicht die Sehnsucht des “mit-Christus-Seins” (Phil. 1,23). Im Gottesdienst fühlt sich der Gläubige wie der Säugling in der mütterlichen Umarmung, in seiner natürlichen Umgebung. Daher singt er: Voll Freude war ich, da sie mir sagten: Wir ziehen zum Hause des Herrn (Ps. 121,1).
In jeglichem Ausdruck des kirchlichen Gottesdienstes vollzieht sich eine doppelte Bewegung: des Menschen zu Gott zur Verherrlichung Gottes, und Gottes zum Menschen zur Heiligung des Menschen. Fehl am Platz ist hier natürlich die scholastische Frage, wer denn den Anfang mache; denn die Göttliche Liebe ist in unablässiger Bewegung zur Welt, daß er uns zuerst geliebt hat (1. Joh. 4,10). Und hier gilt es, das Wort von Chrysostomus anzuführen: “das meiste, ja fast alles, ist das Werk Gottes, uns hat Er eine Kleinigkeit überlassen”(12). Der kirchliche Gottesdienst ist ein mystischer Dialog zwischen Schöpfer und Geschöpf, gottmenschliche Gemeinschaft. Er wird zur “wahrhaftigen” Begegnung Gottes und des Menschen, weil er sich “in dem Wahrhaftigen” (1. Joh. 5,20) ereignet, und zum Gott dargebrachten “Opfer des Lobes”, zur Übergabe unserer ganzen Existenz an ihre Quelle gemäß der liturgischen Aufforderung: “Lasset einer den anderen und uns selbst und unser ganzes Leben Christus unserem Gott anbefehlen”. So wird der Gottesdienst zur Frucht der Lippen, die seinen Namen preisen (Hebr. 13,15).
Eindeutig ist jedoch auch der theologische Charakter des Gottesdienstes; denn die theologische Rede – die der Schrift und der Väter – wird zum dem Volk dargebotenen Wort des Gottesdienstes(13). Der Gottesdienst der Kirche ist eine Schule der Frömmigkeit, die die kirchliche Gesinnung, das Bewußtsein des Kirchenleibes, prägt. Darüber hinaus offenbart der Gottesdienst der Kirche für sich allein genommen aber auch das dreifache Mysterium des Lebens, das Mysterium Gottes, das Mysterium des Menschen und das Mysterium der Schöpfung wie auch deren Relationen untereinander. Zugleich ist er die Offenbarung des Mysteriums des Menschen als gemeinschaftliches Wesen (Gen. 2,18)(14). Daher wird er auch in die von Gott geschenkte Gemeinschaft des Kreuzes eingeführt, die von den folgenden eucharistischen Koordinaten bestimmt wird: “lasset uns erheben unsere Herzen” und “lasset uns einander lieben, damit wir einmütig bekennen”. Im orthodoxen Gottesdienst erlebt der Gläubige das Mysterium der neuen “Zeit”, das mit der Inkarnation des Sohnes Gottes und Seinem Sieg über die Verderbnis, die Sünde, den Tod in die Welt eingedrungen ist. Gemeint ist das Mysterium des neuen Himmels und der neuen Erde (Offb. 21,2), wo es keinen Tod mehr geben wird, wo es auch keine Trauer, keinen Klageschrei, keine Mühsal mehr geben wird (Offb. 21,4). In unserem Gottesdienst wird unsere ganze Existenz der Macht Christi unterstellt, denn wir legen alle Sorgen dieser Welt ab, um zu empfangen den König des Alls (Göttliche Liturgie), und verherrlichen den Dreieinen Gott, wie Ihn die unsichtbaren Kräfte der Engel im Himmel unentwegt verherrlichen (Jes. 6,1 f.).
