Dienstag, 4. März 2014

Gebet wandelt Gesinnung und Lebenssinn.


Viele beten: Sie kommen zu Gott unter recht unterschiedlichen Voraussetzungen, nicht allein durch schwere Erlebnisse, sondern auch aus Freude, aus dem Überfluss frohen Erlebens, oft, wenn sie eine Sache beginnen wollen, seltener schon, wenn sie abgeschlossen ist.
Manche beten unvermittelt, bei helllichtem Tage; sie treten an die Ikone oder knien nieder und suchen ihren Schöpfer, getrieben von einem Gefühl des Dankes oder der Buße. Andere beten regelmäßig morgens und abends, vor und nach den Mahlzeiten. Gewöhnlich sammelt man sich länger zum Gebet in der Kirche; andere beten zu Hause, wenn sie die Abenddämmerung dazu einlädt oder die stille Stunde des Morgens anbricht.
Verschieden sind die Worte, mit denen Menschen sich an Gott wenden. Wie viel emotionale Schattierungen spielen hier mit, unterschiedlich auch die Kraft des Impulses, abhängig vom Grad des Glaubens…
Was die Menschheit wirklich eint, ist das große, in die Verantwortung führende, furchterregende Geheimnis des Betens, das Umfassendste, was Menschen überhaupt vereinen kann. In diese unsichtbare, aber wahrhafte Einheit fügen sich alle Altersstufen und Generationen, alle Splittergruppen der gefallenen und gespaltenen Menschheit, Menschen von so unterschiedlichen Überzeugungen, Gedanken und sozialen Stellungen; alle werden eins durch die unsichtbaren Bande des Mysteriums Gebet.
Wenn die Welt noch nicht zerfallen ist, wenn sie noch steht und die Menschen trägt, dann verdankt sie es der Tatsache, daß an all ihren Enden, hoch in den Bergen und in tiefen Tälern, ehrliches Gebet zu Gott aufsteigt: das Seufzen der wiederhergestellten Kreatur.

Was eigentlich ist Gebet? Lapidar die Antwort: Gespräch mit Gott!
Menschen halten sich für glücklich und erinnern sich ein Leben lang daran, wenn sie einmal mit einem herausragenden, durch Stand oder Begabung ausgezeichneten Menschen von Weltgeltung haben sprechen können. Wie viel mehr sollten wir das Gespräch mit Dem schätzen, Der das Erhabene und Hohe in der Welt hervorgebracht hat. Welches Beben echter Freude verleiht das Wissen unmittelbaren Kontaktes mit dem einen, wahrhaften König des Himmels und der Erde … Wenig und nur oberflächlich nehmen Menschen diese Nähe Gottes wahr.
Was schätzt man gewöhnlich am Gebet? Die Möglichkeit der Bitte vor dem Herrn allen Seins, daß Krankheiten, Heimsuchungen, Gefahren und Tod im eigenen oder im Leben uns nahestehender Menschen vorübergehen mögen. Man möchte die in diesem Leben gültigen Werte erlangen: Lebensglück, eine Familie, die in Frieden mit-einander auskommt, einen Menschen, dem man vertrauen kann, gehorsame, nette Kinder, Erfolg bei der Bewältigung von Schwierigkeiten, eine angenehme Arbeit, Gesundheit und manches mehr.
Aber es sind nicht nur irdische Bedürfnisse, die den Menschen zu Gott ziehen. Geistinspirierte wissen, daß alles Materielle fest in die Hände Gottes gehört ohne sich darüber allzu sehr zu sorgen, und selbst in unserem Gebet sollte das angemessen beachtet werden. Dann wird, so sagt der Herr, alles andere euch „zufallen”.

Aus solchen Einsichten suchen geistliche Menschen die Gaben des Heiligen Geistes im Gebet, die Fähigkeit zum Beten, Geduld, Liebe und Sanftmut, Demut, Reinheit und Gerechtigkeit. Sie bitten um die Erkenntnis des Willens Gottes und darum, daß sie, wenn sie ihn erfahren, danach auch handeln können. Wer schon viel vom Willen Gottes erkannt hat, wird für sich um die Kraft der Gnade bitten, diesem Willen immer wieder zu entsprechen.
Menschen mit solch geistlicher Reife und geläutertem Herzen gibt es durchaus nicht so selten in der Welt. Freilich sind derer mehr, die die höheren Interessen mit den niederen zu verbinden wissen; und noch größer ist die Zahl jener, die sich im Leben von den niederen Interessen leiten lassen und deshalb ihnen auch im Gebet vor Gott weiten Raum schenken.
Aller Anerkennung wert ist das hohe, immaterielle Ziel des Gebetes. Freilich können Menschen wie Kinder mit diesseitigen Ansprüchen zum Vater kommen, und sie erhalten, was sie begehren, wenn auch nicht immer das, worum sie gebeten haben.
Das anspruchsvollste Gebet ist jenes Flehen, wenn der Mensch alle seine Absichten, auch die hochgesteckten, vergisst und nur noch von einem Wunsch beseelt ist, dem Herrn möglichst nahe zu kommen, das Haupt zu Seinen Füßen zu legen, das eigene Herz ganz und gar in Seine Hände zu betten und so sich und die Welt zu vergessen.

