Gebet:
„Vor deinem allreinen Bilde fallen wir nieder, o Gütiger, und bitten um die Vergebung unserer Sünden, Christus, o Gott, denn freiwillig geruhtest Du, Dich auf das Kreuz zu erheben, um aus der Knechtschaft des Widersachers zu erlösen, die Du erschaffen hast. Deshalb rufen wir dankbar zu Dir: Mit Freude hast Du das All erfüllt, unser Heiland, der Du gekommen bist, die Welt zu erlösen.“
Einführung
„Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht.“ (Joh 1,18) Die Ikonenverehrung stellt eines der grundlegenden Merkmale der Orthodoxie dar. So eng stehen Ikone und Orthodoxie zueinander, dass wir am ersten Sonntag der großen Fastenzeit, auch Sonntag der Orthodoxie genannt, der Entscheidung der Kirchenväter hinsichtlich der Verehrung der heiligen Ikonen in der Kirche gedenken.
Diese enge Beziehung zwischen Ikone und Orthodoxie berücksichtigend können wir schon voraussehen, dass die Ikone in der Orthodoxen Kirche nicht nur eine künstlerische, historische Bedeutung hat und dass ihre Rolle nicht nur anamnetisch und katechetisch zu empfinden ist, sondern dass die Ikonenfrage ein klares Identitätsmerkmal der Orthodoxie darstellt. Indem sie Bilder aus dem Leben Jesu Christi oder der Märtyrer malten, haben Christen von Anfang an mancheWahrheiten ihres Glaubens mit Hilfe der Symbole dargestellt. Da die christliche Liturgie sich aus dem synagogalen Kultus des Alten Testaments entwickelte, wurde auch die Legitimität dieser Freskendarstellungen in Frage gestellt.
War es ihnen gestattet Ikonen zu malen ohne dem alttestamentlichem Gebot zu widersprechen: „Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde“ ? Selbstverständlich untersagt dieses Gebot die Verehrung von Götzen und das Erschaffen von falschen Göttern, denen man später die Verehrung, die nur dem einen und wahrhaftigen Gott gezollt werden kann, bringen würde. Auf der anderen Seite ist Gott selbst derjenige, der Moses bei der Fertigung der Tücher für das Heiligtum befiehlt, Kerubimfiguren zu gestalten: „Die Wohnstätte sollst du aus zehn Zelttüchern herstellen; aus gezwirntem Byssus, violettem und rotem Purpur und Karmesin mit Kerubim sollst du sie machen, wie es ein Kunstweber macht“ . Der strittige Punkt stand für die Christen mit der Abbildung Gottes in enger Verbindung. Der unsichtbare Gott, der niemals von jemandem gesehen worden war, kann nicht dargestellt werden. Dieses wurde im Alten Testament untersagt und galt weiterhin als eine selbstverständliche Unmöglichkeit, so dass jeder Versuch einer Ikonendarstellung des unsichtbaren Gottes mit Sicherheit gescheitert wäre. Der unsichtbare, unfassbare, unnahbare, von menschlicher Vernunft und Verstand nicht begreifbare Gott konnte einfach nicht dargestellt werden.
Trotzdem nahm eine Person der Heiligen Dreifaltigkeit, nämlich der Sohn, als „die Zeit erfüllt war“ , menschliches Fleisch an und wurde uns gleich. Er kam in die Geschichte, wurde sichtbar und verkehrte mit den Menschen, nahm alles Menschliche an außer der Sünde. In seiner
menschlichen Hypostase hat sich Gott offenbart: Der Unsichtbare wurde sichtbar, der Unfassbare ließ sich in einer konkreten Person umschreiben, der Unerreichbare kam in engste Nähe zum Menschen.
Das göttliche Wesen ist den Menschen weiterhin unbekannt geblieben, aber in der Person Jesu Christi hat sich Gott dem Menschen offenbart, soweit dieser es verkraften konnte. Für die Erkennung Gottes und für das Begreifen der göttlichen Dreifaltigkeit haben wir Menschen nur einen Schlüssel: Gott den Vater erkennen wir durch den Sohn: „Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat“ und „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ , und den Sohn durch den Heiligen Geist: „Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet“ . Folglich können wir nicht etwas darstellen, was wir nicht kennen, aber wir können veranschaulichen, wir können in Bildern das darstellen, was uns enthüllt wurde: die Mensch gewordene Person des Sohnes Gottes . So können wir die Geburt des Sohnes aus dem Vater vor der Ewigkeit nicht darstellen, wir können aber seine menschliche Geburt aus der Jungfrau Maria abbilden . Diese Tatsache wird im Kondakion des Sonntags der Orthodoxie in ihrer vollen Klarheit vorgeführt und erweist sich als eine echte dogmatische Grundlage der Ikonenverehrung.