Im Sinne des bisher Gesagten wird verständlich, warum sich Askese und liturgisches Leben ergänzen. Der Gottesdienst der Kirche hat einen feierlichen Charakter. Jeder Tag ist für die Kirche ein Fest, ein Feiertag; denn die Gedächtnistage der Heiligen bestätigen den Sieg Christi über die Welt (Joh. 16,33). Außerdem bahnt die Askese als Vorempfinden der Freude dieses Festes den Eintritt der Gläubigen ins Fest der Kriche, in ihr geistliches Freudenfest. Sie ist die Vorbereitung auf die Teilnahme des ganzen Menschen an der “neuen Schöpfung” (2. Kor. 5,17), die sich im Gottesdienst offenbart. Sie ist der Weg der Rückkehr zum kata fusin (Natürlichen), Grundvoraussetzung für das Anstreben und den Aufstieg zum uper fusin (Übernatürlichen) in der Transzendenz (Jenseitigkeit, Überweltlichkeit) des Gottesdienstes. “Das Anzustrebene hier (im Gottesdienst) ist”, wie der hl. Chrysostomus bemerkt, “eine sich reinigende Seele, ein wacher Geist, ein andächtiges Herz, ein standhaftes Denken, ein reines Gewissen. Wenn du damit ausgestattet in den heiligen Chor Gottes eintrittst, kannst du selbst neben David stehen”.
Mit dem “unablässigen Gebet”, der Demut, der Leidenschaftslosigkeit, dem Fasten und der ständigen Teilnahme an Gottesdiensten setzt sich die Askese als Ziel, das Leben in ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer (Röm. 12,1) zu verwandeln, damit das Leben letzendlich seine ursprüngliche Schönheit und Echtheit und seinen wahren Sinn findet. Besonders die Askese der Mönche findet im Gottesdienst eine geistliche Oase, die Erholung von der harten asketischen Praxis schenkt. Das überdies, was der Gläubige mit Hilfe der Gnade mittels seiner Askese wird, wird mittels des Gottesdienstes und vor allem der Göttlichen Eucharistie verkirchlicht; es wird in den Leib Christi, die Kirche, eingeordnet, und das “individuelle” Ereignis wird zum gemeinschaftlichen, d.h. kirchlichen. Denn erst dann kommt ihm Bedeutung zu; erst wenn das Individuelle verkirchlicht wird, wird es auch geheiligt. Außerhalb des Leibes Christi gibt es nicht nur keine Rettung, sondern auch die vollkommenste Tugend bleibt ein besudeltes Kleid (Jes. 64,6).
Der Gottesdienst ordnet das ganze Leben des Gläubigen in Christus ein. Die Askese ermöglicht die Verwirklichung dieses Zieles, da der durch die Leidenschaften unreine Mensch Gott nicht wahrhaft verherrlichen kann. Erinnern wir uns doch an den Osterhymnus: “Würdige auch uns die Frommen, dich reinen Herzens zu verherrlichen”. Das “reine Herz” ist das Anzustrebende in der christlichen Askese (vgl. Ps. 50,12: schaffe mir, o Gott, ein reines Herz ....). Nur “im reinen Herzen” kann der Mensch Gott schauen (Mt. 5,8), d.h. zum Ziel seiner kirchlichen Existenz gelangen. Eben das bringt auch der hl. Johannes von Damaskus in seinem Osterkanon zum Ausdruck: “Lasset uns die Sinne reinigen, so werden wir Christus strahlen sehen im unnahbaren Lichte der Auferstehung...”(15). Der Gottesdienst führt zur Vergottung, unter der Voraussetzung jedoch, daß die Reinheit des Herzens und der Sinne (= die Voraussetzung des Gottesdienstes)(16) gegeben ist, die natürlich die Frucht der Vereinigung des Menschen mit eben der Quelle der Heiligung des Menschen sowohl in der Askese als auch im Gottesdienst, der Gnade des Dreieinen Gottes ist. Überdies bestimmte der Dreieine Gott selbst, der den Gottesdienst als Möglichkeit der Heiligung schenkte, auch die Askese als stetige Öffnung des Menschen für die heiligende Gnade. Ist demnach der Gottdienst der Eintritt ins Himmelreich, so ist die Askese der Weg zum Himmelreich. Der Gottesdienst bestimmt und offenbart das Ziel unserer Existenz; die Askese hilft bei der Verwirklichung dieses Zieles.