Hier offenbart sich die vollkommene Liebe im vollkommenen Gebet.
Man möchte nur noch für den Herrn atmen, für Ihn allein leben, Ihn lieben, sich in Seiner Nähe bergen und in Seiner unaussprechlichen Liebe genesen. Mitunter wird es unerträglich schwer, in jener Luft atmen zu müssen, der jedes zarte und tröstende Wehen des Herrn fehlt. Die Seele des Menschen sehnt sich nach Seiner Ruhe und vermag sie schon hier auf der Erde zu schmecken. Sie verspürt die Luft der oberen Welt und vernimmt himmlische Worte, die von so großen Geheimnissen künden, daß sie mit menschlichen Worten nicht zu sagen sind.
Wo heilige Selbstlosigkeit das Gebet um des Gebetes willen sucht, erfüllt sich menschliches Bitten vor Gott, wird das Gebet des Menschen geheiligt, vom Geaste bevollmächtigt und gerechtfertigt. Der irdische Anlaß dazu ist nur sekundär, welcher Umstand es auch immer sein mag. Engelgleiche Freude ist Kernstück und Willensbekundung des Gebetes: wenn wir reden und uns mitteilen dürfen, alle Sorgen und Zweifel ausschütten, ja die eigenen Freuden Ihm, dem einen, alliebenden, allweisen und allwissenden Vater bekennen können.

Ehrfurcht vor dem Angesicht des Allherrn
Er findet Wohlgefallen selbst am Lallen des Kindes. Dabei nimmt der Herr alles menschliche Bitten ernst, wie gering oder nichtig es auch sein mag, wenn nur das Herz des Menschen darüber froh wird und sich im Stehen vor dem Angesicht des Allherrn mit Ehrfurcht füllt. Alles Geringe wächst nämlich in diesem Stehen vor Gott ins Vollkommene, und alles Unvollkommene wird zum Erhabenen erhoben.
Lasst euch nicht durch euer Bitten verwirren,, es sei hoch oder niedrig, sondern streckt euch aus, nicht so sehr nach dem, was ihr bitten wollt, sondern nach Dem, Den ihr bitten wollt. Unwürdig ist das Bitten nur derer, die den Herrn weniger lieben als Sache oder Angelegenheit, um die sie bitten.
Wenn sie den Herrn über alles lieben, dann ist ihr Bitten gesegnet. Das Hohe wie das Geringe, jede Einzelbitte wird sich erfüllen, und wo die Erfüllung ausbleibt, folgt dafür ein größeres Gut als das vermisste.

Gemeinschaft mit Gott gibt volle Genüge
Groß ist die Kraft eines jeden demütigen Gebetes. Ich kenne keinen einzigen Fall, wo es nicht erhört wurde, wenn auch nicht so, wie ursprünglich gewollt, sondern unvergleichlich besser.
Wenn man sich einen Menschen vorstellen wollte, der mit einer Million Wünsche vor Gott träte, und kein einziger Wunsch hätte sich erfüllt, dann glaubt und seid gewiß, daß nach soviel Anrufungen Gottes, so sie nur demütig waren, dieser Mensch eine größere Gnade empfangen wird als die, die er durch die Erfüllung all seiner Bitten erhalten hätte. Eine unerfüllte Bitte ersetzt der Herr durch Seine Gaben, die das wichtigste und nötigste Gut des Menschen sind, denn der Herr allein weiß, was ihm nottut und für ihn von Belang ist. Mitunter gleicht ein Mensch mit seinen Wünschen einem Kinde, das um die Flamme einer Kerze bittet…
Das Gebet ist für den wahrhaft Gläubigen stets Eintritt in ein reiches Land, immer eine große Kostbarkeit. Stellt euch vor, daß ihr einen besonders geliebten Menschen nicht besuchen könnt, dessen Gemeinschaft euch Gipfel aller Freude ist. Ihr wollt ihn sehen, möglichst häufig, aber ihr dürft nur zu ihm kommen, wenn ihr ihm eine bestimmte Bitte unterbreitet. Eigentlich wollt ihr nur ihn haben, die Bitte selbst ist zweitrangig. Und nur um ihn zu sehen, fangt ihr zu bitten an …
Tief in eurem Herzen lässt es euch gleichgültig, ob er nun eure Bitte anhört oder nicht, solange euch nur die Gemeinschaft mit ihm bleibt, die Möglichkeit, selbst zu sprechen und ihn hören zu können. Wenn ihr aus seinem Hause weggeht, werdet ihr weniger an ein Geschenk denken, das ihr von ihm erhalten habt oder nicht. Euer Herz ist von ihm erfüllt… Vielleicht lässt sich so die menschliche Liebe beschreiben.
Wenn wir nun schon einen Menschen so lieben können, wieviel mehr – Gott! Wie mag Er es, wenn wir Ihn bitten, unabhängig davon, ob die Bitte sich erfüllt oder nicht. In diesem wie im anderen Falle fällt unserer Seele eine große Frucht zu.
Wir sind unterwegs in den Himmel zum Schöpfer allen Lichtes. Und in unser Herz strömt die göttliche Glut seraphischer Gnade…

(Erzbischof Johannes (Schachowskoi))

http://www.deutsch-orthodox.de/

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