„Das unbeschreibliche Wort des Vaters wurde beschreibbar durch die Fleischwerdung aus dir, Allheilige Gottesgebärerin; und das befleckte Abbild hat er in seiner ursprünglichen Würde wiederhergestellt, indem er es mit der göttlichen Schönheit vermischte. Und das Heil gestehend, stellen wir es in Werk und Wort dar.“
Während das Abbilden Gottes des Vaters, den niemand je gesehen hat, unmöglich ist, würde die Ablehnung der Abbildung Christi eine Verneinung seiner menschlichen Hypostase bzw. der echten Menschlichkeit Jesu bedeuten, das automatisch zu einer Widerlegung des Heilmysteriums des Menschen in Christus führen würde. Der Heilige Geist, die dritte Person der Heiligen Dreifaltigkeit, wurde nur in den Gestalten, worin er aufgetreten ist, dargestellt: in der Gestalt einer Taube, bei der Taufe Jesu im Jordan und als Feuerzungen an Pfingsten.
Der Mensch – ein Abbild
Gottes
„Lasst uns Menschen
machen als unser Abbild, uns ähnlich.“
(Gen 1,26)
Bei einer
aufmerksamen Lektüre des Alten Testaments stellen wir
fest, dass
die erste Ikone (Abbild) Gottes von Gott selber geschmiedet
wurde, und
zwar als er den Menschen als Krönung seiner Schöpfung
schuf. „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen
als unser
Abbild
(gr. κατ’ εἰκόνα), uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die
Fische des
Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über
die ganze
Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also
den
Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als
Mann und
Frau schuf er sie“ . Gemeint
ist nicht ein gemaltes Abbild,
sondern
eine lebende Ikone, nach dem Antlitz des lebendigen Gottes,
der Gott,
außer dem Geschenk des Lebens, auch „den Lebensatem“
einblies,
Atem aus seinem eigenen Atem, einen Atem, der den
Menschen
befähigt, außer seines biologischen Lebens auch ein
geistliches
und vernünftiges Leben zu führen.
Den
Ausgangspunkt für die Theologie des „Abbildes“ (der Ikone)
Gottes
bildet für die Kirchenväter die Lehre des heiligen Apostels
Paulus,
der Christus als „Abbild/Ikone
Gottes“ betrachtet. Eine
Zusammenfassung
dieser Lehre des Paulus finden wir im ersten Kapitel
des
Kolosserbriefes. Von großer Bedeutung ist hier, dass sie nicht als
eine persönliche Meinung des Apostels
dargestellt wird, sondern als
eine
liturgische Hymne der frühchristlichen Gemeinde : „Er ist das
Ebenbild
des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen
Schöpfung. Denn in ihm wurde alles
erschaffen im Himmel und auf
Erden, das
Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften,
Mächte und Gewalten; alles ist
durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er
ist vor
aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand. Er ist das Haupt des
Leibes,
der Leib aber ist die Kirche. Er ist der Ursprung, der
Erstgeborene
der Toten; so hat er in allem den Vorrang“ . Diese
Dimension
des Begriffes „Abbild“ wird im 15. Kapitel seines ersten
Korintherbriefes
vervollständigt, wo der Apostel den ersten Adam als
den
irdischen, den natürlichen, parallel zum letzten Adam als den
lebendig
machenden Geist und den himmlischen darstellt. Er zeigt, dass
der Mensch
es nötig hat, dass „Abbild“ des himmlischen Menschen,
also das
Abbild Christi zu tragen, um zu seiner Erfüllung zu gelangen
und sich
seiner Berufung würdig zu erweisen: „So steht
es auch in der
Schrift:
Adam, der Erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der
Letzte
Adam wurde lebendig machender Geist. Aber zuerst kommt nicht
das Überirdische; zuerst kommt das
Irdische, dann das Überirdische.
Der erste
Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der Zweite
Mensch
stammt vom Himmel. Wie der von der Erde irdisch war, so
sind es
auch seine Nachfahren. Und wie der vom Himmel himmlisch
ist, so sind
es auch seine Nachfahren. Wie wir nach dem Bild des
Irdischen
gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des
Himmlischen
gestaltet werden“ . Mit
anderen Worten ist der
vollkommene
Mensch bzw. der Heilige ein Abbild, eine Ikone Christi,
eine menschliche
Person, in der sich Christus widerspiegelt, denn wir
alle sind
berufen „zur Einheit im Glauben und in
der Erkenntnis des
Sohnes
Gottes zu gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen
werden und
Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen“ . Nur
dann verlässt der Mensch, gemäß der Vorstellung des heiligen
Paulus,
die Stufe
seiner geistlichen Kindheit, die geistliche Unmündigkeit ,
wenn er
sich in allem mit Christus identifiziert. Für ihn stimmt „das
menschliche
Erwachsensein mit dessen Christogenese überein“ .