Mit der Askese als ständiger Lebensweise des Christen verwandelt sich außerdem seine ganze Existenz in Gottesdienst “in der Wahrheit” (Joh. 4,24). Denn der in Askese lebende Christ verwandelt sich gänzlich in einen “Tempel Gottes”, in dem das Mysterium der Rettung zelebriert wird. Wie jedoch die im Herzen Betenden in der Kirche von Korinth (1. Kor. Kap. 14), obwohl sie das “unablässige” Gebet (1. Thess. 5,18) des Heiligen Geistes im Herzen hatten, auch an der Versammlung des ganzen Leibes teilnahmen, so nimmt auch der sich in der Askese Vervollkommnende an der Versammlung und dem Gottesdienst des Leibes teil und verwirklicht so seine Gnadengaben. Ohne die Gemeinschaft mit den Brüdern in Christo ist die Gemeinschaft mit Christus zudem unmöglich(17).
Von Bedeutung ist somit, daß die Askese nicht einfach als ein Faktor der Vorbereitung des Gläubigen auf die Teilnahme am Gottesdienst fungiert; sie trägt vielmehr seitens des Gläubigen zur Bewahrung der Gnade bei, die dieser mit sich führt, wenn er die Kirche verläßt, wie ebenfalls zur Fortsetzung seiner Beziehung zu Gott. Mit diesem Thema setzt sich auch der hl. Nikolaus Kavasilas auseinander, und zwar in einem speziellen Kapitel mit dem Titel: “Zu was der Eingeweihte wird, wenn er die von den Sakramenten geschenkte Gnade aus eigenem Eifer bewahrt”(18). Die Askese bewirkt letztendlich die Ausdehnung und Ausweitung des Gottesdienstes auf das ganze Leben, das so zum unablässigen Gottesdienst, zur “Liturgie nach der Liturgie” wird.
3. Das Mönchtum als liturgische Askese
Das kirchliche Mönchtum hält die Verbindung zwischen Askese und Gottesdienst aufrecht und sichert so die geistlichen Stützen des Volkes Gottes auf seinem geistlichen Weg. Das Leben des Mönchs ist ein wahres Studium der Metanoia-Umkehr. Der Mönch ist “der das Leben der Metanoia-Umkehr Prägende”(19). Wenn wir einmal von der Tatsache ausgehen, daß die Metanoia-Umkehr die eigentliche Revolution ist, die in Christo zur Erneuerung der Welt in die Welt eingeführt wurde, so hält das Mönchtum das Christentum als ständige (geistliche) Revolution in der Welt lebendig, während es gleichzeitig die Spiritualität der ersten Jahrhunderte fortsetzt und so die Kirche vor der Gefahr der Säkularisation bewahrt, indem es diese in Schranken hält. In seiner absoluten Konsequenz im Kampf um die Vergottung bringt das Mönchtum in jeder Epoche das “Übermäßige” der christlichen Askese zum Ausdruck, den Weg der “Übertreibung” (1. Kor. 12,31), der im geistlichen Leben zur Regel wird. Daher auch wurde es als “besserer Weg” oder “Welt der Kirche” bezeichnet. Zwar sind alle Christen dazu aufgerufen, daß Reich Gottes “mit Gewalt” zu erobern, doch die Mönche befolgen mit ihrer konsequenteren und vollkommeneren Askese das Gebot des Herrn mit größerer Konsequenz.