Kirchenväter wie Irenäus, Klemens von Alexandrien,
Athanasius
der Große, Gregor von Nyssa, Maximus
der Bekenner, Gregor Palamas
und
Theologen wie Origenes übernahmen die Lehre des heiligen
Apostels
Paulus und entwickelten sie weiter, indem sie die Paulinische
Thematik „Christus – Abbild Gottes“ mit der
Thematik der Schöpfung
„der Mensch – nach dem
Abbild Gottes“ in Verbindung brachten. Es
gelang
ihnen zu klären, dass Christus, der Mensch gewordene Logos,
der
Archetyp des Menschen ist. Christus ist das Abbild Gottes, und der
Mensch ist
das Abbild Christi; folglich ist der Mensch Abbild des
Abbildes .
Obwohl wir als Untergeordnete der zeitlichen Realität eher
geneigt
sind zu denken, dass während der Schöpfung Adams Christus
historisch
nicht existierte, müssen wir die Tatsache in Betracht ziehen,
dass in
der übernatürlichen Wirklichkeit Gottes Christus „das Ebenbild
des
unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung ist“ .
Wenn also
der Mensch, für den die ganze materielle Schöpfung
geschaffen
wurde, als letzter von allen Geschöpfen zur Existenz
gebracht
wurde, dann ist es nur logisch, dass Christus, der als Ziel der
ganzen
materiellen und geistigen Schöpfung gilt, Adam zeitlich
nachgeordnet
ist, soweit alle Dinge vom Unvollkommenen zur
Vollkommenheit
geführt werden . Die Tatsache, dass Gott den
Menschen „nach seinem Abbild“ geschaffen hat, bedeutet folglich, dass
er ihn
eben deswegen so geschaffen hat, damit dieser auf natürliche
Weise bzw.
durch seine eigene menschliche Natur nach dem, der sein
Göttliches Urbild ist, streben
soll. Dies bedeutet, dass der ganze
Mensch mit
Leib und Seele nach dem Abbild Gottes geschaffen worden
ist. Das
menschliche Wesen in seiner Ganzheit ist nach dem Abbild
Gottes
geschaffen worden und stellt ein Abbild Gottes dar .
Wir
sollten uns erinnern, dass in der heiligen Schrift gerade im
Buch
Genesis eine Unterscheidung zwischen dem „Abbild Gottes“ und
der „Gottähnlichkeit“ vorgenommen wird. Die kirchliche Überlieferung
hat seit
langem geklärt, dass man durch den ersten Begriff etwas
aktuelles,
ein ontologisches Geschenk Gottes und die geistige
Grundlage
eines jeden Menschen verstehen sollte. Der zweite aber weist
auf eine
potenzielle Wirklichkeit hin, auf die Fähigkeit der geistigen
Vervollkommnung,
auf die Möglichkeit der Verkörperung des Abbildes
Gottes im
Leben des Menschen, was die höchste Verwirklichung dieses
Abbildes
bedeutet. Diese Verwirklichung der „Ähnlichkeit“, anders
gesagt die
Vergöttlichung des Menschen, bedeutet das Geprägtwerden
des
Menschen durch die Vollkommenheit Gottes, ohne dass irgendeine
Verschmelzung
mit ihm stattfindet. Das Abbild findet in der
Vergöttlichung seine Erfüllung als maximale Ähnlichkeit mit Gott.
Indem der
Mensch das Abbild Gottes in sich hat und seine Ikone ist,
trägt er die Spannung der Vergöttlichung in sich. Als Abbild
Gottes
geschaffen,
soll der Mensch Gott immer ähnlicher werden, er soll
immer mehr
von Gott erfüllt werden und Gott in seinem Wesen immer
mehr
sichtbar machen. Die Gottähnlichkeit aber, behauptet Vater
Staniloae,
steht nicht nur für die letzte Stufe der Vergöttlichung, sondern
für den ganzen Entfaltungsweg des
Abbildes durch den Willen des
Menschen
und unterstützt von der Gnade Gottes .
In diesem
Sinne können wir behaupten, dass, je mehr sich der
Mensch Gott
nähert, je treuer und gläubiger er auf diesem Weg Christus
folgt als
seinem Archetyp, er sich umso mehr in ein vom göttlichen
Licht
durchstrahltes Fenster verwandelt, in eine authentische, von
göttlichem Licht erfüllte Ikone Gottes und selber zu
„Gott der Gnade
nach“ wird. Je heiliger sich ein Mensch erweist,
umso mehr stellt er eine
authentischere
Ikone Gottes dar, und dadurch enthüllt er der Welt
einiges über Gott. Die Umgestaltung des
menschlichen Wesens
einschließlich des Leibes wurde uns von
der Verklärung des Heilands
auf dem
Berg Tabor vorabgebildet und verkündigt: „Und er wurde vor
ihren
Augen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine
Kleider
wurden blendend weiß wie das Licht“ . In der
Apostelgeschichte
finden wir im Bericht des Märtyrertodes des
Erzdiakons
Stephanus ein konkretes Zeugnis bezüglich der Wirklichkeit
dieser
Verwandlung des menschlichen Wesens: „Und als alle, die im
Hohen Rat
saßen, auf ihn blickten, erschien ihnen sein Gesicht wie das
Gesicht eines Engels“ .
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