Folglich verfolgen alle Gläubigen das gleiche Ziel. Die Mönche jedoch verfügen in ihrem Kampf über eine größere Anzahl von Möglichkeiten. Ihr Weg ist das Erleben der “letzten Stunde” (1. Joh. 2,18), des unentwegten Wachens in der Erwartung des “kommenden Herrn”. Insofern ist das Mönchtum die authentischste Form des christlichen Lebens und “Licht” der Kämpfenden in der Welt. Die Einordnung des Gottesdienstes in den geistlichen Kampf der Mönche, mag er auch als noch so große Abweichung in der ursprünglichen Betrachtung des Gottesdienstes von der Kirche betrachtet werden, erwies sich als der größte Segen für den Leib der Kirche; denn mittels des Mönchtums setzt sich die Verbindung von Gottesdienst und enthusiastischem-bekennendem Element fort, da auch das Mönchtum als “Martyrium des Gewissens”(20) die geschichtliche Fortsetzung des christlichen Martyriums ist.
Bereits die apostolische Gemeinde von Jerusalem tritt als durch und durch gottesdienstliche Gemeinde auf. Eines Mundes und eines Herzens wird das Gebet der Gläubigen zu Gott emporgesandt (Röm. 15,6; 1. Petr. 4,1; Offb. 15,4). Der gleichen Tradition werden die Mönche als Träger der “enthusiastischen Tendenzen” in der frühen Kirche treu bleiben. Ihr Leben wird sich als Leben des Gottesdienstes gestalten, sie selbst werden wie “Engel im Leibe” und “dienende Geister” wandeln. Der Mönch läßt sich außerdem nicht einfach passiv im Gottesdienst “versorgen”, sondern nimmt an ihm Anteil und wird zu seinem Zelebranten; auf diese Weise nimmt er an der Existenzweise der Kirche als Leib Christi Anteil. Von Basilius dem Großen organisiert, ist das klösterliche Zönobium eine Nachbildung der Kirche als “monastische Gemeinde”, in der das tägliche Leben als liturgische Verherrlichung zum Ausdruck kommt. Mittels des Zönobiums entwickelt der Gottesdienst der Kirche seine Dynamik im Bereich der Askese(21). Im geographischen Zentrum des monastischen Zönobiums befindet sich immer das Katholikon oder Kyriakon, die Hauptkirche, zur liturgischen Versammlung des ganzen Klosters.
Mit dem Auftreten der organisierten Askese vom 4. Jh. an entstand eine direkte Verbindung zwischen Gottesdienst und Askese(22). Die Mönche verbanden mit ihrem Gottesdienst die aus dem kaiserlichen Typikon (Adoratio = Anbetung) bekannten Gebetsverneigungen, um Zerknirschung, Selbsttadel, Gottergebenheit zum Ausdruck zu bringen. Der Gottesdienst nahm so als eine unablässige Metanoia-Umkehr einen asketischen Charakter an. In diesem geistigen Rahmen bewegen sich folgend Worte des Altvaters Pamvo, die zugleich einen Abstand vom Gottesdienst der Christen in der Welt deutlich werden lassen: “Denn die Mönche haben sich nicht in diese Wüste begeben, um vor Gott zu treten und den Geist zu erheben und Lobeshymnen zu singen und Töne rhythmisch hervorzubringen und Hände hin und her zu bewegen und metabainousi podas, sondern unsere Pflicht ist, in großer Furcht und Schrecken, unter Tränen und Seufzen in Ehrfurcht und mit andächtiger und mittelmäßiger Stimme unsere Gebete Gott darzubringen”(23). Dieser Text bringt den Geist des monastischen Gottesdienstes klar zum Audruck, d.h. seine Verankerung in der monastischen Askese. Obgleich das Mönchtum in den folgenden Jahrhunderten einen größeren kultischen Reichtum erwirbt als die weltlichen Gemeinden und zum Hauptfaktor der Entwiclung des kirchlichen Gottesdienstes wird, geht dieser Geist, der mit dem ganzen in ihm gewahrten geistlichen Wohlgefühl verbunden ist, niemals verloren. Dem Mönchtum gelingt es eben mittels der Askese, das Leben zur organischen Fortsetzung des Gottesdienstes werden zu lassen.
Die Einordnung des Mönchs ins Gebet fordert auch eine erhöhte Teilnahme am Gottesdienst. Im Gottesdienst verwirklicht sich der Mönch. Daher auch will er in der Gemeinschaft mit Gott leben, wie der Säugling nach der mütterlichen Umarmung verlangt. Die Teilnahme des Mönchs am Gottesdienst hält ihn in der theozentrischen Gemeinschaft, aber auch in Gemeinschaft mit seinen Brüdern. Dem Gottesdienst fern zu bleiben bedeutet für den Mönch Entfernung von Christus und Abtrennung vom mütterlichen Leib der Kirche. Somit ist es nicht paradox, daß die Eremiten-Asketen in jeder Zeit durch die zönobitischen Mönche die Göttliche Kommunion erhalten, um jeden Tag kommunizieren zu können und auf diese Weise gleichzeitig auch an der kirchlichen Gemeinschaft Anteil zu haben. Eine verabsolutierte, der gottesdienstlichen Gemeinschaft entfremdete Askese, ist kirchlich undenkbar. Basilios der Große, der größte Fürsprecher des Mönchtums in der Kirchengeschichte, gibt in seinen asketischen Schriften der liturgischen Praxis den Vorrang, indem er betont, daß “die Gebete, die nicht gemeinsam gesprochen werden, viel an Kraft verlieren”(24).
4. Mönchtum und Theologie
Die Bewahrung der authentischen Verbindung von Askese und Gottesdienst durch das Mönchtum ist seine Kräftereserve für die Entwicklung seiner in jeder Zeit zu beobachtenden Dynamik im Ausdruck der kirchlichen Theologie. Nicht zufälligerweise kommen die wahren Theologen der Kirche (die Väter) aus dem Bereich der Askese, und zwar ihrer organisierten Form, dem Mönchtum, der natürlichen Fortsetzung der Lebens-Tradition der Kirche. Das Mönchtum bewahrt in seinen authentischen Dimensionen die Arme des Theologischen Denkens und dessen Flügel in dessen geistlichen Höhenflügen. In der Perspektive, die die Askese und der Gottesdienst der Kirche eröffnen, zeichnet sich folglich die bodenständige Beziehung des Mönchtums zur theologischen Erkenntnis und zum Theologischen Denken des Kirchenleibes ab. Das ist der Grund, warum ich den Bereich der akademischen Theologie (Universitäten) aus Überzeugung einfach als eine Möglichkeit wissenschaftlicher Annäherung und Analyse der im Verlauf der Geschichte zum Ausdruck gebrachten Zeugnisse des Kirchenleibes betrachte, niemals aber als Voraussetzung kirchlichen, d.h. primären theologischen Denkens, der Offenbarung also der göttlichen Erkenntnis. Dies wird in der tatsächlichen theologischen Fakultät der Kirche, im Bereich der monastischen Erfahrung, erreicht, die auf den Kapiteln 12-14 des 1. Korintherbriefes basiert, in denen über die “Geistesgaben” (Gnadengaben) die Rede ist. Nur wer unablässig, wie die Mönche, diese Schule der Frömmigkeit, in der Gott unterrichtet, besucht, erweist sich als kirchlicher Theologe von oben(28).
Anmerkungen
1. Gott offenbart keine fleischlosen “Wahrheiten” (Ideen), sondern offenbart sich selbst als Selbstwahrheit und Allwahrheit im Fleische.
2. Siehe die bedeutsame Tetralogie (4 Bände) seiner Eminenz des Metropoliten Ierotheos von Navpaktos und Agios Vlasios Orqovdoxh Yucoqhrapeiva (Edessa 1986).
3. Vgl. 1. Kor. 2,11-16 (bes. 15).
4. K. Papapetrou, H apokavluyi¾ tou Qeouv kai h gnwvsi¾ autouv, Athen 1969. Ders., H ousiva th¾ Qeologiva¾. Susthmatikhv melevth epiv enov¾ paterikouv ermhneutikouv evrgou, Athen (o.J.).
5. 1. Theologische Rede (= Rede 27) § 3.
6. Zu den Voraussetzungen des Theologischen Denkens siehe V. Johannes Romanidis, Dogmatikhv kai Sumbolikhv Qeologiva th¾ Orqodovxou Kaqolikhv¾ Ekklhsiva¾, Thessaloniki 1973 und ders. Rwmaivoi hv Rwmhoiv Patvere¾ th¾ Ekklhsiva¾, Bd. 1,Thessaloniki 1984.
7. Siehe V. G.D. Metallinos, H Qeologikhv marturiva th¾ Ekklhsiastikhv¾ Latreiva¾, Athen 1995, S. 184 ff.
8. V. J.S. Romanidis, To propatorikovn amavrthma, Athen 1989, S. 150.
9. D.S. Balanos, Eivnai h Orqovdoxo¾ Ellhnikhv Ekklhsiva movnon koinwniva latreiva¾, Athen 1904.
10. Orqovdoxo¾ latreiva im Sammelband: Qevmata Orqodovxou Qeologiva¾ (Übers. St. Papalexandropoulos, Thessaloniki 1973), S. 141-173 (hier: S. 159).
11. V. Vasilios Goutikakis, Eisodikovn. Stoiceiva leitourgikhv¾ biw`sew¾ tou musthrivou th¾ enovthto¾ sthn orqovdoxh Ekklhsiva, Heiliger Berg Athos 1974, S. 15.
12. Joh. Chrysostomus, Ei¾ Yalm. 115,2. PG 55,322.
13. Siehe V. G.D. Metallinos, H qeologikhv marturiva ...a.a.O., S. 128ff (= O leitourgikov¾ lovgo¾).
14. Siehe V. G.D. Metallinos, Gottesdienst und Askese, in: Leben im Leibe Christi, Athen 1990, S. 157.
15. 1. Ode, 2. Troparion.
16. Zu diesem Thema siehe V. G.D. Metallinos, a.a.O., S. 274f.
17. Vgl. 1. Joh. 4,20f.
18. Periv th¾ en Cristw` xwhv¾, Rede 7, PG. 150,625f.
19. Kanon 43 der 6. Ökumenischen Synode.
20. A.I. Phytrakis, Mavrturion kai Monacikov¾ bivo¾, Athen 1948, vgl. V. G.D. Metallinos, O Agio¾ kai o Mavrtura¾ w¾ mimhthv¾ tou Kurivou, im Sammelband: O Agio¾ kai o Mavrtura¾ sth xwhv th¾ Ekklhsiva¾ (Einführungen vom 12. Kongreß Patristischer Theologie), Athen 1994, S. 56-68.
21. Zur Beziehung zwischen Mönchtum und Gottesdienst siehe die Askhtikav von Basilius dem Großen (PG 31,520-1428).
22. Zu diesem Thema siehe V. G. D. Metallinos, H qeologikhv marturiva ..., a.a.O., S. 61ff.
23. Siehe W. Christ - M. Paranikas, Anthologia Graeca carminum Christianorum, Lipsiae,S. XXIXf.
24. PG. 32,494 B.
25. Euaggelikov¾ monacismov¾, in der Zeitschrift: “O Osio¾ Grhgovrio¾” 1(1976)68 und 70.
26. Die charakteristischen Beispiele eines solchen Gedenkens sind die asketischen Gestalten der Heiligen Maria von Ägypten und des Heiligen Johannes von der Leiter (jeweils am 5. und 4. Sonntag der Großen Fastenzeit. Zur Bestätigung siehe J. Tyciak, Die Liturgie als Quelle östlicher Frömmigkeit (Ecclesia Orans, 20), Freiburg 1937.
27. Siehe I. Phountoulis, To pneuvma th¾ qeiva¾ latreiva¾, in Leitourgikav qemavta, I, Thessaloniki 1977, S. 21ff.
28. Siehe V. G.D. Metallinos, Qeologikhv peideiva kai Ekklhsiastikhv agwghv, Athen 1993 (Reprint aus der Zeitschrift “Ekklhsiva”, 1993, S. 127ff)
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